Ich werde Arafat vermissen
Interview des Haaretz-Journalisten Ari Shavit mit Uri Avnery,
Haaretz,14.11.2004
Uri Avnery ist unerschütterlich in
seinem Glauben, Yasser Arafat sei ein Gigant und ein Partner für
Israel gewesen – seine einzige Gelegenheit, die Israel tatsächlich
versäumt hat. Der zornige junge Mann in Jenin kümmert sich nicht um
Abu Ala oder Abu Mazen. In Wirklichkeit haben Sharon und Bush das
Feld Osama bin Laden überlassen.
Uri Avnery hat in seinen 81 Jahren
eine ganze Menge erreicht. Er kämpfte in der vorstaatlichen
Untergrundgruppe Lehi, dann im Unabhängigkeitskrieg mit „Samsons
Füchsen; er schrieb die bedeutendsten Echtzeit-Bücher über den Krieg
(„Auf den Feldern der Philister“ und „Die andere Seite der
Medaille“); er war der Herausgeber des Wochenmagazins, das das
Gesicht des israelischen Journalismus (Ha’olam Hazeh) veränderte;
er baute die politische Bewegung auf, die die israelische Linke
gestaltete („Ha’olam – Koah Hadash“); er war einer der führenden
Sprecher der arabisch-israelischen Kultur Doch vor allem,
vollbrachte Uri Avnery einen wichtigen politischen Akt: er brachte
Yasser Arafat in unser Leben.
1974 war Avnery der erste Israeli,
der Gespräche mit Arafats Vertretern begann. 1982 war er der erste
Israeli, der Arafat traf und ihn interviewte. 1994 saß er an Arafats
Seite, als der palästinensische Führer in den Gazastreifen
zurückkehrte. Seit 30 Jahren ist Avnery der begeistertste Anhänger
von Arafats politischer Option. Selbst wenn andere der Linken über
den Vorsitzenden verzweifelt sind und ihn verlassen, fuhr Avnery
fort in die Muqata zu pilgern, Arafats Hauptquartier in Ramallah .
Selbst in den gewagtesten Zeiten fungierte er als Arafats
menschliches Schutzschild und sein Anwalt. Loyal, hartnäckig, sein
Leben riskierend kämpfte der israelische Journalist die Schlacht des
Führers der palästinensischen Nationalbewegung mit.
Avnery ist eine ausgesprochen
nüchterne Person. Rational, kühl und präzise. Immer sorgfältig
gekleidet, immer elegant, ( in seiner hebräischen Sprache) immer
noch den nachklingenden deutschen Akzent. Aber Dienstag nacht, als
die palästinensische Führung zugab, dass der Rais ( Chef) im
Sterben lag , hat ihn das Drama von Arafats Tod doch plötzlich
ergriffen. Im Wohnzimmer seiner Tel Aviver Wohnung schaute Avnery
trauriger und verwundbarer aus als je . Auf einmal schien es, dass
wahrer menschlicher Kummer in seinen stahlblauen Augen hoch kam.
Ein großer
Fehler
Uri Avnery, als einer der Arafat
nahe stand, glauben Sie nicht, dass es etwas Demütigendes gibt über
die Art und Weise, wie der Tod über ihn kam?
A.: „Bedauerlicherweise hat Suha
(Arafats Frau) nicht den Test der Geschichte bestanden. Sie war
Arafats großer Fehler. Er heiratete sie in einem Moment der
Schwäche, als er plötzlich nach allem eine Familie wollte. Aber
dieser Wunsch verging sehr schnell angesichts der Opposition, die
sie nach der Hochzeit hervorrief. Die Leute konnten nicht verstehen,
warum der Mann, der mit der Revolution verheiratet war, plötzlich
heiraten wollte. Und nicht einmal eine muslimisch arabische Frau,
sondern eine Christin, eine moderne Frau, eine Außenseiterin, eine
Blondine. Ihm wurde bald klar, dass er sich von ihr distanzieren
muss - und sie wurde bitter. Die Folge war das Ende, das wir gerade
erlebt haben, das unpassend war und auch mich zweifellos verletzte.
