Das Elend der Hauszerstörungen
IWPS-Hausbericht Nr. 97
Als wir im Dorf Al-Funduk bei
Salfid, ankamen, war das erste Haus schon zerstört. Eine Familie
stand stumm und geschockt auf dem Trümmerhaufen ihres Hauses.
Die zweite Hauszerstörung hatte gerade begonnen – mit Caterpillars
und Volvo-Bulldozern, die die obere Etage des fast fertigen Hauses
einrissen. Die Familie stand ohnmächtig daneben, zwei der
Familienmitglieder waren in Handfesseln. Innerhalb einer Stunde war
jahrelange Arbeit und gespartes Geld von israelischen
Armee-Caterpillars und Volvos vernichtet. Caterpillars und Volvo
profitieren vom Schmerz der Familie.
Ohne Pause fuhren die Bulldozers und
die Armee an den Ort der 3. Zerstörung, ein landwirtschaftlich
genutzter Bau . Viel Geld war in diesen investiert und eine große
Familie war von dem Einkommen, das mit diesem Haus verbunden ist,
abhängig.
Die vierte Zerstörung war im nahen
Dorf von Hajja. Diese Familie war voller Kraft und wollte Widerstand
leisten. Sie standen auf der Kuppe des Hügels und schrieen voller
Zorn die Soldaten an. Sie winkten verzweifelt ihren
Nachbarn zu, dass sie ihnen beim Widerstand helfen mögen. Wir
rannten über das Feld, den felsigen Hügel hinauf, der voller
Dornengebüsch war, um ihnen in ihrem Kampf um ihr Haus beizustehen.
Als sich Leute der Armee näherten, begann diese mit dem
Abschießen von Lärmbomben. Das hielt uns nicht ab, uns der Familie
anzuschließen neben der Mauer und dem Tor eines großen
landwirtschaftlichen Baues. Die Familie hatte Dokumente bei ihrem
Anwalt, von dem sie hoffte, er könne die Zerstörung verhindern.
Deswegen waren sie so mutig. Sie hatten einen Hoffnungsschimmer,
dass dieses Verbrechen verhindert werden könnte. Es war wirklich nur
ein Schimmer. Sie benötigten nur noch etwas mehr Zeit.
Und Zeit ist genau das, was nicht
vorhanden ist, wenn man unter Militärbesatzung lebt. Die Familie
rief verzweifelt ihren Anwalt an. Auch wir riefen alle möglichen
Leute an, die uns vielleicht hätten helfen können, Zeit zu gewinnen.
Doch dann kam das Gefühl auf, dass man nichts mehr ändern konnte:
Soldaten betraten das Grundstück; Familienmitgliedern wurde noch
„erlaubt“, einige der Tiere in Sicherheit zu bringen. Nach der
Hierarchie der Menschen in diesem Teil der Welt, ist es manchen
gestattet etwas zu retten, anderen ist es nicht gestattet.
Das Voraussagbare geschah. Die Armee
wartete nicht auf die Dokumente – sie begann mit der Zerstörung.
Zwei Stunden dauerte das Einreißen des mehrstöckigen Hauses. Während
der Zerstörung stand eine Gruppe von etwa zehn Soldaten dem Feld
gegenüber, auf dem ich stand. Sie warfen eine Knallbombe und
mindestens eine Gummistahlkugel in eine Gruppe von ca. 12
jährigen Jungen, die vorbeigingen. Diese Jungen waren keinerlei
Bedrohung. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich an diesem Tage „Stop!
nicht schießen!“ geschrieen habe.
Die letzte Hauszerstörung war die
schlimmste. Für die Familie war es äußerst traumatisch. Außerhalb
des 1. Hauses versammelten mehrere Frauen ihre noch jungen
Kinder um sich. Sie standen wie versteinert da. Wir hatten einen
Augenblick lang die Möglichkeit und schlüpften mit den Frauen und
Kindern ins Haus und sperrten uns dort ein. Da wurde uns
bewusst, was im andern Haus passierte. Die Familie war auf dem Dach
und war vor lauter Schmerz hysterisch. Vier Internationale
blieben bei den Frauen im ersten Haus, drei von uns täuschten die
Soldaten und huschten hinaus zu der Familie auf dem Dach im andern
halbfertigen Haus.
