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Israels und Deutschlands moralisches Fiasko im Gazastreifen
Der Völkermord dort verändert auch die Sicht auf das Symbol, für das Auschwitz steht /
Gedanken zur Befreiung des Lagers am 27.01.1945
Arn Strohmeyer - 26. 1. 2025
Das Vernichtungslager Auschwitz ist ein Schreckensort, der zeigt, wozu der Mensch in der Lage ist, seinesgleichen anzutun. Er ist aber auch eine universalistische Mahnung, dass dergleichen nie wieder passieren darf. Ein Ort, der lehrt, dass man allem Bösen, zu dem Menschen fähig sind, eine totale Absage erteilen muss: also Hass und Verachtung der Mitmenschen, die zu Gewalt und im Extrem zu Kriegen und genozidalem Mord führen können.
Darüber sollte als Schussfolgerung aus dem Holocaust global eigentlich Konsens bestehen. Aber das ist keineswegs der Fall. Gerade Angehörige des Volkes, das in Auschwitz am meisten gelitten hat, kommen dorthin, nicht um vom Besuch dieser ehemaligen Todesfabrik die Botschaft von Humanität, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Toleranz mit nach Hause zu nehmen, sondern sich ausgerechnet an diesem Ort mit nationalistischem Hass aufzuladen.
Der israelische Historiker Tom Segev und seine Kollegin Idith Zertal haben beschrieben, was in jedem Jahr am 27. Januar im Gedenken an die Befreiung des Lagers in Auschwitz geschieht. Der israelische Staat schickt aus diesem Anlass Gruppen von Schülern zu einer Pilgerreise dorthin. In violetten Sweat-Shirts mit einem großen stilisierten Davidstern und dem Wort Israel (in lateinischer Schrift) auf dem Rücken marschieren sie – die israelische Fahne schwenkend – in fast militärischer Ordnung ins Lager.
Die Botschaft, die die Schüler dort lernen sollen, ist: Israel hat sich erschaffen und definiert als das absolut Gute im Angesicht des absolut Bösen des Holocaust. Die Reise nach Auschwitz soll die jungen Leute lehren – so will es die staatliche Regie hinter dem Unternehmen – , dass sie dort ihren zionistischen Nationalismus stärken und dann als im eigenen Nationalbewusstsein bestätigte Juden und Israelis zurückkehren: “Immunisiert in ihrer Bereitschaft zu eigenen schlechten Taten, die sie begehen werden müssen, um den Staat vor einem zweiten Holocaust zu schützen oder auch nur vor allen angeblichen Vorboten eines solchen.“ (Idith Zertal) Da taucht unwillkürlich die Frage auf: Wie viele von den jungen Israelis, die diese Botschaft in ihrer Erziehung in Israel und dann bei ihrem Besuch in Auschwitz aufgenommen haben, waren und sind jetzt und beim Genozid im Gazastreifen dabei und haben dort ihre „Pflicht“ getan?
Tom Segev beschreibt, wie die Indoktrination in Auschwitz immer wieder abläuft: „Die Schüler hörten dort nicht, dass das Recht auf Selbstbestimmung ein Grundrecht jedes Volkes ist. Immer aufs Neue schärfte man ihnen ein, was der Holocaust für sie zu bedeuten hat: in Israel zu bleiben. Man führte ihnen nicht vor Augen, dass sie der Holocaust dazu verpflichte, die Demokratie zu stärken, Rassismus zu bekämpfen, Minderheiten und Bürgerrechte zu schützen und rechtswidrigen Befehlen den Gehorsam zu verweigern.“
Die Holocaust-Überlebende Miriam Jahav, die die Schüler bei einem Besuch begleitete, erzählte ihnen, dass es das Beste wäre, die Araber aus dem Land zu jagen – auf Lastwagen, wenn sie wollten oder sonst wie. Hauptsache, sie verschwänden. Tom Segev bilanziert, was die Schüler in Auschwitz gelernt hatten: „Sie brachten aus Polen nur das zurück, was Moshe Dayan 1956 am Grab eines Soldaten gesagt hatte, der bei einem Zusammenstoß mit Arabern in der Nähe des Gazastreifens getötet worden war: ‚Millionen Juden, die getötet wurden, weil sie kein Land hatten, blicken nun aus dem Staub der israelischen Geschichte auf uns und befehlen uns, ein weiteres Mal ein Land für unser Volk zu besiedeln und zu bebauen.‘“ Was heißt: Die Toten des Holocaust „befehlen“ den Israelis, palästinensisches Land zu rauben und es zu besiedeln! Dayan hatte hinzugefügt, Leben in Israel sei nur mit Stahlhelm, Geschützen, Stacheldraht und Maschinengewehren möglich. Die Israelis müssten gefasst und bewaffnet sein, stark und unnachgiebig. Sollte das Schwert aus ihren Händen gleiten, werde „unser Leben“ ausgelöscht. Begriffe wie Versöhnung, Interessenausgleich und Frieden kamen in seiner Rede nicht vor.
Idith Zertal beschreibt, wie sehr Dayan hier die Opfer des Holocaust für die israelische Politik instrumentalisiert: „Dayans Schlussfolgerung bestand in der deterministischen, ahistorischen Feststellung, es sei die ‚Bestimmung‘ und Schicksal einer ganzen Generation, das Schwert zu tragen und ‚stark und unbeugsam‘ zu sein. Dayan mache die Holocaustopfer so kraft der Einmaligkeit des historischen Ereignisses ihrer Ermordung durch die Nazis zum höchsten und ehernen Legitimierungsgrund für die Existenz Israels. Und gleichzeitig würden die Opfer des Holocaust rekrutiert, um Mitwirkende an der israelischen Politik zu sein. Sie würden „befehlen“, dies oder jenes zu tun, ganz nach dem Gutdünken desjenigen, der sich ihrer bediene, womit sie zu austauschbaren Instrumenten würden, verfügbar und einsetzbar für jeden Zweck und jede Bestimmung.
Kann das die Botschaft des Holocaust sein? Die jährlichen Visiten der israelischen Schüler sind also kein stilles Gedenken der Millionen Toten des monströsen Nazi-Verbrechens mit entsprechenden humanen Schlussfolgerungen, sondern ein nationaler zionistischer Aufmarsch, bei dem zu Hass und Verachtung anderer Menschengruppen aufgerufen wird. Einer, der schon oft daran teilgenommen hat, kann diesmal allerdings nicht dabei sein: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Denn der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (IGH) hat im November 2024 Haftbefehl gegen ihn und seinen früheren Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen. Sie werden beschuldigt, im Gazastreifen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben und müssen bei Auslandsreisen mit ihrer Festnahme rechnen.
Was für eine historische und moralische Paradoxie! Der Regierungschef des Staates, der seine Existenz auf das Vermächtnis des Holocaust zurückführt, der die Einzigartigkeit dieses Verbrechens behauptet und seine Staatsräson daraus ableitet – der Staat, der 1950 die Völkerrechtskonvention unterzeichnet und sich stets dafür eingesetzt hat, dass der Begriff Völkermord in das Völkerrecht aufgenommen wird, hat nun selbst einen Genozid begangen – daran lassen internationale Menschenrechtsorganisationen, Völkerrechtler und sogar israelische Holocaust-Historiker (Omer Bartov, Amos Goldberg und Raz Segal) keinen Zweifel, wenn man nicht schon die Nakba von 1948 als Genozid bezeichnet. Nicht nur das. Der Genozid im Gazastreifen wird sogar mit der Berufung auf den Holocaust gerechtfertigt. Denn Israel gibt ja an, dort gegen „Nazis“ zu kämpfen, womit natürlich die Hamas gemeint ist. Der italienische Historiker Enzo Traverso merkt dazu empört an: „Die Erinnerung an einen Genozid zu mobilisieren, um einen anderen Genozid in der Gegenwart zu billigen, ist etwas Neues und historisch noch nie Dagewesenes.“
Was für eine Wende in der historischen und moralischen Sicht auf den Holocaust! Auch wenn man den Völkermord im Gazastreifen nicht mit dem Holocaust gleichsetzen kann, die Tatsache, dass Israel selbst nun einen Völkermord begangen hat, nimmt dem zionistischen Staat aber dennoch das Privileg, die Einzigartigkeit des Holocaust zu behaupten, und dieses Faktum stellt die Opferrolle, die Israel stets für sich in Anspruch genommen hat, in Frage. Israel kann nicht mehr behaupten, das einzige Opfer eines Völkermordes zu sein! Soll heißen: Dieser Staat ist nicht Opfer, sondern Täter! Die ganze Gedenk-Ideologie, die er aus dem Holocaust abgeleitet hat, gerät damit ins Wanken, auch der Anspruch, das Monopol auf Völkermord zu besitzen.
Israels Genozid bringt auch einen ideologischen Schutzwall zum Einbruch, der für Israel eine äußerst wichtige Strategie darstellt: Mit Berufung auf den Holocaust konnten die Israelis jede Kritik an ihren seit Jahrzehnten begangenen völkerrechts- und menschenrechtswidrigen Verbrechen an den Palästinensern abwehren, indem man stets zum Antisemitismus-Vorwurf als politische Waffe griff. Dieses Schwert ist durch Israels Genozid in Gaza sehr stumpf geworden. Kritik an Israels Politik und seinem militärischen Vorgehen war – wenn sie sich nicht auf antisemitische Stereotypen stützte – nie antisemitisch. Sie klagte immer nur die Einhaltung von Recht und Moral ein. Daraus Antisemitismus zu konstruieren, war und ist infam und stellt die Realität auf den Kopf, indem sie zynisch Gut und Böse vertauscht.
Der Holocaust war für Israel auch immer das entscheidende Moment, das ihm Straffreiheit bei allen seinen Verbrechen verschaffte. Auch diese Strategie wird künftig nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. Unter Berufung auf den Holocaust zu behaupten, dass diesem Staat „alles erlaubt!“ sei, war immer ein moralischer Hohn, jetzt hat dieser Anspruch jede Glaubwürdigkeit verloren. Zieht man eine Bilanz nach Israels barbarischem Wüten im Gazastreifen, kann sie nur lauten: Israel mag den Krieg dort militärisch gewonnen haben, moralisch hat es ihn verloren, er war eine schreckliche Niederlage für diesen Staat, auch wenn diese Erkenntnis noch einige Zeit braucht, sich international und besonders in Israel und Deutschland durchzusetzen.
