Eine
glitzernde Seifenblase
Uri Avnery, 2.12.06
EINER MEINER
Freunde, der in Ägypten aufwuchs, nahm nach dem
1956er Sinai-Krieg an den Verhören gefangen
genommener ägyptischer Offiziere teil.
Ein
ägyptischer Oberstleutnant sagte zu ihm: „Jedes Mal,
wenn David Ben-Gurion eine Rede hielt und
erklärte, dass er die Hand zum Frieden ausstreckt,
haben wir unsere Armee in Alarmbereitschaft
versetzt.“
Tatsächlich
war das eine typische Methode Ben-Gurions: bevor er
eine Militäraktion startete, hielt er eine Rede, die
in dem Satz gipfelte: „Wir strecken die Hand zum
Frieden aus!“ Häufig fügte er noch hinzu, er sei
bereit, arabische Führer von Angesicht zu Angesicht
zu treffen, er sei zu Verhandlungen ohne
Vorbedingungen bereit und Ähnliches …
NUN HAT
Ben-Gurion einen Erben gefunden.
Selbst in
seinen dunkelsten Träumen hätte Ben-Gurion sich
einen Erben wie Olmert nicht vorstellen können –
einen Politiker, der all die Züge personifizierte,
die Ben-Gurion verachtete. Aber, wie schon in der
Bibel steht „preisen die Toten den Herrn nicht“
(Ps.115), und jemand der in die jenseitige Welt
geht, kann seinen Erben nicht aussuchen.
Letzte Woche
fuhr Olmert durch die Wüste ans Grab Ben-Gurions
und hielt dort eine Rede, die ihm den Status
seines Nachfolgers bescheren sollte. Darüber sollen
keine Worte verschwendet werden. Aber es ist
zweifellos aufschlussreich, die Rede selbst zu
analysieren.
Auf den ersten
Blick war es die Rede eines Peaceniks, wie wir
schon lange keine mehr gehört haben. Einige
sagen, es sei eine Antwort auf die Worte, die der
Schriftsteller David Grossman bei der
Rabin-Gedenkralley an ihn gerichtet habe. Und
tatsächlich gibt es Ähnlichkeiten zwischen beiden:
So reich Grossmans Rede an sublimen Einschätzungen
und arm an praktischen Vorschlägen war, so hat sich
Olmert mit eindrucksvollen Phrasen selbst
übertroffen, die aber jeden Inhalt entbehren.
WAS HAT ER nun
gesagt?
„Wenn ihr ( die
Palästinenser) euch eine neue Regierung gebt, die
die Prinzipien des Quartetts erfüllt, eine
Regierung, die die Road Map realisiert und Gilad
Shalit frei lasst – dann werde ich Abu Mazen (Mahmoud
Abbas) vorschlagen, mich sofort zu treffen, mit dem
Ziel einen wirklichen, ernsten, offenen und
ehrlichen Dialog zu führen.“ (Ich habe die Rede
wörtlich übersetzt, da die offizielle Übersetzung
einen bearbeiteten Text hatte.)
Das klingt ganz
vernünftig. Doch wenn man genauer hinsieht, dann ist
es nur eine Seifenblase.
Seit den Tagen
Ben-Gurions haben alle unsere Regierungen diese
Taktik angewandt: sie sagen ja zu jedem
Friedensvorschlag – und fügen eine kleine
Vorbedingung hinzu, die aus dem „ja“ ein „nein“
macht.
Was verlangt
Olmert von der palästinensischen Regierung? Nur
kleine Dinge: Israels Existenzrecht anerkennen ohne
definierte Grenzen (und ohne dass Israel das
Existenzrecht eines palästinensischen Staates
innerhalb der Grenzen von 1967 anerkennt), die
Gewalt zu beenden (ohne eine parallele Verpflichtung
durch Israel) und alle Abkommen anerkennen, die in
der Vergangenheit unterzeichnet wurden (fast alle
wurden von Israel genau so verletzt wie von den
Palästinensern).
