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Glücklicher
Bibi
Uri
Avnery
27. 8. 2016
„GIB
MIR
Generäle, die Glück haben!“, rief Napoleon einmal aus.
Das erinnert
einen auch an Goethes Faust, der sich beklagte, dass „Wie sich
Geschick mit Glück verbinden, das fällt den Toren niemals ein...“
Glück kann ein
großer Wohltäter sein. Er kann auch die Ursache von Katastrophen
sein. Ich erinnere mich anscheinend daran , dass einer/eine jener
üblen griechischen Götter oder Göttinnen ihre menschlichen Opfer
zerstörten, indem sie sie glücklich machten.
Glück geht
zusammen mit Überheblichkeit. Und Hybris führt zu Nemesis.
MAN NEHME
nur als Beispiel Benjamin Netanjahu. Ein sehr glücklicher Politiker
– wenigstens bis jetzt.
Seine Vorgänger
waren mit einer vereinigten Front der Staaten konfrontiert, die
entschlossen waren, Israel zu zerstören oder wenigstens dem
palästinensischen Volk zu helfen, die Freiheit und die
Unabhängigkeit zu erlangen.
1948 drangen
alle Armeen der benachbarten arabischen Staaten in Palästina ein und
zwar einen Tag nach der Beendigung der britischen Herrschaft und
der Gründung des Staates Israel. 1967 versuchten diese Staaten es
wieder – mit katastrophalen Ergebnissen (für sie). 1973 griffen zwei
von ihnen vom Süden und vom Norden an und wurden nur nach schwerem
Kampf zurückgeschlagen,
Es war immer ein
Grundsatz, dass wenn sich die Möglichkeit ergab dann würden all
diese Armeen Israel wieder angreifen, um uns zu zwingen, uns von den
Gebieten, die wir 1967 besetzten , zurückzuziehen und den
palästinensischen Brüdern zu helfen, ihren eigenen Nationalstaat
endlich zu errichten.
Und schauen wir
uns um. Nicht die leiseste arabische Drohung gegenüber Israel ist
geblieben. Alle benachbarten Araber sind total damit beschäftigt,
einander zu töten.
Syrien, die
Heimat des arabischen Nationalismus‘, war der entschlossensten Feind
Israels. Syriens Armee wurde als die wirksamste arabische Kraft
angesehen. Was ist davon übriggeblieben?
Neulich fragte
mich ein verzweifelter Freund, ich solle erklären, wer gegen wen in
Syrien kämpft. Ich erwähnte Präsident Bashar al-Assads Armee, die
verschiedenen islamistischen Milizien, die gegen Assad und gegen
einander kämpfen, das islamische Kalifat (Daesh) das gegen all diese
und gegen die kurdischen Kräfte kämpft, während der Iran und die
Hisbollah Assad gegen die USA unterstützen, aber den USA gegen Daesh
helfen, wahrend die Türkei Daesh unterstuetzt, aber auch die USA
hilft, die mit Russland gegen Daesh kooperieren, das gegen die
syrischen Kurden kämpft, die von den USA unterstützt werden. Nach
fünf Minuten gab mein Freund auf. „Das ist zu kompliziert für
mich“, sagte er.
Die ganze Zeit
schauen die israelischen Generäle und Politiker zu, versuchen ihre
Freude zu verstecken und geben vor, erschrocken von all den
schrecklichen Bildern von Gräueltaten und Schrecken zu sein, die von
Aleppo heraus kommen. Es war einmal ein Zentrum der arabischen
Kultur und des Handels (und einer hochgeachteten alten jüdischen
Gemeinschaft.)
Netanjahu hat
absolut nichts getan, um diese Situation zu schaffen. Aber er ist
einer der Hauptnutznieser. Keine Drohung gegenüber Israel kommt seit
langer, langer Zeit aus Syrien, während wir die syrischen
Golanhöhen absorbierten, die wir nach 1967 eroberten und
annektierten.
SAUDI ARABIA
betrachtet sich selbst als das Herz der islamischen Welt, seit es
seine beiden heiligen Stätten Mekka und Medina kontrolliert. Die
Saudis finanzieren die fanatischen sunnitischen Zellen in aller
Welt, seine Imane gehören zu den Extremisten, die für die Entfernung
jener ungläubigen Abscheulichkeit, Israel, aufrufen.
Aber jetzt ist
Saudi Arabia voll mit dem Kampf gegen seinen Hauptkonkurrenten in
der islamischen Region beschäftigt – der Iran. Der brutale Krieg im
Jemen ist ein Teil davon. Es benötigt alle Verbündeten, die es
bekommen kann. Und wer ist da – wer hätte das gedacht – das
vermaledeite, ungläubige Israel.
