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Über Feigheit und
Gewalt
Ken O’Keefe 7.6.10
2002 initiierte ich die TJP – die
menschliche Schutzschild-Aktion für den Irak, weil ich wusste, dass die
Invasion in den Irak längst geplant war, da sie ein Teil der ‚Globalen
Spektrum Vorherrschaftsagenda’ war, die vom ‚Projekt für ein neues
amerikanisches Jahrhundert’ geplant war. Ich wusste, dass Proteste keine
Chance hatten, die Invasion zu verhindern und dass weithin diese
Proteste uns nur ein besseres Gefühl gaben, was den kommenden
Massenmord betrifft. Es ermöglichte uns zu sagen: „Ich protestierte ja
dagegen.“
Mit diesem Verständnis behauptete ich, es
gebe nur einen Weg, die Invasion zu stoppen, eine Massenwanderung in den
Irak durchzuführen. Eine Wanderung, bei der Menschen aus aller Welt,
besonders aus dem Westen kämen und im Irak an den Orten Position
beziehen, die nach dem Völkerrecht vermutlich geschützt werden sollten,
die aber routinemäßig bombardiert werden, weil es sich nur um
irakisches, palästinensisches, allgemein nicht-weißes, westliches Leben
handelt und dass getötet werden wird. Ich meinte, 10 000 solcher
Menschen könnten die Invasion stoppen oder wenigstens als das
hinstellen, was die Invasion von Anfang an war, ein Akt der
internationalen Aggression, ein Kriegsverbrechen und ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit.
Ich hatte viele Jahre lang geglaubt, dass
wir, die Menschen mit Gewissen die wahren Machthalter in dieser Welt
seien. Es ist jedoch frustrierend, dass wir weithin diese Macht
aufgegeben haben und versagt haben, unser volles Potential zu erreichen
. ( Kurz gesagt: Wir fuhren mit einem Doppeldeckerbus von London nach
Bagdad – aber wir hatten nicht die Zahl erreicht, um den Krieg zu
stoppen…)
2007 schloss ich mich der Free Gaza
Bewegung an, um die Blockade des Gazastreifens zu brechen, indem wir
nach Gaza übers Meer anreisten. Von dem Augenblick an , als ich von dem
Plan hörte, wusste ich, dass es letztlich gelingen könnte. Ich diente
beim ersten Versuch als Kapitän. Die israelische Regierung sagte während
unserer Vorbereitung, wir seien nicht besser als Piraten und sie würden
uns auch als solche behandeln. Sie machten uns klar, dass wir Gaza nie
erreichen würden. Ich war von unserm Erfolg überzeugt. Und wir hatten
diesen Erfolg. Wir segelten am 23. August 2009 in den Gaza-Hafen ein. Es
war das erste Mal nach 41 Jahren, dass ein Schiff in Gaza ankam und
Zehntausende von Gazaern feierten mit uns diesen Tag. Wir bewiesen, dass
ein intelligenter Plan mit geschickter Medienmanipulation zeigt, dass
die ganze Macht der israelischen Flotte nutzlos ist. …
Deshalb war die Teilnahme an der Freedom
Flotilla für mich wie eine Familienvereinigung. Es ist meine seit langem
verloren gegangene Familie, deren Gewissen ihr Führer ist, die ihre
Angst abgelegt hat und mit Menschlichkeit handelt. Und ich war
besonders stolz, mich der IHH und dem türkischen Teil der Flotilla
anzuschließen. Ich bewundere die Stärke und den Charakter der türkischen
Leute, die trotz ihrer Geschichte mit Ungerechtigkeiten – wie jede
Nation – heute vom einfachen Bürger bis zum Ministerpräsidenten zu den
Führern gehören, wenn es sich um Menschlichkeit und Gerechtigkeit
handelt.
Ich erinnere mich, dass ich einmal gefragt
wurde, ob ich Pazifist sei. Ich antwortete mit einem Zitat von Gandhi,
ich sei kein passives Ding. Im Gegenteil, ich glaube an Aktion und
auch an Selbstverteidigung, vorbehaltlos. Ich könnte nicht daneben
stehen, während ein Tyrann meine Familie mordet. Und der Angriff auf die
Mavi Marmara war wie ein Angriff auf meine palästinensische Familie. Ich
bin stolz darauf, dass ich Schulter an Schulter mit jenen stand, die
sich weigerten, sich von einem skrupellosen israelischen Militär
kampflos ihren Willen aufzwingen zu lassen.
Und natürlich kämpfte ich.
