Der Fall Achille
Mbembe darf kein Einzelfall bleiben!
Ein
satirisch gemeinter Offener Brief an den Antisemitismus-Beauftragen
Dr. Felix Klein
Arn Strohmeyer
- 11.05.2020
Sehr geehrter
Herr Dr. Klein,
Sie haben
zusammen mit dem FDP-Politiker Lorenz Deutsch (nomen est omen!) den
aus Kamerun stammenden afrikanischen Philosophen und Historiker
Achille Mbembe des Antisemitismus bezichtigt. Anlass dazu sind u.a.
Zitate, in denen er den Staat Israel mit Kolonialismus in Verbindung
bringt und ihn mit dem Apartheidstaat Südafrika vergleicht. Sie
haben wohl besonders an der Stelle Anstoß genommen, in der Mbembe
schrieb, das Apartheidregime in Südafrika – und in einer ganz
anderen Größenordnung und in anderem Kontext – die Vernichtung der
europäischen Juden seien emblematische Manifestationen des
kolonialen Grundprinzips, das er „Trennungswahn“ nennt: die
Differenzierung zwischen dem Körper des Kolonialisten und der
übrigen niedrigen Welt, zu deren „bösen Objekten“ auch die
Einheimischen gehörten. Auch wenn Mbembe hier auf gemeinsame
Grundprinzipien verweist, von Gleichsetzung oder Relativierung
spricht er nicht. Weder die Einzigartigkeit des Holocaust noch das
Existenzrecht Israels stellt Mbembe – auch in anderen Texten – in
Frage.
Mit Ihrem
ausgemachten Spürsinn für Antisemitismus (das ist schließlich Ihr
Job) haben Sie in diesen Sätzen Mbembes gleich den Bezug zu Israel
entdeckt. Denn auch in Israel gibt es ja eine „Trennung“ bzw.
„Differenzierung“ zwischen den Kolonialisten und den unterworfenen
und unterdrückten Palästinensern, es gibt dort sogar eine
Materialisierung der „Trennung“ – die „Trennmauer“, die die
zionistischen Herren des Landes von den indigenen Einheimischen (den
Palästinensern) trennt. Der Vergleich mit dem Apartheid-Südafrika
war für Sie sicher der Auslöser, den Alarmknopf zu drücken und laut
„Antisemitismus!“ zu rufen.
In dem Essay
„Israel, die Juden und wir“ behandelt Mbembe Antisemitismus,
Holocaust, israelische Politik und imperiale und postkoloniale
Verbrechen als wesensgleich: „In dem Maße, wie die magische Illusion
der ‚Befreiung‘ sich auflöst, versinkt Israel wie die gesamte
Postkolonie in der Wiederholung: Wiederholung des Verbrechens,
Wiederholung der Käuflichkeit, Wiederholung der verlogenen
Versprechen, Wiederholung der Dummheit und das Falschen,
Wiederholung des Rechts zur Ungerechtigkeit und zur Untat,
Wiederholung der schändlichen Arbeit, die darin besteht, den Platz
der Mörder einzunehmen und das dumme Leben derer zu reproduzieren,
die, gestern Opfer, heute Verfolger, sich jenem sachwachsinnigen
Spiel hingeben, das Vergewaltigung, Raub, Kolonisierung und
Schutzgelderpressung heißt.“
Was Mbembe hier
schreibt, ist bezogen auf Israel zugegeben nicht sehr freundlich,
denn er meint ja nicht mehr und nicht weniger, dass ein
Kausalzusammenhang zwischen Antisemitismus und Holocaust auf der
einen Seite und dem brutalem Vorgehen Israels gegen die
Palästinenser andererseits besteht. Dieselbe Kausalbeziehung sieht
er zwischen den Verbrechen der europäischen Kolonialisten und den
nachfolgenden Schandtaten afrikanischer postkolonialer Herrscher.
Israel in einem Atemzug mit afrikanischen Potentaten zu nennen und
diesen Staat auf eine Stufe mit den Despotien dort zu stellen, da
muss ein Antisemitismus-Jäger natürlich zur Büchse greifen, zielen
und abdrücken.
Nun sei hier am
Rande angemerkt: Der israelische Psychologie-Professor Benjamin
Beit-Hallahmi hat am Ende der 1980er Jahre ein Buch veröffentlicht,
das aufzeigt, wie enge politische und wirtschaftliche Kontakte
Israel mit den übelsten Despotien der Dritten Welt gepflegt hat. Das
Buch ist damals auch in Deutschland erschienen: „Schmutzige
Allianzen. Die geheimen Geschäfte Israels“ (Knaur-Verlag, München,
1989). Dieses Buch hat damals sogar DER SPIEGEL ausführlich und sehr
positiv rezensiert, so etwas wäre heute gar nicht mehr möglich,
dafür würden Sie schon sorgen, das ist ja Ihr Job.
Am Ende seines
Buches schlussfolgert Beit-Hallahmi, dass die Israelis den Gedanken
der Befreiung und Selbstbestimmung, der damals die Dritte Welt
bewegte, nicht einmal denken durften, denn das hätte ja – die von
ihnen selbst praktizierte Unterdrückung der Palästinenser vor Augen
– zu sehr peinlichen Fragestellungen geführt und so eine
existentielle Bedrohung des Zionismus bedeutet. Deswegen sei der
Begriff der Menschenrechte für das politische System Israels von
höchster Brisanz, weil jede Auseinandersetzung mit ihnen an den
Grundfesten des Zionismus rütteln würde. Harter Tobak, aber
geschrieben von einem israelischen Hochschullehrer!
