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DER ORANGENE MANN
Uri Avnery - 30. Juli 2016
NUN IST es soweit:
Entweder wird Donald Trump oder Hillary Clinton unser nächster
Präsident.
"Unser"? Ich bin kein
US-Bürger und habe auch nicht den Wunsch, einer zu sein.
Aber ich lebe in einer
Welt, in der die USA die einzige Supermacht ist. Jede Entscheidung
der US- Regierung hat eine Auswirkung auf das Leben jedes einzelnen
Menschens.
FÜR MICH, als Bürger
Israels, ist diese Auswirkung bedeutend größer und unmittelbarer.
Ich sah gerade einen Cartoon, der Trump und Hillary zeigte, wie sie
auf dem Boden krochen und den Stiefel eines israelischen Soldaten
leckten. Das ist nicht zu sehr übertrieben.
Beide Kandidaten
behaupten, unerschütterliche Unterstützer von “Israel” zu sein. Aber
was bedeutet das? Unterstützen sie alle Teile des israelischen
Volkes?
Sicherlich nicht. Sie
unterstützen nur einen bestimmten Teil Israels: die ultrarechte
Regierung von Benjamin Netanyahu, die von den amerikanisch jüdischen
Milliardären unterstützt wird, die zu ihrer Wahlkasse beitragen.
Netanyahu und seine sogar
noch rechteren Koalitionspartner zu unterstützen, bedeutet, gegen
mich und Millionen anderer Israelis zu agieren, die glauben, dass
Netanyahu unseren Staat in ein Desaster führt.
Doch ich habe kein Recht,
meine Stimme abzugeben. Es ist ein klarer Fall von “keine
Vertretung”, der mir und einigen Milliarden anderer Menschen
auferlegt ist.
WIE DEM auch sei, ich
habe ein deutliches Interesse an dieser Wahl. Deshalb will ich
zumindest meine Meinung ausdrücken.
Von Anfang an schrieb
ich, Donald Trump erinnere mich in gewisser Weise an Adolf Hitler.
Nun, nach all den
Vorwahlen und Konventionen, fürchte ich, indem der Wahlkampf seine
endgültige Form annimmt, diese schreckliche Bewertung wiederholen zu
müssen.
Natürlich gibt es
riesengroße Unterschiede. Der Mann sieht ganz anders aus. Er hat
orange gefärbte Haare. Seine Körpersprache ist anders und auch sein
Rede-Stil..
Eine andere Zeit. Ein
anderes Land. Andere Umstände.
Und vor allem - andere
Medien. Hitler war ein Produkt des Radios. Es war seine Stimme, ein
einzigartiges Instrument, die die deutschen Massen eroberte. Mir
wurde gesagt, dass heutzutage die deutschen Jugendlichen in
Gelächter ausbrechen, wenn sie Hitlers Reden auf den alten Clips
sehen.
Trump ist eine Schöpfung
des TV-Zeitalters. Er dominiert den kleinen Bildschirm. Er schlägt
all seine Rivalen im Fernsehen. Er wird Hillary im TV mit
Leichtigkeit schlagen. Wenn der Kampf nur im TV geführt würde, wäre
er bereits entschieden worden.
DIE ÄHNLICHKEIT zwischen
Trump und Hitler ist auf verschiedenen Ebenen vorhanden.
Im Zentrum von Trumps
gesamter Kampagne steht ein Wort (im Englischen tatsächlich nur ein
Buchstabe, “I”): “Ich”. Es gibt kein “Wir”. Keine normale Ideologie,
kein richtiges Programm.
Alles dreht sich um das
“Ich”, um Trump. Trump wird kommen. Trump wird alles
zusammenbasteln.
Das war auch das
Wesentliche des Hitlerismus. Dieser Mann hatte kein richtiges
Programm. (Ja, es gab etwas, das “die 24 Punkte” genannt wurde,
zusammengestellt von den Partei-Ideologen. Aber Hitler ignorierte
sie vollkommen. Einmal rief er verzweifelt aus: “Ich wünschte, wir
hätten nie von ihnen gehört!”)