Und zwar sehr. Arafat hat etwas anderes verdient. Aber in ein paar
Wochen wird dies alles vergessen sein; was bleiben wird, ist ein
Tod, der einen großen symbolischen Wert in sich trägt.
In einer endgültigen Analyse, die in
die Geschichte der Palästinenser eingehen wird, ist es, dass die
Person, die sie fast 50 Jahre geführt hat, im Ausland gestorben ist.
Wie die meisten Palästinenser. Und was wird in die palästinensischen
und arabischen Mythen eingehen? Dass der Führer der
Befreiungsbewegung an der Schwelle der palästinensischen
Unabhängigkeit gestorben ist, ohne sie noch zu erleben. Das wird
symbolische Bedeutung haben, die Jahr zu Jahr größer wird, wie die
Gestalt Arafat selbst.“
Was meinen Sie damit? Wird Arafat
nichts weniger als ein palästinensischer Moses werden ?
„Da besteht eine große Ähnlichkeit
zum Tode von Moses, der ein Volk aus der Sklaverei führte und auf
seinem Marsch zur Freiheit 40 Jahre lang, fast genau wie Arafat,
führte. Es gibt zudem eine Ähnlichkeit in der Tatsache, dass auch
Arafat nur die Schwelle zum Verheißenen Land erreicht hat. Er sah es
von ferne, konnte es aber nicht mehr betreten. Ich habe in den
letzten Tagen viel darüber nachgedacht. Die Symbolik ist hier sehr
groß. Genau deshalb wird der tote Arafat eher noch stärker sein als
der lebende.“
Glauben Sie wirklich, dass Arafat
ein großer historischer Führer war?
„ Ein sehr großer. Yasser Arafat
wird als einer der größten Führer des 20. Jahrhunderts im Gedächtnis
bleiben. Manchmal wird er mit Nelson Mandela verglichen. Aber
Arafats Aufgabe war 1000 mal schwieriger als die von Mandela, der 28
Jahre im Gefängnis verbrachte und so völlig unbeeinträchtigt von
externen und internen Kämpfen und jeder Verbindung zum Terror
blieb. Und am Ende übernahm er einen bestehenden Staat. An einem Tag
war er der Führer einer Befreiungsbewegung – am nächsten Tag war er
Präsident..
Im Gegensatz dazu, empfing Arafat
ein weit zerstreutes Flüchtlingsvolk, dass unter arabischen
Diktaturen lebte. Ein Volk, dessen Führung von Geheimdiensten von
einem halben Dutzend Ländern verfolgt wurde, einschließlich Israel.
Die Folge davon war, Arafat war gezwungen zu lügen, manchmal
gegenüber diesen arabischen Führern, manchmal gegenüber einem
anderen. Er musste seine Zuflucht zu Ambivalenz nehmen und musste
manövrieren. Diese Fähigkeit ist vielleicht seine bedeutendste
Eigenschaft.
Arafat hatte einen Staat aus dem
Nichts zu schaffen einen Staat, in dem es keine Infrastruktur,
keine Wirtschaft, keine Regierungsapparate gab. Außerdem musste er
die Spannungen zwischen der alten Führungsschicht aus Tunis und der
jungen lokalen Führung überbrücken, auch zwischen Christen und
Muslimen, zwischen Frauen und Männern und zwischen den Hamulas
(Clans); zwischen Flüchtlingen und den Bewohnern der (besetzten)
Gebiete. Er musste das ganze Paket zusammenhalten – fast allein und
unter unglaublichen Umständen. Und es gelang ihm. Es gelang ihm
auch, nicht nachzugeben. Er stand fest gegen Clinton und (den
früheren israelischen Ministerpräsidenten Ehud) Barak und
kapitulierte nicht. Da gibt es also bei mir keinen Zweifel, dass er
einer der größten Helden der arabischen Geschichte werden wird. Er
wird ins Pantheon der arabischen Helden aufgenommen werden, wie
Kalif Omar und Salah a-Din.“
Denken Sie wirklich so – nachdem er
nur der Führer einer sehr problematischen Nationalbewegung eines
kleinen arabischen Volkes war?