In diesem Buch
schildert der Verfasser übrigens auch ausführlich die sehr engen,
nicht nur partnerschaftlichen, sondern sehr freundschaftlichen
Beziehungen Israels mit dem Apartheidstaat Südafrika, die
Zusammenarbeit erstreckte sich auf alle Gebiete – auch auf den Bau
gemeinsamer Atomwaffen. Der damalige südafrikanische Premierminister
Johannes Vorster, ein Nazi-Sympathisant, durfte bei seinem
Staatsbesuch in Israel im April 1976 sogar in der
Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem einen Kranz niederlegen und
bewegende Worte sprechen. Damals war das noch etwas Besonderes.
Heute pflegt Israel ja ganz offiziell enge Beziehungen mit
Anhängern, Freunden des Autoritarismus oder Neo-Faschismus als da
sind: Bolsanaro, Orban, Strache, Wilders, den Le Pens, Salvini,
Vertretern der AFD und und…
Ich bin etwas
abgeschweift, will Ihre Geduld nicht strapazieren und endlich zum
eigentlichen Anliegen meines Schreibens kommen. Ich möchte Sie auf
einen weiteren „Antisemiten“ aufmerksam machen, der Ihrem Jägerauge
bisher offensichtlich nicht in den Blick gekommen ist: der
palästinensische Literatur- und Musikwissenschaftler Edward Said,
der sich auch immer wieder politisch geäußert und seine Ansichten in
vielen Artikeln und Büchern niedergeschrieben hat. Als Palästinenser
ist er, auch wenn er später in den USA gelebt und gearbeitet hat,
laut israelischer Definition schon von Haus aus ein „Terrorist“ und
„neuer Nazi“. Dass er dann auch ein „Antisemit“ ist, ergibt sich da
ja automatisch.
Ich will das auch
belegen. In seinen Büchern vergleicht er das südafrikanische
Apartheid-Modell immer wieder mit dem zionistischen Staat Israel,
nennt Israel sogar einen „kolonialistischen Apartheidstaat“ – und
das schon vor zwanzig oder dreißig Jahren! Und niemand ist bisher
darauf aufmerksam geworden und hat daran Anstoß genommen! In seinem
Buch „Das Ende des Friedensprozesses. Oslo und danach“ (2002)
beschreibt er die kolonialistische Lösung, die sich die Zionisten
für die Palästinenser ausgedacht haben und die in Südafrika schon an
Menschen schwarzer Hautfarbe ausprobiert wurde: „Diese Lösung sieht
die Aufteilung des Landes in unzusammenhängende Bantustans
(Reservate) vor, in denen eine Apartheidpolitik den weißen (heute
israelischen Siedlern) besondere Privilegien einräumte, während die
Eingeborenen in ihren eigenen heruntergewirtschafteten Ghettos leben
durften. Dort konnten sie die Verantwortung für ihre
Gemeindeangelegenheiten übernehmen, blieben jedoch den weißen
(wiederum: israelischen) Sicherheitsbestimmungen unterworfen. Die
ist das südafrikanische Modell.“
Said hat hier
schon vor zwanzig Jahren den bestehenden kolonialen Zustand
beschrieben, der nun mit Hilfe des „Jahrhundert-Deals“ von
US-Präsident Trump endgültig festgeschrieben und umgesetzt werden
soll. An anderer Stelle schreibt Said: „In den Annalen der Apartheid
oder des Kolonialismus findet sich nichts, was dem grausamen
Einsperren von 1,3 Millionen Menschen, die man wie menschliche
Sardinen in den Gazastreifen gezwängt hat, und der Situation der
fast zwei Millionen Menschen des Westjordanlandes gleichkäme.“
Das sind sehr
bedenkliche Sätze, der unbedingten Aufmerksamkeit eines
Antisemitismusbeauftragten würdig. Nun ist Edward Said im Jahr 2003
verstorben, aber vielleicht gibt es die Möglichkeit, seine
Veröffentlichungen nachträglich auf den Index zu setzen. Zum Fall
Edward Said kommt ein anderes sehr bedenkliches Faktum hinzu. Said
war ein enger Freund des israelischen Pianisten und Dirigenten
Daniel Barenboim. Auch dieser hat sich immer wieder kritisch über
die israelische Politik geäußert.
In einem
SPIEGEL-Interview (Nr. 25/2012) hat er Ungeheures von sich gegeben.
Ich zitiere: „Seit dem Sechstagekrieg haben die israelischen
Politiker immer wieder eine Verbindung hergestellt zwischen dem
europäischen Antisemitismus und dem Umstand, dass die Palästinenser
die Gründung des Staates Israel nicht hinnehmen. Was aber absurd
ist! Die Palästinenser waren in erster Linie nicht antisemitisch,
sie haben ihre Vertreibung nicht akzeptiert. Es gibt keine
Verbindung zwischen dem Palästina-Problem und dem Antisemitismus.“
Hier fegt Barenboim eine der Grundmaximen der zionistischen
Ideologie vom Tisch: dass die Gründung Israels die unmittelbare
Folge des Holocaust sei, weil die Juden nur in ihrem eigenen Staat
vor Verfolgung sicher seien.
Dokumentation
- Philosoph
Achille
Mbembe
- Unter
"Antisemitismusverdacht"
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