Ich werde nie die peinigende
Verzweiflung dieser Familie vergessen. Als ich oben auf dem Dach
ankam, fand ich eine chaotische Szene vor. Ich verstand zunächst gar
nicht, was da los war. Ein junger Mann lag reglos da.
Familienmitglieder versuchten, ihn aufzurichten. Immer wieder fing
er zu schreien an. Ein zweiter Mann fiel zu Boden und wandte
sich unkontrolliert vor Schmerzen. Andere versuchten, ihn vom
Dachrand zu ziehen. Dann hört ich einen Knall und ein dritter Mann
schrie und hielt sein Bein. Eine alte Frau brach zusammen. Jeder
schrie, weinte und betete zu Allah. Der „Göttliche“ kam in Gestalt
eines Sanitäters. Zum Glück hinderte die Armee ihn nicht am
Betreten des Hauses.
Die Dinge wurden einen
Augenblick lang etwas ruhiger. Dann sammelten sich die 30 ums
Haus herumstehenden Soldaten. Sie wollten nun anscheinend
eingreifen. Aber wie ?
Dann betraten sie alle
zusammen das Haus, kletterten über den Betonrahmen, über dem die
Stufen gebaut werden sollten. Sie stießen mich bei Seite und griffen
nach den Palästinensern und schubsten sie nach unten. Vier Leute
wurden noch von Sanitätern behandelt. Sie griffen nach denen,
die auf dem Boden lagen und zogen auch sie nach unten und draußen.
Als das Haus leer war, schossen die
Soldaten mit Lärmgranaten und Gummistahlgeschossen. Die
Knallbomben explodierten rund um den Ambulanzwagen und einer
der Männer wurde mit einer Gummistahlkugel getroffen. Einige
Leute wurden von den Soldaten mit Knüppeln geschlagen oder zu Boden
geworfen. Voller Hass schrieen sie sie an. Sie spuckten auch mich
voller Zorn an.
Als die Zerstörung anfing, begannen
die Soldaten mit Gummistahlkugeln in eine Gruppe von Frauen und
Kindern zu schießen, die vor dem Haus standen und
beobachteten, was da geschah. Es geschahen so viele
abscheuliche Dinge an diesem Tag, dass ich vor Zorn kochte. Einer
der Soldaten zielte mit seinem Gewehr auf eine Frau. Ich schrie aus
Leibeskräften aber ganz klar: „Stop!“ Er schaute mich an. Wir
schauten uns in die Augen – es schien eine Ewigkeit zu sein …. Er
schoss nicht. Mir war ziemlich klar warum: ich konnte es tun. Warum
funktionierte dies? Tiefer Rassismus sitzt in der israelischen
Identität. Zum Glück gibt es noch Situationen, in denen das
internationale Privileg (das ich als Amerikanerin hatte)
funktionierte.
Drei Leute kamen ins
Qalqilia-Krankenhaus, sieben andere in örtliche Kliniken, um wegen
ihrer von Gummistahlkugeln verursachten Wunden und wegen Schock
behandelt zu werden.
Ein junger Mann schluchzte und
Tränen rannen herunter, als er auf dem Trümmerhaufen seines Hauses
saß: die Zukunft seiner Familie war zerstört.
Traurigerweise endete die Geschichte
auch hier nicht.
