Der
Butzemann
Uri Avnery, 4.6.05
Als der neue
Generalstabschef, der Luftwaffengeneral Dan Halutz, seinen neuen
Job übernommen hat, stand ich mit einer Gruppe Demonstranten am
Tor des Generalstabsgebäudes, um gegen seine Berufung zu
demonstrieren. Der Slogan hieß: „Sie haben Blut auf ihren
Flügeln!“ – eine Erinnerung an seine Bemerkung, nachdem die
Luftwaffe eine Ein-Tonnenbombe in ein Wohngebiet in Gaza fallen
ließ, um den Hamasführer Salah Shehadeh zu töten. Wie man sich
erinnert, tötete die Bombe auch 14 zufällig in der Nähe
Stehende, einschließlich neun Kinder.
Als Haluz
damals gefragt wurde, was er nach solch einem Vorfall empfinde,
antwortete er:
„Ein leichter
Schlag am Flügel.“ Er fügte danach noch hinzu, dass er gut
schlafe. Ich denke, dass eine Person, die sich so äußert, in
unserer Armee nicht das oberste Kommando führen sollte.
Das heißt
nicht, dass sein Vorgänger besser war. Man könnte hier eine
Regel anwenden: Jeder schlechte Beamte kann durch einen noch
schlechteren ersetzt werden.
(Das lässt an
einen jüdischen Witz über einen schäbigen, reichen Mann im
Ghetto denken. Nachdem er gestorben war, war keiner bereit, wie
üblich etwas Gutes über ihn zu sagen. Schließlich meldete sich
einer freiwillig und sagte: „Wir wissen alle, dass er ein übler
alter Mann war, ein Betrüger und ein Geizhals, aber verglichen
mit seinem Sohn war er ein Engel.“)
-
Noch bevor
der abgesetzte Generalstabschef Moshe ( „Bogy“ = Butzemann)
Yaalon seine Uniform auszog, gab er eine Salve von Erklärungen
ab, die seinen Charakter und seine Ansichten offenbaren. In
einem Interview mit dem Haaretz-Journalisten Ari Shavit vom
rechten Flügel sagte er:
- „Wenn wir
den Palästinensern nicht immer mehr und mehr und mehr Land
geben, wird es eine gewaltige Explosion geben. Mit hoher
Wahrscheinlichkeit wird es einen 2. Terroristenkrieg geben
... Kfar Sava ( auf der israelischen Seite der Grünen Linie)
wird wie Sderot behandelt werden. Tel Aviv und Jerusalem
genau so.“ (Sderot war ein regelmäßiges Ziel von
Kassam-Raketen)
- „Was wird
nach dem Abzug geschehen? ... Terroristische Angriffe aller
Art, Schießen, Explosionen, Selbstmordattentäter,
Mörsergranaten, Kassam-Raketen...Ihr verlasst Gaza? Stille.
Ihr verlasst Judäa und Samaria . Es wird still sein. Ihr
verlasst Tel Aviv. Es wird wirklich sehr still sein ... die
Palästinenser sprechen über Safed und Haifa und Tel Aviv.“
- „Das
Paradigma der Zwei Staaten wird keine Stabilität bringen.
Nein ...Die Zwei-Staaten-Lösung ist nicht relevant. Nicht
relevant ...Der palästinensische Staat wird den Staat Israel
unterminieren. Die Konfrontation wird weitergehen.“
- „Der Staat
Israel ist bereit, den Palästinensern einen unabhängigen
Staat zu geben, aber die Palästinenser sind nicht bereit,
uns einen unabhängigen jüdischen Staat zu geben. ...Jedes
Abkommen, dass sie machen werden, wird der Anfang der neuen
Irredenta sein. Der nächste Konflikt, der nächste Krieg“.
- „Die
Errichtung eines palästinensischen Staates wird in irgend
einem Stadium zum Krieg führen. Solch ein Krieg kann für den
Staat Israel gefährlich werden. Die Idee , dass es möglich
sei, bis 2008 einen palästinensischen Staat zu errichten und
Stabilität zu erreichen, hat nichts mit der Realität zu tun
und ist gefährlich... Bushs Vision hat nichts mit der
Realität zu tun.“
- „(Was wäre
also die Lösung?) ein viel längerer Prozess, der zuerst eine
Revolution der Werte nötig macht – auf palästinensischer
Seite ... Ich sehe in meiner Generation kein Ende des
israelisch-palästinensischen Konfliktes.“
- „Abu Mazen
hat das Rückkehrrecht nicht aufgegeben ... das Zurückkommen
in die Häuser, in die Dörfer ... Das heißt, dass es keinen
jüdischen Staat geben wird... Selbst Abu Mazen ist nicht
bereit, hier einen jüdischen Staat zu akzeptieren.“
- „(Eine
palästinensische Demokratie) Dies ist eine Demokratie?
