Wahnsinn mit
Methode
Uri Avnery, 10.2.07
WENN EIN
Ministerpräsident gerade einen Krieg verloren hat,
von Korruptionsaffären verfolgt wird und seine
Popularitätsquote sich im freien Fall befindet – was
kann er dann noch tun?
Nun, er kann
Provokationen initiieren.
Provokationen
lenken ab, bringen Schlagzeilen, schaffen eine
Illusion der Macht und täuschen ein Gefühl von
Führungsqualitäten vor.
Aber eine
Provokation ist ein gefährliches Werkzeug. Es kann
irreversiblen Schaden anrichten.
PROVOKATION
Nr.1: Die nördliche Grenze
Entlang der
nördlichen Grenze verläuft ein Zaun. Aber nicht
überall stimmt er exakt mit der anerkannten Grenze,
„Blaue Linie“ genannt, überein. Aus topographischen
Gründen verläuft er in einigen Abschnitten ein paar
Dutzend Meter südlich von ihr.
Das ist die
Theorie der Situation. Im Laufe der Jahre haben sich
aber beide Seiten daran gewöhnt, diesen Zaun als
tatsächliche Grenze zu betrachten. Auf der
libanesischen Seite bearbeiten die Bauern ihre
Felder bis zum Grenzzaun, Felder, die sehr wohl ihr
Besitz sind.
Nun hat Olmert
entschieden, diese Situation auszunützen, um sich
selbst als großer unbesiegbarer Krieger zu beweisen.
Ein paar nicht explodierte Sprengladungen, die vor
kurzem ein paar Meter von der „Blauen Linie“
entfernt gefunden wurden, dienten als Vorwand. Die
israelische Armee behauptet, sie seien vor nur
wenigen Tagen von als Ziegenhirten verkleideten
Hisbollahkämpfern dorthin platziert worden. Nach
Auskunft der Hisbollah handle es sich aber um alte
Bomben, die lange vor dem letzten Krieg gelegt
worden waren.
Olmert sandte
Soldaten auf die andere Seite des Zauns, um einen „Hissuf“
(„Freimachung“) auszuführen. (Es ist eines jener
neuen hebräischen Worte, das die Wortwäsche der
Armee zur Beschönigung hässlicher Dinge erfunden
hat). Es bedeutet das massenweise Ausreißen von
Bäumen für ein freies Schussfeld. Die Armee benützt
das Markenzeichen des Staates Israel: den
gepanzerten Bulldozer.
Die
libanesische Armee sandte eine Warnung, sie werde
das Feuer eröffnen. Als dies keine Wirkung hatte,
feuerten sie tatsächlich einige Salven über die
Köpfe der israelischen Soldaten hinweg. Die
israelische Armee antwortete mit dem Abschießen
einiger Panzergranaten auf die libanesische Position
– und so hatten wir unsern „Zwischenfall“.
Die ganze Sache
erinnert an Ariel Sharons Methoden in den 60ern,
als er Operationschef des Kommandos Nord war. Sharon
war ein Experte darin geworden, die syrische Armee
in der demilitarisierten Zone, die es damals an der
Grenze zwischen Israel und Syrien gab, zu
provozieren. Israel beanspruchte die Herrschaft über
diese Gebiete, während die Syrer behaupteten, es
sei eine neutrale Zone, die keinem der beiden
Staaten gehöre, sondern den arabischen Bauern, denen
es dort auch erlaubt war, ihre Felder zu bestellen..
Der Legende
nach hätten die Syrer ihre Kontrolle über die Höhen
ausgenützt, von denen man die israelischen Dörfer
im Tal gut überschauen konnte. Immer wieder
terrorisierten die bösen Syrer (diese waren immer
„böse“) die hilflosen Kibbuzim mit Granaten. Dieser
Mythos, der praktisch von allen Israelis damals
geglaubt wurde, diente als Rechtfertigung für die
Eroberung der Golanhöhen und ihre Annexion durch
Israel. Noch heute werden Besucher zu einem
Beobachtungsposten auf den Golan gebracht und auf
die wehrlosen Kibbuzim dort unten hingewiesen.
Die Wahrheit,
die seitdem entlarvt wurde, sah etwas anders aus.
Sharon gab den Kibbuz-Mitgliedern die Order, ihre
Schutzräume aufzusuchen; dann sandte er gepanzerte
Traktoren in die entmilitarisierte Zone. Wie
vorhersehbar, schossen die Syrer auf sie. Die
israelische Artillerie wartete nur auf ihr Stichwort
und eröffnete ein massives Bombardement auf die
syrischen Positionen. Es gab Dutzende solcher
„Zwischenfälle“.
Nun wurde
dieselbe Methode von Sharons Nachfolger praktiziert.
Soldaten und Bulldozer überqueren die Grenze, die
Libanesen schießen, und die israelischen Panzer
feuern zurück.
