ästinensischer
Schmerz
2) Portrait einer Frau als politische Gefangene
1) Palästinensischer Schmerz
von Fareed Taamallah
Jeden Tag denkt sich die Weltspitze neue Wege aus
um die Palästinenser dafür zu bestrafen, dass sie für Hamas gestimmt
haben. Aber die Menschen die am meisten unter diesen Maßnahmen
leiden sind Kinder wie meine Tochter Lina.
Lina war nicht mal ein Jahr alt als sie sich
einen Virus einfing der ein hohes Fieber verursachte und sie unter
Durchfall und Erbrechen leiden ließ. Wir leben in einem kleinen Dorf
in der West Bank in den besetzten Gebieten. Im Winter 2003 als Lina
erkrankte wurde eine Ausgangssperre über unser Dorf Qira verhängt
und wir konnten keinen Arzt erreichen. Wir versuchten sie in das
Krankenhaus im nahe gelegenen Nablus zu bringen aber auch dort
herrschte Ausgangssperre. Die israelischen Soldaten die die
Checkpoints außerhalb von Nablus bewachten weigerten sich uns
durchzulassen.
Bald darauf an einem kalten regnerischen Tag trug
meine Frau Amina unsere Tochter Lina drei Meilen über die
Bergstrassen nach Nablus um dort einen Arzt zu finden. Ein Jahr
später erfuhren wir, dass Linas damalige Infektion zu Nierenversagen
geführt hatte und, dass sie um zu überleben eine baldige
Transplantation benötigte.
Sechzehn Monate lang musste Lina alle vier
Stunden zur Dialysebehandlung. Wegen den Nebenerscheinungen des
Nierenversagens wie z.B. Bluthochdruck musste sie viele Stunden im
Krankenhaus verbringen. Ihre Glieder wurden so dünn wie Zahnstocher.
Tests zeigten, dass weder ihre Mutter noch ich
kompatible Spender für Lina waren. Im Frühjahr 2005 erklärte sich
Anna, eine Freundin aus Südafrika bereit dazu ein Niere zu spenden
um Linas Leben zu retten. Ich hatte Anna im Jahr 2003 während einer
friedlichen Protestkampagne gegen den Bau der Mauer kennen gelernt.
Es stellte sich heraus, dass Anna eine passende
Spenderin war. Wir sammelten $40 000 für die Operation. Das Hadassah
Krankenhaus in West Jerusalem erklärte sich einverstanden uns einen
Preisnachlass für die Operation zu geben.
Die nächste Schwierigkeit bestand darin ein Visum
für Anna zu bekommen, die aufgrund ihrer politischen Arbeit gegen
die Besatzung der West Bank und Gaza, die lediglich gewaltlose
Aktivitäten einschließt, auf einer schwarzen Liste steht und der aus
diesen Gründen die Einreise nach Israel verweigert wird. Anna
kämpfte für ein Visum. Sie erhielt es schließlich nachdem das
israelische Krankenhaus den israelischen Innenminister anrief.
Das Krankenhaus half mir und meiner Frau
Erlaubnis zu erhalten für die Transplantation für einen Monat nach
Israel einzureisen – eine außergewöhnliche Leistung. Wir fanden wir
hätten sehr viel Glück gehabt. Aber ist jemand der eine spezielle
Erlaubnis benötigt um seinem Kind im Krankenhaus beizustehen
wirklich glücklich zu nennen? Stellen Sie sich vor, dass Sie um am
Bett ihres kranken Kindes sein zu können stunden oder tagelang in
einer Schlange an einem Militärstützpunkt stehen müssten um um
Einreiseerlaubnis zu bitten.
Im Oktober 2005 konnte die Transplantation trotz
der Schwierigkeiten erfolgreich in Jerusalem durchgeführt werden.
