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Wörter, Wörter, Wörter
Uri Avnery, 26.April 2014
MAN
STELLE sich vor, ein Krieg bricht zwischen Israel und Jordanien
aus. Innerhalb von zwei oder drei Tagen besetzt die israelische
Armee das ganze Gebiet des Haschemitischen Königreichs. Was wäre
die erste Handlung der Besatzungsbehörde?
In Petra eine
Siedlung errichten? In Aqabas Nähe Land enteignen?
Nein. Als erstes wird
eine Verordnung erlassen, dass das Gebiet in Zukunft „Gilead und
Moab“ genannt wird.
Allen Medien wird
befohlen, die biblischen Namen zu verwenden. Alle Regierungs- und
Gerichtsdokumente werden dies annehmen. Außer der radikalen Linken
wird keiner mehr „Jordanien“ erwähnen. Alle Formulare der Bewohner
werden an die Militär-Regierung von Gilead und Moab gerichtet
werden.
WARUM? WEIL die
Annexion mit Wörtern beginnt.
Wörter vermitteln
Vorstellungen in die Köpfe ihrer Zuhörer und Sprecher. Sie pflanzen
Konzepte. Wenn sie erst mal fest etabliert sind, folgt alles andere.
Schon die Schreiber
der Bibel wussten dies. Sie lehrten „Tod und Leben stehen in der
Zunge Gewalt; wer sie liebt, wird ihre Frucht essen.“ (Sprüche
18.21). Seit wie viel Jahren essen wir jetzt die Früchte von „Judäa
und Samaria“?
Als Vladimir Putin
letzte Woche den alten Namen von „Neu-Russland“ für das Gebiet der
Ost-Ukraine wieder herstellte, war es nicht nur ein semantischer
Wandel. Es war ein Anspruch auf Annexion, mächtiger als eine Salve
Kanonenschüsse.
Vor kurzem hörte
ich der Rede einer Politikerin des linken Flügels zu und war
verwirrt, als sie lang und breit über ihren Kampf für ein
„politisches Abkommen“ mit den Palästinensern sprach.
Als ich ihr
Vorhaltungen machte, entschuldigte sie sich. Es sei ein Versprecher
gewesen. Sie habe es nicht so gemeint.
In israelischer
Politik ist das Word „Frieden“ zu Gift geworden. „Politisches
Abkommen“ ist ein in Mode gekommener Ausdruck. Man meint damit,
dasselbe zu sagen. Aber natürlich tut er es nicht.
„Frieden“ bedeutet
viel mehr als das formelle Ende eines Krieges. Es enthält
Elemente der Versöhnung, etwas Spirituelles. Im Hebräischen und
Arabischen schließt Shalom/Salam auch Wohlbefinden, Sicherheit ein
und dient als Gruß. „Politisches Abkommen“ bedeutet nichts als ein
von Juristen formuliertes Dokument, das Politiker unterzeichnet
haben.
Der „Westfälische
Frieden“ setzte dem 30Jährigen Krieg ein Ende und änderte das Leben
Europas. Man mag sich fragen, ob ein „ Westfälisches politisches
Abkommen“ dieselbe Wirkung gehabt hätte.
Die Bibel mahnt uns:
„. Lass ab vom Bösen und tue Gutes, such Frieden und jage ihm nach
(Psalm 34, 14/15) Sie sagt nicht „ Suche ein politisches Abkommen
und jage ihm nach“.
Wenn die israelische
Linke den Terminus Frieden aufgibt, ist dies kein taktischer
Rückzug- es ist eine Niederlage. Frieden ist eine Vision, ein
politisches Ideal, ein religiöses Gebot, eine inspirierende Idee.
Ein politisches Abkommen ist nichts weiter als ein Diskussionsthema.
FRIEDEN IST nicht das
einzige Opfer des semantischen Terrorismus‘. Ein anderes ist
natürlich die „Westbank“.
Allen Fernsehkanälen
ist vor langem von der Regierung befohlen worden, nicht diesen
Ausdruck zu benützen. Die meisten Journalisten der schriftlichen
Medien halten sich auch daran. Sie schreiben „Judäa und Samaria“.