Macht diese
Provokation irgend einen Sinn? Die libanesische
Armee untersteht Fuad Siniora, dem Liebling der USA
und dem Opponenten der Hisbollah. Nach dem zweiten
Libanonkrieg wurde die libanesische Armee auf
ausdrücklichen Wunsch der israelischen Regierung an
der Grenze entlang aufgestellt. Dies wurde von
Olmert als große Errungenschaft proklamiert. (Bis
dahin waren die israelischen Armeekommandeure gegen
die Idee, in diesem Gebiet libanesische oder
internationale Truppen zu stationieren, weil diese
ihre Aktionsfreiheit behindern würden.)
Warum also
diese Provokation? Aus demselben Grund wie bei allen
Aktionen Olmerts in der letzten Zeit: Popularität
gewinnen - in diesem Fall durch Schaffung von
Spannungen - um an der Macht bleiben zu können.
PROVOKATION
Nr.2: Der Tempelberg
Der Islam hat
drei heilige Städte: Mekka, Medina und Jerusalem. In
Mekka versammelten sich in dieser Woche die Führer
von Fatah und Hamas, um dem gegenseitigen Töten ein
Ende zu bereiten und eine Einheitsregierung zu
bilden. Während sich die Aufmerksamkeit der
besorgten palästinensischen Öffentlichkeit sich
dorthin richtete, schlug Olmert in Jerusalem zu.
Als Vorwand
diente das „Mugrabi-Tor“, einer der Zugänge zum
Haram-al-Sharif („dem edlen Heiligtum“), dem weiten
Platz, auf dem die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom
stehen. Da dieses Tor höher liegt als die
Klagemauer, kann man sich ihm nur über eine Brücke
oder eine Rampe nähern.
Eine alte
Brücke brach vor einiger Zeit zusammen und wurde
durch eine provisorische Brücke ersetzt. Nun
zerstört die „Israelische Altertumsbehörde“ die
Ersatzbrücke und errichtet – wie sie sagt - an
ihrer Stelle eine permanente. Aber irgendwie sehen
die vorgenommenen Arbeiten nach mehr aus.
Wie erwartet
werden konnte, brachen sofort Unruhen aus. 1967
annektierte Israel offiziell dieses Gebiet und
beanspruchte die Herrschaft über den ganzen
Tempelbezirk. Die Araber (und die ganze Welt) haben
diese Annexion nie anerkannt. In der Praxis wird
der Tempelberg von der islamischen Waqf ( einer
religiösen Stiftung) verwaltet.
Die israelische
Regierung behauptet, die Brücke liege außerhalb des
Tempelbergs. Die Muslime aber bestehen darauf, sie
sei ein Teil davon. Hinter dieser Kontroverse steht
der arabische Verdacht, der Bau der neuen Brücke
könne ein Deckmantel für etwas sein, das sich unter
der Oberfläche des Tempelberges abspielt.
Bei der
Camp-David-Konferenz (2000) machte die israelische
Seite einen verrückt aussehenden Vorschlag: Das
Tempelberg-Areal selbst den Muslimen zu überlassen,
den Israelis aber die Herrschaft über alles das zu
geben, was unterhalb der Oberfläche liegt. Das
bestärkte die muslimische Überzeugung, dass die
Israelis beabsichtigen, unter der Oberfläche zu
graben, um Spuren des jüdischen Tempels zu
entdecken, der von den Römern vor 1936 Jahren
zerstört wurde. Einige sind davon überzeugt, die
wirkliche Absicht sei, die heiligen muslimischen
Stätten zum Einsturz zu bringen, damit stattdessen
ein neuer jüdischer Tempel gebaut werden könne.
Diese
Verdächtigungen werden von der Tatsache genährt,
dass die meisten israelischen Archäologen seit jeher
die treuen Fußsoldaten der offiziellen Propaganda
gewesen sind. Seit dem Auftauchen des modernen
Zionismus sind sie verzweifelt darum bemüht,
archäologische Beweise für die historische Wahrheit
der Geschichten des Alten Testaments zu finden. Bis
heute sind sie leer ausgegangen. Es gibt keinen
archäologischen Beleg für den Exodus aus Ägypten,
die Eroberung Kanaans und der Königreiche von Saul,
David und Salomo. Aber in ihrem Eifer, das
Unbeweisbare zu beweisen, (denn nach der großen
Mehrheit der Archäologen und Historiker außerhalb
Israels – und auch einiger in Israel - sind die
Geschichten des Alten Testamentes nichts als heilige
Mythen), haben Archäologen viele Schichten anderer
Perioden zerstört.
Aber das ist
noch nicht einmal die wichtigste Seite der
augenblicklichen Angelegenheit. Man kann bis ans
Ende der Tage darüber diskutieren, wer die
Verantwortung für den Mugrabi-Übergang hat oder was
es sein kann, wonach die Archäologen eigentlich
suchen. Aber es ist unmöglich, daran zu zweifeln,
dass dies eine Provokation ist: sie wurde wie eine
Überaschungs- Militäroperation ausgeführt – ohne
Rücksprache mit der andern Seite.
