Von Mauern und Zäunen
Ellen Rohlfs, Dezember 2003
Noch
immer sehe ich die graue, überdimensionale Mauer vor mir, als wir Ende
Oktober km-lang an ihr vorbeifuhren: eine Gefängnismauer? Nein, eine
ganze Stadt - Kalkilia - liegt dahinter -aber wir sahen nichts von ihr,
absolut nichts. Seitdem geht mir die Mauer nicht mehr aus dem Sinn.
Sie
war für uns kein Hindernis, wie gesagt, wir fuhren nur vorbei. Und die
Bewohner der Stadt? Gefängnisinsassen? –--Seitdem denke ich über Mauern
nach und erinnere mich an Mauern, über die ich gelesen und die ich
selbst gesehen habe.
Die
berühmt-berüchtigten biblischen Mauern zu Jericho - angeblich
über 3000 Jahre alt - hat es nach Erkenntnis israelischer Archäologen
(1) nie gegeben – also haben weder die Priester mit Trompeten-schall
noch das Kriegsgeschrei des israelitischen Volkes sie zu Fall bringen
können. Ein Mythos also!
Die
Chinesische Mauer – das größte Bauwerk der Erde, das sogar vom Mond
zu sehen und in Teilen 2200 Jahre alt sein soll, wurde einmal zur Abwehr
von Nomadeneinfällen gebaut: fast 2500km lang – heute die
Touristenattraktion Chinas- jedem besuchenden, ausländischen Staatsmann
wird sie mit Stolz vorgeführt.
Die
Klagemauer in Jerusalem, Stützmauer des von Herodes erweiterten
Tempelplatzes– ist heute heiligste Stätte frommer Juden, da
Erinnerung an den zerstörten Tempel. Über ihr soll nach jüdischer
Tradition Gottes Geist schweben. Diese Mauer ist aber niemals Teil des
Tempelgebäudes gewesen, wie zuweilen behauptet wird. Dass sie zusammen
mit dem Tempelberg ein Streitobjekt bei allen sog. Friedensverhandlungen
ist, ist verständlich. Nur ein weiser, frommer, jüdischer Philosoph(2)
hätte die Klagemauer um des Friedens willen längst abgegeben, sie sei
doch nur eine „fromme Disco“.
Die
riesigen Steinblöcke allein erfüllten mich mit Erstaunen und Fragen: Wie
konnten sie vor 2000 Jahren so aufeinandergerichtet werden?
Auf dem
Limes -
dem ca 500 km langen Grenzwall der Römer gegen die
Germanen – wanderten wir einmal im fränkischen Jura als historisch
interessierte Pfadfinderinnen entlang.
Stadtmauern
wie die um Rothenburg, Carcassonne, Toledo und Jerusalem gehören heute
zum fotogenen Stadtbild. Einst schützten sie wirklich die Einwohner vor
räuberischen Banden und kriegerischen, größenwahnsinnigen Heerführern.
Seit
Tausenden von Jahren werden Hausmauern aus Lehm, Flechtwerk und
Steinen zu den eigenen vier Wänden und sollten das Leben der Menschen
vor den Unbilden der Natur, vor Regen, Kälte, Frost, Schnee und zu viel
Sonne schützen.. Auch vor neugierigen Augen, vor Räubern und Dieben. Die
Hauswände schützen die Familie, die Kinder, Kranken und Alten; jeder
sollte sich in seinen eigenen Wänden sicher fühlen - das mutwillige
Zerstören der Hausmauern – ob in Stalingrad, Dresden, Grosny, Kabul, in
Jenin oder Bagdad ist nur eines der Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Mauern
oder monströse Zäune, elektrisch geladen und aus Stacheldraht
umgaben unzählige Konzentrationslager mit Baracken, Gasöfen, Krematorien
und - Millionen von Menschen - und nur wenige kamen lebend heraus.
