“Können wir noch irgendetwas für Sie
tun?” fragt ein junger Herr vom israelischen Geheimdienst nach zehn Minuten
Verhör im Plauderton. Mohamed Vall, ein Al Jazeera Korrespondent auf der
Mavi Marmara, gehörte zu den VIP-Passagieren des Schiffes – also jener
Gruppe aus Parlamentariern und Journalisten, die sich über eine
vergleichsweise sanfte Sonderbehandlung freuen konnten. Sanft heißt hier:
Während die Hände der meisten Aktivisten hinter ihrem Rücken
zusammengebunden wurden, bekam Mohamed die Handschellen vorne angelegt. Und
im Gegensatz zu manchen Mitfahrern, durfte er nach Belieben aufs Klo.
Wäre Mohamed nicht zufällig ein
Freund von mir, ich hätte immer noch keine konkrete Vorstellung davon, was
eigentlich passiert ist, an jenem 31.Mai, an dem die israelische Marine die
Gaza-Flotille kaperte und die Passagiere drei Tage lang von der Aussenwelt
abschirmte. Hätte ich mich auf westliche Medien verlassen, ich glaube, ich
hätte nicht viel kapiert. Klar, ich habe Zeitung gelesen und mich von einem
Nachrichtensender zum nächsten gezappt, drei Tage lang. Fühlt sich an wie
eine Schleife aus Déjà-Vus: Die Sache mit der Flotille ist neu, der Rest
ritualisierte Routine. Die israelischen Militärsprecher sagen, was sie sonst
auch immer sagen, Journalisten und Politiker hecheln durchs Hamsterrad ihrer
eigenen Verhaltensmuster: Arabische Kommentatoren verstricken sich in ihrer
emotionaler Betroffenheit, westliche dagegen in ihren eigenen
Vorsichtsmaßnahmen.
Dass im Nahen Osten Zivilisten
sterben, ist nichts Neues. An tote Palästinenser hat sich die Welt gewöhnt.
An tödliche Angriffe aufs Hilfskonvois immerhin noch nicht. Wenn es dann
noch um Passagiere aus 40 verschiedenen Ländern geht und um mutmaßliche
Piraterie auf hoher See, dann hat die Geschichte das Zeug zur Top-Story auf
allen Titelseiten. Aber es wurde keine Top-Story, jedenfalls nicht in
Deutschland und den USA. Es gab eine Reihe kritischer Leitartikel, ein paar
schockierte Kommentare dazu dass der Angriff ausgerechnet in internationalem
Gewässer stattgefunden habe – aber so richtig hohe Wellen hat die Flotille
nicht geschlagen.
Außer in der arabischen Presse,
versteht sich. Dort wurde aus der Tragödie im Handumdrehen ein Triumph, aus
sämtlichen Passagieren selbstlose Helden und aus den vereinzelten Demos in
Europa wurde ein “historischer Wendepunkt”. Wer das glaubt, scheint nicht
allzu viele westliche Zeitungen gelesen zu haben. Egal, wie oft es behauptet
wird: Israel hat den PR-Krieg nicht verloren. Die israelische Armee kann
sich auf tausende loyaler Journalisten verlassen, die die öffentliche
Debatten in Nebenstraßen steuern, bevor sie zu irgendeinem Punkt kommt. Wie
sie das schaffen? Ganz einfach: Wenn es irgendwas gibt, was noch blockierter
ist als Gaza, dann wohl der gesunde Menschenverstand in Sachen Nahost.
Weil das so ist, können Journalisten
tagelang diskutieren wer welche Waffen hatte und wer wann was angefangen
hat, ohne zu merken, dass das nicht viel zur Sache tut. Wenn es stimmt, dass
die Blockade des Gaza-Streifens nach internationalem Recht illegal ist, dann
kann der Versuch, die Blockade einem Dritten aufzuzwingen von vorne herein
nicht sonderlich rechtmäßig sein. Sowas ließe sich erörtern, man könnte aus
der Frage eine recht ordentliche Zeitungsseite machen. Stattdessen treten
die meisten westlichen Journalisten schon viel früher auf der Stelle – an
dem Punkt, an dem sie unisono von “unklarer Faktenlage” sprechen und eine
“unabhängige Untersuchung der Ereignisse” einfordern.
