Shalom, Shin-Bet
Uri Avnery, 7.4.07
VOR KURZEM erklärte der Chef des Shin-Bet, die
„israelischen Araber“ – ein Fünftel der Bevölkerung
Israels – stellten für den Staat eine Gefahr dar.
Er erbat sich die Genehmigung für den Allgemeinen
Sicherheitsdienst gegen jeden vorgehen zu dürfen, der
die offizielle Bezeichnung Israels als „ jüdischer und
demokratischer Staat“ verändern will – auch dann, wenn
er nur legale Mittel dabei anwendet.
Daraus folgt, dass nach Ansicht des Chefs des
Sicherheitsdienstes, einer zentralen Figur innerhalb der
israelischen Führung, die Aufgabe des Shin Bet (in
Israel jetzt allgemein Shabak genannt ) nicht die ist,
den Staat vor Spionen und Terroristen zu schützen,
sondern auch vor jedweder Veränderung seiner
ideologischen Bestimmung – eben wie der KGB in der
früheren Sowjetunion und die Stasi im kommunistischen
Ostdeutschland . (Der exzellente Film – ein
Oskarpreisträger – „Das Leben der anderen“, der
gerade in Israel läuft, zeigt, wie dies in der Praxis
funktioniert hat).
ALL DIES erinnert mich an frühere Ereignisse. Ziemlich
naiv hatte ich gedacht, dass diese vergangenen Zeiten
angehörten und nie wiederkehren würden.
Vor zwei Wochen veröffentlichte das Massenblatt Yediot
Aharonot ein Interview mit dem Anwalt Arieh Hadar,
bekannt unter dem Spitznamen Pashosh, dem früheren Chef
der Verhörabteilung des Shin-Bet.
Pashosh enthüllte: „In den Fünfzigern war Uri Avnery der
große Feind der Laborpartei – und deshalb auch von Issar
Harel, dem Chef der Sicherheitsdienste, des Shin-Bet und
des Mossad, – und mit Avnery dessen Wochenmagazin
Haolam Hazeh. Avnery hat den Shin-Bet den „Apparat
der Finsternis“ genannt und Issar sei überzeugt gewesen,
Uri Avnery wolle den Staat zerstören. Avnery und sein
Magazin standen unter ständiger Überwachung. Einer
meiner Kollegen verdiente sich eine schnelle
Beförderung, als er einen der Angestellten der Haolam
Hazeh-Druckerei für unseren Dienst gewinnen konnte. Jede
Woche hat ihm dieser Angestellte eine geschmuggelte
Kopie des Magazins vor dem offiziellen
Veröffentlichungstermin übergeben. Mein Kollege gab
diese an Issar weiter, der sie jede Woche persönlich
Ben Gurion brachte.“
Pashosh fügte dem noch hinzu: „Issar ließ durch den Shin
Bet ein konkurrierendes Magazin herausgeben - unter dem
Deckmantel eines privaten Besitzers. Sein Ziel war es,
Avnery zu zerstören“.
Diese Enthüllungen waren für mich nichts Neues. Vor
Jahren verriet Issar Harel selbst, dass er mich als
„Feind Nummer eins des Regimes“ betrachtete. Ich
erinnere daran, dass in jenen Tagen in unser
Redaktionsbüro und in die Druckerei drei Bomben gelegt
worden waren und zwei Angestellte verletzt wurden. Die
Finger meiner beiden Hände wurden bei einem
(missglückten) Versuch, mich zu kidnappen, gebrochen.
Keins dieser Verbrechen wurde jemals aufgeklärt.
Als 1977 Menachim Begin zur Macht kam, enthüllte er in
einem Interview, dass Ende der 50er-Jahre Issar Harel
auf ihn zukam und ihm sagte, er habe dem
Ministerpräsidenten Ben-Gurion vorgeschlagen, mich in
„Administrativhaft“ zu nehmen – eine Haft ohne
Gerichtsverhandlung und für unbegrenzte Zeit. Ben-Gurion
stimmte dem zu, stellte aber eine Bedingung: Begin,
damals Führer der Opposition, müsste dem ebenfalls
zustimmen, damit dies ruhig über die Bühne gehen könne.
Begin verlangte von Issar, dass er ihm beweisen müsse,
dass ich ein Verräter sei, sonst würde er dem nicht nur
nicht zustimmen, sondern einen Mordskrach veranstalten.
Issar kam nie wieder darauf zurück.
Begin ließ es nicht dabei bewenden. Er sandte mir seinen
Stellvertreter, den Leutnant Yaacov Meridor, um mich zu
warnen. Trotz der extremen Meinungsunterschiede zwischen
uns beiden, die ihren Ausdruck bei vielen
Knessetdebatten fanden, akzeptierte Begin mich offenbar
dennoch als israelischen Patriot.
DIE FRAGE IST natürlich, warum Ben-Gurion und der Chef
des Sicherheitsdienstes mich als „Feind Nummer eins des
Regimes“ betrachteten.
