Die
Israel-Verteidiger in der Klemme:
Ihr Antisemitismus-Begriff ist durch Israels Gaza-Krieg unter
Druck geraten
Denn selbst israelische Holocaust-Forscher bezeichnen Israels
Rachefeldzug im Gazastreifen als „Völkermord“
Arn Strohmeyer - 25.08.2024
Die Anhänger und
Verteidiger Israels haben es zur Zeit schwer: Wie soll man das
israelische Vorgehen im Gazastreifen angesichts von über 40 000
Toten und rund 90 000 verletzten Palästinensern sowie angesichts
einer ganzen in Schutt und Asche gelegten und damit unbewohnbar
gemachten Region noch rechtfertigen? Selbstverteidigung?
Angesichts des Mordens und der Zerstörungen, die in keinem
Verhältnis mehr zum Anlass stehen – dem Hamas-Überfall auf
Israel am 7. Oktober – stehe, sind alle Argumente in dieser
Richtung völlig absurd. Das Völkerrecht fordert in einem solchen
Fall die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens, Israel hat solche
Argumente aber wie immer, wenn es um internationales Recht geht,
in den Wind geschlagen.
Das bringt auch die Freunde und Anhänger Israels, die immer
schnell mit dem Antisemitismus-Vorwurf bei der Hand sind, in die
Bredouille. Die Definition für Antisemitismus war früher einmal:
Hass auf Juden, weil sie Juden sind. Diese Definition ist zwar
heute immer noch richtig, aber Israel und seine Lobby haben
inzwischen eine andere Definition durchgesetzt: Antisemitismus
ist vorrangig Kritik an Israels Politik. Hier wird also der
Antisemitismus-Begriff in pervertierter Weise für die Interessen
eines Staates eingesetzt, der permanent gegen Völkerrecht und
Menschenrechte verstößt. Aus der Definition, die ausschließlich
Juden schützt, ist also eine Begriffsbestimmung geworden, die
Israel schützen soll.
Wie reagieren nun die Verteidiger Israels (wenn sie nicht
schweigen), wenn nicht nur zahlreiche Völkerrechtler (in
Deutschland etwa Norman Paech, in den USA Richard Falk) das
israelische Vorgehen im Gazastreifen als „Völkermord“
bezeichnen, sondern sogar renommierte israelische
Holocaust-Forscher, die sich in dieser Materie bestens
auskennen, so etwa Omer Bartov, Amos Goldberg, Lee Morchedai und
Raz Segal.
Omer Bartov schreibt: Er sei fest davon überzeugt, dass Israel
im Gazastreifen systematische Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen
die Menschlichkeit und Völkermord begehe. Es sei jetzt klar,
dass es von Anfang an nach dem 7. Oktober das israelische
Unterfangen gewesen sei, den Gazastreifen unbewohnbar zu machen,
seine Bevölkerung so zu schwächen, dass sie entweder ausstirbt
oder den Gazastreifen verlässt. Israel setze um, wie es in der
UN-Völkerrechtskonvention von 1948 heißt, dass es „in der
Absicht handelt, die palästinensische Bevölkerung im
Gazastreifen ganz oder teilweise zu vernichten“, „indem es sie
tötet, ihr schweren Schaden zufügt oder ihr Lebensbedingungen
auferlegt, die ihre Vernichtung herbeiführen sollen.“
Ganz ähnlich argumentiert Raz Segal, der Israel auch Völkermord
vorwirft. Wenn Israel sich bei seinem Vorgehen mit dem Holocaust
rechtfertige, dann verzerre es diesen Genozid. Die
entmenschlichende Sprache der israelischen Politiker (zum
Beispiel Verteidigungsminister Gallant: „Wir kämpfen gegen
menschliche Tiere“) diene eindeutig dazu, die weitreichende
Zerstörung palästinensischen Lebens zu rechtfertigen. Die
Behauptung, das Böse zu bekämpfen, lasse in ihrer Absolutheit
die Unterscheidung zwischen den militanten Hamas-Kämpfern und
der Zivilbevölkerung des Gazastreifens außeracht. Segal folgert
aus diesen Faktoren: „Israels Ziel ist es, die Palästinenser in
Gaza zu vernichten.“
Und Amos Goldberg schreibt: „Was in Gaza geschieht, ist
Völkermord, denn das Ausmaß und das Tempo des wahllosen Tötens,
der Zerstörung, der Massenvertreibung, des Hungers, der
Hinrichtung, der Auslöschung kultureller und religiöser
Einrichtungen, der Zerschlagung der Eliten (einschließlich der
Ermordung von Journalisten) und der umfassenden Entmenschlichung
der Palästinenser ergeben ein Gesamtbild des Völkermordes, einer
bewussten Vernichtung der palästinensischen Existenz in Gaza.“
Es sei auch noch daran erinnert, dass der Internationale
Gerichtshof (IGH) Südafrikas Klage, den Vorwurf des Völkermords
zu prüfen, angenommen hat.
