Der Frieden zwischen Israel und
Palästina ist möglich !!
Uri Avnery - 6. 9.
2013
Rückblick auf Oslo
ISRAEL
LIEBT Gedenktage. Die Medien sind voller Enthüllungen und
Erinnerungen an Gedenkereignisse, Augenzeugen berichten ihre
Geschichte zum zigsten Mal, Fotos füllen die Seiten und
TV-Schirme.
In den kommenden Tagen spielen zwei Gedenktermine diese
Rolle. Der Yom Kippurkrieg brach zwar erst im Oktober (1973)
aus, aber die Zeitungen und das Fernsehprogramm sind schon
voll davon.
Das Oslo-Abkommen wurde am 13. September (1993)
unterzeichnet. Kaum einer Erwähnung wert. Es ist fast aus
dem nationalen Gedächtnis ausgelöscht worden.
Oslo? Oslo in Norwegen? Geschah da etwas? Erzähl mir davon.
TATSÄCHLICH IST der das historische Datum für mich der 10.
September. An diesem Tag tauschten Yitzhak Rabin und Yasser
Arafat Briefe der gegenseitigen Anerkennung aus.
Der Staat Israel erkannte die Palästinensische
Befreiungsorganisation (PLO) als Vertreter des
palästinensischen Volkes an, und die PLO erkannte den Staat
Israel an.
Es ist eine der historischen Errungenschaften von Oslo, dass
möglicherweise heute keiner mehr die Wichtigkeit dieser
gegenseitigen Anerkennung begreifen kann.
Die zionistische Bewegung zielte offiziell auf die
Schaffung/Errichtung eines Heimatlandes für das jüdische
Volk in Palästina. Inoffiziell wollte es Palästina – und
zwar das ganze – in einen jüdischen Staat verwandeln. Da
Palästina schon von einem andern Volk bewohnt war, war die
Existenz dieses Volkes – als ein Volk – geleugnet werden. Da
die zionistische Bewegung in ihren eigenen Augen als
moralische und idealistische Bemühung angesehen wurde, war
diese Leugnung ein Grundlehrsatz des zionistischen Glaubens:
„Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“. Golda Meir
fasste dies in die berühmten Worte, dass „es so etwas wie
ein palästinensisches Volk nicht gebe“. Ich selbst habe
Hunderte vielleicht Tausende von Stunden in meinem Leben
verbracht mit dem Versuch, die israelische Zuhörerschaft zu
überzeugen, dass es wirklich ein palästinensisches Volk
gibt.
Und hier war der Ministerpräsident von Israel, der ein
Dokument unterzeichnete, das die Existenz des
palästinensischen Volkes anerkannte und so eines der vier
Hauptpfeiler des Zionismus nach fast hundert Jahren umwarf.
Yasser Arafats Erklärung war nicht weniger revolutionär. Für
jeden Palästinenser war es eine fundamentale Wahrheit, dass
der zionistische Staat das illegitime Kind des westlichen
Imperialismus war. Palästina war ein arabisches Land, das
seit vielen Jahrhunderten von Arabern bewohnt war, bis ein
Haufen ausländischer Siedler es mit Gewalt und Arglist
übernahm, die Hälfte seiner Bevölkerung vertrieb und den
Rest terrorisierte.
Und hier kam der Gründer und Führer der palästinensischen
Befreiungsorganisation und akzeptierte Israel als legitimen
Staat.
Eine Anerkennung dieser Art kann nicht rückgängig gemacht
werden. Es ist eine Tatsache in den Köpfen von Millionen
Israelis und Palästinensern und in aller Welt. Das ist der
grundsätzliche Wandel, der von Oslo aufgebaut wurde.
FÜR DIE große Mehrheit der Israelis ist Oslo tot. Die
Geschichte ist ganz einfach: wir unterzeichneten ein
großzügiges Abkommen. Und „die Araber“ brachen es, wie sie
es immer tun. Wir taten alles Mögliche für den Frieden, wir
ließen den hinterhältigen Arafat ins Land zurückkommen,
gaben ihm Waffen für seine Sicherheitskräfte – und was haben
wir bekommen? Keinen Frieden. Nur terroristische Angriffe.
Selbstmordattentate.
