TRANSLATE
Oh mein Gott, Trump!
(wirst
Du auf einmal fromm?)
Uri Avnery, 12. November 2016
PRÄSIDENT TRUMP.
Ich stehe noch immer wie unter Schock. Aber ich war daran gewöhnt.
Dies ist nicht nur
eine neue US-Wahl. In meinem Leben habe ich schon viele
gesehen/erlebt
. Einige hatten
Ergebnisse, die mir gefielen, einige nicht.
Aber diese eine
hier ist ganz anders. Dies ist ein Erdbeben, das die Oberfläche des
Planeten verändert.
Wie geschah es?
Warum? Und warum kam es so völlig unerwartet?
ES WURDE
nicht erwartet, weil die Wahlen so abgöttisch verehrt wurden.
Wie ich letzte
Woche schrieb, bevor dies geschah, erinnern mich diese Wahlen an
die römische Kunst, die Zukunft aus den Eingeweiden zu lesen und an
die modernere Kunst der Astrologen.
So weit, wie ich
mich erinnern kann, sind die Wahlen immer falsch gewesen. Von Zeit
zu Zeit war eine Wahl korrekt, wie eine gebrochene Uhr, die zweimal
am Tag richtig ist. Diese Wahl wurde dann gefeiert, bis zum
nächsten Mal, wenn sie wieder falsch war, wie alle andern.
Dies trifft auf
Israel wie auf US und andere zu.
Wie werden die
Medien sich zu den nächsten Wahlen verhalten? Sicher haben sie keine
andere Wahl. Die Umfragen liefern die Bewertung. Sie schaffen
Ungewissheit. Statt nur langweilige und sich wiederholende
Wahlreden zu bringen, schaffen sie Aufregung.
Kurz gesagt werden
die Abstimmungen von den Medien geschaffen – für die Medien. Sie
bedeuten nichts. Wenn die wirklichen Ergebnisse bekannt werden, sind
sie bis zum nächsten Mal vergessen, wenn die Wahlen wieder beginnen,
als sei nichts geschehen.
Was ist daran
falsch? Nun fast jeder belügt die Meinungsforscher. Es war für einen
Wähler erniedrigend zuzugeben, dass er zur Wahl für Trump gegangen
war, die absurde Wahl eines plumpen Mob, statt der Wahl für einen
exquisiten Kandidaten der Elite.
Um etwas wie wahre
Ergebnisse zu bekommen, muss ein Meinungsforscher wenigstens eine
Stunde mit jedem Befragten verbringen und ihm rundherum Fragen über
verschiedene Probleme stellen, wie Arbeit, Waffen, Elite und
Ähnliches. Und selbst dann kann man nicht sicher sein.
Ich schreibe dies
nicht in der Hoffnung, dass beim nächsten Mal die Leute lachen
werden, wenn sie die Abstimmungen sehen. Wie sollen sie ohne diese
wissen, wer gewinnt?
WIR WISSEN
wirklich nicht, wer Trump ist und was er während der nächsten vier
Jahre tun wird. Wir kennen nur den Trump der Wahlen: eine garstige
Person, ein Größenwahnsinniger, ein Lügner, ein Dummkopf. Man
sollte noch ein Proto-Faschist hinzufügen.
Am Vorabend der
letzten freien Wahlen im Vor-Hitler-Deutschland schrieb Joseph
Goebbels, der Vordenker der modernen Propaganda, in sein Tagebuch:
„wir müssen immer wieder die niedrigsten Instinkte der Massen
aufrufen“.
Dies könnte gut das
Motto aller faschistischen Bewegungen in der Welt sein. Dies war
sicherlich das Motto von Donald Trump während seiner Wahlkampagne.
Die niedrigsten
Instinkte der Massen führen sie dahin, die Ausländer, die Mitglieder
von Minderheiten, die sexuell anderen und vor allem alle „Eliten“,
die gewöhnlich in den Hauptstädten des Landes leben, zu hassen.
Diese Instinkte führen sie dahin, an Verschwörungstheorien zu
glauben – je wilder umso besser. Sie führen sie dahin, zu glauben,
dass dunkle Mächte am Werk sind, die unser geliebtes Land
unterminieren und unsere heldenhaften Soldaten mit dem Messer in den
Rücken stechen.
In jedem Land gibt
es Leute, die inbrünstig an diese Art von Unsinn glauben. Die ihrem
Führer vertrauen. Der ihre Feinde hasst. Der ihr Land wieder groß
machen will. Deutschland erwache!