Am nächsten Morgen, am 23. November
erhielen die IWPS einen Anruf, dass weitere Hauszerstörungen
im Dorf Qarawat Bani Hassan im Gange seien. Wir kamen danach an. Die
Armee und die Bulldozers waren schon weg und hinterließen auch hier
nur wieder Zerstörung und eine Familie mit sieben kleinen Kindern
zwischen 3 und 14 ohne Obdach. Nach drei Jahren des Aufbauens
und vielen Jahren des Sparens war die Familie gerade erst vor zwei
Monaten eingezogen. Am 10. Oktober erhielten sie eine Order zum
Zerstören des Hauses und am 22. November wurden sie davon
informiert, dass die IOF am nächsten Morgen ihr Haus zerstören
würde.
Die Armee und Bulldozers machten
sich dann auch gleich an die Zerstörung des landwirtschaftlich
genutzten Baues, in dem auch ein Büro war. Der 60 jährige
Besitzer sagte, er habe keine Nachricht wegen der Zerstörung
erhalten.
Am selben Morgen des 23. November
wurde in Kifl Haris eine Autowaschanlage und Autowerkstätte
zerstört. Ein Geschäft, von dem drei Familien seit sechs Jahren
lebten. Auch diese Besitzer bestätigten, sie hätten keine vorherige
Warnung erhalten. Die Zerstörung dauerte zwei Stunden. Die
ganze Gegend war umgepflügt worden, damit kein Fahrzeug mehr
dorthin gelangen kann. Die Familienmitglieder, die Zeugen der
Zerstörung wurden, waren schockiert. Wieder war eine unabhängige
Einkommensquelle in dieser zerbrechlichen Wirtschaft zerstört
worden.
In diesen Tagen erfuhren die IWPS
von noch viel mehr bevorstehenden Hauszerstörungen in der
Umgebung. Das schließt vier Häuser in Hares ein, denen am
29.Novmeber 06 der Bescheid gegeben wurde. In Hajja sollen es
weitere 12 Gebäude sein, von denen 8 Wohngebäude, zwei im Bau
befindliche Häuser und zwei Landwirtschaftgebäude sind. In Brukin
haben 50 - 70 Familien den Bescheid zur Zerstörung erhalten,
wenn auch manche schon vor längerer Zeit. Drei Häuser sind schon
zerstört worden, eins im Oktober 05, zwei im Mai 06.
Die schon ausgeführten
Hauszerstörungen und die bevorstehenden stimmen mit dem geplanten
Verlauf der Apartheidmauer überein, die die Westbank teilt. Der von
den Israelis gegebene Grund für die Zerstörungen ist jeweils, die
Palästinenser hätten ohne Genehmigung gebaut. Dass es tatsächlich
unmöglich ist, eine Baugenehmigung zu erhalten ist eine ganz andere
Geschichte (s.
www.btselem.org/ English/
Planning%5Fand5FBuilding/.
www.icahd.org) .
Der wirkliche Grund für jede dieser
Hauszerstörungen ist eine rassistische illegale Besatzung. Im Kern
dieser Besatzung steckt der Wunsch der ethnischen Säuberung des
Landes Palästinas. Die, die nicht massakriert, verletzt, verhaftet
werden können, werden mit allen Mitteln kollektiver Maßnahmen
gestraft - einschließlich Hauszerstörungen – und so gezwungen,
das Land zu verlassen. Keine Baugenehmigung zu haben, ist nur ein
Vorwand.
Am 6. Dezember wurde ein ganzes
Beduinendorf im Negev – also in Israel – Twail Abu-Jarwal zerstört.
Die Einzelheiten unter
www.icahd.org. OCHA hat
festgestellt, dass es in letzter Zeit eine größere Anzahl an
Hauszerstörungen in Qalqilia, Hebron, Bethlehem gab.
s. den wöchentlichen Bericht von
OCHA vom 29. Nov.- 5.12.06 bei
www.ochaopt.org
Mehr als 12 000 palästinensische
Häuser wurden seit 1967 allein im Raum Jerusalem zerstört.
Bericht von Alys/ Fatima, am 9.12.06
International Women’s Peace service (IWPS) Hares, Salfir
09 251 6644
www.iwps-pal.org
(dt. Ellen Rohlfs)