Leider war dies nicht das Ende von Linas Problemen. Nachdem Hamas
die Wahlen gewonnen hatte schränkte die israelische Regierung die
Einreise von Palästinensern nach Israel weiterhin ein. Eine Zeit
lang sah es so aus, als ob wir keine weitere Erlaubnis erhalten
würden um für die Behandlung nach Israel zu fahren, aber mit einigen
Schwierigkeiten bekamen wir tatsächlich die Bewilligung Linas Termin
der für nächste Woche angesetzt ist wahrnehmen zu können
Zusätzlich haben die USA und Europa beschlossen
die Zahlungen an die palästinensische Regierung einzustellen, welche
der Bevölkerung kostenlose Gesundheitsversorgung sicherstellte.
Nachdem die Regierung immer ärmer wird müssen auch wir damit
rechnen, dass die Zuwendungen eingestellt werden und dass Lina ihre
teure Behandlung nicht mehr bekommen wird. Ihr Leben kann schon bald
sehr gefährdet sein.
Die israelische Regierung behauptet, dass sie die
Bewegungsfreiheit der Palästinenser wegen der neuen Hamas Regierung
einschränken müsse. Tatsache ist aber, dass das System von Erlaubnis
und Abriegelung seit 1991 besteht und dass wir seitdem unter diesen
schwierigen Umständen leben müssen.
Meine Frau, meine Tochter und ich sind aktiv in
einer gewaltlosen Bewegung die viele Israelis, Palästinenser und
Internationale einschließt. Obwohl wir unsere Erlaubnis dieses Mal
erhalten haben wurde sie vielen anderen die sie ebenfalls brauchten
nicht bewilligt. Israel wird kein sicherer Ort indem unschuldigen
Männern, Frauen und Kindern die Einreiseerlaubnis verweigert wird –
damit werden lediglich die Hoffnungen der Palästinenser zerstört.
Fareed Taamallah ist Koordinator der
palästinensischen Wahlkommission der Salfit Region. Er lebt in dem
West Bank Dorf Qira.
Dieser Artikel erschien am 6. Mai 2006 in der Los
Angeles Times
2) Portrait einer Frau als politische
Gefangene
Jeden 28. Mai feiert die Welt den internationalen
Aktionstag zur Gesundheit der Frau. Dieses Datum gibt Anlass dazu
die Aufmerksamkeit auf die gesundheitliche Situation und das
Wohlbefinden von mehreren palästinensischen Frauen zu lenken, die in
israelischen Gefängnissen und Haftanstalten dahinvegetieren und auch
auf solche die ehemalige Gefangene sind und die nach wie vor unter
den Folgeerscheinungen leiden.
Seit dem Beginn der Besatzung 1967 wurden über
650 000 PalästinenserInnen von den israelischen Behörden
festgenommen (1). Diese Zahl umfasst ungefähr vierzig Prozent der
männlichen palästinensischen Bevölkerung (2). Viele von ihnen wurden
erniedrigt, misshandelt oder gefoltert. Im Januar diesen Jahres
sprach man von 8,238 palästinensischen Gefangenen von denen 794 in
administrativer Haft d.h. ohne Beschuldigung oder
Gerichtsverhandlung gehalten wurden (3).
Palästinensische Frauen sind auch nicht vor Haft
sicher. Momentan spricht man von 115 weiblichen Gefangenen. Ich traf
Zahra eine bekannte ehemalige Gefangene, die sich elf Jahre lang in
Gefangenschaft befand. Sie ist Mutter von drei Kindern und lebt in
Deir Ballut, einem Dorf in der Salfit Region. Im Jahr 1986 kam das
Militär zu ihr nach Hause, legte ihr Augenbinden und Handschellen an
und verhafteten sie vor ihren Kindern, die damals neun, fünf und
zwei Jahre alt waren. Zwei Monate später wurde ihr Haus von
israelischem Militär zerstört – eine kollektive Strafmaßnahme die
nach der 4. Genfer Konvention und den Vorschriften des
internationalen Gerichtshofes in Den Haag das Völkerrecht verletzen
und Zahras Kinder zu Obdachlosen machte.
