„Wenn Arafat
noch am Leben wäre …“
Uri Avnery, 27.1.07
„WENN ARAFAT
noch am Leben wäre ..“ Diesen Satz hört man nun
immer öfter bei Gesprächen mit Palästinensern, ja,
auch mit Israelis und Ausländern.
„Wenn Arafat
noch am Leben wäre, dann würde das nicht geschehen,
was jetzt im Gazastreifen geschieht“… „Wenn Arafat
noch am Leben wäre, dann hätten wir jetzt jemanden,
mit dem wir reden könnten …“ „ Wenn Arafat noch am
Leben wäre, dann hätten die islamischen
Fundamentalisten unter den Palästinensern nicht
gewonnen und wären auch in den benachbarten Ländern
nicht so mächtig geworden!“
Mittlerweile
kommen auch die unbeantworteten Fragen wieder hoch:
Wie starb Arafat? Wurde er ermordet? Wenn ja, von
wem ?
Als ich damals
(2004) von Arafats Begräbnis zurückkam, traf ich
auf Jamal Zahalka, ein Mitglied der Knesset. Ich
fragte ihn, ob er glaubte, dass Arafat ermordet
worden sei. Zahalka, ein promovierter Pharmakologe,
antwortete ohne zu zögern: „Ja!“ Das war auch mein
Gefühl. Aber ein Verdacht ist noch kein Beweis. Er
ist nur ein Ergebnis von Intuition, gesundem
Menschenverstand und Erfahrung.
Vor kurzem
bekamen wir eine Art Bestätigung. Kurz bevor er
starb, veröffentlichte Uri Dan, ein seit fast 50
Jahren loyales Sprachrohr Ariel Sharons, in
Frankreich ein Buch. Darin schreibt er von einem
Gespräch, das Sharon mit Präsident (George W.) Bush
gehabt habe. Sharon hatte ihn um die Erlaubnis
gebeten, Arafat umbringen zu lassen, und Bush gab
sie ihm unter dem Vorbehalt, dass es in einer Weise
geschehen müsse, die nicht nachgewiesen werden
könne. Als Dan Sharon fragte, ob es denn so
geschehen sei, antwortet Sharon: „Darüber sollte man
besser nicht reden.“ Dan nahm dies als Bestätigung.
Die
Geheimdienste vieler Länder haben Gifte, die so gut
wie nicht nachgewiesen werden können. Der Mossad
versuchte Khaled Mashal, den Hamasführer, am
helllichten Tag auf einer Hauptstraße in Amman
umzubringen. Er wurde nur deshalb gerettet, weil die
israelische Regierung gezwungen wurde, schnell ein
Gegengift zu jenem Gift zu liefern. Viktor
Yushchenko, der Präsident der Ukraine, wurde
vergiftet und wurde nur deshalb gerettet, weil die
spezifischen, verdächtigen Symptome beizeiten von
Experten noch bestimmt werden konnten. Vor kurzem
wurde Alexander Litvinenko, ein früherer russischer
Spion, mit tödlichem Polonium-210 ermordet. Und wie
viele solcher Fälle sind unentdeckt geblieben?
Gibt es
Beweise, dass Arafat von israelischen oder anderen
Agenten ermordet wurde? Nein, es gibt keine. In der
vergangenen Woche traf ich wieder auf das
Knessetmitglied Zahalka. Wir schlussfolgerten
beide, dass der Verdacht in dieser Sache noch
wächst, während Arafats Abwesenheit zugleich
ebenfalls immer spürbarer wird.
WENN ARAFAT
noch am Leben wäre, dann gäbe es jetzt eine klare
Adresse für Verhandlungen mit dem palästinensischen
Volk.
Das behauptete
Fehlen solch eines Adressaten dient der israelischen
Regierung als offizieller Vorwand für seine
Weigerung, mit Friedensverhandlungen zu beginnen.
