Im Namen des Zionismus
Uri Avnery, 24.4.10.
ISRAEL IST eine
zionistischer Staat. Jeder weiß das.
Es
gibt keinen (jüdischen) Politiker in Israel, der eine Gelegenheit
versäumt, dies zu wiederholen.
Als wir in der letzten Woche den 62. Unabhängigkeitstag feierten,
wurden wir mit patriotischen Reden überschwemmt. Jeder der Ciceros
erklärte – ausnahmslos – sein totales Engagement gegenüber dem
Zionismus.
Übrigens, wenn man auf den zionistischen Charakter Israels zu
sprechen kommt, besteht darüber vollkommene Übereinstimmung
zwischen den Führern Israels und seinen Feinden. Das iranische
Großmaul erklärt bei jeder Gelegenheit seine Überzeugung, dass das
„zionistische Regime“ verschwinden wird. Araber, die sich weigern,
den Namen Israel auszusprechen, sprechen von der „zionistischen
Entität“. Hamas und Hisbollah verurteilen den „zionistischen
Feind“.
Aber keiner von ihnen – Freunde wie Feinde gleichermaßen – sprechen
aus, was es bedeutet. Was macht den Staat zu einem „zionistischen“ ?
FÜR MICH ist das chinesisch. Ich meine damit, jeder weiß, dass
China ein „kommunistisches Land“ ist. Freunde und Feinde sprechen
über das „kommunistische China“ als etwas, das selbstverständlich
ist.
Aber was bedeutet das? Was macht es kommunistisch?
Als ich jung war, lernte ich, dass Kommunismus die Nationalisierung
(oder Sozialisierung) der Produktionsmittel bedeutet. Beschreibt
dies denn die Realität in China? Oder geschieht nicht das genaue
Gegenteil?
Der Kommunismus wollte eine klassenlose Gesellschaft aufbauen, die
am Ende in die Verkümmerung des Staates mündete. Geschieht das in
China? Oder ist eine neue kapitalistische Klasse im Werden, während
hundert Millionen in äußerster Armut dahinvegetieren?
Das Kommunistische Manifest erklärte, das Proletariat habe kein
Vaterland. Aber China ist so nationalistisch wie jedes andere Land
auf der Erde.
Was ist also vom Kommunismus in China übrig geblieben? Nur der Name,
der als Deckname für eine Gruppe mächtiger Herren dient, die die
kommunistische Partei als Mittel benützen, ein despotisches Regime
aufrecht zu erhalten.
Und natürlich - die Zeremonien, die Symbole und die Banner. Karl
Marx würde dies als „Opium für das Volk“ bezeichnen.
UND ZURÜCK vom Manifest von Marx und Engels zum „Jüdischen Staat“
von Theodor Herzl, dem offiziellen „Visionär des Staates“.
Herzls zionistische Vision war ganz einfach: die Juden, alle Juden
müssen in den Judenstaat kommen. Diejenigen, die das nicht tun,
werden Deutsche, Engländer, Amerikaner oder Mitglieder einer
anderen Nation sein, aber bestimmt keine Juden.
In
der zionistischen Schule in Palästina lehrte man uns, dass das Wesen
des Zionismus die Negation der Diaspora sei ( im Hebräischen „Exil“
genannt); nicht nur die physische Negation, sondern auch die
geistige. Es gab nicht nur die Forderung, dass jeder einzelne Jude
ins Land Israel kommen solle, sondern auch eine völlige Ablehnung
aller Formen jüdischen Lebens im Exil, ihrer Kultur und ihrer
Sprache (Jiddish/jüdisch). Das Schlimmste, was wir über jemanden
sagen konnten, war, er ist ein Exiljude. Mehrere von Herzls eigenen
Schriften haben einen scharfen antisemitischen Geruch.
Und siehe da, das zionistische Israel umarmt jetzt die Diaspora,
liebt die Diaspora, küsst die Diaspora. Die zionistische Exekutive
sendet Botschafter zu den jüdischen Gemeinschaften in aller Welt, um
ihre „jüdische Kultur“ zu stärken.