Hm. Und dabei ist das hervorstechende
Merkmal der Geschichte eben gerade, dass die grundsätzlichen Fakten alles
andere als unklar sind. Oder um in Mohamed Valls Worten zu sprechen: “Es
gibt die GPS Parameter, es gibt die Videos, es gibt 600 Augenzeugen... was
braucht man denn noch?”
Bloß wo sind die Augenzeugen?
Von einigen Ausnahmen wie dem Guardian mal abgesehen, sucht man in der
westliche Mainstream-Presse ziemlich lange nach ausführlichen
Augenzeugenberichten. Die deutsche Medien hätten es leicht gehabt: Die
beiden Bundestagsabgeordneten waren am nächsten Tag frei und jederzeit
erreichbar. Und Norman Paech hat auch noch Ahnung vom völkerrechtlichen
Hintergrund – was will man mehr. Doch mehr als ein paar kurze O-Töne waren
nicht drin. Die Passagiere, so scheint es, gelten nicht als Quelle, sie sind
ja per se “voreingenommen” und “anti-israelisch eingestellt”. Sonst wären
sie ja nicht auf dem Schiff gewesen. Ach so. Wie gut, dass es die
Presseprofis von der Armee gibt, die das Bildmaterial gleich noch mit
Erklärung liefern, ganz objektiv, natürlich.
Statt auch den Passagieren
zuzuhören und aus den Puzzleteilen ihrer Schilderungen die Ereignisse zu
rekonstruieren, konzentierten sich die meisten Medien auf eine andere Frage:
Waren die Passagiere etwa “Islamisten” – und haben sich die Linken
einspannen lassen für die Zwecke der “radikal-islamischen Hamas”? Die
Berichterstattung bewegt sich damit wieder auf vertrautem Terrain. Statt
unangenehme Fragen zur Flotille stellen zu müssen, kann man sich jetzt die
Zeit vertreiben mit Recherchen zu Spendengeldern der IHH.
Während den meisten Arabern
nicht so recht einleuchtet, welche Relevanz die politischen Einstellungen
der Passagiere zur Beurteilung des Angriffs haben, sieht die westliche Logik
eher so aus: Sollten die Passagiere irgendwelche linksalternativen Hippies
sein, die morgens auf dem Deck Yoga machen – ok, lassen wir sie nach Gaza,
was soll schon passieren. Wenn sie aber Bärte tragen und fünf Mal am Tag
beten – um Gottes Willen! Da muss man besser eingreifen bevor sie... ja, was
eigentlich? Zement und Medikamente nach Gaza bringen könnten?
Natürlich gibt es Menschen –
und wahrscheinlich sogar immer mehr davon – die nicht alles glauben, die im
Gewirr von Propaganda-Gefechten und gegenseitigen Anschuldigungen immer noch
ihren eigenen Standpunkt finden. Doch je mehr ins öffentliche Bewußtsein
rückt, was in Gaza passiert, desto nachdrücklicher wird in vielen Leitmedien
betont, dass ein Land, das so isoliert sei wie Israel, “seine Freunde umso
dringender braucht.”
Aber Israel braucht keine
Mitläufer als Freunde, davon gibt es schon genug. Die besten Ratschläge
kommen in diesem Fall nicht von den angeblichen Freunden, sondern von den
Kritikern. Von Mohamed Vall, zum Beispiel. Die richtige Antwort auf die
Eingangsfrage ist ihm leider erst eingefallen, als er schon wieder zu Hause
war: “Ob Sie etwas für mich tun können? Oh ja, gerne! Heben Sie die Blockade
auf, hören sie auf die Welt für blöd zu verkaufen und bitte betrachten sie
arabische Menschenleben als genauso wertvoll wie jüdische Menschenleben...
und dann, ahlan wa sahlan,
herzlich willkommen im Nahen Osten!”