„ Diese kleine Nation wurde zum
Symbol für die ganze arabische Welt. Weil die arabische Welt heute
in einem gedemütigten Zustand ist. Ihr ganzer Vorstoß richtet sich
gegen die westliche Expansion. Wenn ein 18 Jähriger in Kairo, Riad
oder Damaskus sich nach einem Vorbild umschaut, dann sieht er nur
Arafat. Jeder Araber, der die Demütigung der arabischen Nation
empfindet, identifiziert sich mit Arafat als einer Person, die nicht
bezwungen wurde, als jemand mit Mut und der trotz aller
Verleumdungen davon unberührt blieb. In diesem Sinne ist Arafat
völlig anders als die anderen Führer in dieser Region . Er überragt
die hässlichen und armseligen Bilder von Leuten wie Mubarak,
Abdullah oder Assad. Tatsächlich gibt es nur noch eine Gestalt, die
mit Arafat konkurriert: Osama Bin Laden. Und diese beiden vertreten
die Gegensätze der arabischen Welt.
„Arafat war religiös, ja, aber seine
Führung war säkular. Er vertrat eine im Wesentlichen säkulare
nationale Bewegung. Er vertrat den arabischen Nationalismus in einer
europäischen Form. Im Gegensatz dazu, vertritt Bin Laden einen
anti-nationalen, islamischen Fundamentalismus, der arabischen
Nationalismus genau wie der Haredi (Ultra-Orthodoxen ) Judaismus
israelischen Nationalismus ablehnt. Deshalb machten sowohl Israel
als auch die USA einen schrecklichen Fehler, indem sie sich nicht
mit Arafat verbündeten. Weil in Zukunft alle arabischen Revolutionen
einen fundamentalistischen Charakter haben werden. Arafat wäre die
letzte Chance für einen Sieg des arabischen Nationalismus nach
westlichem Format gewesen. Er war die letzte Barriere gegenüber den
extremen islamischen Mächten gewesen.“
Ich bin mir nicht sicher – ob ich
das verstanden habe – können Sie dies noch genauer darlegen?
„ Die größte Gefahr, der Israel
gegenüber steht, ist die Gefahr durch Salah a-Din, durch einen
Gegenkreuzzug, in dem die arabischen Welt sich unter dem islamischen
Banner vereinigt. Das ist eine wahre existenzielle Gefahr für
Israel. Arafat war das ganze Gegenteil davon, zum einen im kleinen
palästinensischen Raum und als Symbol für die ganze arabische Welt.
Der ägyptische Denker Mohammed Sid Ahmed sagte deshalb, wenn Arafat
nicht existiert hätte, dann hätte Israel ihn erfinden müssen. Arafat
war ein natürlicher Partner, um Israels Zukunft abzusichern.. Aber
wir haben uns töricht benommen. Wir brachen ihn. Wir verstanden
nicht, dass er ein wichtiges Element im Wall gegen den
Fundamentalismus war. Wir verstanden nicht, dass Arafat der einzige
Gegenpol zu Bin Laden und seinen Gefolgsleuten und Nachfolgern war.“
Behaupten Sie also, dass die
Anti-Arafat-Politik, die von Ministerpräsident Sharon und Präsident
Bush praktiziert wurde, eine Katastrophe war?
„Sharon ist ein Ignorant und Bush
auch. Das verbindet beide. Sie sind beide entsetzlich primitive
Menschen, die nicht fähig sind, weite historische Zusammenhänge zu
begreifen. Die gemeinsame Bemühung beider, Arafat zu brechen, stellt
eine historische Kurzsichtigkeit unhistorisch denkender Leuten dar
. Leute, die Geschichte nicht verstehen und die Geschichte nicht
leben. Beide haben tatsächlich das Feld Bin Laden überlassen.
