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Felicia Langer - Eine Frau, die
Solidarität vorlebt.
Solidarität, das ist mehr als elf
Buchstaben auf einem Stück Papier
Eine Hommage von Dorothea
Hartung
Wenn
Felicia Langer erzählt, höre ich oft zu, als würde ich es zum ersten
Mal hören. Und dabei hatte ich es schon in einem ihrer fünfzehn
Bücher gelesen. Aber sie legt immer ihr ganzes Herz in den Bericht,
so daß ich fühle, als würde es eben geschehen. Manchmal muß ich
dabei weinen. Wenn wir am Telefon sprechen, sieht sie es wenigstens
nicht:
Am 28. Dezember 1977 wurde der Mutter
von Michael, Felicia Langer, ein zweiter Sohn, Sammy, geboren.
Damals war Sammy 22 Jahre alt, "ein Kind kam auf mich zu, ein zarter
Junge mit wunderschönen Augen."
Was war geschehen? Sammy, ein Amerikaner
und Palästinenser, erfährt, daß sein 85jähriger Vater im Sterben
liegt und sich sehnlichst wünscht, seinen Sohn noch einmal zu sehen.
Umgehend setzt er sich ins Flugzeug, doch am israelischen Flughafen
ist seine Reise zu Ende. Er wird verhaftet und kommt ins Gefängnis.
Tagelang wissen seine Verwandten nicht, was mit ihm geschehen ist
und wo er ist.
Über Umwege erfährt die israelische
Juristin Felicia Langer, daß der Häftling Sammy sie und nur sie als
Anwältin haben möchte und daß die Gefängnisleitung, die israelische
Militärgerichtsbarkeit, und wer sonst noch mit ihm spricht, zum
Beispiel seine Folterer, ihm dies verweigern. Letztere belügen ihn:
Wenn er Felicia Langer wählt, werde er doppelt so hart bestraft. Sie
würde ihn und seine Familie finanziell ruinieren, weil sie viel Geld
für seine Verteidigung verlangen werde. Und andere Lügen.
Aber Sammy kannte den Namen Felicia
Langer, er hatte ihr erstes Buch "With my own eyes" von 1974
gelesen, in dem sie als erste israelische Juristin aufdeckte, in
welchem Ausmaß Palästinenser in den Gefängnissen geschlagen, gequält
und gefoltert werden. Sie hatte die Folterspuren gesehen und
berichtete von Folter, die man nicht sieht, seelische und sexuelle
Folter, Zerstörung der Persönlichkeit durch Beleidigung,
Erniedrigung, Bedrohung, der Familie des Häftlings Schaden
zuzufügen, wenn er nicht gesteht, und der Erpressung falscher
Geständnisse. Sie hatte diese Gefangenen verteidigt und in ihrem
Buch die Prozesse beschrieben.
Genauso wie seine Familie suchte auch
die von Sammy geforderte Anwältin Felicia Langer tagelang in den
israelischen Gefängnissen nach ihm, immer hieß es: Hier ist er
nicht. Aber keine Auskunft darüber, wo sie ihn festhielten. Erst als
sie ankündigte, die internationale Presse auf diesen Skandal
aufmerksam zu machen, gaben sie nach.
Als Sammy auf sie zukam, erzählte er
ihr: Ich habe alles gestanden, was sie hören wollten, die
absurdesten Beschuldigungen, ich konnte die Folter nicht mehr
ertragen. Er braucht ihr kaum die Spuren der Gewalt zu zeigen, sie
sieht, daß es geschehen ist. Er ist ein Kind, ein gebrochenes
22jähriges Kind.
