Alles wegen einer kleinen
Olive
Warum ist die
Sharon-Ben-Eliezer-Peres-Regierung zusammengebrochen? Wegen einer kleinen
Olive!
von Uri Avnery
Es beginnt wie eine
Kindergeschichte: Es war einmal eine kleine Olive in einem
palästinensischen Dorf. Sie wuchs und reifte an einem Zweig eines alten
Baumes im Olivenhain ganz oben auf einer Hügelkuppe. "Pflückt mich! Ich
möchte euch mein Öl schenken!" bat die kleine Olive.
Sie wurde immer reifer,
aber die Pflücker kamen nicht. Sie konnten sie nicht erreichen, weil die
israelischen Siedler zwei Wohnmobile auf die Hügelkuppe gesetzt hatten,
und so das ganze Gebiet zu einer "Sicherheitszone" dieses Außenpostens
geworden war. Als die Besitzer des Olivenhaines sich näherten, wurden sie
von den Siedlern beschimpft und geschlagen und zuletzt sogar beschossen.
Dies geschah an Dutzenden von Orten überall in der Westbank.
Die Dorfbewohner riefen die
israelische Armee um Hilfe; denn diese kontrollierten ja jetzt wieder alle
palästinensischen Gebiete. Aber die Armee kam nicht, um sie zu beschützen.
Viele der Armeeoffiziere waren selbst Siedler. Die Armee sah ihren Job als
Verteidiger der Siedler an und dachte gar nicht daran, sie anzugreifen.
Als die Armee schließlich eingriff, vertrieb sie die Dorfbewohner aus
ihren eigenen Olivenhainen rund um die Außenposten.
In ihrer Notlage riefen die
Dorfbewohner dann die israelischen Friedensgruppen um Hilfe. Und die waren
bereit.
Nun besteht das israelische
"Friedenslager" aus zwei Teilen. Das eine, rund um "Peace now"(Frieden
jetzt), ist mit der Arbeiterpartei verbunden, die eine Stütze der
Regierung war. Der Parteivorsitzende war auch der Verteidigungsminister
und darum verantwortlich für all die schlimmen Dinge, die sich in den
palästinensischen Gebieten ereigneten.
Der andere Teil des
Friedenslagers besteht aus vielen radikalen Gruppen, von denen jede auf
ihrem besonderen Sektor aktiv ist.. "Gush Shalom" ist ein politisches
Zentrum, das die Grundlagen der Situation und die Mythen analysiert und
dem entsprechend vielseitig und provozierend aktiv wird. "Ta’ayush" eine
arabisch-jüdische israelische Gruppe, die der belagerten palästinensischen
Bevölkerung hilft. B’tselem sammelt und veröffentlicht Daten über
Menschenrechtsverletzungen, wie es das Alternative Informationszentrum in
anderer Weise ("News From Within") tut. Die "Ärzte für Menschenrechte"
machen eine wunderbare Arbeit auf medizinischem Gebiet, während die
Frauenkoalition für Frieden und Bat Shalom Menschenrechtsaktivitäten mit
einer feministischen Agenda verbindet. "Das Komitee gegen
Hauszerstörungen" initiiert den Wiederaufbau von durch israelisches
Militär zerstörten Häusern, und die "Rabbiner für Menschenrechte" - zwar
nur eine kleine religiöse Gemeinschaft, die nicht dem fanatisch
nationalistischem Banner folgt – sondern sehr aktiv sich um marginale
Bevölkerungsgruppen in den Besetzten Gebieten und in Israel
(Höhlenbewohner, Beduinen, Fremdarbeiter u.a.) kümmert . "Machsom Watch"
berichtet über Schikanen an den Checkpoints und versucht, sie zu
verhindern. Yesh Gvul hilft Soldaten, die den Dienst in den Besetzten
Gebieten verweigern. "New Profile" ist auf demselben Gebiet aktiv. Die
Liste ist lang. Aktivisten der verschiedenen Gruppen arbeiten häufig
zusammen, und viele gehören mehreren Gruppen an.
Die Aktivisten dieser
Organisationen meldeten sich, um den Dorfbewohnern zu helfen. Sie gingen
hin, um Oliven zu pflücken und gleichzeitig den Dorfbewohnern als
menschliche Schutzschilde zu dienen. Es schlossen sich ihnen europäische
Friedensaktivisten an, die seit fast zwei Jahren in sich abwechselnden
Schichten der besetzten palästinensischen Bevölkerung helfen. An manchen
Tagen sind Dutzende von israelischen und internationalen Aktivisten in den
Olivenhainen, am Sabbat Hunderte. Sie sind auf mehrere Dörfer verteilt,
gehen die Hügel hinauf und werden von den Siedlern angegriffen. Bei
Dutzenden von Zwischenfällen begannen die Siedler, in die Luft oder auf
den Boden rund um die Olivenpflücker zu schießen.
