Bakers Kuchen
Uri Avnery, 9.12.06
KEINER GIBT
gerne zu, einen Fehler gemacht zu haben. Ich auch
nicht. Doch Ehrlichkeit lässt mir keine andere Wahl.
Wenige Tage
nach dem Kollaps der Zwillingstürme am 11. September
2001 war ich zufällig auf einer Vortragsreise in den
USA.
Meine Botschaft
war optimistisch. Ich erwartete, dass aus der
Tragödie etwas Gutes käme. Meine vernünftige
Überlegung war die, dass diese Gräueltat die
Intensität des in der ganzen – besonders aber in
der muslimischen - Welt sich ausbreitenden Hasses
gegen die USA aufdeckte. Es würde nur logisch sein,
nun nicht nur gegen die Moskitos anzukämpfen,
sondern den Sumpf auszutrocknen. Da der
israelisch-palästinensische Konflikt eine der
Brutstätten dieses Hasses ist – wenn nicht gar die
größte – würden die US nun sicherlich größere
Anstrengungen unternehmen, einen Frieden zwischen
den beiden Völkern zu erreichen.
Dies wäre es
zumindest, was kühle Logik nahe gelegt hätte. Aber
nichts davon geschah. Es geschah genau das
Gegenteil.
Die Politik der
Amerikaner wurde nicht von kühler Logik bestimmt.
Statt den Sumpf trocken zu legen, fabrizierten sie
einen zweiten Sumpf. Statt die Israelis und die
Palästinenser auf Frieden hin zu drängen, fielen
sie in den Irak ein. So wurde der Hass gegen die
Amerikaner nicht geringer, sondern entbrannte
sogar umso heftiger. Ich hoffte, dass diese Gefahr
sogar die Ölinteressen und den Wunsch, eine
amerikanische Garnison mitten im Nahen Osten zu
stationieren, überwinden würde__.
So beging ich
genau den Fehler, vor dem ich andere viele Male
gewarnt habe: anzunehmen, dass das, was logisch
ist, tatsächlich geschehen werde. Eine vernünftige
Person sollte die Irrationalität in der Politik
nicht ignorieren. Mit anderen Worten, es ist
irrational, das Irrationale auszuschalten.
George Bush ist
eine irrationale Person. Ja, er ist die
Personifizierung der Irrationalität. Statt eine
logische Schlussfolgerung aus dem zu ziehen, was
geschah, und entsprechend zu handeln, ging er in die
entgegengesetzte Richtung. Seitdem besteht er
darauf, „den Kurs zu halten“.
Nun kommt James
Baker.
DA ICH NUN
schon einmal in der Stimmung bin, Eingeständnisse
zu machen, sollte ich auch zugeben, dass ich James
Baker mag.
Ich weiß, dass
dies einige meiner guten Freunde schockieren wird.
„Baker?!“ werden sie ausrufen, „den Berater der
Bush-Familie? Der Mann, der Bush W geholfen hat, die
Wahlen von 2000 zu stehlen? Dieser Rechte?“
Ja, ja, genau
dieser Baker. Ich mag ihn wegen seiner kühlen Logik,
seines offenen und ehrlichen Stils, seiner
Gewohnheit, ohne Beschönigung zu sagen, was er
denkt, und wegen seines Mutes. Ich ziehe seinen
Stil der frömmelnden Scheinheiligkeit anderer
Führer vor, die ihre wirklichen Absichten verbergen.
Ich wäre glücklich, Olmert für Baker einzutauschen
und Peretz umsonst mitzugeben.
Doch das ist
Geschmackssache. Wichtiger ist die Tatsache, dass in
den letzten 40 Jahren James Baker der einzige
Staatsmann Amerikas war, der den Mut hatte, gegen
Israels bösartige Krankheit, die Siedlungen,
vorzugehen. Als er Außenminister der USA war,
informierte er schlicht die israelische Regierung,
dass er von dem Geld, das Israel von den USA
erhält, die Summe abziehen würde, die für die
Siedlungen ausgegeben würde. Er drohte und machte
seine Drohung wahr.
Baker trat
damit der „Pro-Israel“-Lobby entgegen, der jüdischen
wie der christlichen. Solch ein Mut ist in den USA
selten, genau so wie in Israel.
IN DIESER Woche
veröffentlichte die von Baker geleitete
Irak-Studien-Gruppe ihren Bericht.
Er bestätigt
alle pessimistischen Voraussagen, die von vielen in
aller Welt – mich eingeschlossen – ausgesprochen
wurden, bevor Bush & Co in das blutige irakische
Abenteuer hineinschlidderte. Mit seiner trockenen
und prägnanten Sprache sagt Baker, dass die USA
den Krieg dort nicht gewinnen können. Mit einer
Vielzahl an Worten, sagt er der amerikanischen
Öffentlichkeit: Lasst uns von dort abhauen, bevor
der letzte amerikanische Soldat vom Dach der
amerikanischen Botschaft in den letzten Hubschrauber
klettert, wie es in Vietnam geschah.
