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Nein, wir können nicht!
Uri Avnery, 4.Mai 2013
EIN BOTSCHAFTER ist ein ehrenwerter Mann, der ins
Ausland gesandt wird, um dort zum Besten seines Landes zu lügen,
schrieb ein britischer Staatsmann vor etwa 400 Jahren. Das trifft
natürlich auf alle Diplomaten zu.
Die Frage ist nur, ob der Diplomat nur gegenüber
anderen lügt – oder auch zu sich selbst.
Ich frage das in diesen Tagen, während ich die
mühsamen Bemühungen von John Kelly, dem neuen amerikanischen
Außenminister, verfolge, um einem israelisch-arabischen
„Friedensprozess“ in Gang zu bringen.
Kerry scheint ein ehrenwerter Mann zu sein; ein
ernst zu nehmender Mann; ein geduldiger Mann. Aber glaubt er
wirklich, dass seine Anstrengung ihn irgendwohin führt?
IN DIESER Woche hatte er tatsächlich einen
bemerkenswerten Erfolg.
Eine Delegation arabischer Außenminister,
einschließlich des palästinensischen, traf sich mit ihm in
Washington. Sie wurde vom qatarischen Ministerpräsidenten geleitet –
ein Verwandter des Emirs natürlich – dessen Land eine immer
prominentere Rolle in der arabischen Welt spielt.
Bei der Konferenz betonten die Minister, dass die
Arabische Friedensinitiative noch immer gültig ist.
Diese Initiative, die vor 10 Jahren durch den
saudischen Kronprinz (und gegenwärtigen König) Abdallah auf den Weg
gebracht wurde, wurde von der ganzen Arabischen Liga im März 2002
bei der Gipfelkonferenz in Beirut unterzeichnet. Yassir Arafat
konnte an der Konferenz nicht teilnehmen, weil Ministerpräsident
Ariel Sharon ihm ankündigte, falls er das Land verlasse, würde es
ihm nicht erlaubt werden, zurückzukehren. Aber Arafat akzeptierte
offiziell die Initiative.
Es muss daran erinnert werden, dass bald nach dem
1967er-Krieg, die arabische Gipfelkonferenz in Khartum die drei
Neins verkündete: Nein zum Frieden mit Israel, Nein zur Anerkennung
Israels, Nein zu Verhandlungen mit Israel. Die neue Initiative war
das totale Gegenteil dieser Resolution, geboren aus Demütigung und
Verzweiflung.
Die Saudi-Initiative wurde einstimmig bei der
Gipfelkonferenz in Riad 2007 bestätigt. Alle arabischen Herrscher
waren da, einschließlich Mahmoud Abbas von Palästina, der auch
zustimmte, nur Muammar Gaddafi von Libyen war nicht da.
Die Initiative sagt eindeutig, dass alle
arabischen Länder das Ende des arabisch-israelischen Konfliktes
verkünden, Friedensverträge mit Israel unterzeichnen und normale
Beziehungen mit Israel aufnehmen würden. Dafür müsste sich Israel
bis zu den Grenzen vom 4. Juni 1967 (der sog. Grünen Linie)
zurückziehen. Der Staat Palästina mit seiner Hauptstadt Ostjerusalem
würde dann errichtet. Das Flüchtlingsproblem würde dann durch ein
Abkommen gelöst werden (d.h. ein Abkommen mit Israel.)
Wie ich damals schrieb, wenn irgendwer uns Mitte Mai
67 gesagt hätte, die arabische Welt würde uns solch ein Angebot
machen, dann würde er in eine Psychiatrie eingeliefert worden sein.
Aber jene von uns, die sich für eine Akzeptanz der arabischen
Initiative aussprachen, wurden als Verräter gebrandmarkt.
In seiner Konferenz mit den arabischen Ministern in
dieser Woche hatte John Kelly Erfolg und brachte sie einen
Schritt weiter. Sie stimmten darin überein, dass die Grüne Linie
von 1967 durch Landtausch verändert werden könnte. Dies bedeutet,
dass die großen Siedlungen entlang der Grenze, wo die Mehrheit der
Siedler wohnt, Israel zugesprochen werden – dafür würde Palästina
(minderwertiges) israelisches Land bekommen.
