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Die Attacke der New York
Times - Oder
Bakschisch für den Torhüter
Uri Avnery, 23.7. 2011
EIN RÄTSEL: Welche Flotte erreichte ihr
Ziel nicht und erfüllte trotzdem ihre Mission ?
Nun, es ist die Gaza-Solidaritäts
Flottilla..
Man könnte natürlich auch sagen, die
„kleine Flotte“ des letzten Jahres (das ist die Bedeutung auf
Spanisch, so wie Guerilla „kleiner Krieg“ bedeutet). Auch die wäre
ein guter Kandidat. Diese Flotillas erreichten Gaza nie, doch der
Kommandeur der israelischen Marine könnte die Worte von Pyrrhus, dem
König von Epirus, wiederholen, dessen Sieg über die Römer so
kostspielig war, dass von ihm gesagt wird, er hätte ausgerufen:
„Noch ein solcher Sieg, und ich bin verloren.!“
Die Flotilla 1 erreichte Gaza nicht.
Aber der Angriff des Marinekommandos, der das Leben von neun
türkischen Aktivisten kostete, verursachte solch einen
internationalen Aufschrei, dass unsere Regierung sich gezwungen sah,
ihre Landblockade um den Gazastreifen bedeutend zu lockern.
Die Auswirkungen dieser Aktion haben
noch kein Ende gefunden. Die sehr wichtigen Beziehungen zwischen dem
israelischen und türkischen Militär sind noch unterbrochen. Die
Türkei fordert eine Entschuldigung und Entschädigungen. Die Familien
der Opfer führen noch strafrechtliche und zivile Strafverfahren in
verschiedenen Ländern durch. Also noch immer Kopfschmerzen.
Flotilla 2 fand in dieser Woche ein
Ende, als eine große Marine-Aktion zum Entern der einen (!) kleinen
französischen Jacht und zur Verhaftung seiner Mannschaft, der
Journalisten und Aktivisten, führte – im Ganzen 16 (sechzehn) Leute.
Selbst unsere zahmen Rundfunksprecher konnten sich ein höhnisches
Grinsen nicht verkneifen „Warum sandten wir keinen Flugzeugträger?“
Die 14 Boote, die am Fahren gehindert
wurden, und das eine, das schließlich segelte, hat nicht nur unsere
ganze Marine wochenlang in Alarmbereitschaft versetzt, sondern half
auch dazu, dass die Gazablockade in den Nachrichten vorkam. Und das
war schließlich der Zweck der Übung.
WAS GESCHAH mit den 14 Booten, die nicht
losfuhren?
Es klingt unglaublich: die griechische
Marine und Küstenwache hinderte sie mit Gewalt daran, die
griechischen Häfen zu verlassen. Es gab dafür keinen rechtlichen
Grund noch nicht einmal einen Vorwand der Legalität.
Es wäre keine Übertreibung, wenn man
sagen würde, die griechische Marine handelte nach den Befehlen von
Israels Generalstab. Eine stolze seefahrende Nation mit einer
Seefahrtsgeschichte von Tausenden von Jahren hat sich derart
degradiert, illegale Aktionen durchzuführen – nur um Israel zu
gefallen.
Sie ignorierte sogar Sabotageakte, die
von Marinekommandos - man rate von wem – gegen die Schiffe in
griechischen Häfen durchgeführt wurden.
Zur selben Zeit hinderte die türkische
Regierung, der trotzige Sponsor der Mavi Marmara, das Schiff, auf
dem die türkischen Aktivisten letztes Jahr getötet wurden, daran,
dieses Schiff in diesem Jahr noch einmal auslaufen zu lassen.
Zu selben Zeit versuchten auch Gruppen
pro-palästinensischer Aktivisten die Westbank auf dem Luftweg zu
erreichen. Sie wurden schon auf ihrem Weg dahin gestoppt. Da es
keinen direkten Zugang zur Westbank über das Land, das Meer oder
über die Luft gibt außer über israelisches Gebiet oder durch
israelische Checkpoints, mussten sie über den internationalen
Ben-Gurion-Flughafen, Israels Tor zur Welt, kommen. Den meisten
gelang es nicht: Nach Instruktionen unserer Regierung hielten alle
internationalen Fluggesellschaften die Passagiere schon beim
Check-in zurück, indem sie „schwarze Listen“ unserer Regierung
benützten.