Keiner wusste
besser, was zu erwarten ist, als Olmert, der als
Bürgermeister von Jerusalem für den Tod von 85
Menschen (69 Palästinensern und 16 Israelis) bei
einer ähnlichen Provokation verantwortlich war, als
der Tunnel nahe am Tempelberg „eröffnet“ wurde. Und
jeder erinnert sich natürlich, dass die zweite
Intifada mit einem provokativen „Besuch“ Sharons auf
dem Tempelberg begann.
Dies ist eine
Provokation gegenüber 1,3 Milliarden Muslimen und
besonders gegenüber der arabischen Welt. Sie ist wie
ein Messer im Rücken des „moderaten“ Mahmoud Abbas,
mit dem Olmert angeblich bereit ist, einen „Dialog“
zu führen. Und dies genau in dem Augenblick, wo
Abbas mit Hamas ein historisches Abkommen über die
Bildung einer nationalen Regierung erreicht hat.
Dies ist auch ein Messer im Rücken des Königs von
Jordanien, also einem Verbündeten Israels, der sich
selbst als traditioneller Schirmherr des
Tempelberges betrachtet.
Warum also? Um
zu beweisen, dass Olmert ein starker Führer ist, der
Held des Tempelberges, der Verteidiger der
traditionellen nationalen Werte, dem die Meinung der
Weltöffentlichkeit völlig gleichgültig ist.
PROVOKATION
Nr.3: Nachdem Chaim Ramon wegen unzüchtigen
Verhaltens schuldig befunden worden war, war der
Posten des Justizministers unbesetzt. Mit einem
Überraschungscoup ernannte Olmert – nachdem er
vorneweg als Täuschung etliche Namen als
Titelaspiranten genannt hatte – für diesen Posten
einen Professor, der der offenkundige und laut
vernehmbare Gegner des Obersten Gerichtshofes und
des Staatsanwaltes ist.
Der Oberste
Gerichtshof ist fast die einzige
Regierungsinstitution in Israel, die sich noch des
Vertrauens der großen Bevölkerungsmehrheit erfreut.
Der letzte Präsident des Gerichtshofes Aharon Barak
sagte mir einmal: „Wir haben keine Divisionen.
Unsere Macht basiert allein auf dem Vertrauen, das
wir in der Öffentlichkeit genießen.“ Nun hat Olmert
einen Justizminister ernannt, der schon seit langem
und mit viel Lärm damit beschäftigt ist, dieses
Vertrauen zu zerstören. Tatsächlich scheint genau
darin, seine Lebensaufgabe zu bestehen, seitdem es
ihm misslang, eine nahe Freundin und Professorin in
den Obersten Gerichtshof zu befördern.
Man kann darin
den Versuch eines Politikers sehen, der eine lange
Schleppe von Korruptionsaffären hinter sich herzieht
( von denen einige jetzt von der Polizei und dem
staatlichen Rechnungsprüfer untersucht werden), die
Bemühungen der Ermittler, des Staatsanwalts und der
Gerichtshöfe zu untergraben. Gleichzeitig dient
dieser Zug als Racheakt gegenüber dem Gerichtshof,
der es gewagt hat Ramon, Olmerts Freund und
Verbündeten für schuldig zu erklären. Natürlich hat
er sich mit niemandem aus dem juristischen System
beraten, weder mit dem Generalstaatsanwalt (dessen
offizieller Titel „Rechtsberater der Regierung“ ist)
noch mit der Präsidentin des Obersten Gerichtshofes
Dorit Beinish, die er nicht ausstehen kann.
Ich bin kein
uneingeschränkter Bewunderer des Obersten
Gerichtshofes. Dieser ist ein Rad in der Maschinerie
der Besatzung. Man kann von ihm keine Hilfe
erwarten, wenn es um die gezielten Tötungen, die
Zerstörung palästinensischer Häuser, die
Trennungsmauer und die hunderundeins anderen Fälle
geht, über denen das Banner der angeblichen
„Sicherheit“ weht. Aber er ist die letzte Festung,
wenn es sich um Menschenrechte innerhalb des
eigentlichen Israels handelt.
Die Ernennung
des neuen Ministers ist ein Angriff auf die
israelische Demokratie, und darum ist diese
Ernennung nicht weniger gefährlich als die beiden
anderen Provokationen.
WAS VERBINDET
alle drei Provokationen mit einander? Zunächst
einmal tragen sie alle eine unilaterale Handschrift.
Vierzig Jahre Besatzung haben eine
Besatzungsmentalität geschaffen, die jeden Wunsch
und jede Fähigkeit im Keim erstickt, Probleme im
gegenseitigen Einverständnis, im Dialog oder mittels
Kompromissen zu lösen.
Bei außen- wie
innenpolitischen Beziehungen herrschen Mafiamethoden
vor: Gewalt, plötzliche Militärschläge oder gezielte
Eliminierungen.
Wenn diese
Methoden von einem von Korruptionsaffären verfolgten
und hemmungslos kriegstreibenden Politiker angewandt
werden, der mit allen erreichbaren Mitteln für sein
politisches Überleben kämpft – dann ist dies eine
sehr gefährliche Situation.
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser
autorisiert)