Zahra sprach über die grausame Befragungsprozedur
und über die Verhältnisse in den Haftanstalten. Sie betonte
mehrmals, dass ihre Geschichte keine außergewöhnliche sei.
Tatsächlich werden mehr als 85% der
palästinensischen Häftlinge während der Befragung misshandelt oder
gefoltert (5). Israelische Autoritäten begehen täglich
Menschenrechtsverletzungen und verletzen das Völkerrecht welches
Folter, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung verbietet (4.
Genfer Konvention, Internationale Konvention für politische und
zivile Rechtsprechung und Anti-Folter Konvention)
Zahra verbrachte die ersten 31 Tage in
Isolationshaft in einer kleinen dunklen Zelle, die weder groß genug
war um sich darin hinzulegen noch um sich aufrecht hinzustellen. Sie
musste sich die Zelle mit Ratten und Insekten teilen. Während ihrer
monatlichen Periode durfte sie keine Hygieneartikel benutzen und war
gezwungen einen Eimer in der Zelle als Toilette zu benutzen.
Manchmal wurden Eimer mit kaltem Wasser über sie geschüttet.
Während all dieser Zeit konnte sie keinen Anwalt
konsultieren.
Manchmal, erinnert sie sich, wurde laute
verzerrte Musik gespielt. Manche Häftlinge wurden auch in sogenannte
„Kühlräume" gesperrt.
Zu unregelmäßigen Zeiten, sowohl tagsüber als
auch nachts wurde sie von ihrer Zelle abgeholt und befragt. Sehr
selten waren andere Frauen anwesend. Die Methoden die Zahra
beschrieb sind vielen Menschenrechtsorganisationen bekannt und
zeigen, dass Folter von den israelischen Behörden systematisch
benutzt wird (6).
Sie wurde physisch und psychisch gefoltert. In
Plastikfesseln gelegt, die in ihre Haut schnitten, wurde sie an der
Decke aufgehängt. Man zwang sie viele Stunden auf einem Stuhl ohne
Lehne zu sitzen während ihre Hände und Beine gefesselt waren. Dann
wiederum wurde ihr eine übel riechende Plastiktüte über den Kopf
gezogen. Mindestens einmal wurde sie in den Befragungsraum geführt
wo sie den ganzen Tag mit Warten verbrachte nur um wieder zurück in
ihre Zelle gebracht zu werden – eine klare Strategie um ihr
psychischen Stress zuzufügen. Ein anderes Mal wurde sie zwei Tage
lang im Befragungsraum festgehalten.
Ihr wurde mit sexueller Gewalt gedroht und
schließlich wurde sie ihr auch angetan. Zahra kannte ein 17jähriges
Mädchen das während der Befragung vergewaltigt wurde. Selbst wenn
sie einen solchen Akt nicht selbst erleiden musste kann schon allein
die Androhung von Vergewaltigung als psychische Folter angesehen
werden. Man drohte ihr auch an, dass man sie gewaltsam ihrer Kleider
entledigen würde.
Zahra ist definitiv eine starke und artikulierte
Person, dennoch wurde ihre Stimme dunkel und leise als sie anfing
von den sexuellen Gewaltakten zu sprechen. Eine lange Pause folgte.
Ich hatte sie an einem Punkt getroffen der mit viel Schmerz für sie
verbunden war und ich fühlte starkes Mitgefühl mit ihr.
Zahra sprach über Frauen, die schwanger waren als
sie verhaftet wurden. Manche von ihnen erlitten Fehlgeburten. Andere
waren während der Geburt gefesselt und litten unter der Erniedrigung
während dieses Moments keine Privatsphäre haben zu können.