Jedes Mal, wenn Condoleezza Rice oder ein anderer
von Bushs Papageien über die Notwendigkeit redet, „
mit dem Dialog wieder zu beginnen“ (nicht zu reden
von „Verhandlungen“), über „den Endstatus“ oder
„eine dauerhafte Abmachung“ ( nicht zu reden von
„Frieden“), dann ist dies die Antwort von Zipi
Livni, Ehud Olmert & Co.
Einen Dialog?
Mit wem? Mit Mahmoud Abbas zu reden, hat keinen
Sinn, weil er nicht in der Lage ist, seinen Willen
dem palästinensischen Volk aufzudrücken. Er ist kein
zweiter Arafat. Er hat keine Macht. Und mit der
Hamas-Regierung können wir ja wohl nicht reden; denn
die gehört ja laut Bush zur „Achse des Bösen“
gehört. Also, was willst Du eigentlich, Condi,
Liebling?
Zipi Livni,
Condis neue Busenfreundin, geht noch weiter: Bei der
Versammlung der Milliardäre in Davos warnt sie Abbas
öffentlich, ja keinen „Kompromiss mit Terroristen“
zu machen. Eine rechtzeitige Warnung. Verzweifelt
darum bemüht, eine glaubwürdige palästinensische
Adresse zu kreieren, war Abbas gerade nach Damaskus
geflogen, um Mashal zu treffen. Auf diese Weise hat
er öffentlich zugegeben, dass nichts ohne den
Hamasführer getan werden kann, der nun so etwas wie
ein palästinensischer Super-Präsident geworden ist.
Livni erkannte
die Gefahr sofort und beeilte sich, diese Mission zu
torpedieren. Es gibt keinen Dialog mit einer
palästinensischen Einheitsregierung, genau so wenig
wie mit Abbas oder Hamas. Ist das o.k., liebste
Condi?
WENN MAN reine
Freude sehen will, dann muss man nur die Gesichter
der israelischen Korrespondenten ansehen, die jeden
Abend im Fernsehen erscheinen und über die
Ereignisse im Libanon berichten.
Welch ein
Vergnügen! Die „Christen und Sunniten“ greifen
schiitische Studenten der arabischen Universität in
Beirut an und töten sie. Jeden Augenblick kann ein
Bürgerkrieg ausbrechen. Sieh, da sagt doch eine
interviewte sunnitische Studentin im Fernsehen, dass
„Nasrallah schlimmer sei als Olmert!“ Lasst uns das
noch einmal sehen! Und noch einmal und noch einmal.
„Wenn zwei sich
streiten, dann freut sich der dritte“, sagt ein
Sprichwort. Wenn Araber mit einander streiten – ob
im Irak, in Gaza oder Beirut – dann strahlt die
Regierung Israels und ihre Kommentatoren in den
Medien. Das ist schon immer ein herrschendes Thema
in Israel seit der Gründung des Staates gewesen, ja,
sogar schon vorher: wenn Araber gegeneinander
kämpfen, dann ist das gut für uns.
Im Krieg macht
das Sinn. Wenn die Feinde gespalten sind, dann ist
dies ein Geschenk für dich. Im 1. Weltkrieg sandte
der deutsche Generalstab im berühmten versiegelten
Waggon Lenin nach Russland zurück, in der Hoffnung,
dass er die Russen von den Briten und Franzosen
trennen könnte. Im Krieg von 1948 wurden wir dadurch
gerettet, dass die Armeen Ägyptens und Jordaniens
mehr an einem Wettkampf untereinander interessiert
waren, als an dem Kampf gegen uns. In den Achzigern
sandte die israelische Armee Offiziere in den Norden
des Irak, um dort Mustafa Barzani zu helfen, die
kurdische Region von Saddams Land zu trennen.
Das ist eine
gute Strategie im Krieg. Dieser folgten die Staaten
seit Beginn der Geschichte. Israel ist auch in
dieser Hinsicht keine Ausnahme. Es bleibt nur die
Frage, ob dies eine gute Strategie ist, wenn man
Frieden will.
WENN – „WENN“
mit großen Buchstaben! – die Regierung Israels
Frieden wünschte, dann würde sie die entgegen
gesetzte Strategie wählen.