Die Lektion davon? Die Araber wünschen keinen Frieden. Sie
wollen uns ins Meer werfen. Wie Yitzhak Shamir es einmal
treffend bemerkte: „ Die Araber sind dieselben, und das Meer
ist noch dasselbe Meer.“
Für viele Palästinenser bedeutet die Lektion genau das
Gegenteil, Das Oslo-Abkommen war ein geschickter
zionistischer Trick, um die Besatzung in anderer Weise
fortzusetzen. Tatsächlich war die Situation der
Palästinenser unter Besatzung viel schlimmer geworden. Vor
Oslo konnten sich die Palästinenser im ganzen Land frei
bewegen vom Mittelmeer bis zum Jordan, von Nablus bis Gaza,
von Haifa bis Jericho, von überallher bis Jerusalem. Nach
Oslo ist dies unmöglich geworden.
WAS ALSO ist die Wahrheit? Ist Oslo tot? Natürlich nicht.
Die bedeutendste Errungenschaft des Oslo Abkommens, die
Palästinensische Behörde ist sehr lebendig, auch wenn sie
nicht mit Gewalt protestiert.
Man mag über die Behörde denken, was man will, Gutes oder
Schlechtes, aber sie ist da. Sie wird von der
internationalen Gemeinschaft als ein Staat im Werden
anerkannt, der Spenden und Kapital anzieht. Es ist die
sichtbare Verkörperung der palästinensischen Präsenz.
Trotz der alles durchdringenden Unterdrückung durch das
militärische Besatzungsregime gibt es eine dynamische,
vitale und sich selbst regierende palästinensische
Gesellschaft in beiden Teilen, in der Westbank und im
Gazastreifen, die sich weiter internationaler Unterstützung
erfreut.
Andererseits scheint der Frieden weit, weit entfernt.
UNMITTELBAR NACH der Unterzeichnung des Abkommens (die
„Prinzipienerklärung“ genannt wurde) auf dem Rasen des
Weißem Hauses, riefen wir in Tel Aviv ein Treffen der
Friedenskräfte zusammen, um es zu diskutieren.
Keiner von uns hatte Illusionen. Es war kein gutes Abkommen.
Arafat nannte es: „das bestmögliche Abkommen in der
schlimmst möglichen Situation.“ Es war kein Abkommen
zwischen Gleichen, sondern zwischen einer starken
Militärmacht und einem kleinen, fast hilflosen besetzten
Volk.
Einige von uns schlugen vor, das Abkommen auf der Stelle zu
verurteilen. Andere, einschließlich mir, akzeptierten es
unter Vorbehalt. „Die einzelnen Paragraphen sind weniger
bedeutend“, sagte ich, „Hautsache ist, die Friedens-Dynamik
setzt sich in Bewegung.“ Heute bin ich mir nicht sicher, ob
ich Recht hatte, aber ich bin mir auch nicht sicher, dass
ich Unrecht hatte. Es ist noch nicht heraus, ob es stimmt.
DER HAUPTFEHLER des Abkommens war, dass sein letztes Ziel
nicht festgelegt wurde. Während es für die Palästinenser (
und viele Israelis) offensichtlich schien, dass das Ziel
klar war: den Weg zwischen dem Staat Israel und die
Errichtung des Staates Palästina und den Frieden zwischen
ihm und dem Staat Israel., Aber für dir israelische Führung
war es überhaupt nicht klar.
Es war ein Interim-Abkommen – aber Interim wozu? Wenn man
von Berlin nach Paris fährt, sind die Zwischenstationen sehr
unterschieden von jenen, die man auf der Fahrt von Berlin
nach Moskau durchfährt.
Ohne Abkommen über die Endstation musste bei jeder einzelnen
Station unterwegs ein Streit ausbrechen. Die Einstellung zur
Versöhnung kippte schnell in Misstrauen auf beiden Seiten
um. Es wurde fast von Anfang an verdrießlich.
Man kann Rabin mit einem General vergleichen, dem es
gelungen ist, die Linien seines Gegners zu durchbrechen. Ein
General sollte in solch einer Situation nicht aufhören, über
die Dinge nachzudenken. Er sollte nicht stehen bleiben und
alles, war er hat, in die Bresche werfen. Aber Rabin hielt
an, erlaubte allen Oppositionskräften in Israel, sich zu
sammeln, sich neu zu formieren und einen fatalen
Gegenangriff zu beginnen.