Dadurch, dass Bush den Irak zerstört und beide gemeinsam Arafat
gebrochen haben, führen sie sowohl Amerika als auch Israel in eine
Katastrophe. Amerika kann damit fertig werden. Auch wenn die Folge
eine weitere Zerstörung von hundert Türmen ist und die Umwandlung
der USA in eine faschistische Diktatur, Amerika wird sich letzten
Endes erholen und geheilt werden. Für Israel ist es allerdings ein
existentielles Problem. Indem wir Arafat ruiniert haben, machten wir
einen historischen Fehler, den wir wahrscheinlich nicht mehr
berichtigen können.“
Freundlich
und warmherzig
Lassen wir das Urteil der Geschichte
eine Weile beiseite. Sie trafen Arafat viele Male und verbrachten
Hunderte von Stunden mit ihm. Was für eine Art Mensch ist er?
„Arafat ist immer eine Überraschung
für den, der ihn zum ersten Mal begegnet . Wie so? Der Unterschied
zwischen seinem TV-Image und der Wirklichkeit ist erstaunlich.
Zunächst mal sein Bart . Im Fernsehen sieht er immer wie ein
Zweitagebart aus. In Wirklichkeit ist er gefleckt, schwarz und weiß
gesprenkelt. Dann die Augen. Im TV sehen sie ein bisschen verrückt,
ein bisschen fanatisch aus. In Wirklichkeit aber sind sie genau das
Gegenteil: sehr freundlich, sogar feminin.
„Alles in allem ist Arafat eine
sanfte Person. Seine Hände sind sanft, seine Körpersprache ist
sanft. Er ist eine sehr warmherzige Person. Voller Mitgefühl.
Deswegen hat er eine unglaubliche Fähigkeit, persönlichen Kontakt zu
knüpfen. Er ist direkt, unförmlich, emotional. Er ist kein Mensch
von abstrakten Ideen, sondern von Gefühlen; nicht analytisch,
sondern intuitiv. Viele seine Dialoge finden weniger mit Worten als
mit Gesten statt. Er liebt Gesten.
„ Er hat ein phänomenales Gedächtnis
und er hat unglaublich schnell aufgenommen. Er konnte eine Situation
in einer Tausendstel Sekunde erfassen. Gleichzeitig war er sicher
kein Intellektueller. Ich glaube nicht, dass er Bücher las. Ich
denke, er hat überhaupt nicht gelesen. Er ist einer von den Führern,
für die Zusammenfassungen vorbereitet wurden. Aber er neigte dazu,
in Details zu gehen. Und er hatte die Fähigkeit, kühne
Entscheidungen in Lichtgeschwindigkeit zu machen. Wegen dieser
beiden Charakterzüge, war es für ihn schwierig, die Macht zu
delegieren. Er war immer sehr zentralisiert. Er hielt die Karten
sehr nah an seiner Brust. Wenn man ihn mit Abu Mazen und Abu Ala
sitzen sah, erschienen diese im Vergleich zu ihm Er war es, der
entschied. Er allein. Deshalb denke ich, dass er unersetzlich ist.
Da gibt es niemanden in der palästinensischen Ära, der so wie er
Entscheidungen treffen konnte.
„Er hatte auch Sinn für Humor. Er
liebte Witze. Manchmal machte er Witze auf Kosten seiner
Mitarbeiter. Aber er war nicht anspruchsvoll und nicht unnahbar. Er
ließ die Leute ihn unterbrechen und korrigieren. Die von ihm
geschaffene Atmosphäre war wie die eines chassidischen Führers in
seinem Hof.
„Nach der letzten Analyse denke ich,
ist sein hervorragender Zug seine totale Identifizierung mit seiner
Rolle. Er selbst, Arafat , war der palästinensische Befreiungskrieg.
Daher das Gefühl, dass er nicht ersetzt werden kann, dass nur er es
tun konnte. Da gab es auch das Gefühl persönlicher Voraussicht, als
er wie durch ein Wunder einen Flugzeugabsturz in der Libyschen
Wüste überlebte. Wie Arik Sharon, war Arafat total davon überzeugt,
er halte das Schicksal seines Volkes in der Hand. Doch während
Sharon der Säkularste der Säkularen ist, hatte Arafat immer eine
religiöse Dimension. In diesem Sinne war er wahrlich ein gläubiger
Muslim.“
Waren Sie beide aufrichtig
befreundet?
