Israel auf der Anklagebank
Abi Melzer prangert in seinem neuen Buch Ideologie
und Verbrechen des Zionismus an
Arn
Strohmeyer
Der
deutsch-jüdische Publizist und Verleger Abi Melzer
ist ein unbequemer Mann. In einem Land, in dem vom
mainstream Kritik an der israelischen Politik immer
noch als „antisemitisch“ verurteilt wird, obwohl
dieser Staat Völkerrecht und Menschenrechte
permanent mit Füßen tritt, hat er keine Scheu,
ständig wider den Stachel zu löcken, Gerechtigkeit
für die unterdrückten Palästinenser einzufordern und
die israelischen Untaten zu verurteilen. Mit einer
solchen kämpferischen Haltung setzt er sich
natürlich zwischen viele Stühle. Und das jüdische
Establishment in Deutschland in Gestalt des
Zentralrates entblödet sich nicht, ihn als
„Antisemiten“ anzuprangern, so die frühere
Zentralratsvorsitzende Charlotte Knobloch.
Das
ist die paradoxe Situation: Hätte es in Deutschland
in den 20er und 30er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts in Deutschland mehr Demokraten und den
Menschenrechten verpflichtete Zeitgenossen gegeben,
wäre es vermutlich nicht zum Aufstieg Hitlers, zur
großen Weltkriegskatastrophe und dem Megaverbrechen
an den Juden gekommen. Heute hat sich die Situation
völlig umgekehrt. Wenn in Israel – „dem Staat der
Opfer“ – die Auffassung vorherrscht, Menschenrechte
gegenüber den Palästinensern könne man sich nicht
leisten, sie würden das Überleben des Staates
gefährden und ein universalistischer
Staatsbürgerschaftsstatus würde den jüdischen
Charakter des Landes bedrohen (so die israelische
Soziologin Eva Illouz), dann setzen sich Deutsche,
die eben die Einhaltung der Menschenrechte und des
Völkerrechts in Israel einfordern, sofort dem
Antisemitismus-Vorwurf aus. Eine völlig absurde
Situation, die auch für die deutsche Demokratie
nichts Gutes verheißt, denn Menschenrechte sind
universell und unteilbar – auch in Israel.
Dies zu verdeutlichen, ist genau der Kampf, den Abi
Melzer unermüdlich und sehr mutig führt. Da ist er
nicht zu Kompromissen bereit. Er ist ein
unerbittlicher Aufklärer und Moralist, der die
einzig richtige universalistische Folgerung aus dem
Holocaust gezogen hat: Dass so etwas „nie wieder!“
geschehen darf, gilt nicht nur für Juden (wie es in
Israel vertreten wird), sondern für alle Menschen
auf der Welt. Das ist die humane Position, die er
auch in seinem neuen Buch „Mit Feuer und Blut. Ein
anderer Blick auf den Israelisch-Palästinensischen
Konflikt“ vertritt. Schon der Titel sagt aus, dass
hier nicht Süßholz geraspelt, sondern Tacheles
geredet wird.
Melzers Buch ist eine einzige Anklage gegen den
Zionismus, die israelische Staatsideologie, und
seine politischen Praktiken: Krieg, Gewalt,
Besatzung, Apartheid und Unterdrückung. Wobei der
Zionismus einst säkular war und heute immer mehr
religiös-aggressive Züge annimmt, was den Hass
zwischen Juden und Palästinensern weiter anwachsen
lässt. Melzer bezieht klar Position auf der Seite
der Schwächeren, distanziert sich aber in seinem
Buch von jeder Form des Hasses und versichert
glaubhaft, dass seine Kritik aus Liebe zu Israel
erfolgt – das Land, in dem er aufgewachsen ist und
dem er viel verdankt. Aber er will und kann die
Augen vor dem dort herrschenden Unrecht nicht
verschließen.
Der
Autor legt die Wurzeln des Konflikts bloß und
konstatiert, dass der Zionismus von Anfang an ein
sehr unehrliches Spiel gespielt hat, indem er seine
Ansprüche auf Palästina auf der großen Lüge aufbaute
– „eine der größten der Weltgeschichte“ (Melzer) – ,
dass das Land „leer“ gewesen sei und nur auf die
jüdische Einwanderung gewartet habe. Auf dieser Lüge
habe der Zionismus seine rassistische und
kolonialistische Ideologie begründet. Aber die
Zionisten setzten sich dank der Hilfe der
imperialistischen Großmächte (erst England, später
die USA) durch, blieben (vorerst) die Sieger der
Geschichte. Die Palästinenser wurden die Opfer der
Zionisten. Man negierte sie einfach, erklärte ihre
Nichtexistenz, wie Golda Meir es tat: „Ich kenn kein
palästinensisches Volk.“ An den Grundpositionen des
Zionismus hat sich bis heute nichts geändert. Israel
vertreibt sie weiter von ihrem Land, zerstört ihre
Häuser, baut auf geraubtem Land Siedlungen und
blickt mit einer Herrenmenschenmentalität auf die
Palästinenser als minderwertige Menschen herab.
