Die
Botschaft von Romneyahu
Uri Avnery, 22. September 2012
ES WAR einmal, dass Präsident Richard Nixon einen
gewissen Juristen für das Oberste US-Gericht ernennen wollte.
„Aber dieser Mann ist ein kompletter Troddel!“ rief
ein Senator aus.
„Ja und?“ antwortete ein anderer, „Es gibt eine Menge
Troddel in den USA, und sie haben ein Recht, im Gericht vertreten zu
sein, genau wie jeder andere Sektor der Gesellschaft.“
Vielleicht haben die vereinten Troddel von Amerika
ein Recht, Mitt Romney als Präsidenten
zu wählen . Aber um der USA und um Israels willen
hoffe ich, dass dies nicht geschieht.
Einige Leute sagen, Israel sei der 51. Staat der
Union. Einige sagen, es sei der 1. unter den 51. Was auch immer,
unser Leben – vielleicht auch unser Tod – hängt zum großen Teil vom
Mann im Weißen Haus ab.
Mit all meinen Bedenken ( und ich hab eine Menge)
betreffs Barack Obama, so hoffe ich doch sehr, dass er wieder
gewählt wird.
BEI SEINEM letzten Anfall von Weisheit hat Romney
nicht nur bekannt gegeben, dass 47% der Amerikaner Parasiten seien,
sondern auch, dass „die Palästinenser“ Israel zerstören wollen. Nach
ihm gebe es in dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern
keine Lösung, er werde auf ewig so weitergehen.
Ich frage mich, woher er diese letzte Weisheit hat.
In Nazi-Deutschland gab es einen gewissen Herrn Dr.
Otto Dietrich, einen Funktionär des Propagandaministeriums. Jeden
Tag versammelte er die Herausgeber der wichtigsten Tageszeitungen in
Berlin und sagte ihnen, was ihre Schlagzeile und Kommentarseite am
nächsten Tag beinhalten sollte.
Das war, bevor es Fax und Internet gab. Heutzutage
faxt das Büro des Ministerpräsidenten eine tägliche „Seite der
Botschaften“ an Netanyahus Minister und andere Handlanger, die ihnen
sagen, welche Botschaften verbreitet werden sollen.
Ich habe stark den Verdacht, dass Romney diese Seite
der Botschaften direkt vor dem Treffen mit seinem Auditorium, das
aus Milliardären ( oder nur Millionären) zusammengesetzt war,
gelesen hat. Schließlich konnte er diese erstaunlichen Einsichten
nicht von sich selbst haben, oder ?
„DIE PALÄSTINENSER“ bedeutet „alle Palästinenser“.
Alle neun Millionen von ihnen in der Westbank, Ost-Jerusalem, im
Gazastreifen, in Israel und – nicht zu vergessen - die Flüchtlinge
in aller Welt.
Ich vermute, dass, wenn durch göttliche Intervention
Israel von der Weltkarte verschwinden sollte, nur sehr wenige
Palästinenser eine Träne vergießen würden. Und nicht viele Israelis
würden eine Träne vergießen, wenn wieder durch göttliche
Intervention alle Palästinenser aus dem Lande verschwinden würden.
Wer weiß, wenn Romneys evangelikale Freunde genug beten, lässt Gott
alle Russen, Chinesen, Nordkoreaner, Iraner und andere sortierte
Bösewichte entmaterialisieren.
Leider gehören solche Fantasien ins Reich der Träume
und Alpträume. In der wirklichen Welt verschwinden keine Völker,
nicht einmal nach grausigen Völkermorden, noch können Staaten, die
Atombomben besitzen, von ausländischen Feinden ausradiert werden .
Ich kenne eine ganze Anzahl von Palästinensern, und
keiner von ihnen glaubt, dass Israel vernichtet werden kann. Seitdem
Yasser Arafat Ende 1973 sich entschlossen hat, er müsse sich mit
Israel einigen, wünscht die große Mehrheit der Palästinenser ein
Abkommen, das ihnen ermöglicht, ihren eigenen Staat in einem Teil
des historischen Palästinas aufzubauen. Dies wird die
„Zwei-Staaten-Lösung“ genannt.
Die gegenwärtige Regierung Israels wünscht dies
nicht, weil sie nicht bereit ist, 22% des historischen Palästinas,
das der Staat Palästina werden würde, aufzugeben. Da sie keine
lebensfähige Alternative haben, behaupten Regierungssprecher, dass
„dieser Konflikt keine Lösung hat.“
Einer der Väter dieses Schlagwortes ist Ehud Barak.
Nach dem gescheiterten Camp-David-Treffen erklärte Barak, damaliger
Ministerpräsident, „wir haben keinen Partner für den Frieden.“ Da
Barak die Hauptursache für das Scheitern des Treffens war, nannte
ich ihn einen „ Friedenskriminellen“.
Netanyahu nahm dankbar Baraks Slogan auf, und jetzt
glaubt die Mehrheit in Israel diese Botschaft. (Vor kurzem wurde ich
hier von einer dänischen Journalistin interviewt. Ich sagte zu ihr:
Wenn wir hier fertig sind, halten sie das nächstbeste Taxi an und
fragen Sie den Fahrer nach dem Frieden. Er wird Ihnen sagen:
“Frieden wäre wunderbar. Ich bin bereit, alle (besetzten) Gebiete
zurückzugeben. Aber leider wollen die Araber keinen Frieden mit uns
machen.“ Eine Stunde später rief mich die Journalistin aufgeregt an:
„Ich machte genau das, was Sie sagten, und der Fahrer wiederholte
Ihre Worte Wort für Wort.“)
„Keine Lösung“ gibt den Eindruck von „es wird alles
so bleiben, wie es ist.“ Das ist ein Irrtum. Nichts bleibt, wie es
ist. Die Dinge bewegen sich ständig, die Siedlungen wachsen, die
Palästinenser werden sich erheben, die Welt ist im Fluss, die
arabische Welt verändert sich, China wird eine Weltmacht, eines
Tages wird ein amerikanischer Präsident die Interessen der US denen
Israels voranstellen. Wo werden wir dann sein?