Stephanie Doetzer
Murky Marmara
Stephanie Doetzer
“Anything we can do for you?” the
Israeli intelligence officer inquired after 10 minutes of interrogation.
Mohamed Vall, an Al Jazeera correspondent who had been on board the Mavi
Marmara, was among the VIP detainees the Israelis were handling with care.
His hands were cuffed in the front, unlike most activists whose wrists were
bond behind their backs; and unlike others, he was allowed the luxury of
using the toilet.
Were Mohamed not a friend of mine,
I still would have no clue what actually happened after Israeli commandos
stormed the Gaza-bound flotilla and cut communications with the outside
world. Western media wouldn't tell me. Sure, I read the newspapers and
zapped from CNN to BBC and back again, but it felt like I'd heard it all
many times before. The flotilla-part is new, the rest is a ritual: Israeli
spokespeople say what they always say, while journalists and politicians
engage their conditioned reflex: if they're Arab, they get carried away with
emotions; if they're Western, they get caught up in their own pre-cautions
and end up saying nothing.
While the world has gotten used to
the killing of Palestinian civilians, a deadly raid on an aid-ship with
passengers from 40 different countries is much harder to ignore. But, by and
large, the Western world managed quite well. Grant it, the story made the
headlines and even Israel's best friends – such as the United States and
Germany – showed an unusual degree of indignation that the attack occurred
in international waters.
Nonetheless, Arab commentators who
tried to transform the tragedy into triumph, arguing that the world is
finally waking up to Israeli crimes, don't seem to have read much of the
Western press. Contrary to what many analysts claim: Israel has not lost the
public relations war. It can still rely on thousands of loyal journalists to
steer the international debate into side streets before it ever gets to the
point. For if there is one thing more blockaded than Gaza, it's human common
sense when it comes to Middle Eastern politics.
How else can you explain that most
international media got stuck in a dead-end debate over who had what weapons
and who was provoking whom? If fully armed soldiers storm your vessel at 4
a.m., would you assume they’ve come to join morning prayer? Instead of
focusing on the fundamentals (like if the blockade itself is illegal under
international law, then an attempt to enforce it on a third party cannot be
particularly lawful), many Western journalists concluded that “the facts are
unclear” and all one can safely state is the need for an “impartial
investigation.”
To quote the above mentioned
Mohamed Vall: “You got the GPS parameters, you got 600 eye-witnesses, what
else do you need?”
Eyewitnesses? Heck yes. But where
are they? In most mainstream media (with noteworthy exceptions such as the
Guardian), eyewitness accounts were scarce. The German press largely ignored
even their own members of Parliament who had joined the flotilla, arguing
that, if they were on that ship, they'd be obviously biased and anti-Israel.
Instead of listening to passengers, many journalists bought the idea that
they were either radical Islamists or crazy leftists “being used by
Islamists.” The Western logic seems to be: if it's a bunch of hippies with
dreadlocks doing yoga on the deck, ok, let them reach Gaza. If they wear
beards and pray five times a day, then it suddenly seems much more
acceptable to stop them from... well, from bringing cement and medicine to a
besieged population.
Surely more and more people don't
fall for the spin and manage to think for themselves. But the closer the
Western public comes to seeing what's happening in Gaza, the quicker
opinion-makers reassert that “Israel's fears must be acknowledged” and that
“a country that is so isolated urgently needs its friends.”
Israel doesn't need sheepish friends.
It needs to take
advice from its critics – and listen to Mohamed's answer to the question
above. Sadly, the right reply only came to his mind long after his
deportation: “Anything you can do for me? Oh yes, you
can. Lift the siege, stop mocking
the world, consider Arab lives as precious as Jewish lives… and then, ahlan
wa sahlan, live happily ever after.”