ALS DIE Initiative 2002 das erste Mal über die
Medien ausgestrahlt wurde, suchte die israelische Regierung
verzweifelt nach einem Ausweg.
Die erste Entschuldigung, die ihr einfiel – damals
wie immer – war das Flüchtlingsproblem. Es ist leicht, in Israel
mit dem Alptraum von Millionen Flüchtlingen, die Israel überfluten
würden, Panik zu schaffen. Das würde ein Ende der Jüdischkeit des
jüdischen Staates bedeuten.
Sharon, der damalige Ministerpräsident, ignorierte
bewusst die entscheidende Klausel, die von den Saudis in ihren Plan
eingesetzt wurde: damit es eine „ auf einander abgestimmte“ Lösung
geben könnte. Dies bedeutete klar, dass Israel das Vetorecht für
jede Lösung zugesprochen bekam. Praktisch würde dies einer Rückkehr
einer symbolischen Zahl Flüchtlingen gleichkommen, falls überhaupt.
Warum hat die Initiative überhaupt die Flüchtlinge
erwähnt? Nun weil kein Araber einen Friedensplan veröffentlichen
konnte, der sie nicht erwähnt. Genau so waren die Libanesen gegen
die Klausel, gerade weil dies die Flüchtlinge im Libanon lassen
würde.
Doch die Flüchtlinge sind immer ein nützlicher
Buhmann. Damals und jetzt.
EINEN TAG bevor die anfängliche Saudi-Initiative dem
Beiruter Gipfel am 27 März 2002 vorgelegt wurde, geschah etwas
Schreckliches: Hamas-Terroristen führten in Netanya ein Massaker
aus mit 40 Toten und Hunderte von Verletzten. Es war am Vorabend von
Pessach, dem frohen jüdischen Festtag.
Die israelische Öffentlichkeit war aufgebracht.
Sharon reagierte sofort, dass unter diesen Umständen die arabische
Friedensinitiative nicht einmal angesehen werden würde. Es ist
egal, dass das Verbrechen von Hamas begangen wurde mit dem
ausdrücklichen Zweck der Sabotage der Saudi-Initiative und um Arafat
zu schwächen, der sie unterstützte. Sharon gab verlogener Weise
Arafat die Schuld für die blutige Tat – und das war das Ende.
Seltsamerweise – oder vielleicht auch nicht –
ereignete sich in dieser Woche etwas Ähnliches. Am selben Tag, an
dem die arabische verbesserte Initiative veröffentlicht wurde,
tötete an einem Checkpoint ein junger Palästinenser mit einem Messer
einen Siedler – der erste getötete Jude in der Westbank nach mehr
als anderthalb Jahren.
Das Opfer Evjatar Borowsky war ein 31 jähriger Vater
von fünf Kindern - was für einen orthodoxen Mann üblich ist. Er war
Bewohner der Yitzhar-Siedlung in der Nähe von Nablus, der vielleicht
extremsten anti-arabischen Siedlung in der ganzen Westbank. Er sah
ganz und gar wie ein ideologischer Siedler aus – blond, mit Bart,
von osteuropäischem Aussehen, mit langen Schläfenlocken und einer
großen, farbigen Kippa. Der Täter kam aus der palästinensischen
Stadt Tulkarem. Er wurde angeschossen, ernsthaft verletzt und ist
jetzt in einem israelischen Krankenhaus.
Vor dem Vorfall hatte Netanjahu sehr ernsthaft daran
gearbeitet, eine Erklärung zu formulieren, die die
Friedensinitiative zurückweisen würde, ohne die Amerikaner zu
beleidigen. Nach dem Mord entschied er, dass dies nicht mehr nötig
sei. Der Terrorist hat seine Arbeit getan. (Ein altes jüdisches
Sprichwort drückt es so aus: „Die Arbeit des Gerechten wird von
anderen getan“.)