Auch für die Sicht auf den konkreten Schreckensort Auschwitz hat das moralische Fiasko, das der Gaza-Krieg Israel eingebracht hat, beträchtliche Folgen: Die israelischen Schüler können dort nicht mehr als Angehörige eines Opfervolkes auftreten. Tun sie es dennoch, wäre es Hybris und blanker Zynismus. Nach Israels Völkermord im Gazastreifen wird es Zeit, sich wieder an die eigentliche Botschaft des Symbols Auschwitz zu erinnern: die Opfer dieses Genozids nicht als beliebige Statisten für alle möglichen politisch-ideologischen Strategien – auch äußerst unmenschliche – zu missbrauchen, sondern der Opfer um ihrer selbst willen ohne irgendwelche Absichten und Ziele trauernd zu gedenken, ihr humanes Vermächtnis zu verstehen und zu verbreiten und sie in Frieden ruhen zu lassen.
Aber auch für die deutsche Sicht auf den Holocaust hat Israels Völkermord beträchtliche Konsequenzen, die sich aus der überaus engen deutschen Identifizierung mit diesem Staat ergeben. Die deutsche Politik hat sich ja deshalb so eng an Israel angelehnt, weil sie Sühne für den Holocaust erlangen wollte. Diese „Anlehnung“ geht bis zur völligen Identifizierung mit dem zionistischen Staat. Moshe Zuckermann stellte fest: „Wenn man selbst Jude sein darf, ist man nicht mehr ‚Täter‘, sondern ‚Opfer‘, hat somit etwas nagend Quälendes an sich ‚wiedergutgemacht.‘“ Der indische Philosoph Mishra Pankaj geht sogar so weit zu sagen, dass Deutschland seinen Nationalismus auf dem Weg der Überidentifizierung auf den israelischen Nationalismus übertragen habe.
Deutschland ist durch seine moralische Zustimmung zu Israels Vernichtungsfeldzug im Gazastreifen sowie die Waffenlieferungen zum Mittäter am Völkermord geworden. Wenn Israels Anspruch auf seine Opferrolle, die es aus dem Holocaust ableitet, durch den Genozid der Boden entzogen wurde, gilt dasselbe für Deutschland wegen der totalen Identifizierung mit diesem Staat. Dem ganzen Konstrukt der deutschen Holocaust-Erinnerung ist nicht zu reparierender Schaden zugefügt worden, wenn sie nicht sogar total unglaubhaft geworden ist. Und das Verhältnis zu Israel bedarf nach Gaza unbedingt einer völligen Neuorientierung.
Der israelische Historiker Alon Confino hatte das deutsche Fiasko schon vor dem 7. Oktober 2023 festgestellt: „Die offizielle deutsche Erinnerung an den Holocaust und ihr Umgang mit Antisemitismus, Israel und Palästina, wie sie sich heute darstellen, sind auf dem Weg ins Nichts. Es mangelt an Menschlichkeit für die Opfer, egal wer sie sind. Es kann in unserer Welt keine Rechtfertigung dafür geben, einer bestimmten Gruppe von Menschen gleiche Rechte zu verweigern. Die Verweigerung dieser Rechte implizit und explizit mit der Erinnerung an den Holocaust zu rechtfertigen, ist eine kreischende Dissonanz.“

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Tarek Baé - 26. 1. 2025
US-Präsident Trump wirbt für ethnische Säuberung des Gazastreifens.
Der 78-Jährige wiederholt bekannte israelische Kriegspropaganda, wonach die Palästinenser in Gaza doch in „arabische Länder“ umsiedeln sollten. Israels Regierung drohte offen mit der systematischen Vertreibung der Bewohner Gazas.
„Ich möchte, dass Ägypten Menschen aufnimmt. Ich glaube, ich werde morgen irgendwann mit General Al Sisi sprechen. Ich möchte, dass Ägypten Menschen aufnimmt. Und ich möchte, dass Jordanien Menschen aufnimmt. Es geht um eineinhalb Millionen Menschen, und wir säubern das Ganze (Gaza) einfach. Sie wissen, dass es im Laufe der Jahrhunderte viele, viele Konflikte gegeben hat. Und ich weiß nicht, es muss etwas geschehen. Es ist buchstäblich eine Ruinenlandschaft, fast alles ist zerstört und die Menschen sterben dort, also würde ich mich lieber mit einigen der arabischen Nationen zusammentun und an einem anderen Ort Unterkünfte bauen, wo sie zur Abwechslung vielleicht in Frieden leben können“, so Trump gegenüber der Presse.
Auf die Frage, ob er eine dauerhafte Umsiedlung meint, antwortete Trump „Es könnte vorübergehen oder auch langfristig sein“.
Der Hilfsverein Ärzte ohne Grenzen, der in Gaza aktiv ist, sieht „klare Zeichen für ethnische Säuberung“ durch Israel in Gaza. Auch Oxfam schließ sich dieser Ansicht an. Die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch wirft Israel ebenfalls ethnische Säuberung vor.
Trumps Regierung gilt als die israelfanatischste US-Regierung der Geschichte. Gaza gehört laut UN und Internationalem Gerichtshof zu den palästinensischen Gebieten, die von Israel illegal besetzt werden. Der IGH ruft Israel auf, die Besatzung sofort zu beenden. Die Länder in der Region stellten bereits klar, eine Vertreibung der Palästinenser aus Gaza nicht zu akzeptieren.
Ethnische Säuberung, auch religiös motivierte Säuberung, beschreibt das Verbrechen der Vertreibung, Zwangsumsiedlung oder Tötung von Menschen basierend auf rassistischen oder religiös motivierten Ansprüchen. Der Begriff entstand während der Jugoslawienkriege in den 90ern. Er gilt heute oft als Synonym für Genozid/Völkermord. Quelle |

Trump schlägt „Säuberung“ des Gazastreifens vor -
Rechtsextreme israelische Führer stimmen zu
26. Januar 2025 - Mitarbeite der Palästina-Chronik
Der von Trump vorgeschlagene Plan, den Gazastreifen zu „säubern“ und die Palästinenser zwangsweise umzusiedeln, hat Empörung ausgelöst und wird von den israelischen Rechtsextremisten Ben-Gvir und Smotrich unterstützt.
US-Präsident Donald Trump hat einen umstrittenen Plan zur ethnischen Säuberung der Palästinenser im Gazastreifen vorgeschlagen und Ägypten und Jordanien die Aufnahme der Palästinenser als Teil einer umfassenderen Initiative zur Erreichung des „Friedens“ im Nahen Osten nahegelegt.
Der von Trump selbst als „Säuberung“ des Gazastreifens bezeichnete Plan wurde von Israels rechtsextremem Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich sofort unterstützt.
Trump, der den Gazastreifen als „verwüsteten Ort“ bezeichnete, behauptete, er habe die Idee mit dem jordanischen König Abdullah II. erörtert und plane weitere Gespräche mit dem ägyptischen Präsidenten Abdelfattah El-Sisi.
Die staatliche jordanische Nachrichtenagentur Petra berichtete über das Gespräch mit Trump, erwähnte aber keine Pläne zur Umsiedlung von Palästinensern.
An Bord der Air Force One sagte Trump: „Es geht um anderthalb Millionen Menschen, und wir räumen das ganze Gebiet einfach aus.
Trump fuhr fort, dass dieses Gebiet im Laufe der Jahrhunderte viele Konflikte erlebt habe und dass „etwas geschehen müsse, aber im Moment ist es buchstäblich eine Abrissbirne“.
„Deshalb würde ich lieber mit einigen der arabischen Nationen zusammenarbeiten und an einem anderen Ort Wohnungen bauen, wo sie vielleicht einmal in Frieden leben könnten“, sagte er.
Er fügte hinzu, dass die Umsiedlung vorübergehend oder langfristig sein könnte, und deutete an, dass anderswo Wohnungen für vertriebene Palästinenser gebaut werden könnten.
Der ehemalige Präsident kündigte außerdem an, er habe das Pentagon angewiesen, eine Lieferung von 2.000-Pfund-Bomben nach Israel freizugeben, die unter der Regierung von Joe Biden eingefroren worden war, und betonte seine „unerschütterliche Unterstützung“ für Israel.
Rechtsextreme israelische Minister brachten offen ihre Unterstützung zum Ausdruck.
Ben-Gvir lobte Trumps Plan und forderte Israel auf, die „freiwillige Migration“ von Palästinensern zu fördern. Smotrich schloss sich dem an, bezeichnete die Massenumsiedlung als „großartige Idee“ und sagte zu, sich für ihre Umsetzung einzusetzen.
Beide setzen sich seit langem für die ethnische Säuberung und die Zwangsumsiedlung der Palästinenser aus dem Gazastreifen ein.
Der Krieg in Gaza, der am 7. Oktober 2023 begann, hat bereits Millionen von Menschen vertrieben, Verwüstungen hinterlassen und eine der schlimmsten humanitären Krisen der jüngeren Geschichte ausgelöst.
Zwischen Oktober 2023 und Januar 2025 forderten die israelischen Angriffe im Gazastreifen mehr als 158.000 Tote und Verletzte, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, und mehr als 14.000 werden noch vermisst. Quelle
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Protest an der Alice-Salomon-Hochschule
Es geht auch friedlich
Gastkommentar von Ilyas Saliba und Ralf Michaels - 23.1.2025
Der politische Druck auf Hochschulleitungen aufgrund ihres angeblich zu laxen Vorgehens gegen Studierendenproteste, die mit Palästina solidarisch sind, hat mittlerweile System. In Berlin traf es Mitte Januar die Alice-Salomon-Hochschule (ASH). Obwohl – vielleicht gerade weil – es Hochschulpräsidentin Bettina Völter gelungen war, Gewalt zu verhindern und die Studierenden zum friedlichen Abziehen zu bewegen, wird sie nun kritisiert. Sogar ihr Rücktritt wird gefordert. Wie absurd.
Studierendenproteste und auch Hörsaalbesetzungen, haben eine lange Tradition, um politische Forderungen sichtbar zu machen. Gleichzeitig bergen sie hohes Konfliktpotenzial: Hochschulangehörige können sich behindert oder sogar bedroht fühlen; Demonstrationen können eskalieren. In solchen Situationen hat die Hochschulleitung die schwierige Aufgabe, zu deeskalieren und mit Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen und Diskursbereitschaft zwischen den verschiedenen Interessen zu vermitteln. Genau das hat Völter getan.
An der ASH etwa las man auf Arabisch „Hamas Habibi“; ein Plakat forderte „Friede der Welt, Tod dem Imperialismus“. Die Gipskopie einer Büste der Gründerin und Namensgeberin Alice Salomon wurde mit einer Kufija drapiert, jemand schrieb „Palestine“ auf den Sockel. Dass die Demonstration dennoch ohne Gewalt, ohne das Skandieren diskriminierender Slogans oder andere größere Zwischenfälle stattfinden konnte, ist allein dem Einsatz der Hochschulpräsidentin zu verdanken.