Baker rief dazu
auf, Bushs Konzept zu beenden und bietet eine neue
und durchdachte Strategie an. Tatsächlich wäre es
ein eleganter Weg für Amerika, sich aus dem Irak
zurückzuziehen, ohne dass es wie eine Niederlage
aussieht. Die Hauptvorschläge: ein amerikanischer
Dialog mit dem Iran und mit Syrien, eine
internationale Konferenz, Rückzug der amerikanischen
Kampftruppen, nur Instruktoren zurücklassen. Das
Komitee, das er leitete, bestand aus Angehörigen
beider Parteien, die eine Hälfte waren Republikaner,
die andere Demokraten.
FÜR UNS
Israelis ist der interessanteste Teil des Berichtes
natürlich der, der uns betrifft. Er interessiert
mich besonders – könnte es denn anders sein? -
weil er fast Wort für Wort die Dinge wiederholt, die
ich unmittelbar nach dem 11. September in meinen
Artikeln und bei meinen Vorträgen in den USA zum
Ausdruck brachte.
Ja, es ist
wahr: Baker sagt diese Dinge vier Jahre später. In
diesen vier Jahren sind Tausende von Amerikanern und
Zehntausende von Irakern umsonst gestorben. Aber
um das Bild noch einmal zu gebrauchen: wenn ein
riesiger Tanker wie die USA wendet, dann beschreibt
er einen großen Kreis und braucht dazu viel Zeit.
Wir im kleinen Schnellboot, das sich Israel nennt,
können dies viel schneller – wenn wir die Vernunft
dazu hätten.
Baker sagt
einfach: um den Krieg im Irak zu beenden und sich
mit der arabischen Welt zu versöhnen, muss die USA
zuerst den israelisch-palästinensischen Konflikt
beenden.
Er hat nicht
direkt davon gesprochen, dass Israel der Frieden
aufgezwängt werden müsse, aber dies ist die
offensichtliche Absicht.
In seinen
eigenen klaren Worten: „Die Vereinigten Staaten
sind nicht in der Lage, ihre Ziele im Nahen Osten zu
erreichen, solange sie sich nicht direkt mit dem
arabisch-israelischen Konflikt befassen.“
Sein Komitee
schlägt einen baldigen Beginn der Verhandlungen
zwischen Israel und „Präsident Mahmoud Abbas“ vor,
um die Zweistaatenlösung zu verwirklichen. Die
„nachhaltigen Verhandlungen“ müssen sich mit den
„wichtigsten Schlüsselthemen der
Endstatusverhandlungen befassen, nämlich den
Grenzen, den Siedlungen, Jerusalem, dem
Rückkehrrecht und dem Ende des Konfliktes“.
Die Verwendung
des Titels „Präsident“ für Abu Mazen und erst recht
des Terminus „Rückkehrrecht“ hat die ganze
politische Klasse in Israel alarmiert. Selbst das
Oslo-Abkommen, das sich mit den
„Endstatus“-Problemen befasste, erwähnte nur
„Flüchtlinge“. Wie Baker es gewöhnt ist, nennt er
die Dinge beim richtigen Namen.
Gleichzeitig
schlägt er die Zuckerbrot-und-Peitsche-Methode vor,
um einen Frieden zwischen Israel und Syrien zu
erreichen. Die US benötigen den Frieden, um Syrien
in ihr Lager zu ziehen. Von Israels Standpunkt aus
würde die Peitsche bedeuten, die Golanhöhen
zurückzugeben. Das Zuckerbrot würde bedeuten, dass
amerikanische Soldaten an der Grenze stationiert
werden, so dass Israels Sicherheit durch die
Amerikaner garantiert sein würde. Dafür würde er von
Syrien u.a. verlangen, seine Hilfe für die Hisbollah
aufzugeben.
Nach dem 1.
Golfkrieg erreichte Baker – ja, derselbe Baker –
dass alle Konfliktparteien zu einer internationalen
Konferenz nach Madrid kamen. Zu diesem Zweck
schleppte er den damaligen israelischen
Ministerpräsidenten Itzhak Shamir mit brutaler
Gewalt an den Verhandlungstisch, ein Mann dessen
ganze Philosophie aus vier Buchstaben und einem
Ausrufezeichen bestand: „Nein!“ und dessen Slogan
hieß: „Die Araber sind dieselben Araber, und das
Meer ist dasselbe Meer!“ (dies bezieht sich auf die
verbreitete israelische Überzeugung, alle Araber
wollten Israel ins Meer werfen).
Baker brachte
Shamir in Ketten geschlagen nach Madrid und sorgte
dafür, dass er sich nicht aus dem Staube machte.
Shamir war gezwungen, sich mit den Vertretern des
palästinensischen Volkes an einen Tisch zu setzen,
denen es bis damit zum ersten Mal überhaupt erlaubt
war, an einer internationalen Konferenz
teilzunehmen. Die Konferenz hatte keine greifbaren
Ergebnisse, aber sie war zweifellos ein notwendiger
Schritt im Prozess, dessen Ergebnis das
Oslo-Abkommen war – und schwieriger als alles
andere, die gegenseitige Anerkennung des Staates
Israel und des palästinensischen Volkes.