Die Saudi-Prinzen
– es gibt buchstäblich Tausende – flirten jetzt fast offen mit dem
„jüdischen Staat“. Und wohin Saudi Arabis hingehen, dorthin gehen
auch all die anderen arabischen Golfstaaten – Kuweit, Bahrein,
Qatar, Dubai und so weiter. Alle von Geld aufgeblasen. Alle
kooperieren jetzt im Geheimen mit Israel.
Die Saudischen
Imane haben schon beschlossen, dass die Juden eine kleinere Gefahr
für den Islam sind als die Schiiten, die ketzerischen Herrscher
des Iran. So ist es ganz annehmbar, mit Israel gegen den Iran zu
kooperieren.
Was gut und
fromm für Saudi-Arabien ist, ist sogar für Ägypten besser, dem
größten arabischen Staat und Volk. Wir haben mehrmals Kriege gegen
Ägypten geführt; ich war ein Soldat in dem ersten von ihnen und
erinnere mich, einmal allein ein großes Feld zu überqueren , das
mit ägyptischen Leichen voll bedeckt war.
Vor fast 30
Jahren unterzeichnete Israel einen Friedensvertrag mit Ägypten, aber
die Beziehungen sind kalt, fast frostig geblieben. Das ägyptische
Volk hat ein starkes Gefühl von Verantwortung gegenüber seinen
armen Verwandten, den Palästinensern. Sie mögen das nicht, was
Israel ihnen antut.
Aber zwischen den
beiden Regierungen ist jetzt das Eis geschmolzen. Es stimmt, dass
der ägyptische Judoka in Rio sich weigerte, dem israelischen Sieger
die Hand zu schütteln und der ägyptische Außenminister sagte nach
seinem Besuch in Israel einige dubiose Wörter. Aber hinter den
Szenen sind die Beziehungen zwischen den Regierungen eng und werden
noch enger; bei einer gemeinsamen Bemühung, um die Hamas im
Gazastreifen mit all den andern Palästinensern, die vom Iran
unterstützt werden, zu stoppen.
Netanjahu hat
absolut nichts getan, um all dies zu erreichen. Aber all dies
geschah während seiner endlosen Amtszeit. Glück, reines Glück-
AN DER
wirtschaftlichen Front ist Netanjahus Glück gleich günstig. Die
israelischen Produkte und Dienste verbreiten sich in Asien, und
machen die leichten Verluste in Europa wieder gut. Der
wirtschaftliche Einfluss von BDS wird kaum empfunden.
(Die extensive
Kampagne der BDS würde viel erfolgreicher sein, wenn sie sich
auf den Boykott der Waren aus den Siedlungen konzentriert hätte. Die
israelische Friedensgruppe Gush Shalom, zu der ich gehöre, hat
diesen Boykott vor fast 20 Jahren begonnen und zwar mit dem
erklärten Ziel , zwischen den Bürgern des eigentlichen Israel und
den Siedlungen zu unterscheiden und die Siedler zu isolieren. BDS
hat die entgegengesetzte Wirkung, Netanjahu und die Rechte zu
stärken)
Israels
wirtschaftliche Erfolge haben eine große Wirkung auf die Stimmung
des Landes. Die meisten Leute, die Netanjahus Politik kritisieren,
leben ein komfortables Leben. Komfortable Leute machen keine
Revolutionen. Sie bringen ihren Zorn in privaten Gesprächen bei
Freunden oder in den sozialen Medien unter. Ein paar schreiben
Artikel in Haaretz. Gott sei Dank für Haaretz.
Sie steigen
nicht auf die Barrikaden.
Gegenwärtig gibt
es keine wirksame Opposition zu Netanjahu. Die Führer der
Arbeiterpartei, die Erben von Ben-Gurion und Rabin sind völlig
bankrott ohne Ersatz in Sichtweite. Meretz ist eine niedliche
kleine Insel, zufrieden allein gelassen zu sein. Die arabische
Partei ist jenseits der politischen Grenzen, sehr zur eigenen
Zufriedenheit.
Wir haben viele
Dutzend Friedens- und Menschenrechtsorganisationen, die
bewundernswerte Arbeit leisen, die Besatzung bekämpfen, den
Palästinensern helfen, die Demokratie auf vielerlei Weise
verteidigen, zuweilen zu ihrem eigenen Risiko. Fast jede Woche
erscheint eine neue auf der Bühne, erhebt die Flagge und ruft
Anhänger auf, sich ihnen anzuschließen.