Sie verhandelte mit den Protestierenden die Grenzen der Besetzung: diskriminierende Plakate wurden nach Aufforderung entfernt. Völter veröffentlichte eine Stellungnahme, die Antisemitismus klar verurteilt, sowie die Verbrechen der Hamas und zugleich das jahrzehntelange Leiden der palästinensischen Bevölkerung benennt. Im Nachgang verurteilte sie Äußerungen der Besetzer und erstattete Anzeigen.
Schräge Vorwürfe
Deeskalieren konnte sie auch deshalb, weil sie der Polizei Grenzen setzte: „Wir brauchen Sie nicht“, erklärte sie den vor einem Ausgang aufgestellten Polizisten, „wir erleben es als bedrohlich, dass Sie vorn am Eingang stehen.“ Die Eskalation, die an der ASH ausblieb, wurde schließlich von anderer Seite angefeuert. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) findet es „völlig unverständlich“, dass Völter die Polizisten als bedrohlich empfinde, nicht aber die „vermummten und gewalttätigen Antisemiten“.
Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner forderte gar den Rücktritt der Präsidentin. Derartige Übertreibungen verkennen nicht nur die grundgesetzlich garantierte Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, sie unterwandern zudem die Autonomie der Bildungseinrichtung und die Deeskalationsbemühungen. Ein Sprecher der Polizeigewerkschaft unterstellte Völter „Polizistenhass“ und „Behinderung der Strafverfolgung“, weil sie die Polizei als bedrohlich bezeichnete.
Abgesehen davon, dass insgesamt ASH und Polizei kooperierten, bestätigt auch Amnesty International, dass Demonstrierende die Präsenz der Polizei in der konkreten Situation häufig als bedrohlich empfinden. mehr >>> |

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Palästinenser warten stundenlang in einer überfüllten Schlange, um in der einzigen Bäckerei Brot zu kaufen, seit die israelischen Streitkräfte am 18. November 2024 in Khan Yunis, Gaza, begrenzte Mengen an Mehl und Treibstoff zulassen.
Gaza, wo Brot Leben bedeutet - und Tod
Unter den vielen Tragödien im Gazastreifen gibt es viel zu viele, über die nicht berichtet wird. Wir dürfen diejenigen nicht vergessen, die ihr Leben verloren haben, als sie nur versuchten, einen Laib Brot oder einen Sack Mehl zu bekommen.
Shurooq Ahmed - 26. Januar 2025 - Übersetzt mit DeepL
Seit fünfzehn Monaten müssen die Palästinenser im Gazastreifen nicht nur die unerbittliche israelische Gewalt ertragen, sondern auch Hunger, Kälte und Krankheiten. Der jüngste Waffenstillstand hat uns vor Bombardierungen und Scharfschützenangriffen bewahrt, und über den Grenzübergang Rafah konnten endlich große Mengen an Hilfsgütern und Lebensmitteln in den Gazastreifen gelangen. Aber die Tatsache, dass wir jetzt Lebensmittel bekommen können, ohne unser Leben zu riskieren, hat nur noch deutlicher gemacht, dass wir weder Zeit noch Raum hatten, die immense Trauer und das Grauen dieses Völkermords zu verarbeiten. Inmitten des unerbittlichen Todes und der Zerstörung durch die israelischen Luftangriffe sind so viele andere Verluste unbemerkt geblieben.
Als Arzt habe ich im vergangenen Jahr von vielen Tragödien gehört, die unausgesprochen geblieben sind. Ich habe den Familien etwas Zeit gegeben, um zu trauern und sich von dem unmittelbaren Schock zu erholen, bevor ich sie um Erlaubnis gebeten habe, ihre Geschichte zu erzählen, damit die Welt erfährt, was mit ihren Angehörigen geschehen ist.
In Gaza kann man für das Verbrechen, hungrig zu sein, sterben. Inmitten der beißenden Kälte und des unerbittlichen Hungers kann man sein Leben verlieren, wenn man versucht, etwas zu finden, um seine Familie zu ernähren. Zwei Tragödien sind mir besonders im Gedächtnis geblieben, die zeigen, wie ein Laib Brot oder ein Sack Mehl Hoffnung und Leben bedeuten kann - oder den Tod.
Am Freitag, dem 29. November 2024, erwachte der Gazastreifen zu einem weiteren Morgen voller Leid. Die leeren Mägen der Kinder knurrten, während sie unter ihren Decken in den Zelten, die zu ihrem Zuhause geworden sind, zitterten. Während der Regen zaghaft auf den Stoff über ihren Köpfen tropfte, waren die Gedanken der Eltern von Fragen erfüllt: "Wie werden wir unsere Kinder heute ernähren? Wie werden wir sie warm halten?"
An diesem Tag erwartete die Bewohner von Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens eine neue Tragödie. Zahlreiche Menschen versammelten sich vor der Bäckerei Bana, um sich Brot zu besorgen, um dem Hunger zu begegnen, der ihr ständiger Begleiter geworden war. Die Menschenmenge vor der Bäckerei war riesig, ein verzweifeltes Gedränge von Menschen, die von der Angst getrieben wurden, mit leeren Händen in ihre Zelte zurückzukehren. Der Tumult und die Überfüllung an diesem Tag führten dazu, dass drei Menschen ihr Leben verloren.
Unter ihnen war die 11-jährige Zina Ahmed Juha, eine Freundin meiner kleinen Schwester. Ich kannte sie gut. Mit ihrem unschuldigen Lächeln symbolisierte sie den Überlebenskampf der Kindheit.
Als sie an diesem Tag beschloss, zur Bäckerei zu gehen, hatte Zina nur den Gedanken, Brot mitzubringen, um den Hunger ihrer jüngeren Geschwister zu stillen. Sie ahnte nicht, dass dieser Tag sie für immer trennen würde. Da sie so klein war unter den Erwachsenen, die sich um sie scharten, wurde Zina von dem Chaos der Menge verschluckt und verschwand aus dem Blickfeld. Sie erstickte und tauchte nur noch als lebloser Körper auf, der von schockierten Nachbarn getragen wurde.
Wir haben meiner Schwester zunächst nicht gesagt, was mit ihrer Freundin geschehen war. Als sie die Nachricht erfuhr, stand sie unter Schock und weinte jeden Tag. Alles, was wir tun konnten, um ihren Kummer zu lindern, war, mit ihr für Zina zu beten.
Zina war nicht die einzige, die an diesem Tag ihr Leben verlor. Rahaf Osama Abu Luban, 17, hatte die ständige Trauer in den Augen ihres Vaters gesehen, der jeden Tag darum kämpfte, die Familie zu ernähren. An jenem schicksalhaften Morgen beschloss Rahaf, seine Last zu teilen und begleitete ihn um 3:00 Uhr morgens zur Bäckerei.
Die Menschenmenge war überwältigend, und es schien fast unmöglich, noch näher an die Spitze der Schlange zu gelangen. Trotz der Versuche ihres Vaters, sie davon abzuhalten, bestand Rahaf darauf, das Brot in ihren eigenen Händen zu tragen. In dem Chaos und der Panik verirrte sich Rahaf in der Menge, und wie Zina erstickte sie und verstarb. Nur wenige Minuten, nachdem er sie aus den Augen verloren hatte, wurde ihr lebloser Körper zu ihrem erschütterten Vater getragen, der vor Kummer zusammenbrach.
Ihr Vater kehrte weinend ins Lager zurück und erzählte uns, dass er alles versucht hatte, um sie davon abzuhalten, ins Lager zu gehen, aber sie hatte darauf bestanden, einige Brote für ihre jüngeren Geschwister mitzubringen.
"Eine Tüte Brot tötete Rahaf, das schöne Kind, das davon träumte, Lehrerin zu werden", erzählte er uns.
Nisreen Tawfiq Fayyad, 50, verkörperte die palästinensische Mutter, die die Last der Welt auf ihren Schultern trägt. Obwohl sie die Risiken kannte, konnte sie nicht untätig bleiben, während ihre Kinder vor Hunger und Kälte zitterten.
Sie ging zur Bäckerei, getrieben von einer Mutterliebe, die keine Angst kennt - aber sie kehrte nicht mehr zurück und wurde das dritte Opfer des Gedränges in der Bäckerei Bana. Nisreen hinterließ fünf Kinder, deren Brot zu einer schmerzlichen Erinnerung an einen leeren Tisch wurde.
Kaum zehn Tage später, am Montag, dem 9. Dezember 2024, kam es erneut zu einer Tragödie, diesmal in Khirbet al-Adas, südlich von Rafah. Die Ankündigung, dass das UNRWA zum ersten Mal seit 11 Monaten wieder Mehl in diesem Gebiet verteilen würde, ließ die Menschen voller Sehnsucht auf die Straße strömen. Es herrschte eine Mischung aus vorübergehender Freude, hoffnungsvollen Augen und der Angst, dass sie nichts mit nach Hause nehmen könnten.
Die Verwandten Nader Ahmed Qishta, 27, Mohammed Suleiman Qishta, 25, und Salim Arafat Qishta, 30, gehörten zu den ersten, die mit ihrem von einem Esel gezogenen Karren vor Ort ankamen und beteten, einen Sack Mehl für ihre Familien zu bekommen.
Doch als sie sich mit dem wertvollen Sack Mehl auf den Heimweg machten, schlug ein israelischer Luftangriff ein. Der Karren, der einst Mehl und die Träume der Familie transportierte, verwandelte sich in ein Wrack, und das weiße Mehl vermischte sich mit Blut. Die Mehlsäcke, von denen sie tagelang geträumt hatten, wurden zu stummen Zeugen ihres Martyriums.
Mindestens 15 Palästinenser wurden an diesem Tag in Khirbet al-Adas getötet, als sie versuchten, Lebensmittel für ihre Familie zu besorgen. Ihre Namen - Ahmed Kamal al-Nahal, Wissam Qasem Shalouf, Ahmed Rami al-Nahal, Yassin Hazem Qishta, Fayez Hassan Qishta, Hussam Awad al-Balbisi, Mohammed Abdul Karim al-Nahal, Mahmoud Khalil al-Deiri, Yazan Kamal Hammad, Ali Arafat Alyan, Mohammed Hassan Abu Rizq, sowie Nader, Mohammed und Salim - dürfen nicht vergessen werden.
