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Gott will es!
Uri
Avnery, 6.9.14
SEIT
SECHS Jahrzehnten haben meine Freunde und ich unser Volk gewarnt:
wenn wir keinen Frieden mit nationalistisch arabischen Kräften
machen, werden wir uns mit den islamisch-arabischen Kräften
auseinander setzen müssen.
Der
israelisch-palästinensische Konflikt wird zu einem jüdisch
–muslimischen Konflikt. Der nationale Krieg wird zu einem religiösen
Krieg.
Nationale Konflikte
sind grundsätzlich rational. Sie betreffen Land. Sie können
gewöhnlich durch Kompromisse gelöst werden.
Religiöse Konflikte
sind irrational. Jede Seite glaubt an die absolute Wahrheit und
betrachtet automatisch alle anderen als Ungläubige, als Feinde des
einzig wahren Gottes.
Es kann keinen
Kompromiss zwischen wahren Gläubigen geben, die glauben, dass sie
für Gott kämpfen und ihre Befehle direkt vom Himmel erhalten: „Gott
will es!“ schrien die Kreuzfahrer und schlachteten Muslime und Juden
ab. „Allah ist der Größte!“ schreien fanatische Muslime und köpfen
ihre Feinde. „Wer ist wie DU unter den Göttern?“ schrien die
Makkabäer und vernichteten alle Mitjuden, die griechische Sitten
angenommen hatten.
DIE ZIONISTISCHE
Bewegung wurde nach dem Sieg der europäischen Aufklärung von
säkularisierten Juden geschaffen. Fast alle Gründer waren überzeugte
Atheisten. Wir waren meistens bereit, religiöse Symbole zur
Dekoration zu benützen, wurden aber klar von allen großen religiösen
Weisen ihrer Zeit angeprangert.
Vor der Schaffung
Israels war das zionistische Unternehmen in der Tat frei von
religiösen Dogmen. Sogar heute reden extreme Zionisten noch über den
„Nationalstaat des jüdischen Volkes“, nicht vom „religiösen Staat
des jüdischen Glaubens“. Sogar für das „national-religiöse“ Lager,
die Vorläufer der heutigen Siedler und Halb-Faschisten, war Religion
dem nationalen Ziel untergeordnet – die Schaffung eines nationalen
jüdischen Staates im ganzen Land zwischen Mittelmeer und dem
Jordanfluss.
Diese nationale
Offensive traf natürlich auf den resoluten Widerstand der arabischen
Nationalbewegung. Nach einigem anfänglichen Zögern wandten sich die
arabischen Führer dagegen. Dieser Widerstand hatte sehr wenig mit
Religion zu tun. Es stimmt, dass einige Zeit der palästinensische
Widerstand vom Groß-Mufti von Jerusalem. Hadj Amin al- Husseini,
geführt wurde, aber nicht wegen seiner religiösen Position, sondern
weil er der Führer von Jerusalems aristokratischster Familie war.
Die arabische
Nationalbewegung war immer entschieden säkular. Einige ihrer
hervorragendsten Führer waren Christen. Die pan-arabische Ba’ath
(Auferstehung)- Partei, die in Syrien wie im Irak dominierte, war
von Christen gegründet worden.
Der große Held der
arabischen Massen in jener Zeit war Gamal Abd-al-Nassar, obwohl
formal gesehen Muslim, war er ganz areligiös. Yasser Arafat, der
Führer der PLO, war privat ein frommer Muslim, aber unter seiner
Führung blieb die PLO eine säkulare Körperschaft mit vielen
christlichen Bestandteilen. Er sprach über die Befreiung von
Ost-Jerusalems „Moscheen und Kirchen“. Eine Zeitlang war das
offizielle Ziel der PLO in Palästina, einen „demokratischen und
nicht-konfessionellen“ Staat zu gründen.
WAS IST geschehen?
Wie verwandelte sich eine nationalistische Bewegung in eine
gewalttätige, fanatisch- religiöse?
Karen Armstrong, eine
Nonne, die Historikerin wurde, machte darauf aufmerksam, dass
dasselbe praktisch gleichzeitig in allen drei Religionen geschah. In
den US spielen evangelikale Christen jetzt eine große Rolle in der
Politik, in enger Zusammenarbeit mit dem jüdischen Establishment vom
rechten Flügel . In der ganzen muslimischen Welt gewinnen die
fundamentalistischen Bewegungen an Stärke. Und in Israel spielt ein
jüdischer Fundamentalismus eine immer größere Rolle.