„Judäa und Samaria“
bedeutet, dass das Gebiet Israel gehört, auch wenn die offizielle
Annexion aus politischen Gründen verzögert werden mag.
An sich gibt es
nichts Heiliges im Terminus „ Westbank“. Er wurde vom jordanischen
König übernommen, als er das Gebiet illegal seinem neu erweiterten
Königreich einverleibte. Das geschah nach geheimer Absprache mit
David Ben Gurion, Israels erstem Ministerpräsidenten, der den Namen
„Palästina“ von der Karte tilgen wollte. Die rechtliche Basis war
eine Scheinkonferenz von palästinensischen „Notabeln“ in Jericho.
König Abdallah von
Jordanien teilte sein Land in das Ostufer (des Jordans) und das
Westufer.
Warum bestehen wir
also darauf, diesen Terminus zu benützen? Weil es bedeutet, dass
dies nicht ein Teil Israels ist, sondern wie der Gazastreifen -
arabisches Land, das der Staat Palästina werden soll, wenn Frieden
(pardon „ein politisches Abkommen“) erreicht wird.
Bis heute bleibt
diese semantische Schlacht unentschieden. Die meisten Israelis
verwenden den Ausdruck „Westbank“. „Judäa und Samaria“ ist im
Allgemeinen die Redeweise im Bereich der Siedler geblieben.
„DIE SIEDLER“ sind
natürlich der Gegenstand einer ähnlichen semantischen Schlacht.
Im Hebräischen gibt
es zwei Ausdrücke: Mitnahalim und Mityashvim. Sie bedeuten im
Wesentlichen dasselbe. Aber bei üblicher Verwendung benützen die
Leute jetzt Mitnahalim, wenn sie die Siedler in den besetzten
Gebieten meinen und Mityashvim, wenn sie von den Siedern im
eigentlichen Israel sprechen.
Die Schlacht zwischen
diesen beiden Wörtern geht täglich weiter. Es ist ein Kampf gegen
die Legitimität der Siedlungen jenseits der Grünen Linie. Bis jetzt
scheint unsere Seite siegreich zu sein. Die Unterscheidung bleibt
intakt. Wenn jemand den Terminus Mityashvim benützt, wird er
automatisch mit dem politisch rechten Flügel identifiziert.
Die Grüne Linie
selbst ist natürlich ein linkes Konzept. Es macht eine klare
Unterscheidung zwischen dem eigentlichen Israel und den besetzten
Gebieten. Die Farbe kommt von der Tatsache, dass diese Grenze –
tatsächlich die 1949er Waffenstillstandslinie – auf den Landkarten
immer mit Grün markiert wurde. Bis.
Bis der
Arbeitsminister, Yigal Alon, ein Mann vom linken Flügel, verfügte,
dass ab jetzt die Grüne Linie nicht länger mehr auf den Landkarten
markiert werden solle. Nach einem alten Gesetz des britischen
Mandats besitzt allein die Regierung das Copyright für alle im Lande
gedruckten Landkarten, und der Arbeitsminister ist zuständig.
Dies blieb so lange,
bis Gush Shalom die Regierung beim Obersten Gerichtshof verklagte.
Unser Argument war, dass solange wie auf beiden Seiten dieser Linie
verschiedene Gesetze angewandt werden, die Bürger eine Karte haben
müssen, die ihnen zeigt, welchem Gesetz sie an einem bestimmten
Ort gehorchen müssen. Das Ministerium gab nach und versprach dem
Gericht, dass es Karten mit der Grünen Linie drucken würde.
Aus Mangel an einer
Alternative benützen alle Israelis den Ausdruck „Grüne Linie“. Da
die vom rechten Flügel diese Linie überhaupt nicht anerkennen, haben
sie auch kein alternatives Wort erfunden. Einige Zeit lang
versuchten sie, den Terminus „Saumlinie“, aber das hat sich nicht
durchgesetzt.