Hier in Gaza nimmt der Tod keine gewöhnlichen Formen an. Er kommt in Form von Luftangriffen, Stampedes oder sogar Hunger. Hier sind Brot und Mehl keine bloße Nahrung, sondern ein täglicher Kampf ums Überleben.
Wie können Kinder, Mütter, Brüder auf der Suche nach ihrem elementarsten Recht sterben? Wie kann Mehl, ein Symbol des Lebens, zu einer Ursache des Todes werden?
In Gaza sterben jeden Tag Menschen, nicht nur durch Bomben, sondern auch durch Hunger, Kälte und die Verweigerung der grundlegendsten Menschenrechte. Der Waffenstillstand hat unserem Leiden kein Ende gesetzt.
Bis wann wird die Welt schweigen? Und wie lange wird Gaza noch einen so hohen Preis zahlen müssen? Inmitten der Verzweiflung schreibe ich diese Worte, damit die Welt endlich erfährt, was wir erleiden. Quelle
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Ein Waffenstillstand kann nur vorübergehend Erleichterung bringen.
Was danach kommt, ist entscheidend
Jede Hoffnung auf eine Zukunft für Gaza erfordert nicht nur ein Ende des Krieges und der 18-jährigen Belagerung, sondern auch die Rechenschaftspflicht für die Verbrechen Israels und die politische Vereinigung der Palästinenser.
Mahmoud Mushtaha 24. Januar 2025
Für uns Bewohner des Gazastreifens war das Erreichen eines Waffenstillstands ein Traum, eine Sehnsucht, die sich durch endlose Nächte und unermesslichen Schmerz zog. Aber machen wir uns nichts vor: Dies ist kein echter Waffenstillstand. Bestenfalls handelt es sich um eine vorübergehende Einstellung der brutalen Angriffe der israelischen Besatzungstruppen, die Gaza in Schutt und Asche gelegt und seine Bevölkerung zu Staub gemacht haben. Wir können nicht zu dem zurückkehren, wie es einmal war; es gibt kein „Normal“ mehr, zu dem wir zurückkehren könnten. Und selbst wenn es das gäbe, wäre es nach dem, was wir durchgemacht haben, nicht genug.
Dieser lang erwartete Moment brachte keine Freude, sondern nur eine zerbrechliche und unbehagliche Erleichterung. Das ohrenbetäubende Dröhnen der Kampfflugzeuge hat aufgehört, und der Boden bebt nicht mehr vor Explosionen. Doch in Gaza bedeutet Stille nie Sicherheit. Das Echo der Bomben hallt noch immer in unseren Köpfen nach und hat sich in jede Ecke unserer Erinnerungen eingebrannt. Für diejenigen von uns, die mehrere Kriegszyklen durchgemacht haben, sind Waffenruhen keine Momente des Feierns; sie sind kurze Pausen in einer scheinbar endlosen Tragödie, nur der Auftakt zum nächsten Krieg.
„Fragen quälen uns, aber niemand gibt uns Antworten“, sagte mir der 29-jährige Mahmoud Sharfi. “Wo werden wir leben? In Gaza gibt es keine Häuser mehr. Sollen wir für immer in Zelten leben? Was ist mit unserer Zukunft? Was ist mit unseren Kindern – wo werden sie studieren?“
Sharfi und seine sechsköpfige Familie wurden im November 2023 aus Gaza-Stadt vertrieben. Nach mehreren Zwangsräumungen leben sie nun in einem Zelt in Khan Younis. „Wir wollten unbedingt in unsere Heimat zurückkehren, aber am ersten Tag des Waffenstillstands schickte mir ein Freund aus Gaza-Stadt ein Foto von unserem Gebäude im Stadtteil Al-Nasser. Das gesamte fünfstöckige Gebäude, in dem vier Familien lebten, war in Schutt und Asche gelegt worden“, erklärte er.
„Meine Eltern warten immer noch auf den siebten Tag der ersten [Phase des] Waffenstillstands, damit sie nach Hause zurückkehren können, aber ich kann ihnen nicht sagen, dass das Haus nicht mehr steht“, gab er zu. ‚Meine Mutter sagt immer wieder: ‘Wir werden zurückkehren, wir brauchen keine Zelte – wir werden bald wieder in unseren Zimmern sein.' Aber ich kenne die Wahrheit, ich werde unser Zelt mitnehmen müssen, wohin wir auch gehen.“
„Ich habe die Bedingungen des Abkommens Wort für Wort gelesen, aber ich konnte die Klausel nicht finden, die meine Freunde und meine Tante, die getötet wurden, zurückbringen würde“, fuhr Sharfi fort, seine Stimme war schwer von Schmerz und Trauer. “Was wir brauchen, ist nicht nur ein Waffenstillstand für den Moment – wir brauchen einen Waffenstillstand für die nächste Generation. Unsere Generation ist bereits am Ende; wir sind entweder tot, verwundet, amputiert oder tragen ein Trauma mit uns herum, das uns nie verlassen wird.“
Kreisläufe der Verwüstung
Ich erinnere mich daran, wie ich in den ersten sechs Monaten des Krieges, als ich noch in Gaza war, mit Freunden zusammensaß und versuchte, die Verwüstung um uns herum zu verstehen. Wir hingen an unseren Telefonen und hofften verzweifelt auf Nachrichten über einen Waffenstillstand oder zumindest eine kurze Feuerpause.
Unsere Gespräche begannen mit den neuesten Informationen darüber, wer überlebt hatte, und drehten sich schnell darum, wer nicht überlebt hatte. Es handelte sich nicht um Geschichten über entfernte Fremde: Es ging um Nachbarn, Freunde, Familienmitglieder, Menschen, mit denen wir aufgewachsen waren. Jeder Name, der genannt wurde, fühlte sich an, als würde man einen Teil von sich selbst verlieren, ein Verlust, der nie wieder gutgemacht werden kann, und Erinnerungen, die nie vergessen werden.
Diese Gefühle von Trauer und Verzweiflung sind für uns Bewohner von Gaza nichts Neues. 2008/2009, als ich sieben Jahre alt war, erlebte ich meinen ersten Krieg. Der zweite kam 2012 und ein weiterer 2014. Jedes Mal bauten wir unser Leben wieder auf, und jedes Mal wurde alles wieder zerstört.
2008 tötete Israel meinen Cousin Amjad. 2012 wurde das Haus meines Nachbarn durch einen Luftangriff getroffen. 2014 wurden wir gewaltsam aus unserem Haus vertrieben, nachdem es durch israelische Artillerie teilweise zerstört worden war. Jetzt, in diesem aktuellen Völkermord, sind die Verluste unerträglich geworden. Fünf meiner engsten Freunde – Mahmoud Alnaouq, Yousef Dawas, Abdallah Baghdadi, Mahmoud Sbaih und Mohammed Wesam – wurden getötet. 72 Mitglieder meiner Familie, darunter mein Onkel Hisham, seine Frau Hana, ihre Söhne Basel und Mohammed und ihre Enkelkinder, wurden zusammen mit ihnen getötet. Dies waren keine zufälligen Tötungen. Dies war eine Vernichtung: die absichtliche Auslöschung einer ganzen Familie.
Als der Waffenstillstand ausgerufen wurde, brachte er keinen wirklichen Trost oder Abschluss. Er verschaffte uns nur ein wenig Zeit: Zeit zum Weinen, zum Trauern, um uns der erschütternden Realität unseres Verlustes zu stellen und nach den zerschmetterten Körpern unzähliger geliebter Menschen zu suchen, deren Leben vorzeitig beendet wurde. 46 enge Familienmitglieder eines meiner Verwandten wurden bei einem einzigen Luftangriff am 21. November 2023 getötet. 28 ihrer Leichen liegen noch immer unter dem begraben, was einmal ein Wohnblock war.
Die größte Herausforderung in Gaza besteht nun darin, die kommenden Tage zu überleben: Wie werden wir ohne Zuhause, ohne Ressourcen und ohne die grundlegenden Notwendigkeiten des Lebens leben? Wie werden wir ohne unsere Familien weitermachen?
Die UN schätzt, dass mehr als 90 Prozent der Wohneinheiten in Gaza beschädigt wurden, wobei 160.000 vollständig zerstört und weitere 276.000 schwer oder teilweise beschädigt wurden. Und das bezieht sich nur auf Gebiete, die sie untersuchen konnten: Im nördlichen Gazastreifen und in anderen unzugänglichen Regionen ist die Zerstörung wahrscheinlich noch schlimmer. Das bedeutet, dass fast 2 Millionen Menschen in Gaza auf absehbare Zeit vertrieben bleiben und gezwungen sind, ihr gesamtes Leben auf dem Rücken zu tragen, während sie auf der Suche nach einer Unterkunft und dem Nötigsten von einem Ort zum anderen ziehen
Auch das Bildungssystem liegt in Trümmern. Alle Universitäten wurden zerstört, die meisten Schulen wurden bombardiert und die verbliebenen werden nun als Unterkünfte für vertriebene Familien genutzt. Die Bildung einer ganzen Generation wurde zum Stillstand gebracht und es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis der Schaden behob
Aber es sind nicht nur Gebäude eingestürzt, sondern auch der Glaube an eine bessere Zukunft, die Hoffnung, dass es morgen besser sein könnte. Die Tochter eines Freundes, die aus Gaza nach Ägypten geflohen ist, sagte ihrem Vater, dass sie zu viel Angst habe, um jemals zurückzukehren. „Was ist, wenn sie uns wieder bombardieren?“, fragte sie. Er hatte keine Antwort für sie.
Eine ungewisse Zukunft
Nach dem Waffenstillstand bleibt die politische Lage in Gaza höchst unsicher und kompliziert. Das Abkommen bietet zwar eine vorübergehende Atempause vom Töten, lässt die Menschen in Gaza jedoch mit mehr Fragen als Antworten zurück. Ein wichtiger Punkt im Anhang des Abkommens lautet: „Alle Verfahren der ersten Stufe werden in der zweiten Stufe so lange fortgesetzt, wie die Verhandlungen über die Bedingungen für die Umsetzung der zweiten Stufe andauern, und die Garanten dieses Abkommens werden sich dafür einsetzen, dass die Verhandlungen fortgesetzt werden, bis eine Einigung erzielt wird.“
Eine derart zweideutige Sprache hat in der Bevölkerung Angst und Verwirrung ausgelöst. Was bedeutet es, dass die Verhandlungen noch andauern, und was passiert, wenn diese Verhandlungen scheitern? Kann Israel einseitig beschließen, die Verhandlungen zu beenden, um das Erreichen der zweiten Stufe zu verhindern? Und wie kann man den Garanten des Abkommens – Katar und Ägypten – die Einhaltung des Abkommens anvertrauen, wenn sich solche Garantien in der Vergangenheit meist als unwirksam erwiesen haben? Da es keine klaren Antworten auf diese drängenden Fragen gibt, fürchten viele Bewohner des Gazastreifens eine Rückkehr zu demselben verheerenden Kreislauf – eine Fortsetzung der 18-jährigen Belagerung, politische Stagnation und interne politische Spaltungen, vor allem zwischen Hamas und Fatah.