Viele sollen sich verzweifelt in diese todbringenden Zäune geworfen
haben. Einmal bin ich als Kind an wahrscheinlich solch einem Zaun mit
einem Ausflugsschiff auf der Havel vorbeigefahren, ohne zu ahnen, was
dahinter geschieht. Mit Ghettomauern hatten diese Zäune nur das
eine gemeinsam, hinter ihnen lebten vor allem Juden und viele
verhungerten dort.
Also
sollte ich nicht nur über Mauern sondern auch über Zäune und ihre
Funktionen nachdenken.
Wer
weiß außer den Militärs noch etwas über den West- und den
Atlantikwall, die Maginot- und die Barlew-Linie – alles
lächerliche und teure Grenzbefestigungen aus Wällen, Zäunen, Bunkern,
und Beobachtungstürmen im 20. Jahrhundert. Haben sie die sog. Feinde
abgehalten? Sie hatten nur psychologischen Wert, um die Bevölkerung eine
Weile ruhig zu halten.
Die
Berliner Mauer – erweitert als der „eiserne Vorhang“
bekannt– wurde 1961 auf der Grenze zwischen Ost- und Westberlin,
zwischen dem Ostblock und dem Westen gebaut. Sie trennte Familien – auch
meine eigene - vernichtete Pläne und Träume – und manch einer wurde an
der Mauer, beim Versuch, sie flüchtend zu überwinden, erschossen. Aber
:es wurden ja nur Befehle ausgeführt. Sie war für alle Ewigkeit gedacht
– und fiel nach 30 Jahren unter dem Jubel der Berliner Bevölkerung.
Trompeten waren nicht nötig – und Gott sei Dank! auch kein
Kriegsgeschrei.
Ein „Bollwerk
Europas gegen die Barbarei Asiens“ wollte Herzl (1897) mit
seinem jüdischen Staat in Palästina bauen. Welch Arroganz eines
europäischen Kolonialherren – und derer gab es viele – nur damals? In
den 30er Jahren wollte der Zionist Jabotinsky eine „eiserne
Mauer“ gegen die Araber errichten, da es eine „Unmöglichkeit sei,
sich mit ihnen zu arrangieren“. Damals blieb es bei phantastischer, doch
gefährlicher Rhetorik. Und heute?
Fragend
und ungläubig sah ich kürzlich in Israel einem LKW nach - voll mit sehr
langen Stahlstäben - Zigtausende davon seien in die besetzten Gebiete
unterwegs, erfuhr ich bald danach....Wird so nach 70 Jahren Jabotinskys
Traum zur grausamen Realität?
Im 20.
Jahrhundert entstand auf Befehl weißer Kolonialherren in Südafrika die
Apartheid mit und ohne Zäune – sie spukt noch immer in den Köpfen
von Rassisten. Die Bantustans und Homelands für Schwarzafrikaner wurden
inzwischen abgeschafft, nachdem die Welt und die Kirchen laut und lange
genug protestierten und Südafrikas Exporte boykottierten. Der als
Terrorist lange in südafrikanischen Gefängnissen festgehaltene Nelson
Mandela wird heute weltweit als Freiheitskämpfer und Held gefeiert.
Nun
entstehen neue Bantustans hinter dem sog. Sicherheits- oder
Trennungszaun, der
Apartheid- oder Schandmauer rund um und mitten in
Palästina. 8m hohe Mauern und Zäune zerstören die Landschaft auf
geplanten 700 km und 50 m breiten Schneisen mit Natodraht,
rasierklingenscharfen Stacheldrahtverhauen, 4m tiefen Gräben, Wegen für
Patrouillenwagen, mit Kameras elektronisch überwachten Zäunen. Es ist
kein Sicherheitszaun, der Israelis von Palästinensern trennt. Er trennt
die Palästinenser von Palästinensern, raubt ihnen fast die Hälfte ihres
Landes, 80% ihres Wassers, die Ölbaume – nur um die jüdischen Siedlungen
auf geraubtem Land absichern und erweitern zu können.