Zahra wurde dann in das Gefängnis in Ramleh
verlegt. Nach einem Hungerstreik wurde sie von dort in das Hasharon
Gefängnis gebracht wo sie eine sechs Meter große Zelle mit fünf
anderen palästinensischen Frauen teilen musste. Oft bekamen sie kein
heißes Wasser und das Essen war auch unzureichend. Einmal fand sie
Glassplitter im Essen und oft, so erzählte sie, wurden
Tränengaskanister in die Zellen geschossen.
Es gab Zeiten zu denen sie ihre Kinder für ein
ganzes Jahr nicht sehen durfte. Dann wiederum konnte sie sie alle
zwei Wochen für eine halbe Stunde sehen. Manchmal brachte Zahras
Mutter ihre Kinder mit zum Gefängnis doch dann wurde ihnen der
Einlass verweigert.
Am 11. Februar 1997 wurde sie nach elf Jahren
Haft entlassen. Neun Jahre später leidet sie immer noch unter den
Folgen - Rücken- und Nackenproblemen, Magenschmerzen und
Kurzsichtigkeit.
Die Zeit die ich mit Zahra verbrachte verging
schnell. Als wir ihr Haus verließen wurde es bereits dunkel und man
konnte den Mond sehen. Wir schauten nach Westen zur Mauer und ich
erinnerte mich an Zahras Worte: „Palästinensisches Blut ist billig.
Wir fordern nicht den Mond, wir wollen nur unsere Rechte."
Das Leiden der Gefangenen endet nicht mit deren
Freilassung. Meine Interviews mit PsychologInnen vom Treatment and
Rehabilitation Centre for Victims of Torture (Behandlungs- und
Rehabilitationszentrum für Folteropfer, im folgenden TRC), klärten
mich über die weit reichenden psychischen Folgen für ehemalige
Gefangen auf. TRC bietet sowohl Behandlung und Rehabilitation für
Folteropfer und Opfer organisierter Gewalt als auch die
Unterstützung deren Angehöriger an. Wail und Hadeel, die für die
kürzlich eröffnete Sektion in Nablus arbeiten erklärten wie sie mit
dem Ministerium für Gefangene der palästinensischen Regierung
zusammenarbeiten um den Gefangenen nach ihrer Entlassung sofort
dabei helfen zu können sich wieder in ihr familiäres und
gesellschaftliches Leben einfinden zu können.
Es gibt eine Reihe von psychischen Problemen
unter denen ehemalige Gefangene leiden, die häufigsten davon sind
posttraumatisches Stresssyndrom, Depression und akutes
Stresssyndrom. Der heroische Status der den vornehmlich männlichen
Ex-Gefangenen zugeschrieben wird hindert viele von ihnen daran über
die psychologischen und physischen Folgen ihrer Inhaftierung zu
sprechen. Ebenso schwer ist es für die Familienangehörigen von Toten
denen der gefeierte Martyrer Status zugeschrieben wird ihrer Trauer
und ihrem Schmerz Ausdruck zu verleihen.
TRC versucht Opfer von Folter zu unterstützen und
Aufklärungsarbeit in den Gemeinden zu betreiben. Eines ihrer
Programme zielt darauf ab eine Kultur zu schaffen die sich aktiv
gegen Vergeltung ausspricht, die verhindern soll dass Opfer von
Gewalt selbst zu Tätern werden. TRC versucht außerdem die
gesellschaftliche Meinung bezüglich psychischer Probleme zu ändern.
Meine Interviews mit Mitarbeitern der Ramallah Sektion zeigten, dass
in der breiten Bevölkerung nach wie vor keine Bereitschaft besteht
sich mit von Folter hervorgerufenen Gesundheitsproblemen auseinander
zu setzen.
Quellen und interessante Websites israelischer
und palästinensischer Menschenrechtsorganisationen, die sich
generell mit der Situation in israelischen Gefängnissen und
Haftanstalten und spezifisch mit Folter befassen. 1