Solche Argumente bringen die Verteidiger Israels jetzt natürlich
in Verlegenheit, wenn ihr Schutzobjekt ganz offiziell des
Völkermords beschuldigt wird und man deshalb Kritik an der
Politik des zionistischen Staates nicht mehr so einfach als
„Antisemitismus“ anprangern kann, weil ein solcher Vorwurf
letzten Endes auf die Rechtfertigung des Völkermordes
hinauslaufen würde. So hat etwa der Bundesverband der Recherche
und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) alle Mühe im
Umgang mit der neuen Situation. Antisemitismus, liege dann vor,
so heißt es da, wenn der Staat Israel als Ganzes dämonisiert und
somit als rassistisches Unterfangen delegitimiert werde, weil
damit antisemitische Narrative des „hinterlistigen oder
boshaften Juden“ befördert werden könnten. Das ist sicher keine
angemessene Antwort auf Israels genozidale Politik im
Gazastreifen.
Und der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung Felix
Klein konstatiert: „Wer Israel einen Genozid-vorwirft, handelt
klar antisemitisch, weil er Israel dämonisiert, doppelte
Standards anwendet und ausgerechnet dem jüdischen Staat damit
Völkermord wie die Shoah vorwirft.“ Die unleugbaren und
furchtbaren Fakten, die aus dem Gazastreifen bekannt werden,
interessieren diesen loyalen Staatsdiener nicht. Es kann eben
nicht sein, was nicht sein darf. Die Ideologie ist stärker als
die Realität. Die Bundesregierung ist offensichtlich nicht
gewillt, irgendwelche Konsequenzen aus dem Völkermord im
Gazastreifen zu ziehen.
Nun muss ein politischer und wissenschaftlicher Diskurs über
Völkermord und auch über Apartheid (auch die leugnet Klein)
erlaubt sein, ohne dass schon die Möglichkeit, Narrative zu
„befördern“, gleich als „antisemitisch“ angeprangert und
sanktioniert werden kann. Genau in diese Richtung gehend wird
aber im Bundestag – nicht öffentlich natürlich – ein
Entschließungsantrag zum Schutz jüdischen Lebens verhandelt.
Wenn diese Resolution verabschiedet würde, hieße das, dass
wissenschaftliche Förderprojekte und vermutlich auch die
Antragssteller selbst (vom Verfassungsschutz?) auf
Antisemitismus überprüft würden. Und auch die Kunst müsste sich
dann staatlicher Kontrolle unterwerfen.
Grundlage der Bundestagsresolution soll die
Antisemitismus-Definition der IHRA (International Holocaust
Remembrance Alliance) werden, die höchst umstritten ist, weil
sie unter starkem israelischem Einfluss entstanden ist und
deshalb auch vor allem Israels Interessen schützt. In der
Definition heißt es: „Antisemitismus ist eine bestimmte
Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden
ausdrücken kann.“ Juristen fragen deshalb: Soll eine
„Wahrnehmung“ sanktioniert werden? Dazu kommt, dass zionistische
Interessenvertreter zehn Punkte in diese Definition
hineingeschmuggelt haben, die in der ursprünglichen Fassung
nicht vorkamen. Es handelt sich also nicht um eine
wissenschaftliche, sondern eine einseitig
politische-ideologische Definition.
Einer der führenden deutschen Antisemitismus-Experten, Peter
Ullrich, legte in einem Gutachten die Mängel und Schwächen der
IHRA-Definition (mit den Beispielen) bloß und zeigte die
Gefahren auf. Ullrich kritisiert, dass die Definition
inkonsistent, widersprüchlich und ausgesprochen vage formuliert
sei. Die Kerndefinition des Antisemitismus sei zudem
reduktionistisch, denn sie hebe einige antisemitische Phänomene
und Analysen hervor, spare aber andere, wesentliche sehr
weitgehend aus.
Ullrich fasst die Risiken und Gefahren der Definition so
zusammen: „Die Schwächen der Definition sind das Einfallstor für
ihre politische Instrumentalisierung, etwa um gegnerische
Positionen im Nahostkonflikt durch den Vorwurf des
Antisemitismus zu diskreditieren. Dies hat relevante
grundrechtliche Implikationen. Die zunehmende Implementierung
der Definition als quasi rechtliche Grundlage von
Verwaltungshandeln suggeriert Orientierung. Stattdesessen ist
sie faktisch ein zur Willkür geradezu einladendes Instrument.
Dieses kann genutzt werden, um Grundrechte, insbesondere die
Meinungsfreiheit, in Bezug auf missliebige israelbezogene
Positionen zu beschneiden.“
Kritik an der israelischen Politik zu verhindern und zu
sanktionieren, ist also ganz eindeutig auch die Absicht der
Bundestagsresolution, denn der Schutz Israels ist Staatsräson.
Juristen warnen deshalb vor der Verabschiedung dieser
Resolution, denn sie würde die Freiheit von Wissenschaft und
Kunst einschränken und mit Sicherheit auch der politischen
Debattenkultur schweren Schaden zufügen, weil man mit der
Resolution eine gewichtige Handhabe gegen das freie Wort haben
würde. Wissenschaft und Kunst kann man nur nach ihren eigenen
Kriterien beurteilen, sie dürfen nicht nach ideologischen
Gesichtspunkten von der staatlichen Obrigkeit kontrolliert und
eingeschränkt werden. Das wäre ein Rückfall in unselige feudale
Zeiten.
Die Chance, dass die Vernunft siegt und die Bundestagsresolution
nicht zustande kommt, ist wohl gering. Die Staatsräson gegenüber
Israel hat allemal den Vorrang. Letztlich wird wohl das
Verfassungsgericht in Karlsruhe die Freiheit von Wissenschaft,
Kunst und freier politischer Rede retten müssen.
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