Bereits vor dem 7. Oktober befand sich Gaza in einem desolaten Zustand. Da über 80 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebte und die Stromversorgung auf wenige Stunden am Tag begrenzt war, war die Befriedigung der Grundbedürfnisse für die meisten Bewohner des Gazastreifens zu einem täglichen Kampf geworden. Laut der Weltbank und dem Palästinensischen Zentralamt für Statistik (PCBS) litten 71 Prozent der Einwohner von Gaza an Depressionen, was den immensen psychologischen Tribut widerspiegelt, den das Leben unter israelischer Belagerung fordert. In den vergangenen Jahren waren über 60.000 Menschen aus Gaza ausgewandert, um den verheerenden Bedingungen zu entkommen und im Ausland nach neuen Möglichkeiten zu suchen.
Die Belagerung durch Israel und die wiederholten Angriffe auf den Gazastreifen seit 2007 sind die Hauptursache für das Leid der Menschen in Gaza. Mit der unerschütterlichen Unterstützung der Vereinigten Staaten und anderer Mächte wurde es Israel ermöglicht, die längste Belagerung der modernen Geschichte durchzusetzen, Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen und die systematische Enteignung der Palästinenser fortzusetzen, ohne nennenswerte Konsequenzen zu befürchten.
Aber als Palästinenser sind wir oft Opfer der schlechten politischen und strategischen Berechnungen unserer Anführer geworden: von den Osloer Verträgen, die den Verlauf unseres Kampfes entgleist haben, über die politische Spaltung von 2007, die unser Volk geografisch und ideologisch gespalten hat, bis hin zum Angriff vom 7. Oktober, der keine spürbare Verbesserung für die Menschen in Gaza gebracht hat.
Die Hamas hat lange Zeit nationale Gefühle ausgenutzt und Emotionen manipuliert, während sie abweichende Stimmen zum Schweigen brachte, um Handlungen zu rechtfertigen, die oft nachteilige Folgen für die Bevölkerung des Gazastreifens haben. Ihre Unfähigkeit, seit der Machtübernahme im Gazastreifen im Jahr 2007 wichtige Probleme anzugehen – Armut, Arbeitslosigkeit, Zusammenbruch der Infrastruktur und internationale Isolation – hat das Vertrauen der Menschen im Gazastreifen untergraben. Anstatt unsere Sache voranzutreiben, haben ihre Handlungen die gesellschaftlichen Gräben vertieft, den Gazastreifen weiter von der palästinensischen Realität im Allgemeinen isoliert und unseren gemeinsamen Kampf untergraben.
Gleichzeitig betrachten einige Bewohner des Gazastreifens die militärischen Aktionen der Hamas als notwendige Reaktion auf jahrzehntelange israelische Unterdrückung, wobei einige den Widerstand als den einzig gangbaren Weg zur Veränderung betrachten. Der Völkermord Israels hat bisher zum Tod von über 50.000 Palästinensern geführt, und die unerschütterliche Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für Israel hat viele Palästinenser von Konzepten wie Menschenrechten und globaler Gerechtigkeit desillusioniert. Für diejenigen, die diese Perspektive vertreten, ist Widerstand keine Wahl, sondern eine Notwendigkeit, die der Hamas auferlegt wurde, ein Mittel, um ihre Existenz angesichts überwältigender Gewalt und systematischer Vernachlässigung zu behaupten.
Bewaffnete und maskierte Palästinenser sichern Lastwagen, die mit humanitärer Hilfe beladen sind und über den israelischen Grenzübergang Kerem Shalom in den Gazastreifen einfahren, auf der Salah al-Din Road östlich von Khan Yunis im südlichen Gazastreifen, 19. Januar 2025. (Abed Rahim Khatib/Flash90)
Bewaffnete und maskierte Palästinenser sichern Lastwagen, die mit humanitärer Hilfe beladen sind und über den israelischen Grenzübergang Kerem Shalom auf der Salah al-Din Road östlich von Khan Younis im südlichen Gazastreifen nach Gaza einfahren, 19. Januar 2025. (Abed Rahim Khatib/Flash90)
Auf dem Weg zur politischen Vereinigung
Ungeachtet dieser unterschiedlichen Ansichten muss die Hamas die immense Verantwortung anerkennen, die sie nun als Regierungsbehörde in Gaza trägt. Dieser Moment erfordert mehr als nur Slogans oder symbolische Gesten – es sind konkrete Maßnahmen und Rechenschaftspflicht erforderlich. Die Menschen in Gaza müssen wissen, was die Führung unternimmt, um ihre unmittelbaren und langfristigen Bedürfnisse zu decken. Welche Maßnahmen gibt es, um sicherzustellen, dass die Hilfe alle erreicht? Welche Strategien werden entwickelt, um die zerstörte Infrastruktur des Gazastreifens wieder aufzubauen? Und welche Zusicherungen können gegeben werden – wenn überhaupt –, dass dieser Waffenstillstand nicht nur ein weiteres Vorspiel für weitere Zerstörungen ist?
„Bisher hat die Hamas den Bewohnern von Gaza keine klare und detaillierte Erklärung über das Waffenstillstandsabkommen vorgelegt – über seine Bedingungen oder darüber, was, wenn überhaupt, durch die enormen Opfer, die sie gebracht haben, erreicht wurde“, sagte mir der 26-jährige Ahmed Hosnay. Für Familien, die ihre Angehörigen, ihr Zuhause, ihr ganzes Leben im Krieg verloren haben, fühlt sich dieser Mangel an Transparenz wie eine weitere Schicht der Vernachlässigung an.
Realistisch betrachtet sind weder die Hamas noch die Palästinensische Autonomiebehörde allein in der Lage, das Morden, die Verhaftungen oder die Zerstörung zu stoppen, die den Palästinensern im Gazastreifen und im Westjordanland zugefügt werden. Was wir brauchen, ist eine Rechenschaftspflicht für das Handeln Israels. Tatsächlich scheint der Waffenstillstand im Gazastreifen auf Kosten einer neuen Welle von Angriffen gegen Palästinenser in Dschenin und im gesamten Westjordanland zu gehen.
Doch die politische Rivalität zwischen der Hamas und der Palästinensischen Autonomiebehörde – begünstigt durch Israels langjährige Strategie des „Teile und herrsche“ – sorgt dafür, dass die Palästinenser politisch gespalten bleiben und nicht in der Lage sind, eine einheitliche Front zu bilden, um Rechenschaftspflicht oder Gerechtigkeit zu fordern. Der Mangel an Einigkeit schwächt nicht nur die palästinensische Interessenvertretung auf der globalen Bühne, sondern verschärft auch die Spaltungen, die ausgenutzt wurden, um die Besatzung und das Leid des palästinensischen Volkes zu verlängern.
Hätte es eine echte palästinensische Einheit gegeben, hätte das Waffenstillstandsabkommen vielleicht eine Gelegenheit geboten, Verstöße sowohl in Gaza als auch im Westjordanland anzugehen und die Gespräche über die Beendigung der israelischen Besetzung palästinensischen Landes wieder aufzunehmen. Stattdessen blieb die Fatah von den Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Israel und der Hamas völlig ausgeschlossen, während die PA versucht, die einseitige Regierungsgewalt über den Gazastreifen ohne die Hamas wiederzuerlangen, während sie Israel dabei hilft, gegen palästinensische Widerstandsbewegungen im Westjordanland vorzugehen.
Für die Menschen in Gaza erfordert jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft mehr als nur die Lösung der aktuellen Krise. Es bedarf einer grundlegenden Veränderung der Realität in Gaza und der palästinensischen Politik, die einen dauerhaften Frieden herbeiführt, die Blockade beendet und die palästinensische Führung im Streben nach Gerechtigkeit und Würde für alle vereint. Bis dahin wird die Angst, dass wir dies noch einmal durchmachen müssen – nächstes Jahr, in fünf oder zehn Jahren – nie wirklich verschwinden.
Mahmoud Mushtaha ist ein Journalist und Menschenrechtsaktivist aus Gaza. Er absolviert derzeit einen Master in Global Media and Communication an der University of Leicester, Großbritannien. Vor kurzem veröffentlichte er sein erstes Buch auf Spanisch, „Sobrevivir al genocidio en Gaza“.
Unser Team ist von den schrecklichen Ereignissen dieses jüngsten Krieges erschüttert. Die Welt steht unter dem Eindruck des beispiellosen israelischen Angriffs auf Gaza, der den belagerten Palästinensern massive Verwüstung und Tod brachte, sowie des grausamen Angriffs und der Entführungen durch die Hamas in Israel am 7. Oktober. Unser Mitgefühl gilt allen Menschen und Gemeinschaften, die dieser Gewalt ausgesetzt sind.
Wir befinden uns in Israel-Palästina in einer außerordentlich gefährlichen Zeit. Das Blutvergießen hat ein extremes Maß an Brutalität erreicht und droht, die gesamte Region zu erfassen. Mutige Siedler im Westjordanland, die von der Armee unterstützt werden, nutzen die Gelegenheit, um ihre Angriffe auf Palästinenser zu verstärken. Die rechtsextremste Regierung in der Geschichte Israels verschärft die Überwachung von Andersdenkenden und nutzt den Deckmantel des Krieges, um palästinensische Bürger und linke Juden zum Schweigen zu bringen, die ihre Politik ablehnen.
Diese Eskalation hat einen ganz klaren Kontext, über den +972 in den letzten 14 Jahren berichtet hat: den wachsenden Rassismus und Militarismus in der israelischen Gesellschaft, die fest verankerte Besatzung und Apartheid sowie die normalisierte Belagerung des Gazastreifens. Quelle
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„In Gaza werden Gliedmaßen ohne Schmerzmittel amputiert.
Stellen Sie sich vor, Ihr Kind müsste das durchmachen“.
Dr. Guy Shalev, Geschäftsführer von Physicians for Human Rights Israel, beschreibt die bewusste Zerstörung des Gesundheitssystems im Gazastreifen durch die israelische Regierung.
Ayelett Shani - 25. Januar 2025 - Übersetzt mit DeepL
Erzählen Sie uns etwas über sich.