Das traf auch auf den
Mann zu, der den Faschismus erfand: Benito Mussolini. Der
italienische Diktator, Hitlers Lehrer in vieler Hinsicht, kannte
auch das Wort “Wir” nicht. Das erste der “Zehn Gebote” des
Faschismus war: “Mussolini hat immer Recht.” - So auch Trump.
Der absolute Zentralismus
des Führers ist das Kennzeichen des Faschismus. Trumps Programm ist
Trump.
DA DAS so ist, sind alle
Erklärungen und politischen Äußerungen völlig unbedeutend. Experten,
die sie analysieren, die sie drehen und wenden und nach verdeckten
Bedeutungen suchen, vergeuden lediglich ihre Zeit. Es gibt keine
wirkliche Bedeutung, weder offen, noch verborgen.
Äußerungen werden aus dem
Augenblick heraus gemacht, weil sie Trump in diesem Augenblick
passen. Im nächsten sind sie jedoch vergessen, um manchmal durch das
Gegenteil ersetzt zu werden. Sie sind ein Mittel zum Zweck, nichts
anderes.
Darum ist es so einfach,
Trump bei einer Lüge zu ertappen. Ich habe Listen gesehen, dutzende
von Lügen, eine unverfrorener als die andere.
Auch hier haben wir wieder das
Beispiel von Adolf Hitler. In seinem Buch “Mein Kampf”, spricht er
offen darüber. Das Buch selbst ist ziemlich langweilig, das Produkt
eines drittklassigen Geistes, aber es enthält mehrere Kapitel über
“Propaganda”, die faszinierend sind.
(Viele Leute glauben, Joseph Goebbels sei der Erfinder der
Nazi-Propaganda. Aber der „kleine Doktor“ war nur selbst ein Schüler
des Führers)
Als
Frontsoldat während der vier Jahre des 1. Weltkrieges (der es nie
weiter als zum Rang eines Obergefreiten brachte) war Hitler
unheimlich von den britischen Propagandabemühungen beeindruckt, die
für die deutsche Frontlinie bestimmt war. Hitler bewunderte die
englischen Slogans, die für ihn ein Paket Lügen waren. Eine seiner
Schlussfolgerungen war, dass je größer die Lüge war, um so größer
waren auch die Chancen, geglaubt zu werden, da eine einfache Person
sich nicht vorstellen konnte, dass irgendjemand es wagen würde, so
viel zu lügen.
(Tatsächlich überschätzte Hitler die Auswirkung der britischen
Propaganda. Sie begann erst dann zu wirken, als die deutschen Linien
im Begriff waren, sich aufzulösen.)
Es
scheint, dass für Donald Trump keine Lüge zu groß ist. Trump
übertrumpft jedes Mal die Wahrheit.
HILLARY CLINTON ist eine gute, gewöhnliche Politikerin. Ihr
herausragendes Merkmal ist, dass sie eine Frau ist. Das ist an sich
sehr bedeutsam. Obgleich Golda Meir mich lehrte, dass eine Frau
genau so katastrophal wie ein Mann sein kann.
Man
kann sich mit gewisser Sicherheit vorstellen, wie eine
Hillary-Clinton-Präsidentschaft aussehen würde. Sie ist
zuverlässig, voraussagbar. Noch einmal dieselbe, allerdings ohne
den Charme von Barack (und Michelle!) Obama.
Keiner kann eine Trump-Präsidentschaft voraussagen. Jede Voraussage
ist ein Sprung ins Dunkle.
Eine
Sache scheint real: seine Bewunderung für Vladimir Putin. Obwohl er
das ganze Gegenteil des kühlen, berechnenden, kühnen, aber
vorsichtigen früheren KGB- Apparatschiks ist, scheint Trump ihn zu
bewundern.