In „normalen“
Zeiten vegetieren diese Elemente an den Rändern. Ihre Stimmen
werden kaum in den Medien und im Parlament gehört. Aber manchmal
taucht der Abschaum an die Oberfläche. Das ist es, was jetzt in den
US geschah.
Warum? Warum jetzt?
EINIGE WÜRDEN
sagen: wegen der einzigartigen Persönlichkeit des Donald Trump. Die
einzigartige Mischung von Größenwahnsinn, der Zurschaustellung und
der riesigen Fanggemeinde. Das ist akkurat, aber ist nicht genug, um
dieses Phänomen zu erklären.
Da gibt es zu
jeder Zeit und überall Trumps. Sie kommen und gehen, ohne eine Spur
zu hinterlassen. Warum dieser Trump? Was macht diesen Trump so
besonders?
Anfangs erhebt sich
Hohn und Spott – wie bei anderen Demagogen, die Jahre lang wie
politische Clown angesehen werden, bevor sie unsägliches Unglück
verursachen. Es gab in dieser Woche keinen Hohn, als der
Vernünftige vor Angst fast umgekommen wäre. Der Clown könnte ein
Monster werden.
Warum? Warum
jetzt?
DIE VOLKSbewegung,
die rund um Trump entstand, erinnert an den Ausbruch eines
Vulkans. Er kam aus der Tiefe der Erde. Dies ist nicht nur eine
politische Bewegung, die von einem klugen Politiker zusammengesetzt
wurde. Es ist ein natürliches Phänomen, eine Massenbewegung von
tiefen Ängsten und Sehnsüchten.
Ich glaube, es
wurde von der Tatsache verursacht, die die menschliche
Gesellschaft vorwärts bewegt hat, die aber Massen von
unorientierten Leuten im Elend und in Verzweiflung ließ.
Die Globalisierung
hat die Lebensbedingungen von Milliarden Menschen verändert, zum
Besseren und zum Schlechteren. Produktions- und Handelsmuster sind
nicht zu erkennen. Es ist wie ein Erdbeben – Berge werden zu Tälern,
Täler werden zu Bergen. Dies ist schon vorher in der Geschichte
geschehen zum Beispiel bei den Luddites (??) in England und bei den
Webern in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert. Sie zerschlugen
die modernen Maschinen, die ihnen die Arbeit wegnahmen. Es war eine
unnötige Rebellion.
Die Hauptopfer sind
heute die unteren Klassen der früheren Meister-Nationen?? Die
blauen Kragen. Diejenigen, die gestern stolz in fachkundigen, gut
bezahlten und zufrieden stellenden Jobs waren und jetzt mit viel
niedrigeren Jobs – wenn überhaupt - zufrieden sein müssen.
Das amerikanische
Auto, ein weltweites Symbol, der Stolz der amerikanischen Nation,
ist jetzt ein verachtetes Autowrack.
Dies brütet
natürlich Hass gegen Ausländer aus (gegen Asiaten , die die Autos
produzieren) und die Minderheiten (die Mexikaner, die um miserable,
noch erreichbare Jobs wetteifern). So entsteht ein wilder
Nationalismus. Der Detroit-Arbeiter mag arbeitslos sein, sein Heim
steht in Gefahr der Zwangsvollstreckung, aber er ist noch ein
weißer Amerikaner. Er wählte als solcher.
Trumpismus ist der
Aufschrei der großen Massen der Amerikaner, die wirtschaftlich
verrenkt, geistig unorientiert, allgemein elendiglich, voller Hass,
Mistrauen und Verzweiflung sind.
Dies ist keine
vorübergehende Situation und keine vorübergehende Gemütsverfassung.
Trumpismus wird weiter unter Präsident Trump bestehen.
DA GIBT
es enorme Unterschiede zwischen den US und Israel.
Die US ist ein
riesiges Land. Israel ist winzig, kleiner als viele reiche
US-Staaten. Die US ist bis jetzt multikulturell; Israel ist es auf
jeden Fall nicht. Die US sind reich an Naturschätzen. Israel hat
fast keine, außer einigen Ölfelder im Meer, weit ab von seiner
Küste. Usw.
Benjamin Netanyahu
ist kein Trump, nicht einmal ein halber Trump. Aber er wird sehr
schnell einer.
