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Pauls Tagebuch, Juni 2006
 

Wie Ihr sicher wisst, ist Paul ein 60jähriger US-Amerikaner, ein ausgezeichneter Klavierstimmer und ein Aktivist für Gerechtigkeit für die Palästinenser, der diesmal nach Israel-Palästina kam, um Klaviere in den besetzten Gebieten zu stimmen, wo es scheint, dass es keinen Klavierstimmer gibt. Er wollte auch sonst bei seinem 4. Aufenthalt aktiv sein. Er wurde am Flughafen verhaftet, die  Einreise nach Israel verweigert und, nachdem sein Einspruch 2 Wochen später abgelehnt worden war, deportiert. Hier sind Tagebuchaufzeichnungen von einem Teil seiner Erfahrungen:

(Während meiner Haft führte ich ein Tagebuch, von dem ich hier einige Aufzeichnungen bringe.

Mittwoch 7. Juni.

Mit dem Schreiben in meinem Notebook (PDA) begann ich  vor zwei Tagen. Dann wurde es mir weggenommen. Auch Papier und Schreibstift wurden mir bis gestern Abend verweigert. Ich kann mir vorstellen, dass viele Telefonanrufe mit der Aufforderung kamen, mir das Schreibmaterial wieder zurückzugeben. Ich danke allen die das möglich machten. ...

5.Juni: mein Flugzeug von Amman landete nachts um 11. Bevor ich das Flugzeug verließ, rief ich meine lokale Kontaktperson an, um ihr meine Ankunft mitzuteilen und ihr vorzuschlagen, mich jede Stunde anzurufen, bis ich den Flughafen verlasse, um sicher zu gehen, dass alles ok ist. Durch eine frühere Verabredung erreichte mich auch eine Person in den USA kurz bevor ich zur Passkontrolle kam. Wir machten dasselbe aus.

Bei der Passkontrolle hatte der Beamte das größte Problem mit der Länge meines Aufenthaltes. Einen Monat lang schien Routine zu sein – wie bei meinen letzten Aufenthalten – aber 2-3 Monate forderte eine längere Befragung heraus. Ich sagte ihnen ganz offen, dass ich Geschäftsoptionen erkunden will, die mich jedes Jahr für 2-3 Monate im Jahr hierher bringen könnten. Es war nicht möglich, dies nicht einzugestehen, da mein Koffer voller Werkzeuge und Ersatzteile für mein Vorhaben  war. Dann kam dazu, dass ich im Iran geboren wurde. Bis jetzt war es mir immer möglich gewesen dies zu erklären.  (Sie scheinen meine Passnummer besonders  gekennzeichnet zu haben)

Diesmal war es anders; nicht nur ein paar Fragen, die alles klären. Es war meine Taktik, immer  wahrheitsgemäß zu antworten, aber nur so viel  Information zu geben, wie auf die Frage notwendig ist ... Diesmal dauerte es Stunden. Sie kamen immer wieder mit neuen Fragen, kehrten zu ihrem Büro zurück, um angeblich nachzuprüfen und dann gab es neue Fragen .

Schließlich sammelten wir mein Gepäck zusammen und gingen in einen Raum, der hochtechnisch ausgestattet war mit Röntgenstrahlen und  Schnüffelgeräten. Aber das Meiste wurde Stück für Stück mit der Hand kontrolliert, die Zahnpastatube gedrückt und alles nach chemischen Rückständen geprüft. Meine Werkzeuge zum Klavierstimmen fanden sie besonders faszinierend. Es gab auch eine sehr sorgfältige Leibesvisitation....

Als nächstes kam das Gespräch mit „Dani“ vom Sicherheitsdienst. In der Rückschau war sein Job zunächst mal, festzustellen, wie viel Informationen schon gesammelt worden waren, ohne zu enthüllen, wie viel er schon wusste. ... es wäre für ihn einfach gewesen, meine Geschäfts-Internetsite zu finden und die Artikel, die ich  bzw. die über mich geschrieben wurden und bei Google zu finden sind.

