Und was nun mit dem Iran?
Uri Avnery, 29.9.07
EINE BEDEUTENDE amerikanische Zeitung brachte in dieser
Woche einen Knüller: Vizepräsident Dick Cheney, der
König der Falken, hat sich einen macchiavellistischen
Plan für einen Angriff auf den Iran ausgedacht. Sein
Hauptpunkt: Israel wird mit der Bombardierung einer
iranischen Nuklearanlage beginnen, der Iran wird mit dem
Abschuss von Raketen auf Israel reagieren – und dies
wird als Vorwand für einen amerikanischen Angriff auf
den Iran dienen.
Weit hergeholt? Nicht wirklich. Man erinnere sich an
das, was 1956 geschah. Damals planten Frankreich, Israel
und Großbritannien im Geheimen einen Angriff auf
Ägypten, um Gamal Abd-al Nasser zu stürzen
(„Regime-Wechsel“ im heutigen Jargon). Man war
übereingekommen, dass Israels Fallschirmspringer in der
Nähe des Suezkanals abspringen würden und dass der
folgende Konflikt den Franzosen und Briten als Vorwand
dienen würde, die Kanalzone zu besetzen, um die
Durchfahrt durch die Wasserstraße „abzusichern“. Dieser
Plan wurde ausgeführt - und schlug völlig fehl.
Was würde passieren, wenn wir Cheneys Plan zustimmen
würden? Unsere Piloten würden beim Bombardement der
stark geschützten iranischen Anlagen ihr Leben
riskieren.
Dann würden iranische Raketen auf unsere Städte
niederprasseln; vielleicht würden Hunderte oder gar
Tausende getötet. All dies, um den Amerikanern den
Vorwand zu liefern, einen Krieg zu beginnen.
Würde der Vorwand überzeugen? Mit andern Worten: sind
die US verpflichtet, an unserer Seite in einen Krieg zu
ziehen, selbst dann, wenn der Krieg von uns verursacht
wird? Theoretisch wäre die Antwort „ja“. Die
augenblicklichen Abkommen zwischen den USA und Israel
besagen, dass Amerika Israel bei jedem Krieg zu Hilfe
kommen muss – unabhängig davon, wer ihn begonnen hat.
Hat diese durchgesickerte Nachricht einen wahren Kern?
Schwer zu sagen. Aber es stärkt den Verdacht, dass ein
Angriff auf den Iran wesentlich näher gerückt ist, als
die meisten Menschen wahr haben wollen.
BEABSICHTIGEN Bush, Cheney & Co wirklich, den Iran
anzugreifen?
Ich weiß es nicht, aber mein Verdacht, dass sie dies
tun, wächst.
Warum? Weil sich George Bushs Amtszeit ihrem Ende
nähert. Wenn diese derart endet, wie es im Augenblick
aussieht, wird er als einer der schlechtesten – wenn
nicht gar der schlechteste – Präsident in die Geschichte
der Republik eingehen. Seine Amtszeit begann mit der
Katastrophe der Zwillingstürme am 11.9. – die den
Nachrichtendiensten nicht gerade einen großen
Vertrauensbonus einbrachten - und mit dem schweren
Irakfiasko würde diese Amtszeit enden.
Es bleibt nur noch ein Jahr, um etwas Eindruckvolles zu
tun und seinen Namen in den Geschichtsbüchern zu
bewahren. In solchen Situationen neigt das politische
Führungspersonal dazu, militärische Abenteuer zu
begehen. Wenn man dann noch die speziellen Charakterzüge
dieses Mannes berücksichtigt, scheint die Möglichkeit
eines Krieges plötzlich beängstigend nah.
Die amerikanische Armee ist zwar im Irak und Afghanistan
gebunden. Nur Leute wie Bush und Cheney können im
Augenblick davon träumen, ein Land zu überfallen, das
viermal größer ist als der Irak und mit einer dreimal
größeren Bevölkerung.
Aber sicherlich flüstern Kriegstreiber in Bushs Ohr:
warum machst du dir darüber Sorgen? Eine Invasion ist
gar nicht nötig. Es genügt, den Iran zu bombardieren, so
wie wir Serbien und Afghanistan bombardierten. Wir
sollten die intelligentesten Bomben und die
raffiniertesten Raketen gegen die etwa zweitausend Ziele
verwenden, um nicht nur die iranischen Nuklearanlagen zu
zerstören, sondern auch die militärischen Einrichtungen
und Regierungsstellen. „Wir werden sie in die Steinzeit
zurückbomben,“ wie ein amerikanischer General einmal
über Vietnam sagte, oder „ wir werden ihre Uhren um 20
Jahre zurückdrehen“, wie der israelische
Flugwaffengeneral Dan Halutz 2006 über den Libanon
sagte.