Angst steigt in ihr auf. Wie kann er
diese Gefangenschaft überleben? Sie denkt an ihren gleichaltrigen
Sohn Michael. Er war ein starker junger Mann, äußerlich viel
kräftiger als dieses Kind hier. Michael ging nach dem Abitur wie
alle jungen Menschen in Israel, egal, ob Mädchen oder Junge, zum
Militärdienst, die Jungen drei, Mädchen zwei Jahre lang. Aber
Michael diente nur ein Jahr, er wurde aus gesund- heitlichen Gründen
entlassen. So hätte er später jederzeit wieder einberufen werden
können. Eines Tages sagte er geradeheraus, ohne um Rat zu bitten,
mit vollkommener Überzeugung: "Wenn sie mich wieder holen, bringe
ich mich um!" Sie wußte damals, daß er die Wahrheit sagte, denn das
gehörte zu Felicia und Mieciu Langers Erziehungskodex: Die Wahrheit
zu sagen. Die Eltern setzten damals durch, daß Michael ins Ausland
zum Studium gehen konnte und retteten so das Leben ihres Sohnes.
Sofort fühlte sie dieselbe
unbeschreibliche Angst um einen Menschen in sich hochsteigen. Eine
wichtige, eine gute Angst, die zum Handeln zwingt. Als sie hörte,
wie Sammy sagte, er sei nicht mehr er selber, nicht wert zu leben...
Und als sie sah, daß er etwas in der Tasche seiner Trainingshose
hatte, flüsterte sie: "What is it, Sammy, please, show me." Und er
erzählte ihr, daß er Tabletten gegen Halsschmerzen erhalten und
gesammelt habe. Ihr stiegen die Tränen in die Augen und sie konnte
nur
flüstern: "Sammy, please, give it to me!"
Und er tat es. Obwohl Felicia Langer und
Sammy unter starker Bewachung waren, hatten die Aufpasser nichts
davon bemerkt.
Am nächsten Tag kaufte sie für Sammy
Lebensmittel und anderes Notwendige ein, das sie erlauben mussten,
und fuhr ins Gefängnis. Wieder stand das traurige 22jährige Kind vor
ihr, diesmal aber auch freudig überrascht, dass sie ihn so bald zum
zweiten Mal besuchte. Ganz spontan sagte er Tage später zu ihr: "Be
my mother!" Und sie tat es. Wochen später besiegelten sie eine
symbolische Adoption und seine leibliche Mutter wurde eine Freundin
der Familie. Sie stammt aus Deir Yassin.
Das geschah an einem 28. Dezember, und
deshalb feiern beide an diesem Tag Geburtstag. Sie sehen sich
selten, denn er lebt in den USA. Aber einmal, als Daniel Barenboim
mit seinem East Western Divan Jugend-Orchestra ein erstes Konzert in
Ramallah gab, das Felicia und Mieciu Langer im Fernsehen anschauten,
erkannte sie Sammy zu ihrer großen Freude im Zuhörerraum und sie
tauschten glückliche emails.
Alles ist mehr als dreißig Jahre her.
Sammy ist verheiratet. Frage: Wie heißt seine Tochter? Richtig:
Felicia, die Glückliche.
Sammy schrieb wie jedes Jahr einen Gruß:
Ima Shilanu,
today is December 28, 2011
34
years ago
today you walked into those dark cells with barbed wire all over.
With your love for
justice, and determination to see all people free, you broke another
set of chains.
You saved a life that simply felt hopeless and just wanted to go
away.
You rekindled a life and fired it up with hope and optimism.
And to you we are always indebted!
Ima, we love you.
And eternal thanks!
Bin Shilakh and Family! Sammy, Reem, Jenine-Felicia, Tariq, and
Julianna
"You saved a life
that simply felt hopeless and just wanted to go away."
Der Satz ist wie ein Motto zu
ihrem Leben: Schicksal zu wenden, Menschen zu helfen, Liebe zu
geben. Aus eigenem Leid zu lernen.