In der nächsten Phase schien man mich dahin bringen zu wollen, eine falsche Information zu geben, um mich leichter abschieben zu können.  Ob ich die ISM kennen würde? Oh ja! Eine wunderbare Gruppe, die sich dem gewaltfreien Widerstand widmet in der Tradition von Gandhi und Martin Luther King. Ob ich ein Mitglied sei? So etwas gibt es nicht- aber ich betrachte mich als ziemlich aktiv.

In der letzten Phase wollte man Informationen über ISM, seine Führung und andere Teilnehmer . Wir begannen mit der  erreichbaren ISM-Website  und öffentliche Quellen. Aber als er anfing, nach anderen zu fragen, antwortete ich, dass ich nicht bereit sei, auf solche Fragen zu antworten. Es war an einem gewissen Punkt klar, dass „Dani“ Informationen von Lee Kaplan verwandte.  Ich versuchte, so viel wie möglich auf Lee’s Irrtümer hinzuweisen und behauptete, dass er unter Berufsjournalisten als nicht professionell betrachtet wird.

Die Befragung verlief freundlich. Ihr kennt mich. Ich versuche Charme und Begeisterung auszustrahlen und unter solchen widrigen Umständen erst recht. Ich habe das Gefühl, die Leute gewinnen zu müssen, obwohl es absurd ist, dass ich es könne. Diese Gelegenheit war keine Ausnahme,  die Folge aber eine verhältnismäßig freundliche Begegnung mit dem Gefühl, was immer ich tue, geschieht mit den besten Absichten: ich sorge mich um beide,  Israelis und  Palästinenser und ich verstehe beide Seiten.

Dann kamen wir an einen Punkt, wo die Phase der Befragung klar endete. Er fühlte sich anscheinend gezwungen, nun eine politische Diskussion zu eröffnen, die so typisch für viele ist,  mit denen ich Diskussionen  hatte, die Israels Aktionen  eher als  „vorbeugende  Verteidigung“ begreifen, denn als aggressive Ausdehnung und ethnische Säuberung. Wie erwartet, schloss er daraus, dass ich naiv sei und für Zwecke  benützt   werde, die viel ernster seien, als ich begreifen würde. Ich antwortete ihm, dass er naiv sei, wenn er glaube, dass Israels Politik Frieden oder gar Sicherheit bringen würde und dass seine Loyalität gegenüber Israel und die „notwendigen“ Dienste, die er für den Staat ausübt, tatsächlich Zwecken dient, die viel ernster zu nehmen seien, als er meint. Ich lud ihn  ein,  an einigen Aktionen  teilzunehmen – nicht als Geheimdienstoffizier, sondern als normaler Teilnehmer, um zu sehen, wie die Palästinenser ihre  eigene Situation sehen.

Er sagte, ich sei eine nette Person. Er würde das Büro der Immigration entsprechend informieren. Sie würden die letzte Entscheidung treffen.

Zurück zur Passkontrolle und wieder 2 Stunden warten, bevor das Immigrationsbüro seine Entscheidung verkündete. Wie erwartet, wurde mir die Einreise verweigert  - ohne eine Erklärung. Ich teilte ihnen mit, dass ich Einspruch erheben würde. Dann wurde ich mit meinem Gepäck in die Haftabteilung gebracht. Es war mir möglich, über mein Handy während dieser Zeit mit meinen Kontaktpersonen in Verbindung zu bleiben. Diese wussten also, was mit mir geschehen ist. Niemand schien dagegen zu sein, dass ich mein Handy benützte.

 

Die  Einrichtung ist spartanisch, aber  komfortabler als die meisten ISM-Wohnungen (Sorry!)

Wenn sie mit den Räumen auch den Schlüssel aushändigen würden, wäre es gar nicht so schlecht. Sie erlaubten mir, mein Handy zu benützen, mein Notebook und mein  Gepäck, nachdem man meine Kamera weggenommen hat. Man sagte mir auch, dass ich um 6 Uhr abends ins Flugzeug nach Amman gesetzt würde- notfalls mit Zwang.