Jetzt schlägt
Baker wieder eine internationale Konferenz vor und
zitiert Madrid als Modell. Die Schlussfolgerung ist
klar.
DOCH DIESER
Bäcker kann nur ein Rezept für den Kuchen liefern.
Die Frage bleibt, ob Bush dieses Rezept annimmt und
danach einen Kuchen backt.
Seit 1967 und
dem Anfang der Besatzung haben mehrere amerikanische
Außenminister der USA Pläne vorgeschlagen, um den
israelisch-palästinensischen Konflikt zu beenden.
Allen diesen Vorschlägen blühte dasselbe Schicksal:
sie wurden zerrissen und landeten im Müll.
So war die
Reihenfolge: in Jerusalem wird man hysterisch. Das
Außenministerium stellt sich auf seine Hinterbeine
und schwört, den bösen Plan zu beseitigen. Die
Medien verurteilen einstimmig die gemeine Intrige.
Der jeweilige Außenminister wird als Antisemit
angeprangert. Die israelische Lobby in Washington
mobilisiert den totalen Krieg.
Ein Beispiel:
Der Rogers-Plan von Richard Nixons erstem
Außenminister, William Rogers. In den frühen 70ern
legte er einen detaillierten Friedensplan vor,
dessen Hauptpunkt der Rückzug Israels zu den 1967er
Grenzen, mit bestenfalls „unwesentlichen
Veränderungen“, war.
Was geschah mit
dem Plan?
Angesichts der
Angriffe von Seiten der „Freunde Israels“ in
Washington gab Nixon nach, wie alle Präsidenten
nach Dwight Eisenhower, der noch ein Mann von
Prinzipien war und der die jüdischen Stimmen nicht
benötigte. Kein Präsident will sich mit der
Regierung Israels anlegen, wenn er wieder gewählt
werden will oder - wie Bush jetzt – seine
Amtsdauer mit Würde beenden will und die
Präsidentschaft einem anderen Mitglied seiner Partei
übergeben möchte. Ein Senator oder
Kongressabgeordneter, der einen Standpunkt einnimmt,
den die israelische Botschaft nicht liebt, begeht
Harakiri á la Washington.
Das Schicksal
von Friedensplänen der aufeinander folgenden
Außenminister bestätigt auf den ersten Blick die
These der beiden Professoren John Mearsheimer und
Stephen Walt, die anfangs dieses Jahres für große
Aufregung sorgte. Nach dieser These, sind es immer
die israelischen Interessen, die sich bei einem
Konflikt mit den amerikanischen durchsetzen.
WIRD DAS dieses
Mal auch geschehen?
Baker bietet
seinen Plan zu einem Zeitpunkt an, an dem die USA im
Irak einer Katastrophe zu gewärtigen hat. Präsident
Bush ist bankrott, seine Partei hat die Kontrolle
über den Kongress verloren und könnte diese auch
bald über das Weiße Haus verlieren. Die Neo-Kons -
von denen die meisten Juden und alle Unterstützer
der israelischen Rechten sind - die die Kontrolle
über die amerikanische Außenpolitik hatten, sind
einer nach dem andern entfernt worden. In dieser
Woche wurde ein weiterer, der amerikanische
Botschafter bei den UN, Bolten, rausgeschmissen.
Deshalb könnte es sein, dass dieses Mal der
Präsident dem Rat des Experten Gehör schenkt.
Doch das muss
ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Die
demokratische Partei ist der „pro-israelischen“
Lobby nicht weniger unterworfen als die
republikanische, ja, vielleicht sogar noch mehr. Der
neue Kongress wurde tatsächlich unter dem Banner der
Opposition gegen den Krieg im Irak gewählt, aber
seine Vertreter sind keine Jihad - Selbstmörder. Sie
sind von der „pro-israelischen“ Lobby abhängig. Um
es mit Shamir zu sagen: „Der Plan ist derselbe Plan,
und der Mülleimer ist derselbe Mülleimer.“
In Jerusalem
war die erste Reaktion auf Bakers Plan totale
Zurückweisung. Man vertraut dort vollkommen auf die
Fähigkeit der Lobby, ihm noch vor seiner
eigentlichen Geburt, den Garaus zu machen. „Es hat
sich nichts verändert“, erklärte Olmert. „Es gibt
niemanden, mit dem man reden kann,“ plapperten die
Medien sofort nach. „Wir können so lange nicht mit
ihnen reden, so lange der Terror weitergeht“,
erklärte ein berühmter Experte im Fernsehen. Das ist
so ähnlich als sagte man: „Wie soll man mit jemandem
über ein Kriegsende reden, solange er auf unsere
Soldaten schießt?“
Über die
Mearsheimer-Walt-These schrieb ich, dass „der Hund
mit seinem Schwanz und der Schwanz mit seinem Hund
wedelt.“ Es wird interessant sein, dieses Mal zu
sehen, wer mit wem wedelt: der Hund mit seinem
Schwanz, oder der Schwanz mit seinem Hund.
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser
autorisiert)