Ich bin Anthropologin. Ich habe in den USA in medizinischer Anthropologie promoviert und anschließend an der Hebräischen Universität geforscht. Seit 2014 arbeite ich ehrenamtlich für Physicians for Human Rights, und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich die meiste Zeit damit verbringe, ehrenamtlich tätig zu sein und nicht zu arbeiten. Deshalb habe ich mich als Geschäftsführerin beworben.
Wissen Sie, wie man das macht? Wie man mit Menschen, Budgets und Excel-Tabellen umgeht?
Als ich mich bewarb, machte ich klar, dass ich keine Managementerfahrung hatte. PHR ist eine komplexe Organisation, die ein tiefgreifendes Verständnis von Gesundheitssystemen und Politik, von medizinischer Ethik ... und von Haftanstalten erfordert. Das habe ich, und glücklicherweise habe ich auch ein starkes Team, das mich in den Bereichen unterstützt, in denen ich weniger gut bin.
Können Sie erklären, was medizinische Anthropologie ist und welche Bedeutung sie für die Position des Exekutivdirektors von PHR hat?
PHR setzt sich für das Recht auf Gesundheit für alle Menschen unter israelischer Verantwortung und Herrschaft ein. Wir haben eine offene Klinik in Jaffa für Asylsuchende und Menschen ohne Papiere, die keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben, und eine Ambulanz, die zweimal wöchentlich Gemeinden in der gesamten Westbank besucht. Vor dem Krieg haben wir jedes Jahr acht Delegationen nach Gaza geschickt, um dort medizinische Teams auszubilden. Wir bearbeiten Anfragen von Gefängnissen und Haftanstalten über Verletzungen der Rechte von Häftlingen und helfen bei der Finanzierung von Medikamenten in Sderot, Jaffa und Lakiya [einer Beduinenstadt im Negev] sowie für Obdachlose. Wir dokumentieren auch [Menschenrechts-]Verletzungen, schreiben Berichte und leisten viel juristische Arbeit.
Als medizinische Anthropologin untersuche ich die sozialen und politischen Kontexte von allem, was mit Körper, Gesundheit und medizinischer Versorgung zu tun hat. Die Beziehung zwischen Pflegepersonal und Patienten wirft viele interessante Fragen über Machtverhältnisse auf. Das Gesundheitssystem ist praktisch der einzige Ort, an dem die üblichen Machtverhältnisse in Frage gestellt werden; ein Ort, an dem ein arabisch-israelischer Arzt eine Führungsposition gegenüber einer jüdischen Krankenschwester innehat. Leider finden wir Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung sogar im Gesundheitssystem, das eigentlich eine Leistungsgesellschaft sein und soziale Mobilität ermöglichen sollte.
Braucht Israel eine größere und stärkere Armee?
Im Gegenteil
Der erschreckende Bericht eines amerikanischen Neurochirurgen, der nach Gaza ging, um Leben zu retten.
Der Wiederaufbau von Gaza: Fakten und Phantasien
Diese Spannung ist bereits im hippokratischen Eid enthalten, der von Ärzten verlangt, sich über alle äußeren Erwägungen zu erheben. Ich habe mich immer gefragt, inwieweit das möglich ist.
Es gibt viele Studien darüber, wie Ärzte lernen, ihr emotionales, persönliches Ich auszuschalten und rein professionell zu sein. Der Konflikt ist hier wirklich vorprogrammiert - wie kann man diese Ethik aufrechterhalten, sich für bestimmte Werte einsetzen, die in einer sozialen Realität asozial sind?
Ich werde versuchen, diesen Konflikt auf die gröbste und einfachste Weise zu veranschaulichen: Es ist der 8. Oktober 2023 und ein israelischer Arzt wird gerufen, um einen verwundeten Nukhba [Elitekämpfer der Hamas] zu behandeln.
Zweifellos ist dies eine enorme persönliche Herausforderung, aber es ist einem Arzt untersagt, seine berufliche und ethische Verpflichtung zu kompromittieren. Ein Arzt ist kein Richter, kein Gefängniswärter und kein Henker. Er steht einem Menschen gegenüber, der seiner Hilfe bedarf. Leider ist dies kein hypothetisches Dilemma. Im Moment der Wahrheit hat die medizinische Gemeinschaft in Israel diesen Test tatsächlich nicht bestanden. Das Gesundheitsministerium verkündete, dass sie [die Hamas-Kämpfer] keine Behandlung erhalten würden, und der Widerstand der [israelischen] Ärztekammer gegen diese Haltung war mehr als schwach. Wir wissen, was in den Krankenhäusern geschah.
Was ist geschehen?
Wir haben Zeugenaussagen von Quellen in den Krankenhäusern über Teams, die sich weigerten, [Hamas-Kämpfer] zu behandeln. Über schlechtere Behandlung. Über die Verweigerung von Schmerzmitteln. Ein Arzt, der sich bewusst entscheidet, keine Schmerzmittel zu geben, ist kein Arzt. Er ist ein Folterer. Am schockierendsten ist für mich, dass Opfer von Folter und sexuellen Übergriffen zu ihren Peinigern und Tätern zurückgeschickt wurden. Eine Person, die im Lager Sde Teiman [ein von der israelischen Armee betriebenes Gefangenenlager] sexuell missbraucht worden war, wurde in ein Krankenhaus in Ashdod eingeliefert und dann zu den Leuten zurückgebracht, die sie in der Einrichtung gefoltert hatten. Die Verantwortung eines Arztes gegenüber seinem Patienten endet nicht mit dem Ende des medizinischen Eingriffs.
Kann man ein solches Verhalten jenseits von [Emotionen] wirklich erwarten?
Ja, man kann es erwarten, und ich erwarte es. Ich denke, wenn ich es nicht erwarten würde, würde ich den gesamten menschlichen und sozialen Wert der Behandlung untergraben.
Ich denke, die Schrecken des 7. Oktober haben alle menschlichen und sozialen Werte untergraben - sie verletzt. Die Erwartung, dass die Behandlung unter diesen Umständen immer noch den höchsten Wert widerspiegelt, ist selbst unmenschlich.
Das ist wahr. Es braucht Transzendenz im wahrsten Sinne des Wortes. Ich beneide die Menschen nicht, die aufgefordert werden, diese zu zeigen.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich in der Lage wäre, mich selbst zu transzendieren.
Ich denke, wir alle müssen uns fragen, was wir in einer solchen Situation tun würden, und ja, es ist definitiv nicht sicher, ob wir dazu in der Lage wären. Andererseits: Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der Ärzte Menschen, die eine Behandlung brauchen, nicht behandeln? Ein Arzt ist nicht dazu da, Gott zu spielen. Es geht nicht darum, wer der Patient ist und was er getan hat. Es geht darum, wer Sie sind.
Es gibt ein System, das ethische Standards aufrechterhalten soll. Selbst wenn es einen Arzt gibt, der nicht in der Lage ist, über sich hinauszuwachsen, oder wenn einer seiner Angehörigen verletzt ist und er einfach nicht in der Lage ist - und das ist verständlich -, sollte er eine Antwort vom System erhalten. Das System sollte die Ärzte unterstützen und ihnen die Mittel an die Hand geben, mit diesen komplexen Situationen umzugehen. Das System hat versagt.
Dies ist eine Zeit, in der es schwierig ist, Mitgefühl zu mobilisieren. Ich bin sicher, dass es Ihnen genauso geht. Niemand will hören, was in Sde Teiman passiert. Und schon gar nicht, was in Gaza passiert. Ich habe bei diesem Interview gezögert und mich gefragt, ob es möglich ist, die Menschen zu erreichen und in ihnen Mitgefühl zu wecken. Wie funktioniert das bei Ihnen?
Das ist eine gute Frage. Ich möchte mich nicht als etwas Besonderes darstellen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich anstrengen muss, um Mitgefühl für eine Familie zu haben, auf die eine Ein-Tonnen-Bombe vom Himmel gefallen ist.
Vielleicht sagen die Leute zu Ihnen, wie sie es oft zu mir sagen: „Ich habe kein Mitleid mit ihnen. Sie wollen leben? Dann sollen sie die Geiseln freilassen“.
Sie sehen ein fünfjähriges Mädchen, dem vier Gliedmaßen amputiert wurden. Und dann? Ist es Ihnen egal? Warum? Weil es der 7. Oktober war? Es ist ein kleines Mädchen. Wie mobilisiert man Empathie? Ich glaube, auf der emotionalen und psychologischen Ebene ist es viel schwieriger, so ein Mädchen zu sehen und zu sagen: „Das interessiert mich nicht“.
Sprechen wir kurz über die Ereignisse in Gaza. Es gibt viele Fehlinformationen, aber ich beziehe mich hier auf den Brief der Ärzte an Präsident Biden - ein Bericht von amerikanischen Ärzten [und Krankenschwestern] vom Juli 2024, die sich freiwillig im Gazastreifen gemeldet haben und von unvorstellbaren Schrecken berichten.
Eines Nachts kommen 200 schwer verwundete Patienten mit schweren Verbrennungen ins Krankenhaus. Es gibt nur einen Operationssaal. Der Arzt berichtet, dass er einen Patienten, der hätte genesen können, aufgegeben hat, weil er in der Zeit, die er für seine Behandlung gebraucht hätte, 15 andere Patienten verloren hätte.
Es gibt keine Medikamente, das ist bekannt. Es gibt nicht einmal Seife. Der Bericht beschreibt, wie schmutzige Ernährungssonden in Frühgeborene eingeführt werden, weil es keine Seife gibt, um sie zu reinigen. Die Frühgeborenen sterben. Die Feldoperationen werden als im Stil des amerikanischen Bürgerkriegs beschrieben.
Es gibt Operationen, bei denen Waschmittel als Desinfektionsmittel verwendet wird und die nur mit dem Licht eines Mobiltelefons durchgeführt werden können, weil es keinen Strom gibt. Schmerzmittel sind natürlich auch ein Ding der Unmöglichkeit. Kann sich jemand vorstellen, dass sein Kind ohne Schmerzmittel amputiert wird? Das muss man sich nicht vorstellen. Ich erzähle Ihnen von Rafiq, einem 15-jährigen Jungen, der mit seiner Schwester ins Shifa-Krankenhaus [in Gaza-Stadt] kam. Dort wurde ihm ein Bein amputiert. Als die Armee in Shifa einmarschierte, konzentrierte sie alle Patienten in einem Gebäude, vertrieb die Begleitpersonen und einen Teil des medizinischen Personals und konzentrierte sich zwei Wochen lang auf den Kampf gegen die Hamas im Krankenhaus. Die Patienten wurden zwei Wochen lang in diesem Gebäude zurückgelassen, ohne Nahrung, Wasser, Medikamente oder Pflege.