Anscheinend reicht der lange Arm unseres
fleißigen Sicherheitsdienstes überall hin, und seine Befehle werden
von großen und kleinen Ländern befolgt.
VOR HUNDERT Jahren fälschte die
Geheimpolizei des russischen Zaren die gefürchtete „Okhana“, ein
Dokument, das „Die Protokolle der Weisen aus Zion“ genannt wurde.
(In jenen Zeiten wurde die
Geheimpolizei überall noch Geheimpolizei genannt, bevor sie als
„Sicherheitsdienste“ den würdevolleren Namen bekamen.)
Das Dokument berichtete von dem geheimen
Rabbinertreffen auf dem alten jüdischen Friedhof in Prag, um über
Wege zu entscheiden, wie Juden die Herrschaft über die Welt erlangen
könnten. Es war eine primitive Fälschung, die ganze Passagen
wörtlich aus einem Jahrzehnten vorher geschriebenen Roman klaute.
Als er geschrieben wurde, war die reale
Situation der Juden grotesk anders – sie hatten überhaupt keine
Macht. Als Adolf Hitler – der die Protokolle für seine Propaganda
benützte - die „Endlösung“ in Gang brachte, rührte tatsächlich fast
niemand in der ganzen Welt einen Finger, um den Juden zu helfen.
Sogar US-Juden hatten Angst, ihre Stimme zu erheben.
Doch wenn die Autoren der Fälschung
heute auf die Bühne ihres Verbrechens zurückkehren würden, würden
sie ungläubig ihre Augen reiben: das Produkt ihrer krankhaften
Vorstellung ist im Begriff wahr zu werden. Der jüdische Staat – wie
Zionisten uns zu nennen pflegen – kann die griechische Marine
befehligen, die Türkei zum Nachgeben veranlassen, ein halbes Dutzend
europäischer Staaten instruieren, dass sie die Passagiere schon auf
ihren Flughäfen anhalten.
Wie ist das möglich? Da gibt es eine
einfache Antwort, die aus drei Buchstaben besteht: USA.
ISRAEL IST eine Art kafkaesker Torhüter
zur einzig gebliebenen Supermacht der Welt geworden.
Durch seinen immensen Einfluss auf das
amerikanisch-politische System und besonders auf den Kongress kann
Israel eine politische Steuer auf jeden legen, der etwas von den US
benötigt. Griechenland ist bankrott und benötigt verzweifelt
amerikanische und europäische Hilfe. Die Türkei ist ein Partner der
USA und Nato und sind auf die Nato angewiesen. Kein europäisches
Land wünscht Streit mit den USA. Also müssen uns alle einen
politischen Bakschisch geben.
Um diese Beziehung zu festigen, besuchte
uns Glenn Beck, der widerliche Protegé von Rupert Murdoch, und wurde
begeistert von der Knesset empfangen, wo er uns versicherte, dass „
wir nichts zu befürchten haben“, weil er (und implizit Fox und ganz
Amerika) voll und ganz hinter uns stehe.
DESHALB HABEN diese Woche ein paar
Zeilen in der New York Times gestanden, die beinahe eine Panik in
Jerusalem ausgelöst hat.
Die NYT ist vielleicht die am meisten
„pro-israelisch“ eingestellte Zeitung der ganzen Welt,
einschließlich Israel selbst. Antisemiten nennen sie die Jew York
Times. Viele seiner redaktionellen Schreiber sind glühende
Zionisten. Eine Nachricht, die kritisch gegenüber Israels Politik
ist, hat wenig Chancen, dort zu erscheinen. Keine Erwähnung der
israelischen Friedensbewegung. Keine Erwähnung der Dutzenden von
Demonstrationen in Israel gegen den 2.Libanonkrieg und die Cast Lead
Operation in Gaza. Selbstzensur wuchert wie wild.