Israel kann auf
diese jungen Idealisten stolz sein, aber sie haben keine politischen
Ambitionen und deshalb haben sie nicht den leisesten Einfluss auf
Israels Führung, die die Entscheidungen trifft.
Die Knesset ist
jetzt in einem solch traurigen Zustand, dass ich sie persönlich
meide. Als ein früheres Mitglied werde ich zu all den zahlreichen
festlichen Sitzungen eingeladen. Ich nehme sie nicht an. Nicht
einmal, um aus der Nähe Dutzende von rechten, infantilen Politikern
zu sehen, die ihre Zeit (und das Geld der Steuerzahler) für
lächerliche Gesetzvorschläge ausgeben, solche wie „Die Flagge
schützen“.. Dies verbietet dem volkstümlichen Präsident des Staates,
an jedem öffentlichen Ereignis teilzunehmen, an dem die israelische
Flagge nicht prominent zur Schau gestellt wird. Man wundert sich,
ob irgendeine ernsthafte Arbeit von dieser Knesset getan werden
kann.
ALL DIES
hat viele gut gesinnte Israelis dahin gebracht, die Hoffnung
aufzugeben, Israel von innen her zu verändern und ihr Vertrauen
auf„ausländischen Druck“ zu setzten. Die Hoffnung ist , dass „die
Welt“ – die USA, die UN, die EU oder jede andere Zusammenstellung
von Buchstaben – Israel zwingt, seinen Kurs zu verändern.
Wie? Durch
politische Verurteilungen, wirtschaftliche Sanktionen,
wissenschaftliche Boykotts und Ähnliches mehr.
Das ist natürlich
eine geeignete Hoffnung. Es zwingt in Israel niemanden irgendetwas
zu tun.
Vor vielen Jahren
war ich eingeladen, in Portugal an einem internationalen Forum über
Frieden in Nahost teilzunehmen. Ein anderer Eingeladener war der
spanische Staatsmann Miguel Moratinos. In meiner Rede beschuldigte
ich die EU dafür, dass sie uns in unserem Kampf um einen
israelisch-palästinensischen Frieden im Stich lässt, statt
konsequent die israelische Regierung zu zwingen, den Kurs zu
verändern.
Statt der
üblichen Apologie wandte sich Morantinos an mich und sagte etwas
wie „Was für eine Art von Frechheit ist das, Europa aufzufordern
euren Job zu tun. Es liegt an Israelis, ihre Regierung zu
verändern. Geht nicht herum und beklagt euch bei anderen über eure
Regierung – geht und tut etwas .
Ich antwortete
ärgerlich, aber in meinem Herzen wusste ich, dass er Recht hatte.
Warum sollte sich jemand darum kümmern? Warum sollte Barack Obama
politisches Kapital ausgeben um Israel vor sich selbst zu retten,
wenn wir selbst es nicht tun? Warum sollte Europa Sanktionen über
Israel verhängen und des Anti-Semitismus angeklagt werden, wenn es
keinen in der Knesset gibt, der wirklich eine aktive Opposition
organisiert?
Gegenwärtig
findet in den US eine lächerliche Wahlkampagne statt; beide
Kandidaten (einige nannten sie „der eine ist verrückt und der andere
korrupt“) wetteifern schmeichlerisch um die israelische Regierung,
Donald Trump droht, uns bald zu besuchen (Wenn ich ein Amerikaner
wäre, würde ich mich schämen. Ist dies wirklich das Beste, was
eine Nation von 320 Millionen produzieren kann?)
Aber so ist es.
Eine Hoffnung auf „amerikanischen Druck“ oder auf ausländischen
Druck“ zu setzen ist lächerlich. Kein Ausländer schert sich einen
Teufel um Netanjahu, glücklich oder sonst. Sie sagen uns ganz
einfach „Ihr habt ihn gewählt, ihr müsst ihn absetzten."
Vladimir Putin,
dieser letzte Zyniker, ist sogar bereit, einen Haufen Komplimente
auf Netanjahus Kopf zu häufen, um seine westlichen Kollegen zu
ärgern. Warum auch nicht? Er kann ganz gut mit oder ohne Netanjahu
auskommen. Nichevo.
WIR SIND also bei
Netanjahu stecken geblieben. Ein anderes altes griechisches
Sprichwort sagte, dass diejenigen, die die Götter zerstören wollen,
die machen sie zuerst verrückt.
Dies könnte auf
die israelische Besatzung zutreffen. Wenn sich nicht eine neue
politische Kraft in Israel erhebt, um den Kurs trotz all des
Glückes zu verändern. Ich wünsche, ich wüsste, an welchen
griechischen Gott ich mich wenden soll.
(dt. E.Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)
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