Die Patienten bettelten darum, dass sich jemand um Rafiq kümmert. Sie sagten [zu den Soldaten]: Lasst uns hier, helft nur diesem Jungen. Sie sagten: Wir werden ihn evakuieren. Sie nahmen ihn mit und sperrten ihn einfach in irgendeinen Raum. Erst als die Armee weg war, haben sie ihn dort in dem Raum gefunden. Ein Junge allein. Sterbend. Ich will die Wunde nicht beschreiben. Die Infektionen, die Maden.
Ich kann nicht atmen.
Man muss etwas Wichtiges über das Gesundheitssystem in Gaza verstehen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass das grundlegende Niveau niedrig ist, was Medikamente, Ausrüstung und medizinische Ausbildung betrifft. Es ist ein begrenzt funktionierendes System, aber auf der anderen Seite ist es das System der Menschen.
Was bedeutet das?
In einer Situation, in der es kein Vertrauen in irgendein System gibt - und die Menschen in Gaza haben kein Vertrauen in die Verwaltung ihres Lebens durch die Hamas - gibt es Vertrauen in das lokale Gesundheitssystem. Fast jede Familie hat einen Arzt oder eine Krankenschwester. Es ist ein System von Menschen für Menschen, und trotz seiner Einschränkungen unterstützt es die Gesellschaft. Die medizinischen Teams in Gaza kamen weiterhin Tag für Tag zur Arbeit, obwohl sie keinen Lohn erhielten. Obwohl sie mit ihren Familien an andere Orte evakuiert wurden, die manchmal sehr weit entfernt waren, und obwohl sie Familienmitglieder verloren haben.
„Wir haben eine geordnete und detaillierte Dokumentation der Angriffe auf die Krankenhäuser im Oktober, und diese Dokumentation zeigt, dass die Krankenhäuser im Vergleich zu anderen Regionen unverhältnismäßig stark markiert und angegriffen wurden, weit über den statistischen Fehler hinaus“.
Vielleicht können Sie erklären, wie das palästinensische Gesundheitssystem funktioniert.
Das palästinensische Gesundheitssystem wurde als einheitliches System aufgebaut: Westbank, Jerusalem und Gaza. Es stammt aus der Zeit, als es von der Zivilverwaltung [der israelischen Militärregierung im Westjordanland] kontrolliert wurde, vor Oslo. Die Idee war, dass, wenn eine bestimmte Behandlung in Gaza verfügbar ist, es keinen Grund gibt, in eine zusätzliche Abteilung in Nablus zu investieren. Dass jeder, der diese Behandlung braucht, sie eine Stunde entfernt in Gaza bekommen kann und umgekehrt.
Und nach der schrecklichen Machtübernahme der Hamas in Gaza [2007], bei der Menschen von den Dächern geworfen wurden, ging die Zusammenarbeit zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas weiter?
Nach dem Aufstieg der Hamas gab es Veränderungen in der Art der Beschäftigung und der Arbeitsweise. Die Gehälter der Ärzte wurden von der Hamas bezahlt. Natürlich gab es Spannungen, aber die medizinische Versorgung war weiterhin einheitlich. Patienten wurden aus Gaza in die Westbank und nach Ostjerusalem evakuiert, natürlich mit israelischer Genehmigung. So gab es beispielsweise bis zum 7. Oktober keine radiologischen Behandlungen im Gazastreifen, da Israel die Einfuhr der Geräte verweigerte. Onkologische Patienten wurden in Ost-Jerusalem behandelt.
Was passierte nach dem 7. Oktober?
Bis zum 7. Oktober gab es ein System von [Reise-]Genehmigungen, wobei die meisten Anträge abgelehnt wurden. Kinder reisten allein zur Behandlung, ohne ihre Eltern. Krebspatienten lebten von Genehmigung zu Genehmigung, da für jede Ausreise zur Behandlung eine separate Genehmigung erforderlich war. Seit dem 7. Oktober und insbesondere seit der Schließung des Grenzübergangs Rafah bedeutet dies, dass diese Patienten einfach ihrem Schicksal überlassen werden. Eine medizinische Evakuierung findet nicht statt. Es gibt nicht nur keine Behandlung in Gaza, sondern auch keine Möglichkeit, das Land zu verlassen.
Und in Zahlen?
Es gibt 25.000 Menschen, die das Land zur Behandlung verlassen müssen, von denen etwa 15.000 einen Antrag gestellt haben.
Und das sind niedrige Schätzungen.
Dramatisch niedrig, denn um einen Antrag zu stellen, muss ich zu einer medizinischen Einrichtung gehen, wo es einen Arzt gibt. Der Arzt muss eine Überweisung vom örtlichen Büro des Gesundheitsministeriums beantragen, dann einen Antrag bei der Weltgesundheitsorganisation stellen und eine Genehmigung von Israel einholen.
Wir zählen nicht die Patienten, die nicht einmal in der Lage sind, diese Prozedur zu beginnen.
Wir können das wahre Ausmaß nicht abschätzen. 25.000 Menschen warten auf eine medizinische Evakuierung. Seit Mai [als der Grenzübergang Rafah geschlossen und der Evakuierungsmechanismus eingestellt wurde] haben weniger als 400 Menschen Gaza verlassen.
Es gibt kaum noch funktionierende medizinische Einrichtungen.
Bereits am 13. Oktober [2023] erließ Israel 22 Räumungsbefehle für Krankenhäuser im nördlichen Gazastreifen. [Im Gazastreifen gibt es 36 Krankenhäuser unterschiedlicher Größe.]
Vor dem Bodenangriff.
Daraus schließe ich, dass die Krankenhäuser von Anfang an im Visier waren. Es ist nicht so, dass es einen Angriff gegeben hätte, bei dem man einen Grund gefunden hätte, sie zu evakuieren. Wir haben eine geordnete und detaillierte Dokumentation der Angriffe auf die Krankenhäuser im Oktober, und diese Dokumentation zeigt, dass die Krankenhäuser im Vergleich zu anderen Regionen unverhältnismäßig markiert und angegriffen wurden, weit über den statistischen Fehler hinaus.
Wir wissen, dass die Hamas die Bevölkerung als menschliche Schutzschilde benutzt. Ihr Einsatz in Krankenhäusern ist bekannt. Sie ist Teil jeder Kampfrunde. Während der Operation „Protective Edge“ im Jahr 2014 wurde zum Beispiel viel darüber diskutiert.
Das ist wahr. Aber wir müssen unterscheiden zwischen dem, worüber gesprochen wurde, und dem, was wir vor Ort sehen. Nach Aussagen von Ärzten, die verhaftet wurden und in Israel inhaftiert sind, gab es bewaffnete Männer, die in den Krankenhäusern herumliefen, und [israelische] Geiseln, die zur Behandlung in die Krankenhäuser gebracht wurden.
Die Hamas hat tatsächlich Krankenhäuser benutzt.
Aber die Frage ist, was bedeutet „genutzt“? Die Tatsache, dass bewaffnete Männer in medizinischen Einrichtungen waren, ist eine Sache. Die Frage ist, was dort gemacht wurde. Das ist keine Haarspalterei - das sind wesentliche Fragen des Völkerrechts. Das Völkerrecht schreibt vor, dass, um die Immunität eines Krankenhauses [gegen Angriffe] aufzuheben, eindeutige Beweise vorliegen müssen, dass es für Angriffe auf die Armee oder für die Planung von Aktionen gegen die Armee genutzt wird. Und selbst dann gibt es im Übrigen klare Regeln, was in Bezug auf Warnungen und die Verhältnismäßigkeit von Angriffen auf eine medizinische Einrichtung getan werden darf und was nicht.
Israel behauptet, die Krankenhäuser seien Kommandoposten der Hamas, weil es weiß, dass die bloße Anwesenheit der Hamas in einem Krankenhaus nicht ausreicht, um den [rechtlichen] Schutz zu verlieren. Wenn Israel ein Krankenhaus angreift, muss es beweisen, dass das Krankenhaus als Kommandoposten benutzt wurde. Israel hat jetzt Zugang zu jedem Krankenhaus und jedem Tunnel, ob unterirdisch oder nicht, und hat Hunderte von Gefangenen. Bisher wurden jedoch keine Beweise oder Zeugenaussagen vorgelegt, die diese Behauptungen stützen, die übrigens nicht nur während der Operation „Protective Edge“, sondern auch während der Operation „Gegossenes Blei“ [Dez. 2008-Jan. 2009] aufgestellt wurden.
Die Öffentlichkeit erinnert sich an die Präsentation des IDF-Sprechers Daniel Hagari im Shifa-Krankenhaus. Für die Öffentlichkeit ist das ein Beweis.
Hagari stand dort und präsentierte Grafiken mit Simulationen des Kommandopostens unter dem Shifa-Krankenhaus, mit mehreren Stockwerken und versteckten Raketen und Kommandosystemen. Der einzige wirkliche Beweis, den sie vorweisen konnten, war ein Tunnel mit zwei Räumen, den die Armee gesprengt hatte, ohne dass Ermittler der Vereinten Nationen oder anderer Organisationen ihn untersuchen konnten. Die Armee hat auch einen Tunnel in der Nähe des Rantisi-Kinderkrankenhauses [in Gaza-Stadt] freigelegt.
Ich will das nicht herunterspielen, okay? Ich denke, einen Tunnel unter einem Krankenhaus zu graben, ist ein krimineller Akt. Rechtfertigt das die Zerstörung eines ganzen Krankenhauses? Israel behauptete, 240 Terroristen im Kamal-Radwan-Krankenhaus festgenommen und große Mengen Waffen beschlagnahmt zu haben.
Es wurden wenig beeindruckende Fotos von den beschlagnahmten Waffenmengen veröffentlicht.
Es waren nur ein paar Waffen. Bedeutet das, dass es sich um einen Kommandoposten handelte? Ich weiß es nicht. Wir brauchen Zeugenaussagen. Ich gehe nicht weiter darauf ein, weil ich glaube, dass die Hamas aus rechtschaffenen Menschen besteht. Das ist nicht der Punkt, das ist nicht meine Meinung. Es ist mir wirklich egal, ob sich die Hamas in einem Krankenhaus versteckt. Mir geht es um die Zehntausenden von Menschen, für die dieses Krankenhaus nicht mehr zur Verfügung steht.