Es
gibt keinen Beweis, dass die Bewunderung gegenseitig ist, aber es
scheint sicher zu sein, dass die heutigen Nachfolger des KGB sich
aktiv in die amerikanischen Wahlen einmischen, und ihr Äußerstes
tun, um Trump zu helfen und Hillary zu sabotieren.
Trump hat schon erklärt, dass er nicht automatisch Lettland zu Hilfe
kommt, wenn dieses frühere sowjetische und jetzt Nato-Land von
Russland angegriffen wird. Hat Lettland für seine Verteidigung
gezahlt?
(„Herr Präsident, die russische Armee hat gerade Lettland
angegriffen! Sollen wir unsere Truppen hinschicken?“ - „Warte,
warte! Prüfe erst, ob die verdammten Letten ihre Abgaben an die Nato
gezahlt haben!“).
Eine
US-russische Annäherung mag eine gute Sache sein. Die gegenwärtige
amerikanische reflexartige Feindschaft gegen alles Russische ist ein
Überbleibsel des kalten Krieges und schlecht für die Welt im Ganzen.
Ich sehe nicht, warum die beiden Mächte nicht auf vielen Gebieten
zusammenarbeiten könnten.
Was
die dritte Macht, China, betrifft, ist die Haltung Trumps das
Gegenteil. Er wünscht die Handelsabkommen rückgängig zu machen und
die Jobs nach Hause zu bringen. Selbst ich, ein Nicht-Ökonom, kann
sagen, dass dies Unsinn ist.
Und
so weiter. All dies, als ob man einen Mann sieht, der aus lauter
Neugierde, dabei ist, vom Dach zu springen.
Die
Deutschen, die im April 1933 für Adolf Hitler und seine Partei
stimmten, träumten nicht von einem 2.Weltkrieg, obwohl Hitler schon
beschlossen hatte, Osteuropa für die deutsche Kolonisation zu
erobern. Sie waren von Hitlers Persönlichkeit hypnotisiert. Und –
anders als heute der Präsident der USA – war der deutsche
Reichskanzler damals nicht der bedeutendste Führer in der Welt.
ICH
HASSE die Wahl des kleineren Übels. Bei 20 israelischen
Wahl-Kampagnen (außer den vier bei denen ich selbst ein Kandidat
war), habe ich selbst für Parteien gestimmt, die ich nicht sehr
liebte und für Kandidaten, denen ich nicht vertraute.
Doch
dies ist eine Lebenstatsache. Falls es keinen Kandidaten gibt, der
dich anfeuert, nimmst du den einen, der ein Minimum an Schaden
anrichtet. 1933 stimmte mein Vater für eine deutsche konservative
Partei, weil er glaubte, dass sie die einzige wäre, die eine Chance
hätte, die Nazis anzuhalten. Wie Pierre Mendes France einmal sagte:
„ zu leben heißt zu wählen“.
Ich
möchte allen meinen amerikanischen Freunden sagen: „Geht hin und
wählt Hillary, ob ihr sie mögt oder nicht. Mögen trifft es nicht
wirklich.
Bleibt nicht zu Hause. Nicht wählen bedeutet, für Trump zu stimmen.
Ein
alter jüdischer Witz spricht über einen reichen Juden, der von jedem
in der Gemeinde gehasst wurde. Als er starb, war keiner bereit, die
Grabesrede zu halten, bei der es nach altem Brauch erlaubt ist,
nur positive Dinge zu sagen. Schließlich meldete sich eine Person
freiwillig.
„
Wir wissen alle, dass der liebe Entschlafene eine schreckliche
Person war“, sagte er „aber verglichen mit seinem Sohn, war er ein
Engel!“
Nun
Hillary Clinton ist nicht schrecklich. Sie ist eine annehmbare
Kandidatin. Und verglichen mit Trump ist sie ein Engel,
(dt.
Inga Gelsdorf und Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
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