Die
Trennung ist wunderbar
Uri Avnery, 7.Oktober 2017
MAN
STELLE
sich nur vor: eine neue Bewegung der Mizrahim in Israel.
Sie sagt, dass alle bestehenden Organisationen
der Mizrahim (orientalische Juden)
falsch
seien. Dass sie alle von der Ashkenasim (europäische Juden)-Elite
instrumentalisiert würden, um die Mizrahim zu unterwerfen. Dass die
orientalische Shas-Partei ein Witz sei, besonders nach dem Tod von
Rabbi Ovadia Josef, der ein authentischer Mizrahi-Führer war.
Sie sagt, dass der Likud das geschickteste
Instrument sei, um die Mizrahim unten zu halten. Dass die endlose
Herrschaft Benjamin Netanjahus die Personifizierung der
Ashkenasi-Elite sei, die die Machtlosigkeit der ignoranten
Mizrahim-Massen symbolisiere, die ihn und seine ganze
Ashkenasi-Bande an der Macht halte.
ALSO
WIRD
eine neue Mizrahi-Partei gegründet, die von energischen jungen
Leuten angeführt wird, die eine schockierende revolutionäre Idee
haben: die Trennung.
Ihr Plan ist, den Staat Israel in zwei Hälften zu
teilen. Alles, was nördlich davon ist, bleibt im Besitz der
Ashkenasim, alles was südlich davon ist, wird der neue souveräne
Mizrahim-Staat, der Medinat
Mizrah genannt
wird.
Von da kann deine Einbildung dich dorthin
führen, wohin du willst.
WO
WÜRDE
ich in solch einer Situation stehen? Frage ich mich ernsthaft; ich
finde mich in einer
sehr doppeldeutigen
Situation wieder.
Ich bin
ein Ashkenasi. Als Ashkenasi
- wie es verstanden wird – wurde ich in Deutschland geboren. Meine
Familie hat seit Ewigkeiten dort gelebt. Doch habe ich mich nie
als solch einer bezeichnet. Allein die Idee, ein „Ashkenasi
zu sein, ist mir fremd.
Zumal ich eine tiefe Neigung zur
Mizrahi-Gesellschaft habe. Ich hatte es sogar schon, bevor vier
junge Rekruten aus Marokko ihr junges Leben riskierten, um mein
Leben im 1948er Krieg zu retten. Ich war von früher Kindheit an der
orientalischen Kultur verbunden.
Mit so einer energischen orientalischen
Trennungsbewegung konfrontiert – frage ich mich – wo würde ich da
stehen? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Sicherlich würde ich
nicht die israelische Armee und Polizei schicken, um sie daran zu
hindern. Das würde irgendwie unmöglich sein, wenn man bedenkt, dass
die meisten Soldaten und Polizisten selbst Mizrahim sind,
Zum Glück ist die ganze Idee absurd. Es kann
nicht geschehen. Sogar weniger als die kurdische oder katalonische
Trennung.
SELTSAM GENUG
ist, dass die Kurden und die Katalanen zwei Völker sind, die ich
immer liebte.
Ich weiß nicht, wann ich anfing, die Kurden zu
lieben oder warum. In meiner Jugend wurden die Kurden als
freundlich, aber für primitiv gehalten. Die sprachliche Wendung „Ana
Kurdi“
(arabisch für „Ich bin ein Kurde“) bedeutete, dass ich eine
einfache Person bin, die ihre Aufgabe erfüllt, ohne viele Fragen zu
stellen.
Jüdische Immigranten aus dem Irakisch-Kurdistan
sprachen mit
Liebe
über ihre früheren
Gastgeber – ein seltenes Phänomen unter jüdischen Immigranten aus
andern Ländern.
In den 50ern lernte ich zufällig eine halb
geheime Zelle
von
ägyptisch-jüdischen Emigranten in Paris kennen. Sie unterstützten
den algerischen Kampf der Unabhängigkeit - eine Angelegenheit, die
ich selbst eifrig unterstützte. Ihr Führer Henri Curiel und eines
seiner Mitglieder war eine junge ägyptisch-jüdische Frau, Joyce
Blau, die auch eine leidenschaftliche Unterstützerin der kurdischen
Sache war. Dies war auch das Thema
ihrer akademischen Studien.