Dazu
wurden mehr als 100 000 Fruchtbäume zerstört, ausgerissen, verkauft,
verbrannt; 35 km Wasserleitungen zerstört; 67 Dörfer von ihren Feldern
und ihren Wasserquellen getrennt, 200 000 Menschen werden von
ihren Schulen, Krankenhäusern, Märkten, Kirchen, Moscheen und
Friedhöfen, von ihren Familien, Freunden und ihrer Arbeitsstelle
getrennt. Die Mauern und Zäune, den zusätzlichen Straßensperren, Gräben,
Erdwällen und Checkpoints sperren die Palästinenser in kleine und
kleinste Enklaven, Gefängnissen gleich. Mehr als 2,5 Millionen Menschen
werden von allem getrennt, was sie zum Leben brauchen. Ihr Leben wird so
ganz bewusst unerträglich gemacht. Mit welchem Ziel? Welch fatale
Absicht steckt dahinter? Sie sollen „freiwillig“ das Land verlassen! Man
will das Land ohne die einheimische Bevölkerung, die durch jüdische
Siedler ersetzt werden soll. ( 3) „Ethnic Cleansing“ ist der
Fachausdruck bei Menschenrechtsorganisationen oder „stiller Transfer“.
Und wer
fragt, was in solchen Menschen dann vor sich geht? Ob sich da nicht Wut,
Hass, Frust und Perspektivlosigkeit, Angst und Verzweiflung vor allem in
den jungen Menschen breit macht? Von Traumata gar nicht zu reden.
Welchen Sinn, welchen Wert hat das Leben für sie noch? – Warum es nicht
wegwerfen ? Warum es nicht gegen den Feind, den unbarmherzigen Besetzer,
einsetzen? Es ist die einzige Waffe, die sie noch haben. So wird jeder
der über 1 Million jungen Palästinenser zur potentiellen Bombe. Und die
ca. 7000, die hinter Gefängnismauern und mehrfachen
Stacheldrahtverhauen schmachten und frieren? Was geht durch ihre
Köpfe? Die mehr als 2500 Tausend Getöteten - zum Teil gezielt
Liquidierten - auch viele Kinder, haben zu ende gedacht – aber
Trauer und Schmerz in ihren Familien ist fruchtbarer Nährboden für
grausame Racheakte, die notfalls auch Zäune und Mauern zu überwinden
wissen. Nein, es ist kein Sicherheitszaun – für niemanden.
Wächst
hier nicht eine weitere riesige Klagemauer – vielleicht von
bösen Dämonen umschwebt ? Brodelt das Gift aus Hitlers Schlangenbissen
gegen Juden (6) bis heute in Betroffenen von damals nach und
gebiert so die Idee - als Rache am falschen Objekt - zu solch monströsem
Bauwerk? Noch dazu Milliarden Dollar schwer, Milliarden, die der eigenen
Bevölkerung entzogen werden?
Es ist
eine Mauer, die sich nicht nur wie ein überdimensionales Raubtier breit
durch das Land schlängelt und wälzt, dieses nicht nur zerstört sondern
auch zur Hälfte verschlingt. Mauer und Zaun legen sich - immer enger
werdend - als tödliche Schlinge um das ganze palästinensische Volk – und
reißt unversehens das israelische mit sich. „Wir stehen am Rande des
Abgrundes!“ mahnen nun auch Israelis, aus deren Mund solche Töne bis
jetzt ungewöhnlich waren. (4)
Ein
israelischer Soziologe (5) nennt das , was hier geschieht „Politizid“ –
Zerstörung einer Gesell-schaft. Warum nicht „schleichenden Völkermord“,
der 1948 seinen Anfang nahm? Die Verantwort-lichen lassen sich Zeit
damit – denn
so nimmt es die Welt nicht als das wahr, was es in der Tat ist.
Nur „klitzekleine Massaker“(z.B.1982) (6) begleiten es. Eine frühere
Knessetabgeordnete mahnte (7) vor noch nicht langer Zeit ihr Volk: „Der
Völkermord beginnt nicht erst mit Gaskammern“.