Wenn dieselbe Sache
in so verschiedenen Ländern und Religionen geschieht, muss es doch
eine gemeinsame Ursache geben. Was ist das?
Es ist einfach, über
etwas Nebulöses zu reden, das auf Deutsch der „Zeitgeist“ genannt
wird, den Geist der Zeit, aber das erklärt sehr wenig.
In der muslimischen
Welt hat der Bankrott des liberalen, säkularen Nationalismus‘ eine
spirituelle Leere geschaffen, einen wirtschaftlichen Zusammenbruch
und nationale Demütigung. Das glänzende Versprechen des Nasserismus‘
endete in der erbärmlichen Stagnation unter Hosny Mubarak. Die
Baath-Diktatoren in Bagdad und Damaskus versäumten, einen modernen
Staat zu gründen. Die Militärs in Algerien und in der Türkei haben
es nicht viel besser gemacht. Nach dem Sturz des gewählten
demokratischen Führers Mohammed Mossadeq durch die westlichen
Mächte, die hinter dem Öl her sind, konnte der glücklose Shah nicht
die Leere füllen.
Und die ganze Zeit
über war der demütigende Anblick Israels vorhanden, das von einer
verachteten, kleinen, ausländischen Implantation zu einer großen
Militär- und Wirtschaftsmacht wurde und den Arabern immer leicht
wieder Prügel verpasst.
Nach jeder neuen
Niederlage fragen sich die Muslime selbst: Was ist falsch? Wenn der
Nationalismus bei beidem versagt, im Frieden und im Krieg, wenn es
beiden, dem Kapitalismus und dem Sozialismus, nicht gelingt, eine
gesunde Wirtschaft zu schaffen; wenn es weder europäischem
Humanismus noch sowjetischem Kommunismus gelungen war, die
spirituelle Lücke zu füllen, wo ist dann die Lösung?
Die donnernde
Antwort kommt aus der Tiefe der Massen: „Der Islam ist die Antwort!“
DER LOGIK nach müsste
es heißen: die israelische Antwort müsste das genaue Gegenteil sein.
Israel ist eine
Erfolgsgeschichte. Es hat nicht nur eine mächtige
Militärmaschinerie und glaubwürdige nukleare Fähigkeiten, sondern
ist eine technologische Macht und hat eine vergleichsweise gesunde
wirtschaftliche Basis.
Aber messianischer
Fundamentalismus, eng verbunden mit einem extremen Nationalismus,
diktiert jetzt unsern Kurs.
Am Vorabend des
letzten Krieges veröffentlichte der Kommandeur der Givati-Brigade
eine Tagesorder für seine Offiziere. Diese schockierte viele.
Die Givati-Brigade
war im 1948er-Krieg eine hervorragende Kampftruppe (Ich war einer
ihrer ursprünglichen Kämpfer und schrieb zwei Bücher darüber). Wir
waren sehr stolz auf ihre Zusammensetzung. Die Kämpfer waren eine
Mischung von Söhnen der Tel-Aviv-Elite und der ärmsten umgebenden
Slums – eine Mischung, die besonders erfolgreich war und dies in der
Schlacht bewies.
Der Brigadekommandeur
war ein früherer deutscher kommunistischer Untergrundkämpfer unter
den Nazis, der zum Zionismus konvertierte und Mitglied eines
Kibbuzes des linken Flügels wurde. Das waren die meisten seiner
Stabsoffiziere. Ich kann mich nicht an ein einziges Mitglied der
Brigade erinnern, das eine Kippa trug.
Man stelle sich
unsern Schock vor, als der jetzige Brigadekommandeur zu einem
heiligen Kampf aufrief, um Gottes Willen zu erfüllen. Oberst Ofer
Winter, der in seiner Jugend eine religiös-militärische Schule
besucht hatte, musste seinen Soldaten am Abend vor der Schlacht
folgendes sagen:
„Die Geschichte hat
uns zur Speerspitze im Kampf gegen den Gaza-Terroristenfeind
ausgewählt, der den Gott von Israels Schlachten verschmäht und
verflucht …Ich hebe meine Augen auf zum Himmel und rufe mit euch:
Höre, Israel, der Herr unser Gott, der Herr ist Einer! O Herr, der
Gott Israels, lass uns auf unserm Weg Erfolg haben, da wir zum Kampf
für Israel gegen einen Feind gehen, der deinen Namen verschmäht!“
Das offizielle Ziel
der israelischen Armee bei dieser Kampagne war, die Grenze zu
schützen und die auf israelische Städte und Dörfer geworfenen
Raketen zu stoppen. Aber das ist nicht das Ziel des Obersten. Er
sandte seine Soldaten in die tödliche Schlacht (drei von ihnen
starben) für den Gott Israels, gegen diejenigen, die seinen Namen
verfluchen.
