Wir werden zu Israels Verbrechen nicht
schweigen!
Rede von Arn Strohmeyer am 5.6.2010 auf
der Kundgebung in Bremen gegen die
israelische Militäraktion
Liebe Bremerinnen und Bremer, liebe Freunde, die ganze Welt ist
empört über Israels Piratenakt in internationalen Gewässern gegen
die Flotte der Friedensaktivisten, die Hilfsgüter nach Gaza bringen
wollten. Zugleich wollten sie auch die Blockade durchbrechen und ein
Zeichen der Hoffnung für die eingeschlossenen und hungernden
Menschen dort setzen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte,
dann hat die brutale Militäraktion der Israelis es deutlich gezeigt:
Die israelische Politik ist völlig außer Kontrolle geraten, sie hat
jedes Maß und jede Verhältnismäßigkeit verloren. Die Politik Israels
wird eine Gefahr für die Staatengemeinschaft und die ganze Welt.
Wer keine Skrupel hat, auf friedliche Demonstranten, die den
Menschen in Gaza in ihrer Not Hilfe bringen wollten, zu schießen und
ein Massaker anzurichten, der sollte so lange international geächtet
werden, bis er die unter Völkern üblichen und gültigen
Verhaltensregeln einhält. Denn eines ist klar: Israels Überfall auf
die Schiffe war ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht und das
internationale Seerecht. Und der Überfall auf die Schiffe war
vorsätzlich geplant, wie wir aus den Aussagen von israelischen
Militärs vor der Aktion wissen - und von zwei arabischen
Knesset-Abgeordneten, die sich auf den Schiffen befanden. Das war
keine Notwehraktion, wie es die Israelis jetzt in ihrer Bedrängnis
darstellen. Nein, das war ein geplante und vorsätzliche Aktion.
Und deshalb, angesichts der Dreistigkeit des israelischen Vorgehens
- jetzt bei dem Überfall auf die Schiffe, aber auch grundsätzlich
wegen seiner Politik gegenüber den Palästinensern sehen Sie hier so
viele weiße Transparente, Plakate und Fahnen. Das soll aussagen: So
viel Dreistigkeit und Unmenschlichkeit verschlagen einem die
Sprache, die kann man mit Parolen gar nicht ausdrücken. Und weiß ist
ja außerdem die Farbe des Friedens, für den wir hier uneingeschränkt
stehen!
Nach dem Massaker im Gaza-Krieg an der Jahreswende 2008/2009 mit
1400 toten Palästinensern, von denen zwei Drittel Zivilisten waren -
nun der Mord an den Friedensaktivisten. Wobei wir immer noch nicht
genau wissen, wie viele es wirklich waren. Da klingt Israels viel
beschworene Losung, dass es die "moralischste Armee der Welt" habe
wie Hohn. Die Regierung in Jerusalem kann für den Mord an Menschen,
die sich für den Frieden im Nahen Osten einsetzen wollten, keinerlei
Rechtfertigung vorbringen. Hier handelt es sich eindeutig um eine
Terror- und Mordaktion.
Was sagt die deutsche Bundesregierung zu diesem Piratenüberfall auf
Schiffe von Friedensaktivisten? Sie schickt Kriegsschiffe an das
Horn von Afrika, um dort Piraten zu bekämpfen. Sie schickt Schiffe
an die libanesische Küsten, um Israel zu schützen. Sie liefert
Waffen - Schnellboote, U-Boote und Panzermotoren - an-Israel. Das
ist kein Beitrag zum Frieden im Nahen Osten. Denn wer schützt die
Menschen dort vor Israels Militär? Wir sagen hier ganz eindeutig,
wer Waffen an Israel liefert und dieses Land militärisch
unterstützt, der unterstützt Gewalt und Krieg, aber nicht den
Frieden! Und hier stellt sich noch eine Frage: Wenn die israelische
Marine meint, in internationalen Gewässern eine Solidaritätsflotte
angreifen zu müssen, also nicht einmal vor der Küste Israels oder
des Gaza, wieso ist es dann notwendig, dass deutsche Kriegsschiffe
vor der Küste des Libanon die Sicherheit Israels garantieren müssen?
Diese Frage muss uns Frau Merkel sehr bald beantworten!
Es bleiben heute - sechs Tage nach Israels Aktion - weitere wichtige
Fragen, auf die wir von der Regierung in Jerusalem Antworten
fordern: Die Türkei verlangt von der israelischen Regierung eine
Entschuldigung für den Mord an ihren Staatsbürgern, sie verlangt
eine Entschädigung für die Familien der Ermordeten und sie verlangt
die sofortige Rückgabe der Schiffe. Wo bleibt die Antwort auf diese
Forderungen? Wir haben bisher nichts gehört. Israel sagt: Alle
Gefangenen seien frei gelassen worden. Nein, es sind noch
Journalisten in israelischen Gefängnissen, die auch auf den Schiffen
mitgefahren sind. Man hat ihnen ihre Ausrüstung - vor allem die
Kameras - weggenommen. Wir fordern die sofortige Entlassung dieser
Journalisten und die Herausgabe ihres Gerätes einschließlich dessen,
was sie mit ihren Kameras dokumentiert haben! Und: Wie geht es den
Verwundeten? Auch das wissen wir nicht! Israel muss umgehend diese
Fragen beantworten.