Diese Verbrecherbande!“
- Es besteht
die Möglichkeit, dass die israelische Armee – nach dem Abzug
- gezwungen wird, in den Gazastreifen zurückzukehren.“
Die
Weltanschauung des Generals: „Wir sind eine Gesellschaft im
Krieg. Unser Schwert muss aus der Scheide gezogen sein, es muss
immer bereit sein. Eine Kriegsgesellschaft. Ohne Illusionen.
Ohne die falsche Überzeugung, dass wir das Problem auf diese
oder jene Weise lösen. Nein, es wird nicht gelöst werden.“
Woran erinnert
dies? Es ist fast eine genaue Kopie der berühmten Rede von Moshe
Dayan, die er 1955 am Grab von Roi Rotenberg hielt. Moshe Yaalon
war damals noch ein kleines Kind. Wie die Bourbonen hat er
nichts vergessen und nichts dazu gelernt.
Man kann diese
Rede mit Zynismus behandeln. Yaalon ist wütend auf Ariel Sharon
und Shaul Mofaz, die beiden, die ihn nach drei Jahren - also
vorzeitig - aus dem Amt jagten, statt ihn wie üblich vier Jahre
darin zu belassen.
Da der Rückzug
aus dem Gazastreifen Sharons und Mofaz’ Sache ist, versucht
Yaalon diese zu torpedieren.
Man könnte noch
zynischer werden und behaupten, dass Yaalon die Ansichten der
Obersten Armeekommandantur wiedergibt, und die Armee hat ja
kein Interesse an Frieden. Keine menschliche Organisation sehnt
sich nach einer Situation, die sie überflüssig macht. Im
Gegenteil, sie sehnt sich nach einer Situation, in der sie noch
nötiger gebraucht wird. Deshalb ist das höhere Offizierkorps an
einer friedlichen Lösung wirklich nicht interessiert.
Das wird durch
die Tatsache bewiesen, dass Yaalon.nach der Veröffentlichung
dieser Bemerkungen an dem Tag, an dem er das Büro verließ, er
von seinen Kollegen mit Zustimmung und Zuneigung überschüttet
wurde. Keiner widersprach ihm – nicht einmal anonym.
Doch die
zynische Stellungnahme führt nicht zu tieferem Verständnis. Das
Phänomen liegt jenseits des bewussten persönlichen Interesses.
Die Armee
erzieht zum Krieg und denkt nur in Termini des Krieges. Ein
wirklicher General kann sich einen Zustand des Friedens nicht
vorstellen. Seit vielen Jahren hat kein bedeutender General -
außer Amram Mitzna - eine Erklärung abgegeben, aus der man
ableiten könnte, dass er tatsächlich an Frieden glaubt.
Das muss aus
zwei Gründen ernst genommen werden.
Zunächst, weil
Yaalon eine Elitegruppe vertritt, die einen großen Einfluss auf
die israelische Gesellschaft ausübt. Mittels Hunderter von im
Ruhestand befindlicher Generäle kontrolliert die
„Generalspartei“ alle politischen und wirtschaftlichen
Schlüsselpositionen im Land, von der Regierung, dem Kabinett,
den Parteien bis zu den großen öffentlichen und privaten
Körperschaften.
Zweitens, weil
der Generalsstabschef, der Chef des Mossad (Geheimdienstes) und
der Chef des Sicherheitsdienstes an den Kabinettssitzungen
teilnehmen und ihre politischen Beurteilungen praktisch die
Schritte der Regierung diktieren. Die Ansichten des
Generalstabschefs sind keine private Angelegenheit – sie haben
einen großen Einfluss auf das Verhalten des ganzen Staates.
Yaalon war drei
Jahre lang der Chef der israelischen Armee. Während dieser
Periode ist die Westbank mit mehr als hundert
Siedlungs-„Außenposten“ bedeckt worden. Einer der Gründer dieser
Außenposten bestätigt in Haim Yavons neuer TV-Serie, dass alle
diese Außenposten nach Armeedirektiven errichtet wurden, nach
einem militärischen Plan, der dafür gedacht war, die Westbank
in schmale Streifen zu schneiden, um dadurch die Errichtung
eines palästinensischen Staates zu verhindern. Yaalons
Erläuterungen erklären den ideologischen Hintergrund dazu.