Kritik vom Standpunkt der Menschenrechte und des
Völkerrechts wird sofort mit dem
Antisemitismus-Vorwurf geahndet, was für den
Betreffenden schwerwiegende Folgen haben kann.
Melzer macht deutlich, wie sehr sich in dieser
Beziehung die Dinge geändert haben. Wenn ein
Antisemit früher jemand war, der Juden nicht mochte
und sogar hasste, so ist heute ein Antisemit auch
jemand, den die Juden nicht mögen und sogar hassen.
Heute, schreibt der Autor, sei der Zionismus sogar
der siamesische Zwilling des Antisemitismus, denn
Israel sorge sogar für sein Fortbestehen, weil er
ihm in vieler Hinsicht nütze – etwa vermehrte
Einwanderung von Juden nach Israel, die sich bedroht
fühlen.
Melzer schreibt dann als Folge aus dem Gesagten
einen Satz, der zweifellos richtig ist, aber gerade
in Deutschland wegen seiner Vergangenheit auf
Widerstand stoßen wird: „Israels Legitimität ist vom
Aspekt des Völkerrechts her gesehen nicht
vorhanden.“ Er stellt Deutschland als Vorbild hin,
weil es bereit war, die Verbrechen seiner
Vergangenheit einzugestehen und sie aufzuarbeiten.
Israel werde niemals einen solchen moralischen
Standard erreichen. Seine Verbrechen an den
Palästinensern seien nicht schlimmer als die
Deutschlands, aber Israel wolle und werde sie nicht
anerkennen, was ein wesentlicher Grund dafür sei,
dass Frieden zwischen den Konfliktparteien nicht
möglich sei.
Im
Zusammenhang mit dem Holocaust räumt Melzer auch mit
dem Tabu auf, das gerade von Zionisten mit Nachdruck
aufrechterhalten wird: dass der Holocaust
einzigartig gewesen sei. Er führt viele Beispiele
von Mega-Verbrechen an, die dem Holocaust in nichts
nachstanden. Vor allem aber prangert er die
Instrumentalisierung des Holocaust durch Israel an,
denn der zionistische Staat rechtfertigt sein
brutales Vorgehen gegen die Palästinenser mit dem
deutschen Massenmord an den Juden – nach dem Motto:
„Wir haben den Holocaust durchgemacht, uns ist alles
erlaubt!“ Ja, Israel wolle mit dem permanenten
Rückblick auf den Holocaust die Nakba (die von den
Zionisten durchgeführte ethnische Säuberung
Palästinas) aus dem Gedächtnis der Völker
verdrängen, so Melzer. Die israelischen Juden, die
aus dem Holocaust fast eine Religion gemacht hätten,
verböten den Palästinensern per Gesetz – bei hohen
Geldstrafen – ihr offizielles Gedenken an ihre
Katastrophe, die Nakba.
Die
Bilanz, die Abi Melzer in seinem Buch zieht, macht
wenig Hoffnung. Er sieht die Zukunft des jüdischen
Staates mehr als düster. Die demokratischen Kräfte
sind ihm zufolge auf dem Rückzug und die radikal
nationalen und religiösen auf dem Vormarsch. Es gebe
bis heute keine Trennung von Staat und Religion –
ein unverzichtbares Kriterium für Demokratien. Schon
jetzt werde der Staat in vielen Bereichen von Rabbis
regiert. Melzer wagt die Prognose: „Es dauert nicht
mehr lange, und Israel wird so sein wie der Iran
heute, wo die Ayatollas die Politik bestimmen und
die Scharia das Bürgerliche Gesetzbuch ersetzt.“
Melzer durchleuchtet alle politischen und
historischen Aspekte und Facetten des Zionismus und
des israelisch-palästinensischen Konflikts. Sein
Buch macht auch die tiefe Spaltung des gegenwärtigen
Judentums deutlich: in Universalisten und
Partikularisten, also Anhänger von Menschenrechten
und Völkerrecht auf der einen Seite und radikale
Nationalisten und Religiöse auf der anderen Seite.
Es ist seine tiefe Sorge, wohin letztere Israel und
den ganzen Nahen Osten steuern. Sein Buch ist ein
sehr wichtiger Beitrag, unser ganz einseitig von
Schuldgefühlen und Illusionen getragenes und deshalb
falsches Israel-Bild zu korrigieren. Denn dieser
Staat ist nicht das Land der Opfer, als das es sich
ausgibt, sondern es ist längst zum Täter geworden.
Dass dies die Tragik der jüdischen Gegenwart ist,
arbeitet Melzer sehr klar heraus.
Abraham Melzer: Mit Feuer und Blut. Ein anderer
Blick auf den Israelisch-Palästinensischen Konflikt,
Neu-Isenburg 2017, ISBN 978-3-9817922-7-0
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