Die Justizministerin Zipi Livni, die den Auftrag
hat, die (nichtexistierenden) Verhandlungen mit den Palästinensern
zu führen, und Präsident Shimon Peres begrüßten das erneute
arabische Abkommen. Aber Livnis Einfluss auf die Regierung ist
gleich Null, und Peres ist jetzt in Israel eine Witzfigur.
FALLS DER amerikanische Außenminister wirklich
glaubt, er könne unsere Regierung langsam und nach und nach zu
einer „sinnvollen“ Verhandlung mit den Palästinensern anstoßen,
dann hat er sich selbst etwas vorgemacht. Falls er dies nicht
glaubt, versucht er, anderen etwas vorzumachen.
Es hat seit Ehud Barak nie wirkliche Verhandlungen
mit den Palästinensern gegeben. Er kam 2000 von der Camp David
Konferenz mit dem Slogan zurück: „Wir haben keinen Partner für den
Frieden“. Damit zerstörte er die israelische Friedensbewegung und
brachte Sharon an die Macht.
Vor diesem gab es auch keine wirklichen
Verhandlungen. Yitzhak Shamir verkündete, er wäre froh,
Jahrzehntelang zu verhandeln. (Shamir erklärte übrigens, es wäre
eine Tugend „fürs Vaterland zu lügen“.) Dokumente wurden produziert
und verstaubten, Konferenzen wurden fotografiert und vergessen,
Abkommen wurden unterzeichnet und änderten kaum etwas an der
Realität. Nichts – außer der Siedlungsaktivität.
Warum ? Wie käme jemand zu der Überzeugung, ab jetzt
würde alles anders sein?
Kerry will den Arabern einige Worte mehr entlocken.
Von Netanjahu noch ein paar Versprechen. Es könnte sogar eine
festliche Eröffnung einer neuen Verhandlungsrunde geben, ein großer
Sieg für Präsident Obama und Kerry.
Aber nichts wird sich ändern. Verhandlungen werden
sich hinziehen und hinziehen …
Aus demselben Grund, weswegen es in der Vergangenheit
keine Bewegung gab, wird es auch in der Zukunft keine Bewegung in
Richtung Frieden geben - wenn nicht ….
WENN NICHT. Wenn nicht Obama den Stier an den Hörnern
packt, was er anscheinend ausgesprochen ungern tun würde.
Die Hörner des Stiers sind die Hörner der Dilemmata,
auf denen Israel sitzt.
Es ist die historische Wahl, der wir gegenüber
stehen: Großisrael oder Frieden?
Frieden, jeder vorstellbarer Friede, der die absolute
Basis der arabischen Initiative wäre, bedeutet, Israel zieht sich
aus den besetzten palästinensischen Gebieten und dem Gazastreifen
zurück und der Staat Palästina wird in der Westbank und im
Gazastreifen mit seiner Hauptstadt Ostjerusalem errichtet. Kein
Falls, kein Aber, kein Vielleicht,
Das Gegenteil von Frieden ist Israels Herrschaft über
das ganze Land zwischen Meer und dem Jordan – in der einen oder
anderen Form (In letzter Zeit haben einige verzweifelte israelische
Pazifisten dies angenommen – in der absurden Hoffnung, dass in
diesem Großisrael Israel den Arabern Gleichheit gewähren würde.)
Falls Präsident Obama den Willen und die Macht hat,
die Regierung Israels zu zwingen, diese historische Entscheidung zu
treffen und den Frieden zu wählen, egal, wie hoch der politische
Preis für den Präsidenten sein mag, dann sollte er voranschreiten.
Falls dieser Wille und diese Macht nicht bestehen,
ist die ganze große Bemühung ein Täuschungsmanöver, und ehrenhafte
Männer sollten sich solch einer Sache nicht hingeben.
Sie sollten sich beiden Seiten gegenüber ehrlich
verhalten und beiden Seiten und der Welt sagen:
„Nein, wir können nicht.“
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
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