Zurück
zur Realität! Ich sah die Mauer, die in Abu Dis, am östlichen
Rande Jerusalems, mitten durch den Ort führt. Sie war an manchen Stellen
von grellroten Graffitis bemalt, beschrieben und mit Davidstern und
Hakenkreuz versehen. Trotz Hemmungen fotografierte ich, um zu
dokumentieren, wie an einer Stelle, 2m über dem Straßenniveau, Menschen
noch (!) – wenn auch mühsam – auf die andere Seite klettern konnten: Für
junge Leute war es wie Sport; ein alter, kleiner, gebückter Mann mit
Stock erklomm aber mit großer Mühe die hohen Blöcke, um sich durch die
Spalte zwischen zwei Betonplatten durchzuzwängen. Für eine traditionell
gekleidete Frau mit Säugling im Arm war es eine unglaubliche Zumutung –
trotz der Hilfe junger Leute. Es herrschte reger, doch mühsamer Verkehr
durch den erhöhten Mauerspalt, als ob dies selbstverständlich wäre.
Warum sollten sich die Bewohner von Abu Dis auch trennen lassen? Kein
zorniger, hasserfüllter Aufschrei war zu hören. Alles lief – zu unserem
Erstaunen – ruhig, fast friedlich ab. Keiner drehte durch. Nicht als wir
dort waren. Aber eine Woche später fielen nahebei Schüsse gegen
israelische Soldaten. Wundert sich jemand darüber?
Ganz
unten war zwischen den Betonplatten eine kleine Lücke, durch die Katzen
durchschlüpfen können. Ein Vater versuchte, seinem etwa 4 Jährigen klar
zu machen, dass er dort durchkriechen soll. Wenn es ein Spiel gewesen
wäre, hätte das Kind sich gewiss durchgequetscht. Aber jetzt sprach nur
unheimliche Angst aus seinen Augen. Es wehrte sich mit Händen und Füßen.
Was sollte er dort drüben - allein? Der Vater musste 3m weiter oben -
und von einer zur andern Seite balancierend - sich und das Kind nach
drüben drücken..
Wir
standen da und sahen entsetzt und erschüttert zu, was sich vor uns
abspielte. Nichts anderes als eine echte Tragödie. Wir fanden keine
Worte dafür und manchem kamen die Tränen. Hier werden Menschen ihrer
Menschlichkeit beraubt.
Und
inzwischen fand ich ein Wort, das zu diesem unmenschlichen Bauwerk
passt: reine Menschen-verachtung, purer Sadismus. An die „Banalität des
Bösen“ (8) musste ich auch denken, denn die Soldaten, die an den
Checkpoints die Menschen demütigend schikanieren, zuweilen sogar Kinder
(„versehentlich“) töten, und die Mauerkonstrukteure erfüllen „nur“ die
Befehle ihrer Generäle. Nach ihrem Konzept wird wieder eine Mauer
gebaut, die nicht schützt und sichert, sondern Land raubt, Menschen
aushungert, vertreibt, tötet. In Bethlehem soll es bis zum Jahre 2015
keine Christen mehr geben, hörten wir unterwegs. Ob Christen in aller
Welt an Weihnachten auch davon erfahren?
Nach
all den frustrierenden, entsetzlichen Gedanken über Mauern und Zäune
kann ich keinen größeren Wunsch, keine größere Hoffnung für meine
palästinensischen und israelischen Freunde haben :
Möge
die Weltgemeinschaft ( gibt es sie?) nicht nur den Mauerbau sofort zum
Halten bringen, damit Mauern, Zäune, Checkpoints abgerissen, Siedlungen
geräumt, zerstörte Straßen eingeebnet, Brücken und Häuser wieder
aufgebaut, Bäume neu gepflanzt werden können, damit den Palästinensern
Tore und „Fenster zum Leben“ (9) wieder weit geöffnet werden. Dann wird
nicht nur Sicherheit sondern auch Frieden sich langsam ausbreiten im
Land, das von vielen als das Heilige bezeichnet wird. (und ob ich
will oder nicht, es fallen mir noch Worte aus Ps. 24 und Jesaja 40,4
ein: “Machet die Tore auf..“., und „ebnet die Bahn!....“ (Ich weiß, sie
gelten eigentlich jemand anderem .....)
