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Das Ei des
Kolumbus
Uri Avnery, 19.
August 2017
ICH WEIß
nicht, wann das Rad erfunden wurde oder wer es erfunden hat.
Doch zweifle ich
nicht daran, dass es immer wieder erfunden wurde von vielen
glücklichen Erfindern, die den Ruhm teilten.
Dasselbe gilt für
die israelisch-palästinensische Konföderation. Von Zeit zu Zeit
erscheint sie in der Öffentlichkeit als brandneue Idee mit einer
anderen Gruppe von Erfindern, die sie stolz der Öffentlichkeit
präsentieren.
Dies zeigt nur,
dass man eine gute Idee nicht unterdrücken kann. Sie erscheint immer
wieder. Während der letzten paar Wochen ist sie von neuen Erfindern
präsentiert in mehreren Artikeln erschienen.
Jedes Mal, wenn
dies geschieht, würde ich meinen Hut abnehmen, wenn ich einen hätte
– wie Europäer es taten, als sie einer Dame oder einem alten
Bekannten begegneten.
TATSÄCHLICH
schlug der UN-Teilungsplan der von der Generalsversammlung am 29.
November 1947 (Resolution 181) adoptiert wurde, eine Art
Konföderation vor, auch wenn er diesen Terminus nicht benützte. Er
besagt, dass die zwei neuen Staaten, die er schuf -ein arabischer
und ein jüdischer mit Jerusalem als einer eigenen Einheit - in
einer „wirtschaftlichen Union“ vereinigt werden würde.
Ein paar Tage
später brach der Krieg von 1948 aus. Es war ein heftiger und
grausamer Krieg, und als er Anfang 1949 endete, blieb nichts von der
UN-Resolution übrig. Da gab es nur einige halbherzige Verhandlungen,
die aber im Sande verliefen.
Der Krieg hatte
„Fakten vor Ort“ geschaffen - Israel kontrollierte erheblich mehr
Land, als ihm zugewiesen war; Jordanien und Ägypten hatten
genommen, was übrig geblieben war. Palästina hat aufgehört, zu
existieren, ja sogar der Name wurde von der Landkarte gelöscht. Die
Hälfte des palästinensischen Volkes wurde aus ihren Häusern
vertrieben.
Unmittelbar nach
dem Krieg versuchte ich, eine Gruppe junger Juden, Muslime und
Drusen zu bilden, um das Errichten eines palästinensischen Staates
neben dem neuen Staat Israel zu propagieren. Die Initiative hatte
keinen Erfolg. Als 1954 einige Palästinenser in der Westbank gegen
ihre jordanischen Herren revoltierten, veröffentlichte ich einen
Aufruf für die israelische Regierung, die Schaffung eines
palästinensischen Staates zu unterstützen. Er wurde ignoriert.
Drei Jahre später
nahm die Idee einer israelisch-palästinensischen Föderation das
erste Mal eine ernst zu nehmende Form an. Der israelische Angriff
1956 auf Ägypten, in geheimer Absprache mit Frankreich und
Großbritannien, hat viele Israelis angeekelt. In der Mitte des
Krieges erhielt ich einen Anruf von Nathan Yellin-Mor. Er schlug
vor, dass wir etwas dagegen tun sollten.
YellinMor war der
ehemalige politische Führer von Lehi (alias Stern-Bande) der
extremsten der drei Untergrund-Organisationen, die gegen die
britische Herrschaft gekämpft hatten. Ich war der Eigentümer und
Chef-Verleger eines populären Nachrichten-Magazins.
Wir stellten eine
Gruppe auf, die sich Semitische Aktion nannte. Als ersten
Schritt entschieden wir, ein Dokument zu erstellen. Nicht eines von
jenen fadenscheinigen politischen Programmen, die heute
veröffentlicht und morgen vergessen sind , sondern einen ernsten
Plan zur totalen Überholung des Staates Israel. Wir saßen ein ganzes
Jahr daran.
Wir waren etwa 20
Leute, die meisten waren Prominente auf ihren Gebieten und wir
trafen uns für unsere Beratungen mindestens einmal in der Woche.
Wir verteilten die Themen unter uns. Das Thema „Frieden mit den
Arabern“ fiel mir zu.
DIE GRUNDLAGE
des neuen Glaubensbekenntnisses war, dass wir Israelis eine neue
Nation sind – nicht außerhalb des jüdischen Volkes, sondern ein
Teil davon, so wie Australien eine neue Nation innerhalb der
angelsächsischen Gemeinschaft war. Eine neue Nation auf Grund
seiner geopolitischen Situation, seines Klimas, seiner Kultur und
Traditionen.
(Diese Idee an sich
war nicht ganz neu. In den frühen 40ern hat eine Handvoll Dichter
und Schriftsteller, mit dem Spitznamen die Kanaaniter etwas
Ähnliches vorgeschlagen, sie verleugneten aber jede Verbindung mit
dem jüdischen Volk in aller Welt, und verleugneten auch die Existenz
der arabischen Nation oder Nationen).
Unserer Ansicht
nach wurde die neue „hebräische“ Nation ein Teil der „semitischen
Region“ und deshalb ein natürlicher Verbündeter der arabischen
Nationen. (Wir weigern uns kategorisch, dies „Nahen Osten“ zu
nennen, ein eurozentrischer, imperialistischer Terminus)
In einem Dutzend
detaillierter Paragraphen skizzierten wir die Struktur einer
Föderation, die aus zwei souveränen Staaten bestehen würde, aus
Israel und Palästina, die verantwortlich für ihre gemeinsamen
wirtschaftlichen und anderen Interessen wären. Die Bürger der beiden
Staaten würden sich frei im andern Staat bewegen können; es wäre
ihnen aber nicht erlaubt, im andern Staat zu siedeln.