Wochenlang erfuhr die
Öffentlichkeit nichts von diesen Vorfällen. Denn unter den Medien gibt es
ein verabredetes Stillschweigen über die Existenz eines radikalen
Friedenslagers. "Frieden Jetzt!" wird irgendwie als zum nationalen Konsens
gehörig betrachtet und deshalb wird über seine Aktionen - wenn auch nur
knapp – berichtet. Über Aktivitäten der von mehr Prinzipien geleiteten und
tatkräftigeren Kräfte ( der "zutiefst Linken" nach den Worten des früheren
Ministerpräsidenten Ehud Barak, der sie verabscheute) wurde überhaupt
nicht berichtet, es sei denn, es war mit Blutvergießen verbunden.
Aber langsam sickerten auch in
den Medien Berichte über den Olivenkrieg durch: über die Siedler, die die
Palästinenser wegjagten und ihnen die schon gepflückten Oliven stahlen;
über Siedler, die, nachdem sie die Besitzer der Olivenhaine vertrieben
hatten, selbst ernteten; über Siedler, die die Haine in Brand setzten;
über den früheren Oberrabbiner, der verkündete, dass Juden recht
handelten, wenn sie die Früchte denen wegnahmen, um die die arabischen
Dörfler schwer gearbeitet hatten, weil Gott die Früchte des Landes den
Juden gegeben habe.
Dies verabredete
Stillschweigen wurde schließlich dadurch gebrochen, als eine Gruppe
berühmter Schriftsteller mit ihrem Olivenpflücken ein Zeichen setzte. Die
Medien, die die engagierte Arbeit von Hunderten von anonymen Aktivisten
ignorierten, waren glücklich, auf Berühmtheiten wie Amos Oz, A.B.Yehoshua,
David Grossman und Me’ir Shalev zu treffen. Nun wurde das Olivenpflücken
ein Teil des Konsenses.
Die Siedler waren in weiten
Teilen der Öffentlichkeit niemals beliebt. Der Zorn über sie wuchs, als
bekannt wurde, dass man den Armen in Israel große Summen von Geld wegnahm,
um die Siedlungen damit zu mästen. Der Zorn war vermischt mit der Sorge um
die Soldaten, die häufig von Siedlern angegriffen, ihr Leben riskierten,
um entfernt gelegene, halbleere Siedlungen zu schützen. Die Geschichten
über das grausame Schikanieren von ungeschützten Olivenpflückern hatten
gerade noch gefehlt. Sie haben selbst in der schweigenden Mehrheit
Widerwillen und Abscheu hervorgerufen.
Dies hatte auch einen
indirekten Einfluss auf Binjamin Ben-Eliezer. Er nahm die sich verändernde
Stimmung in der Öffentlich wahr und entschied, dass es nun in seinem
Interesse und in dem der Partei sei, die Regierung zu verlassen. Er suchte
fieberhaft nach einem Vorwand. Öffentliche Meinungsumfragen ergaben, dass
die Siedler jetzt die unbeliebteste Gruppe im Land seien. So entschied er,
die Regierung dahin zu bringen, dass sie zusammenbräche. Er verlangte
plötzlich, dass die Regierung das für die Siedlungen bestimmte Geld den
Rentnern geben solle.
Das war nur ein Vorwand,
aber es bewies, dass ein großer Teil der Öffentlichkeit es mit den
Siedlungen einfach satt hatte. Zu guter Letzt sind die Siedlungen der
Hauptpunkt der Auseinandersetzungen geworden. Während Ariel Sharon noch
versucht, eine Regierung aufzustellen, die sich auf die Siedler und ihre
Verbündeten der äußersten Rechten gründet, wird die Arbeiterpartei – nun
in der Opposition – gezwungen sein, ein Anti-Siedlungsprogramm
vorzustellen. Somit wird der Slogan einer kleinen "marginalen" Minorität
zum Programm eines großen Lagers.
Dies ist wieder einmal ein
Beispiel für die Doktrin des "kleinen Rädchens", wie wir es schon vor
Jahrzehnten formulierten: ein kleines Zahnrad, von starkem unabhängigen
Antrieb bewegt, dreht ein größeres Rad, das ein noch größeres antreibt
.....bis die ganze große Maschine sich zu bewegen beginnt. In dieser Weise
kann eine kleine politische Gruppe mit einer unabhängigen und klaren
Agenda einen entscheidenden politischen Prozess in die Wege leiten, wenn
der richtige Zeitpunkt gekommen ist.
Wir haben noch immer einen
weiten Weg vor uns. Die Gefahr des Faschismus schwebt noch immer über
diesem Land. Es ist nun jedoch bewiesen, dass Dinge in die andere Richtung
bewegt werden können.
Vielleicht ist eine kleine
Olive auf dem Hügel mächtiger als eine 1t-Bombe.
(Aus dem Englischen
übersetzt: Ellen Rohlfs und vom Verfasser autorisiert)
Deutsche Website zu Uri Avnery |