1. I.
Finkelstein/ N.Silberman: Keine Posauen vor Jericho
2. Prof.
Jeshajahu Leibowitz
3. Viktoria Buch (Peace now-Rede Nov 2003)
4.
Abraham Burg, ehemalige Shin-Beth-Chefs u.a.
5.Baruch
Kimmerling:Der Politizid, 2003,DiederichsVlg
6. s.
Interview mit Amos Oz (Im Lande Israel, S.75 u..84)
7. Shulamit Aloni
8. Hannah Arendt
9. Mahmoud Darwish
Zahlen
nach Gush Shalom und der Dokumentation von PEGON 2003
siehe auch bei "Dschenin" Bilder und weitere
Berichte von der Mauer
Offener Brief an Außenminister
Josef Fischer
Ellen Rohlfs 29. Oktober
Autorin des Buches "Die Kinder von Bethlehem“, Vertreterin der
israelischen Friedensgruppe Gush Shalom in BRD); Gründungsmitglied
von ICPPP: Internationales Committee for Protection of Palestinian
People, Section in BRD
Sehr geehrter Herr Außenminister!
Sie kommen gerade von einer Reise aus Nahost zurück, wo
Sie noch einmal Ihre Solidarität gegenüber dem Staat Israel in einer
schweren Zeit kund taten. Sie waren, wie üblich, auch in der
Gedenkstätte Yad Vashem – das erwartet man von Ihnen. Und ich finde
das ganz in Ordnung.
Ich hoffe, Sie haben bei Ihrem Abstecher nach Palästina
– um der Symmetrie willen - auch die Nakbeh-Gedenkstätte auf dem
Ölberg in Ost-Jerusalem besucht – ach, Verzeihung, die gibt es ja
erst virtuell. Stattdessen haben Sie sicher einen großen Scheck
dagelassen, damit nach 55 Jahren mit dem Bau dieser Gedenkstätte
endlich begonnen werden kann, so dass deutsche Staatsgäste des nun
hoffentlich - mit der neuen „Roadmap“ - bald entstehenden Staates
Palästinas auch dorthin geführt werden können – die Nakbeh hat
nämlich viel mit der deutschen Geschichte zu tun. Das sollte einem –
sollte man es vorher noch nicht gewusst haben - nach einem Besuch
dann dort deutlich geworden sein. Es könnten dort dann Kränze für
die Opfer der Massaker von Deir Yassin ( genau heute vor 55 Jahren!
), Tantura , Ramle, Jaffa, Kafr Kassem, Khan Yunis, Kibiya, Sabra
und Shatila, Kana , Jenin, die 3500 Opfer beider Intifadas
...hingelegt werden. Auch diese Opfer dürfen nicht vergessen werden.
Ich möchte mich bei Ihnen im Namen meiner
palästinensischen Freunde bedanken, denn sicher haben Sie in Ihrer
Funktion als Außenminister auch über verschiedene Arten von
Terrorismusbekämpfung gesprochen und haben dabei gewiss auch die
Menschenrechte angesprochen. Sie haben dabei sicher um die
Freilassung der palästinensischen Parlamentarier Marwan Barghouti
und Husam Khader gebeten, sich auch um die Freilassung von 3-500
Kindern und Jugendlichen (13 -17 Jahre) bemüht, die in israelischen
Gefangenenlagern in unwürdiger Weise und ohne Gerichtsverhandlung –
festgehalten werden, nur weil sie Palästinenser sind. Diese
Gefängnisse werden so zu Brutstätten des Terror. In Schulen,
Ausbildungsstätten und Universitäten wären die Jugendlichen ganz
gewiß vernünftiger und hoffentlich sicherer aufgehoben. Die
Brutstätte des Terrors würde austrocknen.
