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Wer glaubt
noch an Friedensbotschaften?
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Gewalt im Nahen Osten und anderswo - und Deutschland ist
immer dabei
Arn Strohmeyer
Die Zahl der Kriege auf der
Welt hat zwar nach Angaben von Friedensforschern abgenommen,
aber nicht die Intensität der Gewalt, die ist sogar größer
geworden. Soll heißen: Die Kriege, die zur Zeit geführt
werden sind - entsprechend dem „Fortschritt“ der
Waffentechnik - um so grausamer und heftiger. Deutschland
ist immer dabei - ob in Afghanistan oder im Nahen Osten -
wenn nicht direkt, dann mit Waffenlieferungen. Beim Export
von Tod nimmt die Berliner Republik immerhin den dritten
Platz ein. Aber natürlich sind die Errungenschaften der
Tötungsindustrie nur dazu da, „Freiheit und Demokratie zu
schützen“ und außerdem sichern sie ja auch Arbeitsplätze! so
die offizielle Version der Regierenden. Aber die Kriege
haben ihren grausamen Charakter nicht geändert, noch immer
haben sie Kreuzzugscharakter - es geht um die Verbreitung
der eigenen Weltanschauung und Macht, der Feind - ob Taliban
oder Palästinenser - wird dämonisiert und entmenschlicht.
Das Schema ist seit
Jahrhunderten dasselbe, nur die Feindbilder wechseln. Der
Westen gibt sich in seiner Selbstdarstellung demokratisch
und christlich. Aber die politische Wirklichkeit hat wenig
mit diesen propagierten Werten zu tun. Gerade im Nahen Osten
zeigt sich, wie wenig dieses Wertesystem in Wirklichkeit
trägt und bloße rhetorische Fassade ist. Selbstbestimmung
und Menschenrechte für die Palästinenser? Was für eine
irrige Idee! Verstehen der Motive der „Feinde“, um einen Weg
zu einem Friedenskompromiss zu finden - ein gewisser Jesus
sprach sogar von „Feindesliebe“ - kein Gedanke daran in der
westlich-christlichen Wertegemeinschaft. Beim Krieg in
Afghanistan ist auch viel von Demokratie und Menschenrechten
die Rede, aber jeder weiß, dass es nur um die Vorherrschaft
der USA in dieser Region geht.
Im „Heiligen Land“ wird ein
ganzes Volk hinter einer großen Mauer in kleinen Enklaven
weggeschlossen, eingesperrt, aus dem Verkehr gezogen -
Menschen, die es offenbar nicht wert sind, die Rechte zu
haben, die nach der UNO-Charta allen Menschen zustehen. Und
wenn sie aufmucken, dann bekommen sie eine ordentliche
Ladung Bomben auf den Kopf oder die „moralischste Armee“ der
Welt sorgt mal eben wieder für Ruhe und Ordnung. Und der
Westen schaut wie immer zu. Denn Israel muss ja schließlich
das Recht haben, seine jüdische Ethnokratie gegen
„Terroristen“ zu schützen und sich Land zu nehmen, das ihm
nicht gehört!
Was das alles mit Weihnachten
zu tun hat? Es soll ja eigentlich das Fest des Friedens
sein, aber es wird zum Fest des Augenzumachens, des
Verdrängens und der Selbstgerechtigkeit, der Hingabe an
Konsum und herzige Innerlichkeit. Da singen und jubeln die
Kinderchöre wie in jedem Jahr so wunderschön von
Friedfertigkeit und Erlösung, aber das Böse und
Gewalttätige, für das die Politik auch dieses Landes so viel
Verantwortung trägt, wird ausgeblendet. Es kommt in den
vielen Friedensbotschaften gar nicht vor. weil es ja immer
die „anderen“ sind.
Man will nicht sehen, dass
diese herzige Innerlichkeit, die gerade Weihnachten so
fröhliche Urstände feiert, die andere Seite der Gewalt ist.
Es war kein geringerer als der große Thomas Mann, der den
Deutschen dieses Phänomen einmal vor Augen geführt hat, aber
es gilt auch für andere Völker. Sein Text „Deutschland und
die Deutschen“ ist lange vergessen, aber es lohnt, an ihn zu
erinnern. Er schrieb ihn am Ende des Zweiten Weltkrieg, als
es die Gründe für die deutsche Barbarei zu ergründen und den
Deutschen ins Gewissen zu reden galt. Die Innerlichkeit -
also den Hang zum weltfernen, romantischen Träumen und
Singen hielt er für einen typisch deutschen Wesenszug, den
er auf Martin Luther zurückführte, der der politischen
Freiheit des Einzelnen und der Gesellschaft eine völlige
Absage erteilt habe. Deshalb habe sich - unter der Decke des
Unpolitischen - die Innerlichkeit in Deutschland so
entwickeln können, nur deshalb hätte die Deutschen so lange
ihren Begriff der Nation nicht mit dem der Freiheit vereinen
können. Wenn man das Politische verdränge, dann schaffe es
sich gewaltsam Bahn. Und deshalb sei die Innerlichkeit nur
die andere Seite der Gewalt, die die deutsche Geschichte so
beherrscht habe. Angesichts der Kriegspolitik der Berliner
Republik könnte dieser Aufsatz in Zukunft wieder höchste
Aktualität bekommen.
Aber zum Trost sei gesagt:
Amerika hat dasselbe Problem: Das vor Innerlichkeit und
falscher Frömmigkeit triefende Lied „I’m dreaming of a white
christmas“ hat Bing Crosby zuerst vor den US-Soldaten im
Korea-Krieg gesungen - zur Stärkung der Kampfmoral der
amerikanischen Truppen. Kitsch und Gewalt gehören wohl
untrennbar zusammen, ganz besonders bei der Weltmacht
Amerika, die uns leider in so vielem Vorbild ist.
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