Wenn der
Generalstabschef glaubt, dass Frieden jetzt und in Zukunft
unmöglich ist, sind natürlich alle seine Ratschläge im Kabinett
– Ratschläge, die praktisch zu Direktiven werden – von diesem
Unglauben beeinflusst.
Yaalons
Behauptungen führen zu dem Schluss, dass es keinen
palästinensischen Partner gibt und geben kann. In dieser
Hinsicht besteht totale Übereinstimmung zwischen General Yaalon,
General Ehud Barak und General Sharon. Abu Mazen, der den
geheimen Plan hat, vier Millionen palästinensische Flüchtlinge
in ihre früheren Häuser und Dörfer zurückzuführen, ist da gewiss
kein Partner. Darum der Beschluss: der Abzug muss einseitig
sein, wie Sharon entschieden hat. Eine andere Schlussfolgerung:
Es gibt nach dem Abzug keinen Raum für einen politischen
Prozess, da die Palästinenser nur „immer mehr und noch mehr und
noch mehr fordern“.
Frieden? Für
einen Bogy, (den Butzemann), wäre das nur zum Lachen, auch für
Ehud und oder gar Arik.
Seit mehreren
Wochen hatte Yaalon eine Abschiedsreise unternommen, die er für
sich selbst organisiert hatte. Er fuhr von einem Befehlsposten
zum anderen, von einem Militärlager zum nächsten, und überall
ließ er sich selbst aus jedem Winkel fotografieren, immer mit
dem Helm auf dem Kopf, den Stiefeln an den Füßen und das Gewehr
über der Schulter. Ziemlich pathetisch.
Seine
Untergebenen und Kollegen umschmeichelten ihn mit Lob, das sie
dem großen Feldherrn der Geschichte, dem Mann, der den
„Terrorismus besiegt hat“, (angeblich) schuldeten.
Die Wahrheit
ist natürlich, dass Yaalon ein sehr kleiner Feldherr war. Im
besten Fall beendete die israelische Armee den Krieg mit einem
Unentschieden. Sie fand keine Antwort auf die Mörsergranaten und
die Kassem-Raketen. Sie war gezwungen, eine inoffizielle
Waffenruhe, die sie nicht wollte, zu akzeptieren. Bei einer
Konfrontation zwischen einer mächtigen Armee und kleinen
Untergrundorganisationen ist ein Unentschieden ein großer
Fehlschlag für den Generalstabschef. Zusammengefasst: es war
für ihn wie für seine Vorgänger ein Fehlschlag – auch seine
Nachfolger werden nicht gewinnen. So wie alle Generäle überall
in der Welt in ähnlichen Situationen Fehlschläge erleben.
Wie seine
letzten Bemerkungen gezeigt haben, ist Yaalon eine ziemlich
beschränkte Person mit einem durchschnittlichen Intellekt und
recht primitiven Ansichten. Man kann in seinen Erklärungen alle
Stereotypen und alle Mythen von 120 Jahren Zionismus finden. Es
gibt nicht die geringste Spur von unabhängigem Denken.
Und das ist
wohl der bedrückendste Teil der Angelegenheit.
Solange sie im
Amt sind, werden die Führer unserer Armee vor allen kritischen
Einschätzungen abgeschirmt. Sie werden von einem Schutzschild
speichel-leckender „Militär-Korrespondenten“ und
Militärsprechern umgeben, deren Pflicht es ist zu lügen. Sie
erscheinen immer allwissend und mit einem hervorragenden
analytischen Geist, mit Herz und Verstand der Sicherheit und der
Zukunft des Staates ergeben und mit keinem anderen Interesse.
Wenn sie ihre
Uniformen ausziehen und den militärischen Heiligenschein
verlieren, erscheinen sie wie völlig andere Personen. Wenn die
früheren Armeechefs, Mossadchefs und Chefs des
Sicherheitsdienstes Zivilisten werden, entdeckt man, dass sie
ganz gewöhnliche Leute sind, die meisten mittelmäßig, einige
noch weniger als mittelmäßig. Einige sind von ernst zu nehmendem
Kaliber, aber einige sind einfach nur dumm, wenn nicht gar
psychisch gestört. Es ist ziemlich erschreckend, wenn man daran
denkt, dass solche Leute den Staat führen und für das Leben und
den Tod von Menschen verantwortlich sind.
Und man
erschrickt noch mehr, wenn man daran denkt, dass - verglichen
mit seinem Nachfolger - Yaalon fast wie ein Engel erscheint.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
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