Durch sie, erfuhr ich mehr über die kurdische
Geschichte oder Tragödie. Obwohl Kurdistan ein geschlossenes
Territorium ist, ist es in vier Stücke geteilt worden, die
verschiedenen Staaten zugehören – Türkei, Iran, Irak und Syrien und
mehrere Gemeinden sind in andere Länder verteilt.
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges gab es
Anstrengungen, einen kurdischen Staat zu errichten, aber die
Raubgier der Sieger und das neue Auftreten einer starken Türkei
machte dies unmöglich. Die Kurden selbst waren nicht
ganz schuldlos
daran. Sie waren und sind durchweg nicht in der Lage, sich zu
einigen. Jede ihrer führenden Familien handelt gegen einander.
Nachdem ich den „Israelischen
Rat für algerische Unabhängigkeit“ gegründet hatte,
fand ich eine israelische Gruppe von Immigranten aus dem irakischen
Kurdistan und wir gründeten zusammen den „Israelischen Rat für ein
unabhängiges Kurdistan“.
Als Mitglied machte ich einige unvergessliche
Erfahrungen. Zweimal wurde ich zu Massen-Versammlungen der Kurden
nach Deutschland eingeladen. Massen-Meetings im buchstäblichen Sinn
– eine riesige Anzahl von Kurden aus ganz Europa spendete meiner
Rede Beifall, ein Auftrieb für mein Ego.
Meine Bemühungen wurden weniger, als ich
entdeckte, dass hohe israelische Armeeoffiziere schon im irakischen
Kurdistan waren, um den Peshmerga („Vor dem Tod“) –Guerillas zu
helfen. Das Motiv der israelischen Regierung, diese ihnen zu senden,
war ziemlich zynisch: um den irakischen Staat zu unterminieren,
entsprechend der ewigen römischen Maxime: „Divide et impera“ ,
teile und herrsche.
Wie gelangten sie dorthin? Ganz einfach, sie
waren unter dem wohlwollenden Schutz des Shah des Iran. Doch eines
Tages machte der Shah Frieden mit Saddam Hussein – und das war das
Ende dieses besonderen israelischen Projektes. Als der Shah
gestürzt wurde und der Iran Israels Todfeind wurde, wurde eine
israelische Intervention in Kurdistan unmöglich.
Aber das Gefühl bleibt. Ich bin davon überzeugt,
dass die Kurden Unabhängigkeit verdienen, besonders, wenn sie in der
Lage sind, sich einig zu werden. Da sie auch mit Öl-Reichtümern
gesegnet – oder verflucht - sind,
sind auch ausländische Interessen
involviert.
KEINE
ÄHNLICHKEITEN
gibt es zwischen den Kurden und den Kataloniern, außer das ich mit
beiden sympathisiere.
Katalonien ist ein hoch entwickeltes Land, und
während meiner mehreren kurzen Besuche dort, fühlte ich mich wie zu
Hause. Wie alle Touristen bummelte ich in der Rambla von Barcelona
– übrigens beide
scheinbar
hebräische Namen. Es sind Überbleibsel aus Zeiten, als Spanien
eine Kolonie von Karthago war, einer Stadt, die von einem
semitischen Volk aus Phönizien gegründet wurde, das eine Art
Hebräisch sprach . Barcelona kommt von Barak (Blitz im
Hebräischen) und Rambla aus dem Arabischen Ramle (sandig).
Einmal wurde ich rund um eine wissenschaftliche
Anpflanzung von Palmen in Süd-Katalonien geführt. Am Ende bekam ich
als Geschenk einen kleinen Palm-Schössling, den ich in meinem Gepäck
nach Hause schmuggelte im Widerspruch eines sensiblen Gesetzes, dass
es verboten sei, Pflanzen zu importieren. Sie steht noch stolz in
meinem Wohnzimmer, jetzt ziemlich hoch gewachsen.