Ein anderes Beispiel: Die heute
82jährige Juristin und Autorin sprach die Laudatio für ihre
Schwester im Geiste, für die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser,
zur Verleihung des AMOS-Preises für ihre friedenspädagogische Arbeit
in Israel-Palästina und in Deutschland:
"Sie ist eine gute Pädagogin, macht
Friedensarbeit an Schulen, an der Uni, mit jungen Menschen. Sie hegt
keinen Hass, sondern ist immer um Verständnis bemüht, obwohl ihr
Sohn und der Schwiegersohn im Gefängnis saßen. Unrecht benennt sie
deutlich. In ihrem Buch "Verwurzelt im Land der Olivenbäume" erzählt
Sumaya, wie sie mit der Familie nach Ramallah gefahren ist, und auf
dem Rückweg haben die Soldaten, neuen Bestimmungen zu Folge, die
Autos nicht durchgelassen. Hunderte von Menschen und Autos standen
an dem Checkpoint. Sumaya schrieb: 'Ein junger Mann konnte sich
nicht beherrschen und gab dem Soldaten mit der Hand einen Stoß.
Wütend richtete dieser sein Gewehr auf die Brust des Mannes. 'Schieß
doch, ich habe nichts zu verlieren!' schrie dieser. Ich trat
dazwischen, so dass das Gewehr nun auf mich zielte. Der Soldat
brüllte mich an: 'Geh weg, was mischst du dich ein!' Ich sagte: 'Ich
möchte dich schützen! Du hast ein Gewehr, doch ich spüre deine
Angst. Du könntest mein Sohn sein, ich möchte nicht, daß du zum
Mörder wirst!' Ein anderer Soldat, der dies gehört hatte, holte
seinen Kameraden weg. 'Danke!', sagte ich. 'Wir leiden alle
gleichermaßen unter der Situation.' Der Soldat sagte: 'Ich bin aus
Holon in Israel, und am liebsten wäre ich dort.' - 'Dann geh nach
Hause, weigere dich, hier Dienst zu tun!', entgegnete ich ihm. 'Es
ist schrecklich für dich, es macht dich kaputt.' Er nickte.' “
Felicia Langer wählte genau diese
Begebenheit aus Sumaya Farhat-Nasers Büchern aus, um sie zu
beschreiben. „Dies ist Sumaya. Mabruk, liebe Sumaya, ich gratuliere
Dir herzlich zum AMOS-Preis 2011." Auch dieses Erlebnis habe ich
schon mehrmals gehört und es erschüttert mich immer wieder: Wie
schnell ein Leben in Gefahr ist in Palästina und wie mutig viele
Friedensmenschen dort sich oft einmischen, Palästinenser, Israelis
und internationale Pazifisten.
Und auch für den mit ausgezeichneten
Reuven Moskovitz, Buchautor und Mitbe- gründer von "Neve
Shalom! Wahat al Salam", wo israelische Juden und Palästinenser
zusammenleben, der Studienreisen durch Israel organisiert, mit denen
er sich sowohl um die jüdisch-palästinensische Aussöhnung als auch
um die deutsch-israelische Aus- söhnung bemüht, hält Felicia Langer
die Laudatio. Am wichtigsten ist es ihr, folgenden Bericht von
Reuven Moskovitz wiederzugeben:
"Reuven Moskovitz erzählt in seinem
Rundbrief über seine Entscheidung, sich an der Bootsfahrt nach Gaza
zu beteiligen, um die Gaza-Blockade zu durchbrechen. Er schreibt,
dass ihm klar war, dass ein kleines Boot mit einer Handvoll Menschen
die politischen Umstände nicht ändern wird. 'Ich habe meine Hoffnung
nur darauf gesetzt, dass nach dem mörderischen Piraterie-Drama auf
der Mavi Marmara meine israelische Regierung sich siebenmal
überlegen würde, ein kleines Boot, hauptsächlich mit Juden besetzt,
ebenso zu überfallen.'