Das ist eine verführerische Idee. Die USA werden nur
ihre mächtige Luftwaffe benützen, Raketen aller Arten
und die riesigen Flugzeugträger, die bereits im
Persischen Golf stationiert sind. All dies kann zu jeder
Zeit nach kurzer Vorbereitung in Gang kommen. Für einen
gescheiterten Präsidenten am Ende seiner Amtszeit muss
die Idee eines leichten, kurzen Krieges eine ungeheure
Anziehung haben. Und dieser Präsident hat schon gezeigt,
dass es für ihn schwierig ist, solchen Versuchungen zu
widerstehen.
WÜRDE DIES wirklich eine leichte Operation werden, wie
ein „Tortenstückchen“? (Wie die Amerikaner sagen.)
Ich bezweifle es.
Selbst „intelligente“ Bomben töten Menschen. Die Iraner
sind ein stolzes, entschlossenes und hoch motiviertes
Volk. Sie weisen darauf hin, dass sie seit 2000 Jahren
kein anderes Volk angegriffen haben, aber während der
acht Jahre des irakisch-iranischen Krieges gezeigt
haben, dass sie entschlossen sind, die ihren bei einem
Angriff zu verteidigen.
Die erste Reaktion auf einen amerikanischen Angriff
würde die Schließung der Straße von Hormus sein, des
Zugangs zum Golf. Das würde einen großen Teil der
weltweiten Ölzufuhr drosseln und eine nie da gewesene
weltweite wirtschaftliche Krise verursachen. Um diese
Straße zu öffnen, (falls dies überhaupt möglich ist)
wird die US-Armee große Gebiete iranischen Landes
erobern und besetzen müssen
Der kurze und leichte Krieg wird zu einem langen und
harten Krieg werden. Was bedeutet das für uns in Israel?
Zweifellos wird der Iran, wenn er angegriffen wird, wie
versprochen, reagieren: durch Bombardements mit Raketen
auf Israel, die genau für diesen Zweck vorbereitet
wurden. Das wird nicht Israels Existenz bedrohen, aber
es wird sicher kein Vergnügen werden.
Wenn der amerikanische Angriff in einen langen
Abnützungskrieg mündet und wenn die amerikanische
Öffentlichkeit diesen als eine Katastrophe erkennen
wird (wie es jetzt mit dem irakischen Abenteuer
geschieht), dann werden sicher einige Israel die Schuld
geben. Es ist kein Geheimnis, dass die Pro-Israel-Lobby
und ihre Verbündeten – die (meist jüdischen)
Neo-Konservativen und die christlichen Zionisten Amerika
in diesen Krieg stoßen. Für die israelische Politik
werden die erhofften Gewinne dieses Krieges sich in
riesige Verluste wandeln – nicht nur für Israel, sondern
auch für die amerikanisch-jüdische Gemeinde.
WENN ES den Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad nicht geben
würde, hätte die israelische Regierung ihn erfinden
müssen.
Er besitzt beinahe all das, was man sich für einen Feind
wünscht: er hat ein großes Mundwerk. Er ist ein
Prahlhans. Er verursacht gern Skandale. Er ist ein
Holocaustleugner. Er prophezeit, dass Israel „von der
Landkarte verschwinden wird“ (Auch wenn er nicht gesagt
hat, er wolle Israel von der Landkarte wischen -
wie fälschlicherweise berichtet wurde).
In der vergangenen Woche organisierte die
Pro-Israel-Lobby große Demonstrationen gegen seinen
Besuch in New York. Sie waren ein großer Erfolg – für
Ahmadinejad. Sein Traum ist in Erfüllung gegangen: er
stand im Mittelpunkt der Weltaufmerksamkeit. Ihm war die
Möglichkeit gegeben worden, vor einer weltweiten
Zuhörerschaft seine Argumente gegen Israel – einige
davon sind unverschämt, andere sind berechtigt – zu
erheben.
Aber Ahmadinejad ist nicht der Iran. Er hat zwar die
allgemeinen Wahlen gewonnen, aber der Iran gleicht den
orthodoxen Parteien in Israel: es sind nicht ihre
Politiker, die den Ausschlag geben, sondern ihre
Rabbiner. Die schiitische religiöse Führung trifft die
Entscheidungen und befehligt das Militär. Und diese
Körperschaft ist weder prahlerisch noch lautstark oder
skandal-treiberisch. Sie hält sich vorsichtig zurück.
Wenn der Iran wirklich so eifrig hinter einer Atombombe
her wäre, dann hätte er mit größtem Stillschweigen
gehandelt und hätte sich so wenig wie möglich profiliert
– so wie es Israel tut. Die Großtuerei Ahmadinejads
würde diesen Bemühungen mehr schaden, als es irgendein
Feind des Iran könnte.