In den
Fünfzigern, als David Ben Gurion das Äußerste tat,
um Ägypten, Syrien und den Irak von einander zu
trennen, war Nahum Goldmann, der prominenteste
zionistische Diplomat, dagegen. Er behauptete, die
vielen Konflikte zwischen den arabischen Führern
seien für Israel eine Gefahr, weil jeder arabische
Führer seinen Rivalen in seiner Feindlichkeit
gegenüber Israel zu übertreffen versuchen würde.
Heute wird das
deutlicher denn je. Bush und seine Gefolgsleute, ob
weiblich oder männlich, versuchen, einen
pro-amerikanischen Block aufzubauen, der aus Israel,
Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Abbas und Siniora
besteht. Die andere Seite besteht aus der „Achse des
Bösen“, die sich aus dem Iran, Syrien, der Hisbollah
und der Hamas zusammensetzt.
Die Führer
Ägyptens, Jordaniens und Saudi-Arabiens geben, wenn
es sich um die palästinensische Sache handelt,
Lippenbekenntnisse ab, sind aber schnell bereit,
diese für entsprechend großzügige amerikanische
Hilfe zu verraten. Die israelische Regierung fühlt
sich geehrt, sich in der Gesellschaft der drei
bedeutenden Demokraten zu befinden: Präsident Hosni
Mubarrak und der beiden Könige Abdallah.
Ist das gut für
Israel? Es ist gut für die Fortsetzung des Krieges
gegen die Palästinenser, für die Annexion und den
Ausbau der Siedlungen. Es ist aber keineswegs gut
für die Beendigung des historischen Konfliktes mit
den Palästinensern, die Beendigung der Besatzung und
das Niederlegen der Waffen.
Es gibt keine
Chance, mit Mahmoud Abbas Frieden zu machen; noch
würde ein solcher überhaupt Sinn machen, wenn er
nicht die volle Unterstützung der Hamas hätte. Ja,
selbst eine Fatah-Hamas-Partnerschaft würde nicht
ausreichend sein, um Israel eine friedliche Zukunft
zu garantieren. Sie bräuchte die Unterstützung der
ganzen arabischen Welt.
Darin liegt die
enorme Bedeutung der „arabischen
Friedensinitiative“, dem Vorschlag der Arabischen
Liga, der bei der Gipfelkonferenz in Beirut 2002
angenommen wurde. Nur eine vereinigte
palästinensische Führung, die den Rückhalt der
ganzen arabischen Welt hat, kann solch ein
revolutionäres historisches Unterfangen ausführen.
Wir sollten also nicht nur nicht gegen diese
Initiative sein, sondern sie tatsächlich sogar
einfordern.
Die
Bedingungen der arabischen Initiative sind
dieselben, die Yasser Arafat schon in den 70ern
gesetzt hatte: einen palästinensischen Staat neben
Israel, dessen Grenze die Grüne Linie und dessen
Hauptstadt Ost-Jerusalem ist; die Auflösung der
Siedlungen; eine „vereinbarte Lösung“ des
Flüchtlingsproblems. Inoffiziell war Arafat mit
einem Gebietstausch einverstanden, der es
ermöglichen würde, dass einige Siedlungen nahe der
Grünen Linie bestehen bleiben könnten. Es gibt
praktisch keinen Palästinenser und keinen anderen
Araber, der mit weniger einverstanden wäre. Den
Palästinensern würden so auch nur 22% des
historischen Palästinas bleiben.
Dies könnte
erreicht werden - vorausgesetzt das palästinensische
Volk wäre einig und die arabische Welt wäre einig.
Das umfasst also die Einigkeit von Syrien, der
Hisbollah, Hamas und auch des Iran, der natürlich
nicht arabisch ist.
Wer also
Frieden wünscht, der sollte sich nicht angesichts
des Blutvergießens im Gazastreifen und im Libanon
freuen. Wir sollten nicht lachen, wenn Araber Araber
prügeln - wehe, wehe solcher Schadenfreude!
Und natürlich
wäre alles viel, viel einfacher, wenn Arafat noch
am Leben wäre.
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser
autorisiert )