Aber in dieser Woche veröffentlichte die
NYT einen vernichtenden Leitartikel, der Israel kritisiert. Der
Grund: das Boykott-Gesetz, das von der rechten Knessetmehrheit
angenommen worden ist. Es verbietet Israelis, zum Boykott der
Siedlungen aufzurufen. Der Leitartikel wiederholte praktisch, was
ich im Artikel der letzten Woche schrieb: dass das Gesetz
offensichtlich anti-demokratisch ist und wesentliche Menschenrechte
verletzt. Um so mehr, als es an der Spitze einer ganzen Serie von
antidemokratischen Gesetzen kommt, die in den letzten Monaten
verabschiedet wurden. Israel verliert sehr schnell seinen Anspruch,
die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ zu sein.
Plötzlich begannen in Jerusalem alle
roten Lichter wie wild zu blinken . Hilfe! Wir verlieren unseren
einzigen politischen Aktivposten in der Welt, den Pfeiler unserer
Stärke, die Basis unserer nationalen Sicherheit, den Felsen unserer
Existenz.
DAS RESULTAT kam sofort. Am Mittwoch
brachte die Clique vom rechten Flügel, die jetzt unter der Führung
von Avigdor Lieberman die Knesset beherrscht, die letzte Abstimmung
einer Resolution, die zwei Untersuchungskomitees ernennen wollte,
die die finanziellen Ressourcen der „linken“ Menschen-rechts-NGOs
untersuchen sollen. Dies war noch ein Punkt auf der langen Liste von
McCarthyist-Maßnahmen, von denen schon viele angenommen wurden und
viele noch darauf warten, angenommen zu werden.
Am Tag zuvor erschien Netanyahu speziell
in der Knesset, um seinen Anhängern zu versichern, dass er das
Boykott-Gesetz voll genehmigt und tatsächlich unterstützt habe. Aber
nach dem Leitartikel in der NYT als die Resolution zur
Untersuchungskommission dran kam, stimmten Netanyahu und fast alle
seine Kabinettminister dagegen. Die religiösen Fraktionen
verschwanden. Die Resolution wurde von einer 2 zu 1 Mehrheit
niedergestimmt.
Aber eine bedrohliche Tatsache tauchte
auf: abgesehen von Netanyahu und seine von ihm abhängigen Minister
stimmten alle anwesenden Likudmitglieder FÜR die Resolution. Dies
schloss alle jungen Führer der Partei ein – die kommende Generation
des Likud Machthalter ???
Wenn der Likud an der Macht bleibt -
wird diese Gruppe der Ultra-Rechten in zehn Jahren die Regierung
Israels sein. Und zur Hölle mit der NYT.
GLÜCKLICHERWEISE gibt es Zeichen, dass
ein neues israelisches Phänomen im Kommen ist.
Es begann unschuldig mit einem
erfolgreichen Verbraucherstreik wegen Hüttenkäse, um ein Kartell
von fetten Katzen zu zwingen, den Preis zu reduzieren. Dies hat zu
einer Massenaktion von jungen Paaren geführt, meistens
Universitätsstudenten, gegen die unmöglich hohen Mieten von
Wohnungen.
Eine Gruppe von Demonstranten setzte
mitten in Tel Aviv Zelte auf und lebt nun seit mehr als einer Woche
dort. Bald danach tauchten überall im Land Zeltstädte auf – von
Kiryat Shmona an der libanesischen Grenze bis nach Beer Sheva im
Negev.
Es ist noch viel zu früh, um vorauszusagen, ob
dies ein kurzer Protest ist oder der Beginn eines israelischen
Tahrir-Platz-Phänomens. Aber es zeigt klar, dass die Übernahme von
Israel durch eine neo-faschistische Gruppe nicht von vornherein
feststeht. Der Kampf geht weiter.
Vielleicht – nur vielleicht – könnte
sogar die NYT damit beginnen, von der Realität unseres Landes zu
berichten.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs;
vom Verfasser autorisiert)
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