Es ist äußerst unerfreulich, sich eine Atombombe in
iranischen Händen (ja letztlich überhaupt in
irgendjemandes Händen) vorzustellen. Ich hoffe, es kann
vermieden werden, indem man finanzielle Anreize bietet
und/ oder Sanktionen auferlegt. Aber selbst wenn dies
keinen Erfolg hat, würde es nicht das Ende der Welt
bedeuten, auch nicht das Ende Israels. Mehr als in jedem
anderen Bereich ist Israels Abschreckungsmacht hier
gewaltig. Sogar Ahmadinejad wird nicht einen Tausch der
Königinnen wie beim Schachspiel wagen – die Zerstörung
des Iran für die Zerstörung Israels.
NAPOLEON SAGTE einmal: um die Politik eines Landes zu
verstehen, muss man sich nur die Landkarte ansehen.
Wenn wir dies tun, werden wir sehen, dass es keinen
triftigen Grund für einen Krieg zwischen Israel und dem
Iran gibt. Im Gegenteil. Lange Zeit glaubte man in
Jerusalem, dass die beiden Länder natürliche Verbündete
seien.
David Ben Gurion befürwortete ein „Bündnis der
Peripherie“. Er war davon überzeugt, dass die ganze
arabische Welt der natürliche Feind Israels sei und dass
es deshalb seine Verbündeten im Rücken der arabischen
Welt suchen sollte: die Türkei, den Iran, Äthiopien, den
Tschad etc. (Er suchte auch nach Verbündeten innerhalb
der arabischen Welt – Gemeinschaften, die nicht
arabische Sunniten sind, wie die Maroniten, die Kopten,
die Kurden, die Schiiten und andere).
Während der Zeit des Schahs bestanden enge Verbindungen
zwischen dem Iran und Israel – einige positiv, einige
negativ, einige davon ausgesprochen unheilvoll. Der
Schah half eine Pipeline von Eilat nach Ashkalon zu
bauen, um iranisches Öl ans Mittelmeer zu bringen und so
den Suezkanal zu umgehen. Der israelische Geheimdienst
(Shabak) trainierte sein berüchtigtes iranisches
Gegenstück. Israelis und Iraner handelten im irakischen
Kurdistan zusammen und halfen den Kurden gegen ihre
sunnitisch-arabischen Unterdrücker.
Die Khomeini-Revolution setzte anfangs diesem Bündnis
kein Ende, sondern trieb es in den Untergrund. Während
des irakisch-iranischen Krieges versorgte Israel den
Iran mit Waffen – nach der Vorstellung, dass jeder, der
Araber bekämpfe, unser Freund sei. Gleichzeitig
versorgten die Amerikaner Saddam Hussein mit Waffen -
es war einer der seltenen Beispiele einer klaren
Abweichung der Interessen zwischen Washington und
Jerusalem. Dies wurde mit der Iran-Contra-Affäre
überbrückt, als die Amerikaner Israel halfen, Waffen an
die Ayatollahs zu verkaufen.
Heute wütet ein ideologischer Kampf zwischen beiden
Ländern – doch wird er hauptsächlich auf rhetorischer
und demagogischer Ebene ausgefochten. Ich wage zu
behaupten, dass Ahmadinejad der
israelisch-palästinensische Konflikt völlig gleichgültig
ist; er benützt ihn, um sich Freunde in der arabischen
Welt zu machen. Wenn ich ein Palästinenser wäre, würde
ich mich nicht auf ihn verlassen. Früher oder später
wird die Geographie das Sagen haben, und die
israelisch-iranischen Beziehungen werden zu dem, was sie
waren – hoffentlich auf einer weit positiveren
Grundlage.
EINES BIN ich bereit, mit Überzeugung vorauszusagen:
wer immer einen Krieg gegen den Iran anzettelt, wird es
bedauern.
In einige Abenteuer kann man leicht hineinschliddern,
aber schwer wieder herauskommen.
Der letzte, der diese Erfahrung machte, war Saddam
Hussein. Er dachte, es wäre ein Spaziergang –
schließlich hatte Khomeini die meisten Offiziere und
besonders die Piloten der Schah-Armee getötet. Er
glaubte, dass ein schneller irakischer Schlag gegen den
Iran genug wäre, um ihn zusammenbrechen zu lassen. Er
hatte acht lange Kriegsjahre Zeit, um dies zu bedauern.
Sowohl die Amerikaner als auch wir Israelis, könnten
auch die Erfahrung machen, dass der irakische Sumpf
verglichen mit dem iranischen Morast die reinste
Schlagsahne ist.
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser
autorisiert)