Wenn dieser Offizier
der einzige religiöse Fanatiker in der Armee gewesen wäre, wäre das
schon schlimm genug. Aber die Armee ist jetzt voll von Kippa
tragenden Offizieren, die mit religiösem Eifer indoktriniert worden
sind und nun ihre Soldaten im selben Geist indoktrinieren.
Die
zionistisch-religiöse Partei und ihre fanatischen Rabbiner – viele
von ihnen ausgesprochene Faschisten – sind seit Jahren bemüht, ihre
Leute systematisch in das Armee-Offizierskorps zu infiltrieren. Es
ist ein Prozess der natürlichen Auswahl: Offiziere, die nicht gern
in den besetzten Gebieten als Kolonialherren agieren, verlassen die
Armee und werden hochtechnisierte Unternehmer, während messianische
Fanatiker dorthin gesandt werden, um ihren Platz auszufüllen .
Der Oberst ist
übrigens nicht getadelt oder in irgendeiner Weise zurecht gewiesen
worden. Im Gegenteil. Er ist während des Krieges als Vorbild eines
Kampf-kommandeurs gelobt worden.
ALL DIES führt mich
zu ISIS – dem islamischen Staat Irak und al-Sham (Groß-Syrien), der
seinen Namen in „Islamischer Staat“ verändert hat. Die Veränderung
bedeutet, dass die früheren Staaten, die von den westlichen
Kolonisatoren nach dem 1. Weltkrieg geschaffen wurde, aufgehoben
werden. Es wird einen islamischen Staat geben, der alle früheren und
gegenwärtigen islamischen Gebiete einschließt, einschließlich
Palästinas (und Israels).
Dies ist ein neues
und erschreckendes Phänomen. Es gibt natürlich eine Menge
islamistischer Parteien und Organisationen in der muslimischen Welt
– von der türkischen Regierungspartei zur ägyptischen
Muslim-Bruderschaft bis zur palästinensischen Hamas. Aber fast alle
beschränken ihren Kampf auf ihre nationalen Länder Türkei, Syrien,
Palästina, Jemen. Sie wollen die Macht übernehmen und ihre Länder
beherrschen. Sogar Osama bin Laden wollte vor allem sein
Saudi-Heimatland übernehmen.
ISIS
ist etwas ganz anderes. Es will alle Staaten zerstören, besonders
die muslimischen Staaten, die von den westlichen Imperialisten auf
dem islamischen Land aufgestellt wurden. Mit schrecklicher
Grausamkeit, das zum religiösen Symbol erhoben wird, hat sie sich
auf den Weg gemacht, die muslimische Welt und dann den Globus zu
erobern.
Es mag lächerlich
sein, wo doch das ganze Unternehmen nur aus ein paar Tausend
Kämpfern besteht. Aber diese winzige Militärkraft hat schon einen
riesigen Teil von Syrien und dem Irak erobert. Dies drückt das
muslimische Verlangen der Wiederherstellung des alten Ruhmes, seines
Hasses gegenüber all jenen (einschließlich uns), die den Islam
gedemütigt haben, also einen Durst nach geistigen Werten aus. Ich
kann mir nicht helfen: es erinnert mich an den Beginn der
Nazibewegung – ihre Wut, ihren Durst nach Rache, ihre
Anziehungskraft auf all die Armen und Gedemütigten.
Es mag nur wenige
Jahre dauern, um eine große Macht zu werden und all die Länder der
Region zu bedrohen.
BEDROHT ES Israel?
Natürlich tut es das. Wenn seine Dynamik anhält, wird es das
Assad-Regime überwältigen und die israelische Grenze erreichen, wo
andere islamische Rebellen in dieser Woche schon die ersten paar
Runden geschossen haben..
Mit solch einer
Gefahr, die vom Norden droht, scheint es lächerlich gegen eine
winzig kleine islamische patriotische Bewegung in Gaza zu kämpfen –
selbst wenn sie den Namen des Herrn verflucht.
Es mag sehr wenig
Zeit übrigbleiben, um Frieden mit der arabischen Nationalbewegung
zu schließen, besonders mit dem palästinensischen Volk –
einschließlich der PLO und der Hamas - und sich dem Kampf gegen den
islamischen Staat anschließen.
Die Alternative ist
furchterregend.
(dt. Ellen Rohlfs,
vom Verfasser autorisiert) |