Der Einsatz mörderischer Gewalt gegen
die Gaza-Freiheitsflotille (31.05.2010) war eine Abschreckung
seitens Israels. Das jüdische Gaza-Boot Irene am 26. September war
eine Antwort. Reuven Moskovitz, 82 Jahre alt, war dabei. Er
beschreibt in seinem Rund- brief, dass die Menschen an Bord erklären
werden, dass sie sich in einem Boot unter britischer Flagge
befinden, daß sie keinen gewalttätigen Widerstand leisten. 'Die
einzi- gen Waffen, die wir haben, sind symbolische Güter wie
Wasserreinigungsgeräte, Fi- schernetze, Medikamente, Kinderspielzeug
und 50 Mundharmonikas für Kinder in Gaza.' Reuven beschreibt was
danach passierte: 'Dann der blitzartige Überfall: etwa sieben
Kommandoschnellboote umzingelten unseren winzigen Katamaran... Gemäß
unserer Entscheidung saßen wir untergehakt - und ich spielte auf
meiner Mundharmonika 'Hevenu Shalom Elechem' - Wir wollen Frieden
für alle. 'We shall overcome' zu singen haben wir nicht mehr
geschafft, da plötzlich dutzende von schwer bewaffneten Soldaten mit
voller Wucht auf das Schiff sprangen und den Kapitän gewaltsam vom
Steuer entfernten. Ich zog instinktiv einen Hebel, um die Motoren zu
stoppen. Dabei merkte ich, dass mehrere Soldaten und ein
Oberleutnant versuchten, Jonathan und Rami El Chanan zu trennen, und
andere fielen über Itamar her, sein Sendegerät wurde beschlagnahmt
und die Antenne zerbrochen. Ich sah, wie ein Offizier seine Pistole
zog und auf Jonathan eine Kugel abschoss, die einen elektrischen
Schock verursachte, worauf er einen schrecklichen Schmerzensschrei
ausstieß. Rami versuchte, Jonathan zu schützen, und wurde von
mehreren Soldaten überfallen. Da fing ich an zu schreien und zeigte
auf meine und die anderen Mundharmonikas, dass das die einzigen
Waffen sind, die wir besitzen. Dazu, dass Rami kein Verbrecher,
sondern Vater einer bei einem Terroranschlag getöteten Tochter sei.
Unser Gepäck, auch die Tasche mit meinen Medikamenten und
Ausweisen, schleuderte man auf die angreifenden Schiffe. Dann wurden
Israelis und nicht-israelische Insassen getrennt, Jonathan und
Itamar wurden mit Gewalt von uns gerissen und auf ein Kommandoboot
transportiert. Mir wurden derweil die Mundharmonikas, die Geschenke
für die Kinder, mit einem Gewehrstoß aus den Händen geschlagen, und
ich hörte das Knirschen der 'Waffen' unter den Soldatenstiefeln.' "
Feilicia Langer sagte: "Ich habe jedes Wort von Deinem Bericht,
Reuven, verinnerlicht.
Danke Dir, dass Du auf diesem Boot warst
und uns das alles so nahe gebracht hast. Ich betrachte es als
Heldentum, beispielhaft für uns alle. Mazel Tov, lieber Reuven, ich
gratuliere Dir herzlich zum AMOS-Preis 2011. - Danke."
Ihr fünfzehntes Buch heißt "Mit Leib und
Seele - Autobiographische Notizen". Wie auch in den früheren Büchern
rekapituliert sie drei vergangene Jahre und wählt die wichtigsten
Ereignisse dokumentarisch aus. So ist es für die einen eine
Erinnerung und für neue Leser die erste Begegnung mit einer
außergewöhnlichen Frau. Wie keine andere mischt sie in den Texten
Persönliches mit Politischem. Und so entsteht immer für den Leser
das Bild einer über Unrecht empörten, einer aufrechten, die Wahrheit
suchenden, unbeugsamen, einer trauernden und zutiefst mitleidenden
mutigen Frau, die ihr Leben lang beispielhaft für Gerechtigkeit
kämpft, als Anwältin und als Menschenrechtlerin, heute mit ihren
Büchern und Vorträgen, und uns auf andere Menschen hinweist, die
denken und handeln wie sie: Auf Friedensmenschen.