EINE LINIE zwischen
was? Zu Beginn der Besatzung kam die Frage auf, wie man die eben
eroberten Gebiete nennen soll.
Wir vom Friedenslager
nannten sie natürlich „Besetzte Gebiete“. Die vom rechten Flügel
nannten sie die „befreiten Gebiete“ und erfanden den Slogan
„Befreite Gebiete werden nicht zurückgegeben“ ein attraktiver Reim
im Hebräischen. Die Regierung nannte sie die „verwalteten Gebiete“
und später die „umstrittenen Gebiete“.
Die Allgemeinheit
nannte sie nur „die Gebiete“ – und das ist der Ausdruck der heute
von jedem gebraucht wird, der kein Interesse hat, jederzeit
seine/ihre politische Überzeugung zu betonen öchte, wenn sie
erwähnt werden.
DIES LÄSST die Frage
betreff der Mauer hochkommen.
Als die Regierung
entschied, ein physisches Hindernis zwischen Israel und die
besetzten Gebiete zu bauen – teils wegen der Expansion teils aus
echten Sicherheitsgründen – wurde auch ein Name benötigt. Es wurde
hauptsächlich auf besetztem Land gebaut und veranlasste die
Enteignung grosser Gebiete. Es ist eine „Mauer“ in bebauten
Gebieten und ein Zaun in offenen Gebieten. Wir nannten sie einfach
„die Mauer“ und „der Zaun“, und begannen mit wöchentlichen
Demonstrationen, die noch jede Woche weitergehen.
Die Mauer/der Zaun
wurden in aller Welt verabscheut. Deshalb sah sich die Armee nach
einem Terminus um, der nicht ideologisch klang und wählte
„Trennungshindernis“. Doch dieser Terminus besteht jetzt nur in
offiziellen Dokumenten.
MIT WEM verhandeln
wir jetzt über das politische Abkommen? Ah, da liegt der Hase im
Pfeffer.
Seit Generationen hat
die zionistische Bewegung und der Staat Israel die tatsächliche
Existenz des palästinensischen Volkes geleugnet. Im
1993er-Oslo-Abkommen wurde dieser idiotische Vorwand fallen
gelassen, und wir erkannten die PLO als die „Vertretung des
palästinensischen Volkes“ an. Aber der palästinensische Staat wurde
nicht erwähnt, und bis zum heutigen Tag verabscheut unsere Regierung
den Terminus „Palästinensischer Staat“ oder „Staat Palästina“.
Sogar der Terminus
„Palästinenser“ erregt immer noch bewussten oder unbewussten
Widerstand. Die meisten Kommentatoren sprechen über ein politisches
Abkommen mit „unseren Nachbarn“ – wobei sie nicht die Ägypter,
Jordanier Syrer oder Libanesen meinen, sondern man weiß, wer gemeint
ist.
In Oslo bestanden
die PLO-Unterhändler streng darauf, dass ihr neuer Staat-im Werden
„Palästinensische Nationalbehörde“ genannt werden sollte. Die
israelische Seite war prompt gegen das Wort „National“. In dem
Abkommen („Erkärung von Prinzipien“), wird es „Palästinensische
Behörde“ genannt, aber die Palästinenser selbst nennen es die
„Palästinensische Nationalbehörde“. Palästinenser, die dringend
medizinische Behandlung in israelischen Krankenhäusern benötigen,
werden abgewiesen, wenn finanzielle Unterlagen mit
„Palästinensischer Nationalbehörde“ unterzeichnet ist.
SO GEHT also der
Kampf an der semantischen Front weiter. Für mich geht der wirklich
wichtige Teil des Kampfes um das Wort Frieden. Wir müssen es als das
zentrale Wort in unserm Wortschatz wieder herstellen: Klar, laut,
stolz.
Wie die Hymne der
Friedensbewegung (von Yankele Rotblit als Appell von den
gefallenen Soldaten an die Lebenden) geschrieben:
„Deshalb singt ein
Lied für den Frieden/ flüstert kein Gebet/ singt dem Frieden ein
Lied / wie ein lauter Schrei!“
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert
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