DAS WESENTLICHE von Romneys Aussage ist, dass die
Zwei-Staaten-Lösung tot ist. Dies erinnert mich an Marc Twains
berühmtes Wort: „Der Bericht von meinem Tod war eine Übertreibung.“
Es ist jetzt Mode, so zu reden. Ein Trend. Doch,
verschiedene Leute haben verschiedene Gründe, dies zu glauben, dass
die Zwei-Staaten-Lösung tot ist.
Eltern, Lehrer, Pädophile und Kannibalen sagen alle,
sie liebten die Kinder – aber ihre Motive sind nicht dieselben. Das
gilt auch hier für die Möchtegern-Bestatter der Zwei-Staaten-Lösung.
Sie beschließen:
Erstens: Idealisten, die wünschen, dass Menschen
verschiedener Nationen in Harmonie und Gleichheit in einem Staat
zusammenleben. (Ich würde ihnen raten, die Geschichte der
Sowjetunion, Jugoslawiens, Zyperns, der Tschechoslowakei, des Sudan
und die augenblicklichen Situation der Franzosen in Kanada, der
Schotten in Großbritannien, der Flamen in Belgien und der Basken und
Katalanen in Spanien zu studieren.)
Zweitens : Araber, die glauben, dass dies ein
friedlicher Weg wäre, Israel loszuwerden.
Drittens: Die Siedler, die das ganze historische
Palästina unter ihre Herrschaft bringen und, wenn möglich, das Land
von Nicht-Juden „säubern“ wollen.
Viertens: Israelis, die glauben, dass die Siedlungen
eine Situation geschaffen haben, die „irreversibel“ ist (Meron
Benvenisti, ein früherer stellvertretender Bürgermeister von
Jerusalem, prägte diesen Satz schon in den 80ern, als es dort
weniger als 100 000 Siedler gab. Ich sagte damals zu ihm, dass
nichts außer dem Tod irreversibel sei. Die von Menschen geschaffenen
Situationen können durch Menschen wieder verändert werden.)
Fünftens: Antizionisten, einschließlich jüdischer
Antizionisten, die den Zionismus willkürlich mit allen seinen guten
und schlechten Seiten hassen und für die allein die Existenz eines
„jüdischen Staates“ schon grässlich ist.
Sechstens: die muslimischen Fanatiker, die glauben,
dass Palästina ein muslimischer WAQF (Religiöse Stiftung) sei, so
dass es eine Todsünde sei, einen Teil nicht-muslimischen
Ungläubigen zu überlassen.
Siebtens: Jüdische Fanatiker, die glauben, dass ganz
Erez Israel vom Nil bis zum Euphrat den Juden von Gott versprochen
worden sei, sodass es eine tödliche Sünde sei, einen Teil
Nicht-Juden abzutreten.
Achtens: Christliche Fanatiker, die glauben, dass die
Wiederkunft Jesu Christi nur möglich sein wird, nachdem alle Juden
der Welt sich in diesem Land versammelt hätten (ohne Platz für
irgend jemand anderen).
Entschuldigt, wenn ich jemanden vergessen haben
sollte.
EINIGE DIESER Leute haben etwas erfunden, das sich
„Ein-Staat-Lösung“ nennt. Das ist ein Oxymoron. Es gibt ein
Ein-Staat-Problem, doch es gibt keine „Ein-Staat-Lösung“
Von Zeit zu Zeit lohnt es sich, auf die grundlegenden
Faktoren unseres Lebens zurück zu kommen.
In diesem Lande hier leben zwei Völker.
Keines der beiden will weggehen. Sie werden bleiben.
Während die arabischen Palästinenser, die im Lande
leben , nur eine Minderheit sind, werden sie ziemlich bald die
Mehrheit sein.
Beide Völker sind sehr nationalistisch.
Die beiden Völker haben verschiedene Kulturen,
Sprachen, Religionen, historische Narrative, soziale Strukturen und
verschiedenen Lebensstandard. Gegenwärtig - nach etwa 130 Jahren
eines anhaltenden Konflikts - hat sich zwischen ihnen ein
intensiver Hass aufgebaut.
Die Aussicht, dass diese beiden Völker friedlich in
einem Staat zusammenleben, in derselben Armee und Polizei dienen,
dieselben Steuern zahlen und dieselben Gesetze einhalten könnten,
die vom gemeinsamen Parlament erlassen werden, ist gleich null.
Die Möglichkeit, dass diese beiden Völker friedlich
Seite an Seite leben können, jedes mit seiner eigenen Flagge und
seiner eigenen gewählten Regierung (und seinem eigenen Fußballteam)
existiert bereits.
Solche Koexistenz kann verschiedene Formen annehmen:
von einer losen Konföderation mit offenen Grenzen und freier
Bewegung zu engeren Formen von sich entwickelnden Strukturen, wie
die Europäische Union.
Ich hoffe, dass dies nicht zu kompliziert für Mitt
Romney ist, um es zu verstehen. Aber dies mag irrelevant werden,
wenn er – wie ich inbrünstig hoffe – nicht gewählt wird.
Ich würde es sehr ungern sehen, wenn einem Ignoranten
die Gelegenheit gegeben würde, die Angelegenheiten der Welt auf
unserm Rücken zu lernen .
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert)