Zwei
Treffen
Uri Avnery
11. November 2017
WÄHREND DER letzten paar Tage,
traf ich mich mit zwei alten Freunden: Yasser Arafat and Yitzhak
Rabin.
Nun gut, die Bezeichnung "Freunde" mag
nicht ganz passend sein. Natürlich nannte Arafat mich "mein Freund"
in seiner Video-Botschaft zu meinem 70. Geburtstag, aber Rabin
nannte niemanden “Freund”. Das entsprach nicht seinem Charakter.
Ich bin froh, dass ich beide näher
kannte. Ohne sie, wäre mein Leben ärmer gewesen.
ICH GLAUBE NICHT, dass ich jemals zwei
unterschiedlichere Menschen als diese beiden getroffen habe.
Arafat war ein warmherziger Mensch.
Ein emotionaler Mensch. Seine Umarmungen und Küsse waren
zeremoniell, aber sie drückten auch sein wahres Gefühl aus. Ich
brachte viele Israelis zu Treffen mit ihm, und sie alle berichteten,
dass sie sich nach zehn Minuten in seiner Gesellschaft fühlten, als
hätten sie ihn seit Jahren gekannt.
Rabin war das genaue Gegenteil. Wie
ich, so verabscheute auch er körperlichen Kontakt. Er war unnahbar.
Er zeigte keine Gefühle. Nur bei enger Vertrautheit entpuppte er
sich tatsächlich als Mensch mit ziemlich starken Gefühlen.
Aber diese zwei so verschiedenen
Personen hatten etwas gemeinsam. Beide waren ihr ganzes Leben lang
Kämpfer. Rabin gab akademische Studien auf, um sich der illegalen
Palmach ("Stosstruppen") während der Zeit der britischen Herrschaft
anzuschließen. Arafat gab seine Karriere als Ingenieur in Kuwait
auf, um die PLO zu gründen (Palästinensische
Befreiungsorganisation). Rabin war sechs Jahre älter.
Beide widmeten den größten Teil ihres
Erwachsenenlebens dem Kampf für ihr Volk – und gegeneinander. Beide
waren nicht zimperlich bei ihren Kämpfen. Rabin rief einst dazu auf:
“ihre Arme und Beine zu brechen (den Palästinensern)!" Arafat befahl
viele grausame Aktionen.
Nach einem langen Leben mit dem Krieg
wandten sich beide dem Weg in Richtung Frieden zu. Dieser war bei
weitem gefährlicher. Beide wurden ermordet: Rabin von einem
jüdischen Fanatiker und Arafat (zumindest glaube ich das) auf
raffiniertere Art von den Agenten Ariel Sharons.
ICH WAR previligiert, von beiden zu
hören, wie und weshalb sie ihre schicksalshafte Wende in Richtung
Frieden machten.
Arafats Erklärung war einfacher. Sie
lautete mehr oder weniger, wie folgt (mit meinen Worten):
„Ich glaubte immer, dass die
arabischen Armeen Israel letztendlich auf dem Kampffeld besiegen
würden und dass die Palästinenser nur den Anstoß geben müssten.
Sicher, ich war der Oberbefehlshaber der palästinensischen
Streitkräfte, aber ich wusste, dass die Palästinenser alleine Israel
nicht besiegen konnten.
Dann kam der Oktoberkrieg in 1973 (der
sogenannte "Yom Kippur Krieg" in Hebräisch). Die beiden stärksten
arabischen Armeen starteten einen Überraschungsangriff gegen Israel
und erzielten am ersten Tag imposante Erfolge. Die Ägypter eroberten
Israels Bar-Lew-Linie, und die Syrer näherten sich dem See
Genezareth. Und siehe da, trotz dieser anfänglichen Erfolge wurden
die Araber in dem Krieg besiegt. Als ein Waffenstillstand auferlegt
wurde, stand die israelische Armee kurz vor Damaskus und ihr Weg war
offen in Richtung Kairo.
Daraus zog ich die Schlussfolgerung,
dass Israel auf dem Schlachtfeld nicht besiegt werden konnte.
Deshalb entschied ich mich, die palästinensischen Ziele mit
friedlichen Mitteln zu erreichen.“
(Ende meiner Worte).