Wir sahen voraus,
dass diese Föderation zu gegebener Zeit Teil einer größeren
Konföderation aller Länder der semitischen Region in Asien und
Afrika werden würde .
Andere Kapitel
befassten sich mit der totalen Trennung zwischen Staat und Religion,
freier Einwanderung, Verbindungen mit den jüdischen Gemeinden in
aller Welt und einer sozial-demokratischen Wirtschaft.
Das Dokument, das
„Hebräisches Manifest“ genannt, wurde veröffentlicht, bevor der
Staat Israel zehn Jahre alt war.
CHRISTOPHER
KOLUMBUS,
der Mann, der Amerika „entdeckte“, wurde gefragt, wie man ein Ei zum
Stehen bringen könnte. Er klopfte das eine Ende des Eies auf den
Tisch und - siehe da! – es stand.
Seit damals ist das
„Ei des Kolumbus“ in vielen Sprachen sprichwörtlich geworden, auch
im Hebräischen. Die Idee einer Föderation in Palästina ist solch ein
Ei. Es verbindet zwei Prinzipien: Dass es da ein vereintes Land
zwischen dem Mittelmeer und dem Jordanfluss geben würde und dass
beide , die Israelis und die Palästinenser, in ihren eigenen
unabhängigen Staaten leben würden.
Das „Ganze Land
Israel“ und das „Ganze Palästina“ sind Slogans des rechten Flügels.
Die „Zwei-Staaten-Lösung“ stammt vom linken Flügel.
In dieser Debatte
werden „Föderation“ und „Konföderation“ oft unter einander
austauschbar benützt. Und tatsächlich weiß keiner genau den
Unterschied zwischen beiden.
Man stimmt im
Allgemeinen darin überein, dass in einer Föderation, die zentrale
Autorität mehr Macht hat, während in einer „Konföderation“ mehr
Macht auf die Teil-Einheiten übertragen wird. Aber das ist eine
vage Unterscheidung.
Der amerikanische
Bürgerkrieg wurde zwischen der Südlichen „Konföderation“, die die
Rechte den-Staaten auf vielen Gebieten übertragen wollte und die
Föderation des Nordens geführt, die wollte, dass die
Zentralregierung die bedeutenden Machtbefugnisse erhält.
Die Welt ist voller
Föderationen und Konföderationen. Die Vereinigten Staaten, die
Russische Föderation, die Konföderation Schweiz, das Vereinigte
Königreich, die Bundesrepublik Deutschland (offizielle Übersetzung
Federal Republik Germany) u.s.w.
Unter ihnen gibt es
keine zwei, die sich komplett ähneln. Staaten sind so unter einander
verschieden wie die Menschen. Jeder Staat ist das Produkt seiner
Geographie, des besonderen Charakters seiner Bewohner, seiner
Geschichte, seiner Kriege, seiner Vorlieben und Feindschaften.
Mitglieder einer
Föderation müssen sich nicht lieben. In der letzten Woche wurde auf
seltsame Weise der amerikanische Bürgerkrieg in einer südlichen
Stadt am Fuße einer Statue eines Süd-Generals wieder ausgefochten.
Die Bayern haben keine große Vorliebe für die Preußen in
Norddeutschland. Viele Schotten würden gern die Scheiß-Engländer
los werden, wie auch die Quebecer aus Kanada. Aber die gemeinsamen
Interessen sind stark und sie herrschen oft vor.
Wenn es keine
Liebesheirat ist, so ist es zum Mindesten eine Vernunftehe.
Die technischen
Fortschritte und die Forderungen der modernen Wirtschaft treiben die
Welt in immer größere Einheiten zusammen. Die viel geschmähte
„Globalisierung“ ist eine globale Notwendigkeit. Leute, die heute
die attraktive Fahne der Südstaaten oder die Hakenkreuzfahne hissen
machen sich lächerlich.
Leute werden eines
Tages in der Zukunft diese Leute bemitleiden, wie Leute von heute,
die diese Maschinenstürmer von bemitleiden, die die Maschinen zu
Beginn des industriellen Zeitalters zerstörten.
ZURÜCK ZU
uns.
Die Idee einer
Föderation oder Konföderation von Israel/Palästina mag einfach
klingen, ist es aber nicht. Es gibt viele Hindernisse.
Als erstes gibt es
große Unterschiede im Lebensstandard der beiden Völker. Es würde
eine massive Hilfe der reichen Welt für die Palästinenser nötig
machen.
Die historischen
Hassgefühle zwischen den beiden Völkern gibt es nicht erst seit 1967
und nicht erst seit 1948, sondern seit Anfang an seit 1882. Sie
müssen überwunden werden. Dies ist nicht der Job der Politiker,
sondern der Schriftsteller und Dichter, der Historiker und
Philosophen, der Musiker und Tänzer.
Dies sieht wie eine
hoffnungslose Mission aus, aber ich bin tief davon überzeugt, dass
es leichter ist, als es aussieht. In Israels Krankenhäusern (Ärzte
und Krankenpfleger), in den Universitäten (Professoren und
Studenten) und natürlich bei gemeinsamen Demonstrationen gibt es
Brücken zwischen beiden Völkern.
Allein die
Tatsache, dass die Idee der Föderation immer wieder auftaucht, zeigt
ihre Notwendigkeit auf. Die Gruppe der Aktivisten, die sie jetzt
aufbringt, war noch nicht geboren, als wir die Idee zuerst
vorschlugen – doch ihre Botschaft klingt neu und frisch.
Möge ihre Sache
gedeihen!
(dt. Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert.)
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