Außerdem muss
die palästinensische Regierung ihre Verpflichtungen
gegenüber der Raod Map erfüllen. Dieses lächerliche
Dokument, ein Produkt von Bush & Co, verlangt, dass
die Palästinenser als erstes alle
„Terrororganisationen“ entwaffnen. Das heißt: alle
militärischen Organisationen der palästinensischen
Parteien. Solange aber die Besatzung besteht, ist
dies eine vollkommen unmögliche und unvernünftige
Forderung, und die Palästinenser sind damit
natürlich nicht einverstanden. Es käme der Forderung
gleich, Israel sollte als ersten Schritt die IDF
auflösen.
Olmert schlägt
nicht vor, dass auch Israel die Road Map ausführt.
Nach dem Dokument sollte parallel zur Auflösung der
militärischen palästinensischen Organisationen
Israel alle Siedlungsaktivitäten einstellen.
Tatsächlich waren diese nicht einen Augenblick
eingestellt worden und sind zur Zeit in vollem
Schwunge.
Was würde
geschehen, wenn die Palästinenser alle diese
einseitigen Bedingungen erfüllen würden? Olmert wäre
damit einverstanden, Abu-Mazen „sofort“ zu treffen.
Wofür? Um einen „wirklichen, offenen und ernsthaften
Dialog zu führen“.
Die Worte sind
sehr genau ausgewählt worden. Nicht „Verhandlungen“,
Gott bewahre! Sondern einen „Dialog“. Ein Terminus,
der zu nichts verpflichtet. Wenn wir aus diesem Text
alle netten Worte streichen, die nur der Dekoration
dienen, wie „sofort“, „wirklich“, „offen und
ehrlich, „ernsthaft“ – dann bleibt nichts, außer
dem Abkommen für ein Treffen. Vielleicht gibt es
Leute, die sich nach einem Treffen mit Olmert sehnen
– das ist Geschmackssache – aber dies hat keinerlei
politische Bedeutung.
OLMERT SPART
nicht mit Worten. „Im Rahmen des Dialogs ( wieder
„Dialog“ und nicht „Verhandlungen“) und in
Übereinstimmung mit der Road Map (s.o.) werden die
Palästinenser in der Lage sein, einen unabhängigen
und lebensfähigen palästinensischen Staat auf einem
zusammenhängenden Gebiet in Judäa und Samaria
errichten können ( Olmert benützt diese
Bezeichnungen, anstelle „Westbank“, die ein Symbol
für die Opposition der Besatzung wurde), einen
Staat mit voller Souveränität und genau
festgelegten Grenzen.“
Das klingt
wirklich gut. Keine „vorläufigen Grenzen“ wie es in
der Road Map steht, sondern „festgelegte Grenzen“.
Nur eine Kleinigkeit: Wo werden diese sein?
Mancher mag
sagen: Man macht seine Endpositionen nicht vor dem
Verhandlungsbeginn bekannt. Aber die Palästinenser
werden aufgefordert, alles vor dem Beginn des
„Dialoges“ zu erfüllen.
„Wir, der Staat
Israels, werden mit der Evakuierung vieler Gebiete
und der Siedlungen in ihnen einverstanden sein. Das
wird äußerst schwierig für uns sein – vergleichbar
mit der Teilung des Roten Meeres (wie man im
Hebräischen sagt) – wir werden diesen Test aber
bestehen – wenn es im Austausch dafür echten
Frieden zwischen uns und euch geben wird.“
Auch das klingt
gut. Doch was ist damit gemeint? Die Räumung „vieler
Gebiete“ und nicht „aller Gebiete“, nicht einmal
„der meisten Gebiete“.( Im Israelischen sagte man
„Gebiete“ und meint „die besetzten Gebiete“, eine
Bezeichnung, die von offizieller Seite vermieden
wird.)
Also nicht „die
Grenzen, die am Vorabend des Sechstagekriegs
bestanden haben“. Nicht einmal die Grenzen, die sich
auf die Grüne Linie beziehen, was kleine
Veränderungen und einen Landtausch erlauben würde.
Sondern eine neue Grenze, die die „Siedlungsblöcke“
an Israel anschließt, wie sie von der Trennungsmauer
bestimmt wird. Das bedeutet die Annexion von
wenigstens 10% der Westbank, wenn nicht gar mehr.