So betrat Arafat den Weg (zum
Frieden), der begann, als sein Gesandter, Sa'id Hamami, geheime
Gespräche mit mir in London führte, den Weg, der schließlich nach
Oslo führte.
DER WEG Rabins zum Frieden war mehr
gewunden. Er erklärte ihn mir ausführlich an einem
Schabat-Nachmittag in seinem Haus, nach dem Handschlag in Washington
(zu dem er mich nicht eingeladen hatte, im Gegensatz zu Begin, der
mich zum Essen mit Sadat in Ägypten einlud. Rabin war Rabin).
Hier ist seine Geschichte (mit meinen
Worten):
„Nach dem Sechs-Tage-Krieg glaubte
ich, wie fast jeder, an die sogenannte "Jordanische Option". Niemand
glaubte, dass wir an dem Gebiet, das wir erobert hatten, festhalten
konnten, und wir dachten, dass König Hussein mit uns Frieden
schließen würde, wenn wir alle Gebiete zurückgäben, mit Ausnahme von
Jerusalem. Letztendlich war die Hauptstadt des Königs Amman, also
wofür benötigte er Jerusalem?
Das war ein Fehler. Eines Tages
erklärte der König, dass er keine Verbindung mehr zur Westbank
hätte. Wir blieben ohne Partner. Jemand erfand einen künstlichen
Partner, die "Dorfligen". Innerhalb kurzer Zeit stellt sich heraus,
dass das Nonsens war.
Ich ergriff die Initiative und lud
alle örtlichen Führer aus der Westbank ein, einen nach dem anderen.
Jeder von ihnen drückte seine Bereitschaft zum Frieden mit uns aus,
aber am Ende erklärten sie: unser Gesprächspartner ist Yasser
Arafat.
Dann kam die Konferenz von Madrid. Die
Israelis stimmten einer gemeinsamen jordanisch-palästinensischen
Delegation zu. Faisal Husseini, der ein Bewohner Ostjerusalems war,
gehörte nicht dazu. In dem Augenblick, wo die Beratung das
palästinensische Problem erreichte, erhoben sich die jordanischen
Mitglieder und sagten: “Entschuldigung, aber das betrifft nicht
uns." Die Israelis verblieben nur mit den Palästinensern in dem
Raum.
Husseini saß im Nebenraum und, wenn
immer die Diskussion einen schwierigen Punkt erreichte, sagten die
Palästinenser: “Nun müssen wir uns mit Faisal beraten.” Das war
lächerlich, deshalb wurde Faisal in den Raum gebeten.
Am Ende jedes Tages der Diskussion
sagten die Palästinenser: “ Jetzt müssen wir die oberste Führung in
Tunis anrufen, um Instruktionen von Arafat zu bekommen." Diese
Situation erschien mir lächerlich. Als ich wieder an die Macht kam,
beschloss ich, dass wir, falls sich solch eine Situation ergäbe,
direkt mit Arafat sprechen sollten. Das war der Hintergrund von
Oslo.“ (Soweit Rabins Erklärung).
ICH WÜNSCHTE, ich könnte ehrlich
sagen, dass ich Rabin in den langen Gesprächen, die wir hatten,
beeinflusst hätte. Fast alle handelten von einem Thema: Frieden mit
den Palästinensern. Aber ich bin nicht sicher, dass das zutrifft. Es
war unmöglich, Rabin zu beeinflussen. Er analysierte Fakten und zog
seine Schlüsse daraus. Beide, sowohl Rabin als auch Arafat, der
Soldat und der Ingenieur, waren logische Denker. Sie analysierten
Fakten und zogen ihre Schlüsse daraus.
Meine Gespräche mit Arafat begannen in
Beirut, als ich die belagerte Stadt betrat. Das Treffen erregte
weltweit Aufmerksamkeit. Es fand nach meinen langen geheimen
Diskussionen mit seinen Gesandten, Sa'id Hamami and Issam Sartawi,
statt (beide wurden von Agenten Abu Nidals, Anführer einer extremen
palästinensischen Gruppe, ermordet). Ich berichtete Rabin über diese
Gespräche, nachdem Arafat mich dazu ermutigt hatte.