Und dabei hat sie als Anwältin neben
vielen Erfolgen auch schreckliche Mißerfolge erlebt, die sie
verkraften mußte. Ein tragisches Beispiel ist das Schicksal des
Oberbürgermeisters von Nablus, dem Palästinenser Bassam Schaka.
Jedes Mal, wenn Felicia Langer von ihm erzählt, treibt es mir die
Tränen in die Augen. Sie hatte ihn 1979 als Anwältin vertreten und
den Prozess gewonnen, sie konnte verhindern, dass er im Gegensatz zu
vielen anderen Palästinensern damals aus seiner Heimat ausgewiesen
wurde: Ein Erfolg, erkämpft vor einem israelischen Militärgericht.
Wenige Monate später verübte ein israelisch-jüdischer Terrorist ein
Attentat auf Bassam Schaka und seinen Amtskollegen Karim Khalaf,
eine Bombe explodierte in seinem Auto und er verlor da- durch beide
Beine, Karim Khalaf einen Fuß. Als sie weinend und verzweifelt kurz
nach der Operation an Bassam Schakas Krankenhausbett stand und
sagte, es wäre besser gewesen, sie hätte die Ausweisung nicht
verhindert, dann wäre dieses Attentat nicht geschehen, antwortete er
ihr: "Du weißt, Felicia: Für mich, ohne Beine, aber im Vaterland zu
bleiben, ist viel wichtiger.“
Sie beschreibt ihre Gefühle damals: „Ich
weiß nicht, was stärker war, der Schmerz oder meine Empörung. Meine
Empörung wurde von Tausenden Einwohnern in Nablus geteilt – aus
solcher Empörung wächst Widerstand.“ Und die Antwort des Freundes
Bas- sam zeigt: Die Palästinenser werden niemals den Kampf um ihre
Heimat aufgeben, ihre vielen Kompromisse den Israelis gegenüber
müssen anerkannt werden und die Besatzung muß ein Ende haben.
Einen Hungerstreik mit ansehen zu müssen
von Gefangenen, die sie vertreten hat und die beinahe dabei starben,
"denn die israelische Justiz ist unnachgiebig hart", so wußte sie,
ist eine schwere Prüfung für eine Anwältin. Aber einen Gefangenen in
einer solchen Situation nicht zu entmutigen und ihm seine
Würde zu lassen und ihm gleichzeitig zu signalisieren, dass sie froh
wäre, er würde sich und seiner Familie ein zusätzliches Leid
ersparen, diese Gratwanderung hat sie mehrmals geschafft. Manchmal
konnte sie für ihre Mandanten Recht erstreiten, sie war eine
gefürchtete und geachtete Rednerin vor Gericht. In Palästina tragen
daher mehrere junge Frauen ihr zu Ehren den Namen Felicia. Anrührend
beschreibt sie in einem ihrer Bücher, wie sie an einem juristischen
Seminar für Referendare in Palästina teilnimmt und eine junge Frau
auf sie zukommt und sagt: "Ich warte schon so lange darauf, Dich
kennenzulernen." Es war Felicia Barghouti, für deren Onkel sie vor
Gericht die Freiheit erkämpft hatte.
In Palästina gibt es einen „Minister für die Angelegenheiten der
Gefangenen“. Felicia Langer hat einmal ausgerechnet, dass über
700.000 Palästinenser israelische Gefängnisse durchlitten haben,
eine unbeschreiblich hohe Zahl. Die meisten von ihnen, besonders
Kinder und Jugendliche, sind unschuldig, Kinder sowieso, aber auch
ein Widerstand gegen ein Besatzungsregime ist im internationalen
Völkerrecht als legitim festgeschrieben.
Aber dieses immer wiederkehrende Déjà-Vu
von israelischer Willkür, Gewalt, Gefangenschaft, Vertreibung und
Tod, gezielten Tötungen durch Drohnen oder Angriffskriege, von
Häuserzerstörungen und Kollektivbestrafungen, von Lügen und verbalen
Ungeheuerlichkeiten israelischer Politiker, unübertroffen von der
rechten Regierung, ganz vorne Netanjahu und Barak, wird immer
unerträglicher.