Das Gesundheitssystem in Gaza versorgte 2 Millionen Menschen in ihrer verzweifeltsten und schrecklichsten Situation. Das System hatte 3.500 Betten, jetzt sind es weniger als tausend. Es sollte rund 100.000 Verwundete im Gazastreifen versorgen, von denen etwa ein Viertel lebensbedrohliche Verletzungen erlitten hat. Der Schlag gegen das gesamte System mit Anschuldigungen, die sich als begründet erweisen könnten - auch wenn wir noch keine Beweise dafür gesehen haben - ist eine schreckliche Ungerechtigkeit.
Ihr Vorwurf geht noch weiter. Sie behaupten, der Angriff sei absichtlich und geplant gewesen. Dass es eine Strategie ist.
Wir sehen einen systematischen und systemischen Angriff: Zerstörung von Krankenhäusern, Verhinderung medizinischer Evakuierungen, mehr als 1.000 getötete und 300 verletzte medizinische Mitarbeiter; mehr als 100 medizinische Mitarbeiter wurden verhaftet und werden in Israel festgehalten. Es gibt nicht viele Fachärzte in Gaza. Wenn der einzige Chirurg, der auf Gefäßkrankheiten spezialisiert ist, in Israel festgehalten wird, gibt es keine Versorgung für alle seine Patienten. Vor dem 7. Oktober waren Gefäßerkrankungen die häufigste Todesursache in Gaza.
Die Frage ist, ob es sich um Vernachlässigung handelt, vielleicht um absichtliche Vernachlässigung, oder ob es Methode hat. Wie beweist man, dass es eine Strategie ist?
Man sieht System. Man sieht das Ausmaß. Man sieht systematische Razzien in Krankenhäusern, die zur teilweisen Zerstörung einer Einrichtung und zur Verhaftung von Hunderten von Angehörigen des medizinischen Personals führen. Wie ist das zu rechtfertigen? Waren all diese Krankenhäuser terroristische Einrichtungen? Wo sind die Beweise?
Wurden bei früheren Kämpfen auch medizinische Teams verhaftet?
Soweit wir wissen, handelt es sich um einen Präzedenzfall. Nach einer umfassenden Untersuchung mit unserer Abteilung für Gefangene und Häftlinge und Berichten der WHO und anderer Organisationen über die Operation Protective Edge konnten wir nicht feststellen, dass dies [in der Vergangenheit] ein Phänomen war.
Was sind die Gründe für die Verhaftungen?
Sie sagen nicht warum. Ihnen [dem inhaftierten medizinischen Personal] wird [formell] kein Verbrechen vorgeworfen. Sie werden ohne Anklageschrift und ohne Anklage festgehalten.
Könnte das ein Kollateralschaden sein? Wir haben sehr viele Menschen verhaftet, auch medizinisches Personal?
Nein. Medizinisches Personal wird gezielt verhaftet. Das geht aus den Zeugenaussagen hervor, die wir sammeln. Sie werden [von den Israelis] gefragt, ob sie Geiseln gesehen oder behandelt haben, ob sie Tunnel in den Krankenhäusern gesehen haben oder ob sie Aktivitäten von Bewaffneten beobachtet haben.
Sie werden also festgehalten, um Informationen zu sammeln?
Aufgrund der Fragen, die ihnen gestellt wurden, auf jeden Fall. Die Armee versucht, von ihnen Informationen zu bekommen. Das ist eine Verletzung ihres [völkerrechtlichen] Schutzes, denn man kann sie nicht festnehmen, wenn man nicht behauptet, dass das Teammitglied selbst ein Verbrechen begangen hat. Es gibt Ärzte, die in Gaza verhaftet wurden, vor Ort in einer provisorischen Einrichtung verhört wurden und dann nach Sde Teiman gebracht wurden, wo man sie vergessen hat. Sie wurden kein einziges Mal mehr verhört. Es gibt Ärzte, denen klar gesagt wurde: Sie sind nicht verdächtig, aber wir werden Sie bis zum Ende des Krieges festhalten.
Inzwischen sind drei Ärzte aus Gaza in israelischer Haft gestorben. Ich glaube, dass die Verhaftung der Ärzte Teil einer Kampagne ist, die das ganze System delegitimieren soll. Die Möglichkeit, sie zu verhaften und sie dann des Terrorismus zu beschuldigen, dient dazu zu zeigen, dass wir nicht das Gesundheitssystem angreifen, sondern dass das System Teil der militärischen Ausrichtung der Hamas ist. Meiner Meinung nach ist der Wunsch, das Gesundheitssystem zu schwächen, das, wie gesagt, für und von den Menschen ist, Ausdruck des Wunsches, dieser Gesellschaft irreversiblen Schaden zuzufügen.
„Es gibt systematische Razzien in Krankenhäusern, bei denen Einrichtungen teilweise oder ganz zerstört und hunderte von Ärzten verhaftet werden. Welche Rechtfertigung gibt es dafür? Waren all diese Krankenhäuser terroristische Einrichtungen? Wo sind die Beweise?
Aus Rache?
Vielleicht handelt der Einzelne aus Rache, aber ich glaube, das System arbeitet mit Bedacht und strategischen Zielen, die manchmal wie der „Plan der Generäle“ aussehen. Wir sehen Leute in hohen Positionen, die sagen: "Wir werden vertreiben, wir werden säubern, wir werden aufräumen, und dieser Ort wird nie wieder ein Ort des Lebens sein.
Das Motiv ist immer noch Rache.
Die Rache soll sich irgendwann erschöpfen, und dann bleibt die Frage der Politik.
Ich glaube nicht, dass die Politik darin besteht, die Rache zu erschöpfen.
Ich höre [Finanzminister Bezalel] Smotrich sehr ruhig darüber sprechen. Das klingt nicht nach einer Leidenschaft für Rache, das klingt nach jemandem, der dieses Gebiet will und nicht will, dass Palästinenser dort leben, und jetzt hat er die Gelegenheit dazu.
Erlauben Sie mir, populistisch zu sein und Sie zu fragen, ob Sie glauben, dass alle medizinischen Teams in Gaza unschuldig sind.
Nein, und ich muss das auch nicht glauben. Es könnte jemanden geben, der Teil des medizinischen Systems ist und gleichzeitig in der Hamas aktiv ist. Ich muss nicht glauben, dass Hamas-Leute gute Menschen sind, die die Menschen in Gaza schützen wollen.
Ich stelle die Frage anders: Gibt es Ärzte, von denen Sie wissen, dass sie involviert sind? Wir wissen, dass es Geiseln gab, die Kontakt zu medizinischen Teams hatten.
Ich kenne keinen einzigen Arzt, der gesagt hat: Ja, ich bin bei der Hamas.
Ist das gespielte Unschuld?
Nein. Es ist vernünftig anzunehmen, dass es unter den Tausenden von medizinischen Mitarbeitern in Gaza einige gibt, die Mitglieder der Hamas sind oder in der Hamas oder in anderen Organisationen aktiv sind. Das ist offensichtlich richtig, denn ein großer Teil der Gesellschaft in Gaza ist auf die eine oder andere Weise in diese Gruppen involviert. Es stimmt auch, dass Ärzte aus Gaza Geiseln behandelt haben und wussten, wo sie waren, was sie natürlich auch in eine sehr problematische Situation gebracht hat, was sie tun konnten und was nicht. Aber das bringt nicht ein ganzes System oder einen ganzen Berufsstand in Verruf.
Sie sind seit zweieinhalb Jahren Direktor von PHR Israel. Sie haben einen Überblick darüber, wie es vor dem 7. Oktober war und wie es danach war. Über den Verlust der Empathie [bei den Israelis].
Ich bin enttäuscht und traurig über die medizinische Gemeinschaft. Wir haben sie nach dem 7. Oktober als Organisation verloren. Wir haben die Fähigkeit verloren, mit ihnen zu kommunizieren und von ihnen Unterstützung und Empathie zu erhalten. Auch die israelischen Medien haben uns enttäuscht. Wir haben zuverlässige Informationen darüber, was in Gaza passiert, aber niemand will zuhören. Eine medizinische Fakultät, an der wir Fortbildungskurse über das Recht auf Gesundheitsversorgung angeboten haben, hat uns die Tür vor der Nase zugeschlagen, weil das Thema zu brisant ist.
Und der persönliche Preis?
Ich persönlich habe Freunde und Verwandte verloren. Und zwar sehr viel. Wir sprechen nicht mehr miteinander. Ich habe auch WhatsApp-Gruppen von Freunden verlassen.
Sie waren in einer Kampfeinheit der Armee, nicht wahr?
Ja. Ich möchte nicht aus dieser Position sprechen. Ich war Offizier in Egoz [einer Kommandoeinheit] - stellvertretender Kompaniechef während der zweiten Intifada.
Diese Orte sind Ihnen also nicht fremd.
Überhaupt nicht. Als Soldat habe ich jeden Tag Leute verhaftet. Eine der WhatsApp-Gruppen, die ich verlassen habe, war die meines Teams [in der Einheit].
Warum?
Weil es dort einen Diskurs gab, den ich nur schwer akzeptieren konnte. Ich habe das Thema angesprochen und als ich gesehen habe, dass es weiterging, habe ich verstanden, dass ich lieber nicht dabei sein wollte.
Hatten Sie als Soldat Schwierigkeiten mit dem militärischen Alltag?
Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, als Soldat war ich ein Superzionist, voller Ehrgeiz. Ich habe von ganzem Herzen an die Armee geglaubt. Das war auch nach meiner Entlassung so. Und in der Reserve. Im Nachhinein fällt es mir schwer zu verstehen, wie wenig ich hinterfragt habe. Ich habe die Armee nie kritisiert. Ich habe mich einfach dem System unterworfen. Meine Desillusionierung hat sich über Jahre hingezogen. Es war ein allmählicher, langwieriger Prozess - jedes Mal fiel mir eine andere Münze in den Schoß.
Was möchten Sie, dass die Menschen in dieser Zeit der geringen Aufmerksamkeitsspanne und des mangelnden Einfühlungsvermögens aus diesem Interview mitnehmen?
Ich möchte, dass jeder, der dies liest, an einen Verwandten denkt, der an Krebs erkrankt ist. Ich spreche nicht einmal von Kindern. Wie fühlt es sich an, wenn der eigene Vater vor den Augen stirbt und man hilflos ist? Es gibt keine Behandlung in Gaza. Und keine Möglichkeit, [zur Behandlung] zu gehen. Wir haben das Personal der medizinischen Teams mitgenommen, wir haben die Krankenhäuser zerstört und die Patienten in eine Schlange von 25.000 Menschen gesteckt, von denen weniger als 100 pro Monat das Land verlassen dürfen. Wir haben Gaza in eine Todesfalle verwandelt. Quelle |
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