Das Problem ist: ich liebe auch andere Teile
Spaniens, besonders Orte wie Cordoba und
Sevillia. Es wäre schade, Spanien zu zerbrechen.
Andrerseits kann man wirklich kein Volk daran hindern, die
Unabhängigkeit zu erlangen, wenn es sie wünscht.
Zum Glück fragt mich keiner.
DIE
GRÖSSERE
Frage ist, warum immer kleinere Völker die Unabhängigkeit wünschen,
während die Welt immer größere politische Einheiten schafft?
Es klingt so paradox – ist es aber nicht.
In dieser Generation sind wir Zeugen des Endes
des National-Staates, der in der Weltgeschichte der letzten
Jahrhunderte
dominiert hat.
Er war aus Notwendigkeit geboren. Kleine Länder waren nicht in der
Lage, moderne Massen-Industrien aufzubauen, die von einem großen
heimischen Markt abhängen. Sie konnten sich nicht selbst
verteidigen, wenn moderne Armeen immer raffiniertere Waffen fordern.
Selbst die kulturelle Entwicklung hängt von größeren Sprachgebieten
ab.
Darum schlossen sich Wales und Schottland England
an, Savoyen und Sizilien schufen Italien, Korsika und die Provence
vereinigten sich mit Frankreich. Kleine Nationalitäten schlossen
sich größeren an. Es war nötig, um zu überleben.
Die Geschichte geht weiter, und nun ist selbst
der
Nationalstaat
nicht mehr groß genug für den Wettbewerb. Staaten vereinigen sich zu
immer größeren Einheiten wie z.B. die Europäische Union (EU). Ich
hege keinen Zweifel, dass zum Ende dieses Jahrhundert an ihrer
Stelle eine effektive Weltregierung steht und die ganze Welt
tatsächlich in einen Staat verwandelt. (Falls einige Außer-Irdische
diese Welt bedrohen, wird dies helfen).
Wie passt die Trennung in immer kleinere Staaten
zu diesem Trend? Ganz einfach, wenn der Staat Spanien nicht mehr
die wirtschaftliche und militärischen Dinge braucht und seine
zentralen Funktionen sich von Madrid nach Brüssel begeben, warum
sollte dann Katalonien und das Baskenland sich
nicht von Spanien
trennen und sich nicht mit den eigenen Flaggen der Union
anschließen? Schauen wir nach Jugoslawien, oder sogar nach Russland.
Deutschland ist die große Ausnahme, es ist allein groß genug.
Die beiden Prozesse widersprechen sich nicht. Sie
ergänzen einander.
Der idiotische Brexit ist unhistorisch. Doch wenn
die Schotten und die Walliser sich von England trennen wollen, wird
es ihnen gelingen.
Ich habe großen Respekt vor der Macht des
Nationalismus. In unserm Zeitalter hat es sich bewiesen, dass
dieser stärker ist als die Religion, der Kommunismus oder jeder
andere Glauben. Er ist am stärksten, wenn er sich mit der Religion
verbindet wie in der arabischen Welt. So wird der Nationalismus
kleiner Völker bei Fußballspielen Befriedigung finden, während die
realen Geschäfte irgendwo anders geführt werden.
ZU
DIESEM
Zeitpunkt ist das israelische Parlament, die Knesset, dabei, ein
neues Gesetz zu erlassen, das
sich „Nation-Gesetz“
nennt, das beabsichtigt, klar und eindeutig zu machen, dass die
Jüdischkeit des jüdischen Staates der Demokratie und den
Menschenrechten vorgeschaltet ist.
Israel hat keine Verfassung, aber bis jetzt wurde
angenommen, dass Israel gleichermaßen „jüdisch“ und „demokratisch“
wäre. Das neue Gesetz ist dabei, diese Auffassung zu streichen.
Wie gewöhnlich hinken wir ein oder zwei
Jahrhunderte hinter der Weltgeschichte her.
(dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert.)
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