Und sicher haben Sie auch um die Freilassung der
kranken Gefangenen unter den mehr als12 000 Administrativhäftlingen
gebeten. Unter ihnen ist eine schwer krebskranke Mutter mehrerer
Kinder und der querschnittsgelähmte, schwerkranke Anan Nabih Labadeh
(30), dem man in der Ramleher Gefängniszelle auch noch den Rollstuhl
weggenommen hat, der keinerlei medizinische Versorgung erhält, dem
keinerlei Hygiene möglich ist, der also schlimmer als ein Tier
gehalten wird. Ich hoffe, Sie haben diesen in großer Not
befindlichen Menschen helfen können. Ob Sie gehört haben, dass es
allein im März mehr als 100 tote und 700 verletzte Palästinenser
gegeben hat und eine junge Frau aus USA der ISM Gruppe wurde
absichtlich von einem isr. Bulldozer 2mal überfahren und starb, ein
junger Mann aus USA (ISM) ist in Jenin ins Gesicht geschossen
worden. Diese jungen Leute üben in unglaublich mutiger,
stellvertretender, verantwortlicher Weise Solidarität mit dem
unsagbar gepeinigten, in lebensgefährlich engem Würgegriff
befindlichen palästinensischen Volk und -- sind unerwünschte Zeugen
des Staatsterrors bzw. Genozids – da die Staatengemeinschaft, die EU
und die UNO versagen. Wöchentlich erhalte ich erschreckende Berichte
von ISM über isr. Gewalt.
Vielleicht haben Sie gehört, dass kürzlich wieder
Wohnhäuser ( 16) am Rande Jerusalems zerstört wurden und in diesen
Tagen weitere vier – haben Sie diese nun obdachlosen Menschen
besucht und ihnen Hilfe zugesagt, vielleicht dass sie als Asylanten
in Deutschland aufgenommen werden? Sie würden damit allerdings der
israelischen Regierung in die Hände spielen – denn die Menschen
wollen viel lieber in ihrer Heimat bleiben - schaffen wir ihnen also
ein neues Dach über dem Kopf!
Wie soll man nun gewaltfrei den Terrorismus zu kämpfen?
Man sollte diesen Menschen neue Zukunftsperspektiven, ja, Sinn für
ihr Leben geben, damit das Leben wieder wertvoller wird als der Tod
– dann käme keiner von ihnen auf die Idee, eine „Bombe auf Beinen“
(Avnery) zu werden. Denn man muss kein Psychologe sein, um zu
wissen, dass mit jeder Zerstörung eines Hauses, mit jeder Enteignung
von Land, Zerstörung von Ölbäumen und Brunnen, jeder Tötung,
Verletzung, Folterung, Demütigung, Ungerechtigkeit, Unfreiheit und
Diskriminierung von Palästinensern immer mehr Menschen bereits von
Kindheit an schwer traumatisiert werden und so die Zahl potentieller
Terroristen rasant wächst, die eines Tages nicht nur Israelis und
Juden in aller Welt sondern die ganze westliche Welt in Angst und
Schrecken versetzen können – nicht weil sie als menschenverachtende
Terroristen geboren wurden, sondern weil die arrogante,
zerstörerische israelische Besatzung sie zu schwer traumatisierten
Menschen gemacht hat. Hier muss beim Kampf gegen Terror angesetzt
werden – ohne Raketen, Panzer, Bulldozer und neuer 8-14 m hoher
Trennungsmauer.