Das bringt uns zu dem jetzt wieder durch den
Shin-Bet-Chef aufgebrachten Thema.
Ich griff Ben-Gurion auf vielen Gebieten an: die totale
Herrschaft der Labor-Partei (damals Mapai) im Staat,
die damals beginnende Korruption in der herrschenden
Schicht, die Diskriminierung, unter der jüdische
Immigranten aus den orientalischen Ländern litten, der
Religionszwang, etc. waren einige meiniger Kritikpunkte.
Der zentrale Punkt dieses Kampfes aber war die
Definition Israel als „jüdischer Staat“.
Was ist ein „jüdischer Staat“? Das wurde nie klar
definiert. Ein Staat, dessen sämtliche Bürger jüdisch
sind? Ein Staat, der nur den Juden gehört? Der „Staat
des jüdischen Volkes“, der auch Millionen Juden
gehört, die nicht hier leben und Bürger der USA,
Argentiniens und Frankreichs sind? Ein Staat, der von
der jüdischen Religion beherrscht wird? Ein Staat, der
die jüdischen Werte zum Ausdruck bringt ? ( und wenn ja,
welche dann?)
Außerdem: wer ist - in diesem Kontext – Jude? Nach
langer Unschlüssigkeit entschied sich die Knesset zur
religiösen Definition: ein Jude ist eine Person, die
eine jüdische Mutter hat oder zum jüdischen Glauben
konvertiert ist und keine andere Religion angenommen
hat. Der Widerspruch zwischen der Definition von
Judentum als einer Religion und der Behauptung, dass
die Juden eine Nation seien, wurde dadurch gelöst, dass
man eine Fiktion akzeptierte, dass bei uns im Gegensatz
zu andern Völkern Religion und Nation identisch sei.
Der Terminus „jüdischer Staat“ ist nebulös. Er kann auf
verschiedene Weise interpretiert werden. Wenn man ihm
noch das Wort „demokratisch“ hinzufügt, wird es zu
einem Oxymoron – ein Staat, der nur einem Teil seiner
Bevölkerung gehört, ist nicht demokratisch, und ein
demokratischer Staat kann nicht nur einem Teil seiner
Bevölkerung gehören, auch wenn sie die Mehrheit
darstellt.
Falls der Sicherheitsdienst – wie wir die Geheimpolizei
nennen - dahingehend instruiert wird, gegen jene
vorzugehen, die mit legalen Mitteln gegen die Definition
„jüdischer Staat“ kämpfen, würde das schlicht bedeuten,
die israelische Demokratie zu verkrüppeln. Es ist eines
der Grundprinzipien der Demokratie, dass jeder das Recht
hat, seine Ansichten zu verbreiten und Leute zu
überzeugen, die Gesetze und die Verfassung zu verändern
– solange legale Mittel angewendet werden . Wenn es ihm
oder ihr gelingt, die Mehrheit der Bürger zu überzeugen,
wird die gewünschte Veränderung eintreten.
Die Geheimpolizei dahingehend zu aktivieren, diesen
Prozess zu torpedieren, würde bedeuten, Israel in einen
Polizeistaat zu verwandeln. Das wäre dann nicht eine
„Demokratie, die sich selbst schützt“, sondern eher ein
sich vor der Demokratie schützender Staat.
ICH HOFFE, der Staat Israel bleibt ein Staat mit
hebräischer Mehrheit und die hebräische Sprache seine
Hauptsprache. Ich hoffe, dass er die moderne hebräische
Gesellschaft und Kultur zum Ausdruck bringt und auch die
jüdische Tradition vergangener Generationen lebendig
erhält. ( Über die arabische Seite des Problems weiter
unten)
Aber das sollte nicht mit Gewalt, nicht durch
Unterdrückung oder mit Hilfe der Geheimpolizei und
anderer Zwangsmittel geschehen. Natürlichen Prozessen
sollte es erlaubt sein, sich frei zu entfalten – ganz
gleich mit welchen Folgen. Wir sind nicht die einzige
Nation in der Welt, die dieses Problem hat.
Wenn Israel ein attraktives Land wird, wird sich die
Geburtsrate erhöhen und viele werden an seine Tür
klopfen, Menschen, die wünschen, sich uns anzuschließen.
Die israelische Nation - anders als die jüdische
Religion – kann im Prinzip jeden aufnehmen, der wünscht,
dazu zu gehören.
Die Beziehung zwischen einem modernen Staat und seinen
Bürgern kann nur auf einer Basis beruhen: auf
Staatsangehörigkeit. Der Staat gehört all seinen
Bürgern, und alle müssen vor dem Gesetz gleich sein. Das
ist es, was die Unabhängigkeitserklärung 1948 allen
versprochen hat: „Der Staat Israel …wird volle soziale
und politische Gleichberechtigung allen Bürgern ohne
Unterschied der Religion, der Rasse und des
Geschlechtes gewähren.“
Einige Israelis verwendeten den Terminus „Nationalstaat“
als einen Vorwand, die arabische Minderheit zu
unterdrücken. Sie denken an einen Nationalstaat im
Geiste des Ende des 19. und zu Beginn des 20.