Die Führer des „zionistischen Staates“ hängen zum großen Teil von
der Diaspora ab und benützen sie für ihre eigenen Zwecke. Die
exil-jüdische AIPAC unterwirft den US-Kongress dem Willen der
israelischen Regierung. Die „Anti-Defamation-Liga“ ( die besser
„Diffamierungsliga“ genannt werden sollte) terrorisiert die
amerikanischen Medien, um jede Kritik an Israels Politik zu
verhindern. In der Vergangenheit war der „Vereinte Jüdische Appell“
für das wirtschaftliche Wohlergehen Israels wesentlich.
Jahrelang hat sich die Außenpolitik Israels auf die Macht der
jüdischen „Exil“-Gemeinde in den USA gegründet. Jedes Land von
Ägypten bis Usbekistan wusste, wenn es Hilfe vom amerikanischen
Kongress wünschte, hatte es zunächst die Unterstützung Israels zu
erwerben. Um zum amerikanischen Sultan zu gelangen, mussten sie
zuerst am israelischen Torhüter vorbeigehen.
WAS HAT das alles mit Zionismus zu tun? Was ist von Zionismus außer
der historischen Tatsache, dass die zionistische Bewegung den Staat
Israel gründete, übrig geblieben? Platituden und ein Instrument, um
ganz verschiedene Dinge zu erreichen.
Innerhalb unseres politischen Systems dient der Zionismus
verschiedenen und sich widersprechenden Zielen.
Wenn man in Israel von Zionismus spricht, meint man
„nicht-arabisch“. Ein zionistischer Staat bedeutet ein Staat, in dem
nicht-jüdische Bürger keine vollen Partner sein können. Achtzig
Prozent von Israels Bürgern (den Juden) sagen den übrigen zwanzig
Prozent (den Arabern): der Staat gehört uns und nicht euch.
Der Staat errichtet in den besetzten Gebieten Siedlungen, weil er
zionistisch ist. Er baut in Ost-Jerusalem, weil er zionistisch ist.
Er diskriminiert arabische Bürger auf fast allen Gebieten, weil er
zionistisch ist. Er misshandelt afrikanische Flüchtlinge, (denen es
irgendwie gelungen ist, seine Grenzen zu erreichen), weil er
zionistisch ist. Es gibt keinen gemeinen Akt, der nicht in die
zionistische Flagge gewickelt werden könnte.
DIE „ZIONISTISCHE Linke“ schwenkt diese Fahne, um zu zeigen, wie
patriotisch sie ist. In der Vergangenheit benützte sie diese
hauptsächlich, um sich von den radikalen Friedensaktivisten zu
distanzieren, die gegen die Besatzung und für die
Zwei-Staaten-Lösung kämpften. Nachdem die „zionistische Linke“
selbst dieses Programm angenommen hat, schwenkt sie weiter die
zionistische Flagge, um sich von den „arabischen“ Parteien
(einschließlich der kommunistischen Partei, 90% ihrer Wähler sind
Araber) zu unterscheiden.
Im
Namen des Zionismus weist die „zionistische Linke“ weiter jede
Möglichkeit zurück, die arabischen Parteien in eine zukünftige
Koalition einzuschließen. Dies ist ein Akt der Selbstverstümmelung,
da es im voraus jede Möglichkeit verhindert, dass die Linke zurück
zur Macht kommt. Das ist eine einfache Rechnung. Als Folge davon,
ist die „zionistische Linke“ praktisch verschwunden.
DIE ART UND Weise, wie die israelische Rechte die zionistische
Flagge benützt, ist weit gefährlicher. In ihren Händen wurde sie ein
Banner puren Hasses.
Seit Jahren hat sich die Plage der „Talkbackists“
verbreitet. Unbekannte Personen füllen das Internet mit ihren
Ergüssen. Hier und da schreibt ein liberaler Bürger Interessantes.
Aber die große Mehrheit der „Talkbacksists“ gehört zur
extremen Rechten und diese drückt sich in einem Stil aus, der an
die dunkelste Periode des letzten Jahrhunderts erinnert. Die
Bezeichnung „Verräter“ für Linke ist die moderateste in ihrem
Lexikon, und die Forderung, sie zu exekutieren, ist schon allgemein
geworden.