Von Natur war Rabin kein Revolutionär. Im Gegenteil; er war
eher ein konserativer Typ, ein Militär ohne große Phantasie.
Durch die Anwendung reiner Logik war er zu der
Schlussfolgerung gekommen, dass es im besten Interesse
Israels wäre, mit den Palästinensern Frieden zu machen (eine
Schlussfolgerung, zu der ich 44 Jahre vorher gekommen war,
als ich denselben Weg beschritt.) Im Alter von 70 veränderte
er seine ganze Einstellung. Dafür verdient er großen
Respekt.
Aber einmal dort angekommen, zögerte er. Er hatte „Angst vor
seiner eigenen Courage“ (wie die Deutschen sagen). Statt
voran zu eilen, feilschte er lang und breit über jedes
Detail, sogar während eine intensiv faschistische
Propagandakampagne gegen ihn ausbrach. Dafür zahlte er mit
dem Leben.
WER ALSO brach das Abkommen zuerst? Ich muss meine eigene
Seite anklagen/ beschuldigen.
Es war Rabin, der verkündete, „Es gebe keine heiligen Daten“
(worauf ich bemerkte: „Ich wünschte, meinen Bankmanager
könnte er davon überzeugen) Termine eines Abkommens nicht
einzuhalten, bedeutet aber dieses Abkommen zu brechen? Der
Zeitplan, um eine ernsthafte Verhandlung für einen
Endfrieden zu beginnen, wurde ignoriert, und so wurde
natürlich auch das festgelegte Datum für den Abschluss des
Friedens: 1999. Zu jener Zeit dachte keiner mehr an Oslo.
Eine andere schicksalhafte Verletzung war das Versäumnis
„Vier sichere Passagen“ zwischen der Westbank und dem
Gazastreifen einzuführen. Zu Beginn zeigten Straßenschilder
„nach Gaza“ und wurden tatsächlich an der Straße von Jericho
nach Jerusalem aufgestellt, aber keine Passage wurde je
eröffnet.
Die Folge davon wurde erst viel später deutlich: als Hamas
im isolierten Gazastreifen die Macht übernahm, während die
Fatah sich an die Macht in der Westbank klammerte. Es war „divide
et impera“ wie es nicht besser (oder schlechter) hätte sein
können.
Nach dem folgenden Oslo-Abkommen wurde die besetzte Westbank
in vorläufige Zonen A, B und C geteilt. Die Zone C sollte
unter vollständiger israelischer Kontrolle bleiben. Bald
danach wurde klar, dass die israelischen Militärplaner sich
die Landkarte sehr sorgfältig ausgedacht haben: die Zone C
schloss alle Hauptstraßen ein und die Örtlichkeiten, die für
israelische Siedlungen vorgesehen waren.
Leute, die sich all dies ausgedacht haben, haben keinen
Frieden im Sinn.
Das Bild ist ganz und gar nicht einseitig. Während der
Oslo-Periode hörten palästinensische bewaffnete Angriffe auf
Israelis nicht auf. Arafat hat sie nicht initiiert, aber er
tat auch nichts, um sie zu verhindern. Wahrscheinlich dachte
er, dass diese Nadelstiche die Israelis dahin bringen
würden, das Abkommen zu erfüllen. Sie hatten die
gegenteilige Wirkung.
DIE ERMORDUNGEN von Rabin und Arafat setzten allen
Aussichten von Oslo ein Ende. Aber die Realität hatte sich
nicht verändert.
Die Erwägungen, die Arafat Ende 1973 zu dem Entschluss
brachten, mit Israel zu verhandeln zu müssen und die Rabin
1993 dahin brachten, mit den Palästinensern zu reden, haben
sich nicht verändert.
In diesem Land leben zwei Nationen, und sie müssen wählen:
zusammen zu leben oder zusammen zu sterben. Ich hoffe, dass
sie das Leben wählen.
Eines Tages werden öffentliche Plätze in Tel Aviv nach
diesem Abkommen benannt werden. Natürlich auch in Oslo.
(aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser
authorisiert)