Wie kann Felicia Langer es so viele
Jahre hindurch aushalten, die Wahrheit zu sagen und vor den Folgen
zu warnen, wo die Situation für die Palästinenser doch eher
schlimmer geworden ist als besser? Woher nimmt sie die Kraft? Sie
schöpft sie aus der Liebe, die ihr entgegengebracht wird und die sie
als Kind von den Eltern erfuhr. Große Hoffnung setzte sie in den
„Arabischen Frühling“ trotz aller schrecklichen Rückschläge.
Es war auch eine Ära der Hoffnung für
das palästinensische Streben nach Freiheit.
Als die Bilder der jubelnden Menschen auf dem ägyptischen
Tahrir-Platz nach Muba- raks Rücktritt um die Welt gingen, schrieb
Sammy aus Amerika: „Our Mother, the fee- lings amongst
Arab-Americans, whether from Palestine, Syria, Tunisia, Lebanon,
Iraq is one of ‘Born again!’
It is just amazing to see these
people a few weeks ago and today! People feel like they were in a
deep sleep. Your dedicated and hard work and standing steadfast to
principles of justice and equality and freedom through all these
decades were not in vain! Let us hope that Egypt and Tunisia lead
the way for the people of the region to live in democracy and
freedom. I wrote to an Egyptian friend in Cairo telling her that ‘I
feel like an Egyptian!’ Her response was: ‘Yesterday we were all
Tunisians; today we are all Egyptians but WE ARE ALWAYS
PALESTINIANS!’ ” Sie
zitierte es gern auf Ihren Veranstaltungen. Viele Menschen haben es
gehört.
Und seitdem sind die Leiden so vieler
Menschen schlimmer geworden in Libyen, Syrien, Mali und jetzt wieder
in Ägypten und Tunesien, so viele junge Menschen sterben in dem
Kampf für Freiheit und Demokratie, viele sind wieder auf der Flucht
und leben wie einst die Palästinenser in großen Flüchtlingslagern
und es fällt immer schwerer, die wirklich Verantwortlichen für die
vielen Grausamkeiten benennen zu können. „Um Hoffnung kämpfen“ hieß
schon vor Jahren ein Buch von Felicia Langer. Das tut sie heute
wieder.
Bei einem „Festival der Kultur gegen
Fesseln“ in Palästina wurden mehrere Persönlichkeiten ausgezeichnet,
darunter Nelson Mandela und die Anwälte Lea Tsemel, Walid Fahoum und
Felicia Langer. Über sie, die „Mutter des Anti-Vergessens“, schrieb
der Minister Issa Karaka in einer arabischen Zeitung, dass „ihre
bloße Anwesenheit im Gericht im israelischen Rechtsapparat Unruhe
und Unbehagen verursachte, wenn sie ihre Stimme laut gegen die
Besatzung, deren Willkür und Brutalität gegenüber den Gefangenen
erhob.“
Die Ehrung geschah im „Namen des ganzen
palästinensischen Volkes, jedes palästinensischen Gefangenen und
jeder palästinensischen Mutter“. Und in einem persönli- chen
Schreiben des Ministers stand: „Deine Stimme, die Du laut gegen
Krieg und Aggression erhoben hast, war ein Zeichen der
Menschlichkeit in den Auseinandersetzungen mit dem Wahnsinn und der
Brutalität der Besatzer. Wie eine Mutter hast Du die Wahrheit ans
Licht gebracht und verbreitet, die Du mit eigenen Augen die Folgen
von Folter, Apartheid, Hass und Blutvergießen gesehen hast. Für Dich
waren unsere Jugendlichen, Kinder und Frauen Deine Brüder und
Schwestern, die für Freiheit und Frieden kämpften. Kein
palästinensischer Gefangener wird die große Anwältin Felicia Langer
jemals vergessen, die die Last getragen hat, Widerstand gegen das
ungerechte israelische Rechtswesen zu leisten. Du hast immer für
einen gerechten Frieden und das Recht unseres Volkes auf Freiheit
und Unabhängigkeit gekämpft…
Felicia, wir vermissen Dich sehr dieser
Tage, in denen Folter, Unterdrückung und Entrechtung nicht ab-,
sondern zunehmen, in denen die Gefängnisse überquellen von Tausenden
von Gefangenen, darunter Kinder, Frauen und Greise, in denen die
Men- schenrechte in aller Öffentlichkeit mit Füssen getreten werden.