Und warum
nicht? In diesem Stadium wird die andere Seite schon
entwaffnet sein und ein Israel ohne festgesetzte
Grenzen schon anerkannt haben.
Das ist der
alte Plan Ariel Sharons: die kleinen und verstreuten
Siedlungen räumen, in denen etwa 20% der Siedler
leben, um die Gebiete zu annektieren, die von 80%
der Siedler besetzt sind.
Olmert sagte
nichts, was mit dem erweiterten Jordantal geschehen
soll, das etwa 20% der Westbank ausmacht und das –
abgesehen von Jericho - schon vollständig von ihr
abgeschnitten ist. Er erwähnte auch Ost-Jerusalem
nicht, in dem sich schon weitere 200 000 Siedler
eingerichtet haben.
Er versprach,
dass er mit der Freilassung des gefangen genommenen
Gilat Shalit bereit sein würde, „zahlreiche
palästinensische Gefangene, einschließlich solcher
mit langen Gefängnisstrafen, frei zu lassen, um das
Vertrauen zwischen uns wachsen zu lassen und zu
beweisen, dass wir tatsächlich unsere Hände zum
Frieden ausstrecken.“
Nach Entfernung
von allem Bla-Bla in diesem Satz, sagt er aus, dass
Olmert bereit sei, auch langjährige Gefangene zu
entlassen, solche „mit Blut an den Händen“, was er
und seine Vorgänger bisher immer zu tun abgelehnt
hatten – als Gegengabe für den Soldaten, so wie
Hamas verlangt. Das bestätigt nur die
palästinensische Ansicht, Israel verstehe nur die
Sprache der Gewalt und dass es nie irgendetwas
aufgeben würde – es sei denn, es würde dazu
gezwungen.
Es scheint,
Olmert war in einer besonders großmütigen Stimmung;
denn er fügte noch hinzu: „Mit dem Ende des Terrors
und der Gewalt werden wir die Zahl der
Straßensperren reduzieren und die Bewegungsfreiheit
in den Gebieten vergrößern und den Transport von
Menschen und Waren in beide Richtungen erleichtern,
die Operationen am Grenzübergang zum Gazastreifen
verbessern, das von uns einbehaltene Geld ihnen (den
Palästinensern) frei geben, um die humanitäre Not,
unter der viele von ihnen leiden, zu mildern.“
„Danke,
wirklich danke von ganzem Herzen!“ sollte ein
Palästinenser antworten. Es ist nicht das Ende der
Besatzung, nicht einmal das Aufheben der Blockade
des Gazastreifens; nur die Auflösung einiger
Straßensperren, wobei andere dort bleiben, wo sie
sind. Nicht die Rückgabe der Bewegungsfreiheit,
sondern nur ein Abkommen, das die geduldete
Bewegung „vergrößert“. Nichts von einer Öffnung der
Passage zwischen dem Gazastreifen und der Westbank
(wie es das Oslo-Abkommen vor dreizehn Jahren
vorgesehen hat) .Aber wenigstens würden wir das
palästinensische Geld zurückgeben, das von uns
„zurückgehalten“ wurde. „Unterschlagen“ wäre der
passendere Ausdruck.
Und was sagte
Olmert in seiner Rede nicht? Er schlug keine
Waffenpause in der Westbank vor. Warum? Weil die
Armeechefs dagegen sind. Aber sogar ein Kind kann
verstehen, dass ohne Waffenpause dort auch die
Waffenpause im Gazastreifen nicht halten wird. Die
Mitglieder der palästinensischen Organisationen im
Gazastreifen werden nicht still sitzen können, wenn
ihre wehrlosen Kameraden und Brüder in der Westbank
getötet, verletzt und verhaftet werden. Ganz zu
schweigen von der Zerstückelung, die in dem
Vorschlag liegt – im Widerspruch zum Osloabkommen,
das eindeutig festlegt, dass die Westbank und der
Gazastreifen „eine territoriale Einheit“ darstellen.
WIE SOLL man
also diese Rede bezeichnen?