In dem Augenblick, in dem der Staat Israel die
arabische Bevölkerung im eigenen Staat und die Palästinenser in den
besetzten Gebieten mit Achtung und als Menschen völlig
gleichberechtigt behandelt, ihnen also die menschliche Würde
zurückgibt, Israel seine Schuld gegenüber diesem Volk anerkennt und
ernsthaft darum bemüht ist, diese Schuld wieder gut zu machen, ihm
die restlichen nur (!!) 22% seines Landes (ohne jüdische Siedlungen)
lässt, ihm Freiheit und Sicherheit , auf die es nach dem Völkerrecht
das selbe Recht hat wie Israel - gewährt – dann werden die
Gewalttaten von arabischer Seite immer seltener, der Antisemitismus
in der Welt weniger, das Image des Staates Israel wird sich bessern.
Nur Gerechtigkeit und Frieden werden Sicherheit bringen, heißt es
sehr weise bei Jesaja (32.)
In Israel gibt es Friedens- und Menschenrechtsgruppen,
die sich vorbildlich um Menschlichkeit gegenüber den Palästinensern
bemühen, jede Gruppe auf ihre spezielle Weise, wie ich dies selbst
vielfach erlebt habe. Diese mutigen Gruppen brauchen unsere
großzügige Unterstützung, nicht nur wie heute schon von einzelnen,
sondern vom deutschen Staat, von der EU. Nicht Panzer, Raketen, und
U-Boote bringen Israel Sicherheit - sondern medizinische,
pädagogische, wirtschaftliche, psychologische und finanzielle Hilfe
für die Palästinenser zum Wiederaufbau all dessen, was von
israelischen Panzern und Raketen zerstört wurde – aber auch Geduld,
Verständnis und Toleranz.
Bis zum Herbst 2000 gab es einige wunderbare Ansätze
von Brückenbau zwischen beiden Völkern, die ich selbst miterlebt und
in meinem Buch dokumentiert habe – drum weiß ich, dass ein
Zusammenleben der beiden Völker möglich ist, wenn die Regierung
will. Allerdings müsste der in den Siedlungen kultivierte Rassismus
– ein häßliches aus Europa mitgebrachtes Erbe - genau so bekämpft
werden wie bei uns Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus.
Hier sollten Ihre Bemühungen liegen – nicht in der
Unterstützung der rechtsradikalen rassistischen Regierung, die die
Massenvertreibung von Palästinensern auf ihr Banner geschrieben und
den Irakkrieg dazu ausnützend geplant hat - dazu die deutschen
Panzer benötigt, die inzwischen in allen palästinensischen Orten nur
Zerstörung, Angst, Schrecken und Traumata und - damit als legale (!)
Gegenwehr, den Terror, die „Waffe des Schwachen“ verursacht haben
Vor ein paar Monaten habe ich einen maßgeblichen,
bekannten jüdischen Deutschen, während ich mit großer Sorge die
Situation in Nahost beobachtete, darum gebeten, in diesem Sinne mit
Ihnen zu sprechen. Er möge Ihnen Mut machen, gegenüber der
israelischen Regierung freundschaftliche, aber ernste und klare
Worte zu reden– um des Friedens und um beider Völker Sicherheit
willen. Ob er wohl mit Ihnen in diesem Sinne geredet hat? Sie
betonen immer wieder, dass wir gegenüber dem Staate Israel eine
spezielle historische Verpflichtung haben, die in besonderer Not
auch eine besondere Freundschaft einschließt, aber echte
Freundschaft lässt Freunde nicht ins Verderben rennen! Es kann dem
einen Volk nur geholfen werden, wenn das Lebensrecht des andern auch
gewährleistet ist.
Das sollte deutlich und mutig von unsern Politikern,
auch von Ihnen, gesagt werden – auch wenn nicht jeder dem zustimmt;
es geschieht aus echter historischer Verantwortung und aus
Freundschaft – und nicht aus niederen Motiven, die man uns aus
falsch verstandener Solidarität sehr schnell unterschieben möchte.
Lassen wir uns nicht irritieren – lassen Sie sich nicht irritieren!
Hören wir den Hilferuf all derer in Israel und
Palästina, die noch ein Gewissen haben und die einfach in Frieden
mit einander leben wollen.
Shalom-Salam!
Ellen Rohlfs - Leer, den 9. April 03 |