Wir haben Deine Stimme im Gerichtssaal vermisst, die Gefangenen
haben Deine Nähe vermisst, die wie eine Kerze Licht in das Dunkel
ihrer Zellen gebracht hat, eine kleine Kerze zwar, die aber das
Gesicht der Welt erhellt und die Schlafenden und Stummen dazu bewegt
hat, zu sagen und zu schreien: ‚Genug ist genug!‘ Deine Bücher sind
immer noch Dokumente und historische Beweise für die Zeiten, in
denen viele Gefangene starben, und die auf den Körpern anderer
bleibende Schmerzen hinterlassen haben, die bis heute nicht
vergangen sind.
Vielleicht wird eines Tages die
internationale Gerichtsbarkeit gezwungen sein zu lesen, was Hadscha
Fula geschrieben hat, damit sie sehen, was Besatzung bedeutet und
da- mit die Welt befreit wird von der Lüge über die sogenannte
Demokratie des hebräischen Staates, der in Wirklichkeit durch seine
Aktionen Demokratie und Menschenrechte verletzt und einen gerechten
Frieden verhindert im Lande Palästina…“
Seit 1990 lebt sie in Deutschland, in
ihrem geliebten Tübingen, der Friedensstadt. Wird sie gefragt, warum
in Deutschland, antwortet sie, an Rosa Luxemburg erinnernd: "Ich
fühle mich überall zu Hause, wo es Wolken, Vögel und Menschentränen
gibt."
Aber es war auch die Resignation, Israel
zu verlassen, weil sie für ihre Mandanten keine Gerechtigkeit
erlangen konnte.
In Deutschland wird sie wie in Israel
geliebt und auch von einigen gehaßt, von Friedensfeinden, Ignoranten
und manchem Journalisten, die sich entschlossen haben, seit vielen
Jahren die israelische Politik mit einem Tabu zu belegen. Ein Tabu
heißt tatsächlich: In keinem Fall Kritik zu üben, nichts zu wissen
über die wirklichen Ereignisse und die politischen Zusammenhänge,
nur auf Seiten Israels zu stehen und sich ein Feindbild aus der
palästinensischen Bevölkerung zu basteln, das in keiner Weise mit
der pazifistischen gequälten palästinensischen Zivilgesellschaft
übereinstimmt.
So beschreibt sie zwei Ereignisse in
ihrem Buch, die das belegen: Zwei Ehrungen, die sie erfreuten, von
denen die eine aber begleitet war von einer abgrundtief ungerechten
Haßkampagne, angestoßen von dem Kampagnenerfinder Henryk M. Broder.
Nachträglich kann man die Dummheit und Grobheit vergleichen mit der
Kampagne gegen das Anti-Kriegs-Gedicht von Günter Grass Anfang
April, schon weil Herr Broder auch hier als Organisator und
Stichwortgeber aufgetreten ist.
Obwohl Herr Broder keine Erwähnung
verdient hat, liest sich doch eine email-Korrespondenz, von ihm
erzwungen mit dem Tübinger Bürgermeister der Grünen, Boris Palmer,
der es gewagt hatte, Felicia Langer das von Bundespräsident Köhler
verliehene Bundesverdienstkreuz persönlich zu überreichen, sehr
aufschlußreich. Bar jeder Scham hatte Broder die Korrespondenz
selbst veröffentlicht. Diese und andere Kampagnen, z.B. gegen den
hochgeachteten alten Alfred Grosser und seine Rede am 9. November
2010 in Frankfurt am Main, zeigen nur, wie bereitwillig einige
Journalisten jedes Nachdenken oder jede angebrachte Vorsicht in
aller Öffentlichkeit aufgeben, um irgendeinen Satz zu formulieren,
den vor ihnen noch keiner gefunden hat, Hauptsache, er verletzt und
negiert ein Lebenswerk der Humanität. Mit Abstand nun gelesen ist
das ganze sehr entlarvend.