Es ist leichter
zu sagen, was sie nicht ist: sie stellt keinen
„Wendepunkt“ in der Politik der Regierung dar. Ein
„Wendepunkt“ ist ein Wechsel in der Richtung, die es
nötig machen würde, die Öffentlichkeit darauf
vorzubereiten, indem man ihr die Gründe der
Veränderung und die erwarteten Folgen darlegen
würde. Nichts von all dem wurde getan. Nicht einmal
die Sprecher der extremen Rechten regten sich
darüber auf.
Die richtige
Bezeichnung ist Propaganda - nur eben noch ein
weiterer Taschenspielertrick, der von den
„Image-Beratern“ und PR-Beratern vorbereitet
wurde.
Es stimmt,
selbst PR kann eine positive Seite haben. Olmert
hatte sich entschieden, die PR friedlichen und nicht
kriegerischen Angelegenheiten zu widmen. Das macht
deutlich, er glaube, dass die israelische
öffentliche Meinung sich in diese Richtung bewegt.
Dazu kann sich das israelische Friedenslager selbst
gratulieren. Aber es gibt noch keinen Grund, vor
Freude auf den Straßen zu tanzen.
WARUM HAT
Olmert überhaupt solch eine Rede gehalten? Und warum
gerade jetzt?
Es gibt interne
Gründe. In Israel ist – zu Recht – der Eindruck
gewachsen, dass dies eine Regierung ohne Agenda und
ohne politischen Plan sei - mit Grossman eine
„hohle“ Regierung, deren einziges Ziel es sei,
politisch zu überleben.
Olmert hielt es
für notwendig, dieses Vakuum zu füllen und das Image
eines Ministerpräsidenten zu schaffen, der weiß, was
er tut und der dafür kämpft, ein klares Ziel zu
erreichen.
Und es gibt
einen äußeren Grund, der bei weitem wichtiger zu
sein scheint. Olmert mag bankrott sein, aber
Präsident Bush ist noch mehr verzweifelt. Er war in
den Nahen Osten gekommen, um den amerikanischen
Wähler davon zu überzeugen, dass er, Bush, genau
weiß, was er im Irak und in der ganzen Region tut.
Er braucht dringend einen sichtbaren Erfolg. Er
führt nun die Tradition seiner Vorgänger weiter:
wenn ein amerikanischer Präsident nicht mehr weiter
weiß, dann wendet er sich dem
israelisch-palästinensischen Konflikt zu und
erreicht einen „Durchbruch“.
Bush verlangte
von Olmert eine Geste, um die Welt zu beeindrucken.
Also machte er eine Geste, hielt eine Rede, voll
netter Phrasen, machte Versprechungen, hinter denen
nichts steht.
Man erinnere
sich: Bush wollte wie ein entschlossener Staatsmann
aussehen, der mit den „moderaten“ arabischen Führern
eine Front gegen die „Achse des Bösen“, den Iran,
Syrien, die Hisbollah und die Hamas aufbaut. Deshalb
kam er nach Amman, statt seine Handlanger zu einer
Konferenz nach Washington zu zitieren. Die Führer
von Saudi Arabien, Ägypten und Jordanien kennen aber
die Gefahren, wie Israels Agenten auszusehen.
Deshalb verlangte Bush von Olmert, er möge in seiner
Rede auf die saudi-arabische Friedensinitiative
hinweisen, die von der israelischen Regierung
abgewiesen wurde, nachdem sie von allen arabischen
Ländern akzeptiert wurde. Diese Initiative besagt,
die ganze arabische Welt werde Israel anerkennen
und normale Beziehungen mit ihm aufnehmen, wenn es
sich auf die Grenzen vom 4. Juni 1967 zurückziehen
würde. Jetzt auf einmal erklärt Olmert, dass es in
der Initiative „positive“ Elemente gibt. Aber
akzeptiert er hat sie auch jetzt nicht.
Bush ist nach
Hause zurückgekehrt und wird die ganze Sache
vergessen. Olmerts Rede wird zu den vielen anderen
Reden gelegt, die schon am nächsten Tag vergessen
sind. Also eine weitere Rede eines israelischen
Führers, der „seine Hand zum Frieden ausstreckt“!.
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)