Als ich gefragt wurde, ob ich im Falle
eines israelischen Angriffes auf die Marmara fotografieren oder das
Schiff verteidigen würde, da gab ich begeistert an, ich würde das
Schiff mit verteidigen. Obgleich ich ein großer Unterstützer von
Gewaltlosigkeit bin. Tatsächlich bin ich davon überzeugt, dass
Gewaltlosigkeit immer die erste Option sein sollte. Trotzdem schloss ich
mich der Verteidigung der Marmara an. Mir war allerdings auch klar, dass
Gewalt gegen uns angewandt werden könnte und dass wir gezwungen werden
könnten, zur Selbstverteidigung Gewalt anzuwenden.
Dies sagte ich auch direkt den israelischen
Agenten, wahrscheinlich dem Mossad oder Shin Beth und ich sage es jetzt
noch einmal: Am Morgen des Angriffs war ich direkt in die Entwaffnung
von zwei israelischen Soldaten beteiligt. Dies war eine zwangsweise,
nicht zu verhandelnde Wegnahme von Waffen von Soldaten, die bereits zwei
Brüder ermordet hatten, die ich an jenem Tag gesehen hatte. Der eine
hatte eine Kugel mitten in die Stirn bekommen – es sah wie eine
Exekution aus.
Ich wusste, die Soldaten waren im Begriff
zu morden, als ich dem einen eine 9mm-Pistole wegnahm. Ich hatte auch
das Gewehr in meiner Hand und als Ex-US-Marinesoldat mit Training im
Gebrauch von Waffen, wäre ich absolut in der Lage gewesen, die Waffe
gegen den Soldaten zu benützen, der womöglich der Mörder von einem
meiner Brüder gewesen war. Aber das war nicht das, was ich oder jeder
andere der Verteidiger des Schiffes tat. Ich nahm die Waffe beiseite,
nahm die Kugeln heraus, echte Bleikugeln, legte sie beiseite und
versteckte die Waffe. Ich tat dies in der Hoffnung, dass wir den Angriff
abwehren können und diese Waffe in einem Strafverfahren gegen
israelische Behörden als Beweis wegen Massenmord verwenden könnten. Ich
half auch mit, einem Soldaten seine Angriffswaffe wegzunehmen, die ein
anderer dann offensichtlich ins Meer geworfen hat.
Ich und Hunderte andere kennen die
Wahrheit, die das ‚tapfere und moralisch (hochstehende) israelische
Militär’ zum Gespött macht. Wir hatten drei völlig entwaffnete und
hilflose Soldaten in unserer Gewalt. Diese Jungs waren uns auf Gedeih
und Verderb ausgeliefert. Sie waren außer Reichweite ihrer Mordgenossen
mitten im Schiff und von Hundert oder mehr Männern umgeben. Ich sah in
die Augen der drei Jungs und sie hatten Todesangst. Sie schauten uns
an, als wären wir sie, und ich zweifle nicht daran, dass sie glaubten,
diesen Tag nicht zu überleben …
Aber sie standen nicht einem Feind
gegenüber, der so unbarmherzig wie sie ist. Stattdessen boten die
Frauen erste Hilfe an, und letzten Endes wurden sie entlassen, lädiert
und verletzt, aber lebendig. Sie waren in der Lage, den nächsten Tag zu
erleben .. nicht wie die, die sie umbrachten. Obwohl wir über den
Verlust unserer Brüder trauerten und zornig gegenüber diesen Jungs
waren, ließen wir sie gehen.
Während ich in israelischer Haft war, wurde
ich mit den anderen sehr schlecht behandelt … Frauen und Ältere wurde
physisch und psychisch angegriffen. Etwas zu essen und zu trinken wurde
uns verweigert, auch der Gang zur Toilette. Hunde wurden gegen uns
gehetzt; ja wir selbst wurden wie Hunde behandelt. Wir waren der
direkten Sonne in Stresspositionen ausgesetzt, während die Hände sehr
straff gefesselt waren, dass die Blutzirkulation behindert war. Wir
wurden unaufhörlich angelogen. Tatsächlich war ich über die Routine
ihrer Verlogenheit erschrocken … Wir wurden in jeder nur möglichen Weise
misshandelt. Ich wurde geschlagen und gewürgt bis zur Bewusstlosigkeit …
In all diesem sah ich, dass sie Feiglinge sind – und doch sah ich in
ihnen meine Brüder. Weil, egal wie hässlich und falsch die israelischen
Agenten … handeln, sie doch meine Brüder und Schwestern sind mit denen
ich Mitleid habe. Weil sie das Kostbarste, das ein Mensch hat, seine
Menschlichkeit, aufgegeben haben…..
….
Ken O’Keefe ist ein früherer
US-Marine-Golfkriegsveteran.
(dt. und gekürzt: Ellen Rohlfs)
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