Jahrhunderts. In Polen z.B., wo viele von Israels
Gründerväter geboren wurden, kämpfte der Staat gegen
seine eigenen Bürger, wie zum Beispiel Ukrainer,
Litauer, Juden u.a.
Das extremste Beispiel war der Nazistaat, der sich auf
der Idee gründete, dass der einzelne nur als Teil
seines Volkes existiert, als Glied im nationalen
Organismus (Es hieß: „Du bist nichts – dein Volk ist
alles“). Dieses Modell ertrank in seinem eigenen Blut
und ist für alle Ewigkeit mit den Schrecken des
Holocaust besudelt worden.
Das Modell, das heute vielen zusagt, ist das
amerikanische Modell. Die amerikanische Nation schließt
jeden ein, der einen US-Pass hat. Eine Person, die die
amerikanische Staatsbürgerschaft erhält – sei er
Mexikaner, Koreaner, Inder oder Nigerianer – schließt
sich in diesem Augenblick der amerikanischen Nation an
und wird ein Erbe von George Washington, Abraham Lincoln
und Franklin D. Roosevelt.
Alle modernen Nationen bewegen sich auf dieses Modell
zu, jede nach ihrem eigenen Rhythmus. Auch Polen gehört
nun zur EU, wo Millionen von Menschen sich von Land zu
Land bewegen – ohne Einschränkungen. In den meisten
Ländern leben nun Millionen von Ausländern, die nach und
nach von der nationalen Bevölkerung absorbiert werden.
Ihre Kinder wachsen in die lokale Kultur und die lokale
Sprache hinein und lernen in lokalen Schulen. Ohne diese
massive Verstärkung könnten viele der westlichen
Gesellschaften nicht mehr bestehen – weder
wirtschaftlich noch demographisch.
Wird Israel, das keine Gelegenheit verpasst, sich als
westliches Land zu beschreiben, sich dieser Realität
verschließen und das pakistanische Modell adoptieren,
einem Staat der - zur selben Zeit wie Israel - auf
ethnisch-religiöser Basis gegründet wurde?
MEINE IDENTITÄT besteht aus vielen verschiedenen
Schichten.
Ich bin ein Mensch und als Mensch Bürger dieser Welt,
verantwortlich für unsern Planeten. Ich bin den
humanistischen Werten verpflichtet, der Ökologie des
Globus, der Freiheit, dem Frieden und der Gerechtigkeit
für alle. Ich hoffe, dass in nicht zu weiter Ferne diese
Werte durch eine Weltordnung garantiert werden.
Ich bin ein Mitglied der israelischen Nation, zusammen
mit allen, die einen israelischen Pass haben. Israel ist
mein Staat. Ich möchte, dass er in Frieden und
Sicherheit lebt, gedeiht und in aller Welt geachtet
wird. Ich wünsche mir einen Staat, in dem es sich gut
leben lässt und auf den ich stolz sein kann.
Ich gehöre zum jüdischen Volk; ich bin Erbe der
jüdischen Tradition – genau wie Australier und
Kanadier Erben der angelsächsischen Tradition sind. Da
gibt es jüdische Werte, an die ich glaube, Werte der
Gerechtigkeit, des Friedens und der Gewaltlosigkeit, die
sehr anders sind als die Werte der jüdischen Siedler in
Yitzhar und Tapuah. Ich fühle mich den Juden in aller
Welt sehr nahe und ich bin froh, dass Juden rund um die
Welt sich Israel nahe fühlen. Das ist eine emotionale
Sache, die den Staat als solchen nicht betrifft.
Wenn der Staat Israel praktisch und offiziell all seinen
Bürgern gehören wird, wird es für seine arabischen
Bürger einfacher sein, sich für einen Status zu
entscheiden. Wenn sie sich dafür entscheiden, zur
israelischen Nation zu gehören, so wie Hispanics
in den USA zur amerikanischen Nation gehören, dann wäre
das fein. Wenn sie aber lieber den Status einer
nationalen Minderheit bevorzugen, dann sollten sie sich
der Rechte einer Minderheit in einem modernen Staat
erfreuen können. Auf die eine oder andere Weise muss die
arabische Sprache und arabische Kultur voll vom Staat
anerkannt werden. Die Verbindung der arabischen Bürger
mit dem palästinensischen Volk und der arabischen Welt
müsste als legitim betrachtet werden, genau wie die
Verbindung der hebräischen Bürger mit dem jüdischen Volk
in aller Welt.
DAS IST meine Weltanschauung. Ich vertrete sie mit allen
legalen Mitteln, die mir in einem demokratischen Staat
zur Verfügung stehen , einem Staat, den ich mit
gegründet habe.
Und wenn der Shin-Bet dies nicht gerne sieht, nun –
schade. Ich hoffe nur, dass er mich deshalb nicht in
Administrativhaft nimmt.
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs und Christoph Glanz vom Verfasser
autorisiert)
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