„Da gab es ein vollkommenes
gegenseitiges Vertrauen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben.
Als wir uns in Tunis trafen,
bedeckte er seinen Kopf nicht. Ich habe ein Photo, auf dem er ohne
Kopfbedeckung zu sehen ist und auf dem er mir eine Orange schält. Er
tat dies sehr sorgfältig und war ganz darauf konzentriert. Aber ohne
die Keffiyeh – er ähnelte sehr seinem Bruder. Arafat wusste, dass
ich dies Photo nicht veröffentlichen werde. Er wusste , dass obwohl
ich ein Journalist war, nie etwas veröffentlichen würde, was nicht
veröffentlicht werden soll.“
Historische
Konzessionen
Ist Arafats Tod ein natürlicher Tod
gewesen oder ist Israel daran beteiligt?
„Verschwörungstheorien kommen in
solchen Situationen immer auf. Ich habe keinen verschwörerischen
Geist. Zuweilen haben Verschwörungstheorien aber recht. Was ich
als persönliches Zeugnis geben kann, ist , dass, als ich ihn vor
gerade drei Wochen, bevor er krank wurde, sah, er gesund war -
gesünder als ich ihn je in der Vergangenheit gesehen habe.
„Eine Sache ist sicher: Israel ist
verantwortlich dafür, dass er zwei und ein halbes Jahr in zwei bis
drei Räumen ohne Luft und Licht verbringen musste. Selbst ein
Strafgefangener, der zum Tode verurteilt ist, das Recht für einen
täglichen einstündigen Spaziergang im Gefängnishof hat. Arafat
dagegen verließ die Muqata jahrelang nicht Dafür ist Israel
verantwortlich. Israel ist dafür verantwortlich, einem 75 Jährigen
lange Zeit den Spaziergang zu verbieten“.
Wollte Sharon ihn töten?
„
Zweifellos.“
Haben Sie einen Verdacht?
„Wenn jemand einen plötzlichen,
unerklärlichen Kollaps unter diesen Umständen hat, hat man
automatisch einen Verdacht. Aber ich habe keinerlei Beweis. Ich
kann Ihnen nur sagen, dass Arafat davon überzeugt war, dass Sharon
ihn töten wollte. Er sprach viel davon.“
Also hat schließlich General Sharon
General Arafat vernichtet.
„Nein, das denke ich nicht. Der tote
Arafat wird den lebenden Sharon zerstören.“
Was verstehen Sie darunter?
„Zwei Dinge: Wenn Sharon zwanzig
Jahre wieder mit seinen Vorfahren vereinigt sein wird, wird sich
keiner mehr an ihn erinnern. Im Gegenteil – an Arafat wird man sich
noch nach weiteren hundert oder fünfhundert Jahren erinnern.
Vielleicht auch nach 1000 Jahren. Jeder Araber erinnert sich an
Salah a-Din auch noch 800 Jahre nach seinem Tod. Man wird sich auch
an Arafat erinnern.
„ Aber da ist noch etwas anderes,
Aktuelleres. Das von Arafat hinterlassene Erbe wird das
palästinensische Volk daran hindern, vor Sharons Plan zu
kapitulieren. Es geschieht genau durch seinen Tod, dass Arafat die
Grenzen der palästinensischen Konzessionen festlegt. Jetzt wird kein
palästinensischer Führer es wagen, diese Grenze zu überschreiten.
Der tote Arafat wird keine Konzessionen erlauben, die der lebende
vielleicht gemacht haben hätte.“
Hat Arafat wirklich Konzessionen
gemacht? Hat er wirklich die Zweistaaten-Idee mit allen ihren Folgen
verinnerlicht?