(Wenn mein Name zufällig auf einer der Websites erwähnt wird, zieht
sie routineartig Dutzende und zuweilen mehr als hundert
hasserfüllte Schimpfwörter von „ Talkbackists“ hinter sich.
All dies im Namen des Zionismus’.)
Die Öffentlichkeit hat sich an dieses Phänomen gewöhnt und ignoriert
es oder zuckt mit den Achseln. Sie denken, dass diese „Talkbacksists“
zur politischen Unterwelt gehören – zusammen mit den fanatischen
Siedlern und gemischten rechten Randgruppen.
Aber sind sie wirklich noch „Randerscheinungen“? Oder kommen sie
nicht bedrohlich nahe zum Zentrum der politischen Bühne?
VOR KURZEM war die Öffentlichkeit einem Lied ausgesetzt, das
überall die roten Lichter angehen ließ.
Ein populärer Sänger mit Namen Amir Banyon entschloss sich, jenen
Linken genau zu sagen, was er von ihnen denkt. Hier ein paar
Beispiele:
„Ich verteidige die Kinder/ ich riskiere mein Leben für deine
Familie/ und du spuckst mir ins Gesicht./ Nachdem es dem Feind
draußen nicht gelungen ist, mich zu töten/ tötest du mich von
innen.“
„Ich stürme die feindlichen Linien/ mit meinem Rücken zu dir/ und du
schärfst das Messer.“
„Ich bin dein Bruder, du bist der Feind …Wenn ich weine, lachst du
hinter meinem Rücken …du übergibst mich dem Feind … du tötest mich!“
Übrigens diejenigen, die dieses Meisterstück verteilten, vergaßen zu
erwähnen, dass der Autor, der „sein Leben riskiert“ und „immer
vorwärts stürmt“ nie in einer Kampfeinheit gedient hat. Tatsächlich
wurde er von der Armee nach drei (!) Tagen wegen Drogenproblemen
entlassen. Später wurde er ein frommer Jude und schloss sich Chabad
an, einer Sekte des ultra-nationalen Lubawitscher Rabbiners, der
Israel nie besucht hat.
DAS WORT „ mich dem Fremden zu übergeben“ ist die schlimmste Anklage
in der jüdischen Tradition. „Der Moser“ ( = der übergibt) war ein
Jude, der einen anderen Juden nichtjüdischen Behörden verriet und
der den Tod verdiente. Es war genau diese Anklage, die das Schicksal
Yitzhak Rabins besiegelte.
Jetzt ist das die Hauptanklage israelischer Faschisten gegen die
Linke geworden. Vor kurzem wurde eine extreme Kampagne gegen den
„Neuen Israel Fond“ (NIF) erhoben, eine in den USA sitzende
Institution, die linke NGOs in Israel unterstützt. Der Fond wird
angeklagt, er habe Organisationen finanziell unterstützt, die
„Richter Goldstone“, - „den antisemitischen Juden“, der ekelhafte
Lügen über den zionistischen Staat verbreitet - mit Material
versorgten. ( Übrigens: die Organisation, in der ich aktiv bin, die
auch Kriegsverbrechen aufdeckt. hat nie einen Heller erhalten.)
Anat Kam, einer Soldatin, die geheime Dokumente vom Armeekommando
„gestohlen“ habe und half, in Haaretz ein Kriegsverbrechen
aufzudecken, wird vorgeworfen, „dem Feind zu dienen“. Sie ist wegen
„schwerwiegender Spionage“ angeklagt, ein Verbrechen, für das man
lebenslange Gefängnisstrafe bekommt.
„Verräter“, „Agenten des Feindes“, „Zerstörer des Vaterlandes“,
„Dolchstoß in den Rücken“ – diese Schimpfwörter sind zu einem Teil
des Mainstream-Diskurses in Israel geworden. Man sollte sie ernst
nehmen.
Vor noch nicht all zu langer Zeit führte genau diese Sprache zu
einer historischen Tragödie in Europa.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Inserat in
Haaretz am 23.4.2010
Die Kloake läuft
über
Wellen
faschistischer Aufwiegelung
Überfluten das
Land.
Internets
Talkbackists, rechte Medien
Dazu ein
widerwärtiger Sänger
Wie am Vorabend
von Rabins Mord.
Gush Shalom
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