Liebe Freunde, ich weiß sehr genau, was Deutsche Juden angetan haben
und dass wir deshalb ein besonderes Verhältnis zu Israel haben. Aber
weil Deutsche furchtbare Verbrechen an den Juden begangen haben,
sind wir besonders sensibel geworden für die Einhaltung von
Menschenrechten. Und gerade wir Deutsche müssen aufstehen und dürfen
nicht schweigen, wenn irgendwo auf der Welt Menschen Unrecht getan
wird und ihre Menschenwürde verletzt wird. Israel hat kein Recht -
das sage ich hier mit aller Deutlichkeit - mit der Berufung auf den
Mord an den Juden Verbrechen gegen andere Völker oder friedliche
Demonstranten zu begehen. Wir Deutschen haben wegen der Verbrechen
der Nazis eine große Verantwortung gegenüber den Juden, aber wir
haben deshalb nicht die Pflicht zu Israels Politik zu schweigen.
Nein, wir schweigen nicht!
Ich will Ihnen hier vorlesen, was ein israelischer Friedensaktivist
zu Israels Überfall auf die Schiffe geschrieben hat. Es ist Uri
Avnery, der für seinen Einsatz für Frieden und Menschenrechte im
Nahen Osten den Alternativen Nobelpreis und den Aachener
Friedenspreis bekommen hat. Er schreibt: "Diese Aktion ist eine
wahnsinnige Sache, die sich nur eine Regierung leisten kann, die die
Rote Linie überschritten hat. Nur eine wahnsinnige Regierung, die
alle Beherrschung und jede Verbindung zur Realität verloren hat,
kann so etwas tun: Schiffe, die humanitäre Hilfe und
Friedensaktivisten aus aller Welt mit sich bringen, als Feinde
anzusehen und massive militärische Kräfte in internationale Gewässer
zu schicken, sie anzugreifen, zu beschießen und zu töten. Niemand in
der Welt wird die Lügen und Rechtfertigungen glauben, mit denen die
Regierungs- und Armeesprecher Israels jetzt daher kommen."
Liebe Freunde, das sagt ein Israeli und ich freue mich sehr, dass so
viele Juden in Israel und der ganzen Welt genau so denken und hinter
unserem Protest stehen. Wir müssen vermuten, dass Israels Regierung
mit seiner brutalen Militäraktion auf die Schiffe der
Friedensaktivisten zwei Absichten verfolgt hat. Erstens: Es wollte
die indirekten Friedensgespräche zwischen Israel und den
Palästinensern torpedieren, die gerade auf amerikanischen Druck hin
begonnen haben. Es steht seit langem fest: Israel will solche
Gespräche nicht. Es ist mit dem gegenwärtigen Zustand zufrieden. Es
hat das Westjordanland militärisch fest im Griff. Israel will dort
seine Siedlungen weiter bauen und dieses Gebiet einschließlich
Jerusalems nicht wieder herausgeben.
Und den Gazastreifen hat man sozusagen weggeschlossen, durch die
Blockade will man ihn vor den Augen der Welt verstecken. Die Welt
soll Gaza vergessen. Israel gibt den Menschen dort gerade das
Allernötigste zum Überleben, dass sie nicht verhungern. Und dann
sagt man in Jerusalem hochmütig: Was wollt Ihr denn, wir haben sie
doch gut versorgt. Das ist blanker und hochmütiger Zynismus und eine
Täuschung der Weltöffentlichkeit. Der Berater des früheren
israelischen Ministerpräsidenten Sharon, Dov Weissglas, hat einmal
über die Bewohner des Gazastreifens gesagt, das ist belegt: "Wir
müssen die Menschen dort auf Diät setzen. Sie sollen schlanker
werden, aber nicht sterben." Genauso handelt die israelische
Regierung. Das ist Zynismus pur! Wir wissen aus vielen Berichten von
dort, wie es in Gaza wirklich aussieht, welche große Not die
Menschen dort leiden. Die Abriegelung des Gaza-Streifens verstößt
nicht nur gegen die Genfer Konvention, sondern auch gegen das
humanitäre Völkerrecht.
Und Israel verfolgte eine zweite Absicht mit seinem Überfall auf die
Schiffe. Es will künftige Demonstranten abschrecken. Nie wieder - so
wollen es Israels Regierende und das Militär - soll es ein
Demonstrant wagen, noch einmal zu versuchen, die Blockade um Gaza
herum zu durchbrechen. Aber, liebe Freunde, wir lassen uns nicht
abschrecken. Wir werden auch in Zukunft alles tun, die Blockade
endlich zu Ende zu bringen!
Eins können wir heute schon sagen: Israel hat sich getäuscht. Seine
Militäraktion gegen die Schiffe war nicht nur unmenschlich, brutal
und gesetzwidrig, sie war auch töricht und dumm. Denn jetzt blickt
die Welt wieder nach Gaza. Jetzt fordern die Staatengemeinschaft und
auch die UNO: Die Blockade von Gaza muss aufgehoben werden! Denn die
Menschen dort haben genau so ein Recht auf ein menschenwürdiges und
selbstbestimmtes Leben wie die Menschen in Israel! Und wenn die
Blockade aufgehoben ist, muss auch der zweite Schritt erfolgen:
Israel muss das Westjordanland räumen, seine Siedlungen abbauen und
das Gebiet zusammen für die Gründung eines palästinensischen Staates
freigeben.
Liebe Freunde, unsere Geduld ist am Ende. Es gibt keinen einzigen
Grund, dass Israel seine völkerrechtswidrige Besatzung des
Westjordanlandes und die Abriegelung des Gazastreifens weiter
fortsetzt. Lassen Sie uns von dieser großartigen Kundgebung heute
den Vorsatz mit nach Hause nehmen, dass wir auf unsere Regierungen
Druck ausüben, dass sie wiederum Druck auf Israel ausüben, dass
endlich der Weg zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten frei wird!
Und dass es schon sehr bald ein freies Palästina gibt!
Ich danke Ihnen!