„Arafat machte zwei historische
Konzessionen: er erkannte Israel an, und er erkannte die Grüne
Linie an. Indem er dies tat, akzeptierte er unsere Präsenz hier
als legitim und gab 78 % des Territoriums, das vor 1948 Palästina
umfasste, auf. Das sind ungeheure Konzessionen. Jede weitere
Konzession ist praktisch unmöglich. Trotzdem machte Arafat in Camp
David drei weitere Konzessionen. Er war mit einem begrenzten
Landaustausch einverstanden. Er war mit den neuen jüdischen Vororten
in Ost-Jerusalem einverstanden und mit der israelischen Kontrolle
über die Klagemauer. Aber diese Konzessionen wurden mündlich und
nicht schriftlich gemacht, und darum werden es seine Nachfolger sehr
schwer haben, sie zu erfüllen.“
In anderen Worten : wir gehen zur
Situation bis zum letzten qm, bis zur Grünen Linie zurück?
„Ich denke so. So geschah es mit
Sadat und auch mit Hafez Assad. Sehen Sie einen arabischen Führer,
der in der Lage ist, etwas anzuerkennen, was Arafat nicht explizit
anerkannt hat? Zweifellos wird jetzt ein Kompromiss über den
Tempelberg nicht möglich sein.“
Wenn dem so ist, was können wir dann
erwarten? Werden Abu Mazen und Abu Ala in der Lage sein, die
Situation zu stabilisieren? Werden sie in der Lage sein, irgend ein
Abkommen mit Israel zu erreichen?
„Ich habe Abu Mazen seit 20 Jahren
gekannt und Abu Ala seit 15. Sie sind beide gute Leute, ehrlich und
anständig. Aber wenn man als junger Palästinenser aus Jenin , mit
einer Waffe in der Hand, ihre Namen hört, wird er fragen: „Was sind
das für Kerle? Die wollen mir sagen, was ich tun soll? Ihre
Autorität wird also ziemlich schwach sein. Es ist möglich, dass sie
zunächst Unterstützung erhalten, weil das palästinensische Volk
keinen Bürgerkrieg wünscht. Das Trauma von 1930 ist noch tief in
ihrem Gedächtnis. Aber diese Ruhe wird notwendigerweise
vorübergehend sein. Sie wird in dem Augenblick verschwinden, wenn
die Führung bestimmte Entscheidungen trifft. Das ist das wirkliche
Problem von Abu Mazen und Abu Ala: sie werden keine Entscheidungen
treffen können.
Die
fundamentalistische Woge
Sie sagen also, dass Arafats Tod
verantwortlich dafür ist, wenn sich die Tore zur Hölle öffnen?
„ Zwei oder drei gute Leute, die
irgendwie sich an Händen halten und eine Menschenkette bilden, um
diese Entwicklung zu verhindern, sind keine Lösung. Ich sehe zwei
Lösungen voraus. Die eine, die mich sehr erschreckt, ist eine
fundamentale Welle in der arabischen Welt, die über das
palästinensische Volk schwappt. Das ist eine sehr ernst zu nehmende
Sache. Aber der Zeitplan für diese Entwicklung liegt völlig in der
Luft. Die Islamische Revolution kann auch erst in 20 Jahren
ausbrechen – oder morgen früh. Sie mag in Saudi-Arabien oder Ägypten
oder auch in Gaza und Ramallah ausbrechen. Das weiß keiner..
„Da gibt es aber noch eine andere
Möglichkeit, unmittelbarer ist. Schon heute erzählt uns der Shin
Beth (Sicherheitsdienst), dass es Hunderte von Palästinensern gibt,
die bereit sind, an jedem beliebigen Tag Selbstmordattentäter zu
werden. Das war der Fall, solange Arafat noch mit seinem zügelnden
Einfluss hier war. Aber ohne Arafat wird es nicht fünf oder sechs
militante Organisationen sondern 50 oder 60, oder gar 500 oder 600
geben. Und keiner wird mehr in der Lage sein, sie zu kontrollieren.
Da wird es keine einschränkende Autorität geben, die sie am die
Kandare nimmt. Eine chaotische Situation dieser Art wird zunächst
für die Palästinenser schrecklich sein. Aber es wird auch das Leben
der Israelis zur Hölle machen.“
Ignorieren Sie völlig die Tatsache,
dass dieser Mann ein Terrorist war?
„Ich war auch ein Terrorist als ich
16 war .......“
(Aus dem Englischen
Ellen Rohlfs) Ende des Interviews folgt! ER
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