Netanjahu ist ein
Ein-Problem-Mann. Er hat seine Zähne in einem Problem und dort
bleiben sie eine lange Zeit. Vor noch nicht langer Zeit war es die
iranische Bombe. In einer Minute würde der Iran sie bekommen. Das
würde das Ende der Welt bedeuten und würde mit Israel beginnen. Drum
erklärte er den Krieg mit Barak Obama, hielt eine Rede im Kongress
und schockierte die Welt.
Und dann hielt er.
Praktisch über Nacht. Keine Bombe. Keim Iran. Kein Ende von
irgendetwas.
Nun sind die Medien
dran. Netanjahu will die Medien erobern. Nicht nur einige. Nicht die
meisten. Alle. (the whole lot.)
Es ist nicht nur
EINE, die ihn beunruhigt. Es ist nicht einmal die größte, die ihn
beunruhigt. Es ist seine EINZIGE Sorge.
Um dies in die
Praxis umzusetzen, nahm Netanjahu einen ungewöhnlichen Schritt. Als
sein neues (und viertes) Kabinett gebildet wurde, behielt er das
Kommunikations Ministerium für sich, ein sehr kleines Ministerium;
nun ist klar , warum.
Der jüdische
Kasino-Mogul, Sheldon Adelson, der Wohltäter von Trump, ist
Netanjahus größter Bewunderer (und sein Besitzer ist). Er hat eine
Tageszeitung, die für nichts verteilt wird und nur Netanjahu und
seiner Frau gewidmet ist Es ist bis jetzt die größte Verteilung im
Land gewesen.
Genug? Bei weitem
nicht! Netanjahu ist mit dem israelischen öffentlichen Fernsehen
nicht einverstanden, das mehr oder weniger neutral ist. Obgleich es
viel weniger einflussreich ist als unsere kommerziellen Netzwerke.
Netanjahu hat entschieden, diese mit einer persönlichen Station zu
ersetzen.
Dies ist jetzt
seine einzige eigene Sorge. Er stellt eine neue TV-Körperschaft ,
nach BBC zusammen gesetzt, auf. Doch plötzlich entdeckt er, dass die
neue Körperschaft, die noch nicht sendet, schon voller „radikaler
Linker“ ist (Irgendjemand, der kein Bewunderer von „Bibi“ ist) .
Netanjahu wünscht also jetzt, dies zu beseitigen und den
bestehenden Dienst zu behalten, vermutlich aber nach einer
gründlichen Umbesetzung.
Warum Netanjahu
absolute, totale Beherrschung der Medien benötigte, wurde in dieser
Woche vom Kanal 10 demonstriert. Ein sehr populäres ( und
exceptionelles, investigatives Programm, das UVDA („Tatsache“)
genannt und eine Stunde Sara widmet, Netanjahus wilde, unbeliebte
( dritte) Frau.
Es scheint, dass
Sara‘le ( kleine Sara), wie sie gewöhnlich genannt wird ,
persönlich alle bedeutenden Ernennungen im Land macht,
einschließlich den Armee-Stabschef und die General-Direktoren
aller Ministerien, allein aus dem Grund ihrer persönlichen
Loyalität ihrem Mann ( und sich selbst) gegenüber.
Am Ende des
Programms hat die Editorin und die Rundfunksprecherin Ilana Dayan
aus einem offiziellen debuttal ??? aus Netanjahus Büro gelesen. Das
waren mehr als vier Seiten (sechs Minuten) und war voll
persönlicher Beschimpfungen von Dayan, die sie selbst langsam mit
einem aufrechten Gesicht las. Eine ganz amusante Erfahrung.
Mit sehr wenigen
Ausnahmen sind die israelischen Medien bis jetzt völlig
entmutigend. Volkstümlicher Humor spricht von einem Hof, einem
König, einer Königin und einem Kronprinzen. Aber es ist keine
lächerliche Angelegenheit: deutlich wünscht Netanjahu ein
israelischer Putin oder Erdogan zu sein. Und jetzt ein Trump.
LASST UNS
fair sein. Es geschehen Wunder. Präsident Trump mag sich zu einer
völlig anderen Person entwickeln als der scheußliche Kandidat. Er
mag pragmatisch im guten Sinn des Wortes sein, schnell lernen und
sensibel regieren.
Wie unsere
muslimischen Freunde sagen: Inshallah – wenn Gott es will.
(dt. Ellen Rohlfs,
vom Verfasser …..
|