Diese Kampagne hat Felicia Langer viel
Kraft gekostet, aber sie konnte sie nicht nachhaltig verletzen, dazu
waren die Freundesbezeugungen von anderer Seite zu groß, Gott sei
Dank.
Die zweite Ehrung geschah durch
Präsident Abbas persönlich während seines Berlin- Besuches Anfang
2012 auf Einladung von Bundespräsident Wulff. Felicia Langer erhielt
zu ihrer großen Freude den palästinensischen Orden „of Merits and
Exellencies“ für die Anerkennung ihrer Rolle bei der Verteidigung
der palästinensischen „Freiheitsgefangenen“, bei der Entlarvung der
israelischen Besatzungspraktiken und für ihren Kampf für die
Verwirklichung eines gerechten Friedens zwischen Palästinensern und
Israelis.
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Mit Leib und Seele – Autobiographische
Notizen.
Zambon-Verlag Frankfurt am Main 2012
Um Hoffnung kämpfen: Was die Alternative
Nobelpreisträgerin bewegt.
Lamuv-Verlag 2008
Die Entrechtung der Palästinenser: 40
Jahre israelische Besatzung
Lamuv-Verlag Oktober 2006
Den Schwachen zum Recht verhelfen: Erich
Mühsam-Preis 2005 an Felicia Langer.
Erich-Mühsam-Gesellschaft 2005
Nicht gegen mein Gewissen. Gespräche mit
Felicia Langer.
Dietz-Verlag Berlin 2005
Die Frau, die niemals schweigt.
Stationen eines Lebens.
Lamuv-Verlag 2005
Brandherd Nahost. Die geduldete
Heuchelei
Lamuv-Verlag 2004
Quo vadis Israel? Die neue Intifada der
Palästinenser.
Lamuv-Verlag 2004
‚Laßt uns wie Menschen leben.‘ Schein
und Wirklichkeit in Palästina.
Lamuv-Verlag 2002
Miecius‘ später Bericht. (Die Biographie
ihres Mannes, einem Holocaustüberlebenden)
Lamuv-Verlag 2001
Zorn und Hoffnung. Autobiographie
Lamuv 1999
Zeit der Steine. Eine israelische Jüdin
über den palästinensischen Widerstand.
Lamuv-Verlag 1997
Wo Hass keine Grenzen kennt.
(Hintergründe über das Attentat von Baruch Goldstein
In Hebron 1994.)
Lamuv-Verlag 1995
“From my diary”,
1980
“The story,
written by the people”, 1981
“These are my
brothers”, 1979
Israeli Oppression
in the occupied territories, 1976
Mit eigenen Augen. Israel und die
besetzten Gebiete 1967 – 1973, PDW
With my own
eyes. 1974, es wurde
in zehn Sprachen übersetzt.
Vorwort zu der Essay-Sammlung von Edward
Said über Israel und Palästina:
Frieden in Nahost? Palmyra-Verlag 1997
Israeli Human
Rights Activists: Natan Sharansky, Nitsana Darshan-Leitner,
Felicia Langer,
Tzvia Greenfeld, Irit Rosenblum, Ruchama Marton.
People from
Tübingen: Geoffrey Elton, Felicia Langer, Johann Georg Gmelin,
Theodor Dannecker, Eva Haule, Hans
Christian Korting, Ludwig Uhla.
Felicia Langer ist Ehrenbürgerin der
Stadt Nazareth
Zum 50. Jahrestag von Israel wählte die
Frauenzeitschrift YOU die fünfzig
bedeutendsten Frauen des Landes,
darunter auch Felicia Langer.
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