Nach der Evakuierung der PLO aus
Beirut, besuchte ich Arafat viele Male in Tunis und auch an anderen
Orten. Als Arafat nach Oslo zurück nach Palästina kam, trafen wir
uns zuerst in Gaza, dann in der Mukata'a (ein ehemaliges britisches
Polizeigebäude) in Ramallah. Zweimal, als es mir erschien, als ob
sein Leben in unmittelbarer Gefahr war, gingen meine Freunde und ich
zu ihm als "menschliche Schutzschilder". Sharon gab später zu, dass
unsere Anwesenheit ihn damals abgeschreckt hätte, Arafat dort zu
ermorden.
Meine Gespräche mit Rabin fanden in
seinem Amtssitz in der Balfour Strasse, meist auf meine Initiative
hin, statt. Dazwischen trafen wir uns auf verschiedenen Parties, im
Allgemeinen an der Bar. Seitdem er die Britische Schule für Höhere
Offiziere besucht hatte, war Rabin dem Whisky verfallen (nur dem
Whisky). Mehrmals trafen wir uns bei meiner Freundin, der
Bildhauerin, Ilana Gur, die Parties arrangierte, mit dem geheimen
Ziel, uns beide (und manchmal Ariel Sharon) zusammenzubringen. Nach
Mitternacht, wenn alle anderen Gäste nach Hause gegangen waren,
erteilte Rabin mir – vollkommen nüchtern trotz etlichen Gläsern
Whisky – detaillierten Unterricht.
All diese Gespräche handelten von dem
palästinensischen Problem (außer einem, wenn er mich zurechtwies
aufgrund der Veröffentlichung belastender Enthüllungen über seine
Parteimitglieder in meinem Magazin).
VOR EIN PAAR TAGEN besuchte ich
Arafats Grab in Ramallah. Niemand hielt mich auf meinem Weg dorthin
auf, und zu meiner Überraschung hielt mich auch niemand auf meinem
Rückweg auf. Nicht, weil man mich erkannte und mich durchwinkte –
sondern nur, weil die Straßensperren nicht besetzt waren.
Ich hatte den Ort zum letzten Mal auf
der Beerdigung besucht. Nun ist das Grab ein geschmackvolles kleines
Mausoleum mit zwei zeremoniellen Wachen. Dahinter sind Arafats Büro
und die Räume, die er zum Treffen mit den israelischen Delegationen
benutzte, die ich zu ihm brachte, und auch seine spartanischen
Unterkünfte. Ich habe ihm meinen Respekt erwiesen.
Mein Treffen mit Rabin war ein paar
Tage danach, bei der alljährlichen Massenveranstaltung am Jahrestag
und dem Ort seiner Ermordung, dem Platz, der nun seinen Namen trägt.
Es war die sonderbarste Veranstaltung,
an der ich je teilgenommen habe. In diesem Jahr wurde nicht von der
Labor Partei eingeladen, deren neuer Führer so weit wie möglich vom
Frieden entfernt sein will. Stattdessen übernahmen zwei Gruppen, die
ich zuvor nicht gekannt habe. Eine bestand aus ehemaligen
Armee-Offizieren, die andere war von undurchsichtiger Herkunft.
Ihre Vorkehrungen waren sonderbar. Sie
ordneten an, dass die Slogans nicht das Thema “Frieden” berühren
durften, sondern nur Rabins Militär- und Parteikarriere. In dem
Friedenslager brach eine heftige Diskussion aus, – daran teilnehmen
oder nicht?
Ich riet zur Teilnahme. Meiner Meinung
nach waren die Slogans der Initiatoren unerheblich – wichtig war nur
die Anzahl derer, die kamen, um dem Mann und seinem Vermächtnis
ihren Respekt zu erweisen. Rabin und Frieden mit den Palästinensern
- waren unzertrennlich verbunden.
Am Ende nahmen fast einhunderttausend
Menschen teil, schrien Frieden-Slogans und ignorierten völlig die
Anweisungen der Organisatoren. Als ein Führer der Westbank-Siedler
(der eingeladen war!) eine Rede hielt, war das Pfeifen der Menge
ohrenbetäubend. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mit
dem Rest mit pfiff
Zu meiner eigenen Überraschung stellte
sich heraus, dass ich sehr gut pfeifen kann.
(übersetzt von Inga
Gelsdorf)