Was dann geschah, wissen viele von euch schon durch ISM-Berichte. Hier werde ich einige Einzelheiten bringen:

Zunächst traf ich mich mit meiner Anwältin Gabi Lasky am frühen Nachmittag. Sie versuchte, eine gerichtliche Verfügung zu bekommen, um die Deportation nach unserm Treffen zu verhindern. Leider erhielt sie dies nicht rechtzeitig, also entschied ich mich, meinen Abflug zu verzögern. Auf Grund der Erfahrungen von anderen entschied ich, keinen Widerstand zu leisten, bis ich am Flugzeug bin, um die Möglichkeiten für grobe Behandlung zu verringern. Als wir den Flughafen betraten, sprach ich mit dem Bewacher.

„Wissen Sie, dass ich  mit einer Gruppe, die gewaltlosen Widerstand leistet, zusammen arbeite?“  Er verneinte. „Der Grund, warum ich Ihnen das erzähle ist der, dass ich Ihnen einige Probleme machen werde. Es tut mit leid wegen möglicher Unannehmlichkeiten oder Frustrationen. Ich  versichere Ihnen, dass ich keine Gewalt anwenden  und niemanden verletzen werde.

„Ich werde mich nicht ins Flugzeug setzen lassen und werde nicht mit eigener Kraft gehen. Sie werden mich zum Flugzeug hinauf tragen müssen . Wenn es Ihnen gelingt, mich ins Flugzeug zu bringen, werde ich nicht mit dem Piloten und der Mannschaft zusammenarbeiten. Ich werde keinen Gurt umlegen, den Tisch nicht zusammenklappen und nicht auf dem Platz sitzen bleiben. Wenn nötig, werde ich Dinge aus dem Stauraum über dem Kopf herausnehmen und mich notfalls ganz ausziehen. Ich werde aber unter keinen Umständen etwas tun, was die Mannschaft, Passagiere oder das Flugzeug (be-)schädigt.“

„Warum wollen Sie das tun?“ fragte er mich. „Weil ich Berufung gegen die Entscheidung der Immigrationsbehörde einlegen will.“

Wir kamen am Flugzeug an. Er sprach mit dem anderen Sicherheitspersonal und der Mannschaft. Er kam zurück und sagte: „Ok! Sie müssen jetzt aussteigen und zum Flugzeug gehen.

Um keine Verletzung  zu riskieren, wenn ich aus dem Fahrzeug gezogen werde, stieg ich aus, setzte mich aber sofort auf das Rollfeld und weigert mich, mich von der Stelle zu rühren . Sie sprachen dann auf hebräisch mit einander. Schließlich kam einer der ranghohen Offiziere auf mich zu und versuchte mich davon zu überzeugen, wenn ich kooperativ wäre, würde dies die Chancen  erhöhen, zurückkommen zu können, und dass ich Berufung einlegen könnte, auch wenn ich nicht präsent wäre.

Ich sagte zu ihnen, dass es mir leid täte, ihnen Extra-Arbeit zu verursachen. Ich wüsste, dass sie Befehle haben und einen Job ausführen müssten – aber ich würde nicht freiwillig gehen.

Weitere Diskussion auf Hebräisch. Dann kam der Fahrer und ergriff mich bei den Schultern und der Wächter bei den Beinen. Mein Körper wurde ganz schlaff. Den zwei kamen noch andere zu Hilfe, um einen Teil meines Körpers abzustützen. Sie brachten mich an die schmale Treppe des kleinen Flugzeugs, das nach Amman  fliegt. Dann legten sie mich  hin, weil es auf der Treppe keinen Platz für mich und die Träger gab.

Dies alles geschah vor den Augen der vermutlich erschrockenen Passagiere, die inzwischen mit einem Zubringerbus angekommen waren. Noch ein kleine Debatte auf hebräisch. Dann traten alle zurück und der junge Wachmann sagte: „Paul, geh zurück zum Wagen und warte dort.“ Ich griff nach meinem Koffer auf Rädern, den jemand gebracht hatte, und ging  zum Wagen zurück, während sie weiter außer Hörweite beratschlagten. Schließlich kam der junge Wachmann zurück und sagte: „OK , Sie haben erreicht, was sie wollten.“  (hat er dabei nicht gelächelt?) Ich entschuldigte mich noch einmal für die Umstände, die ich  gemacht hatte und fügte hinzu: „Siehst du nun die Kraft der Gewaltlosigkeit?“ Als wir im Haftzentrum wieder ankamen, hörte ich, wie er einem Kollegen beschrieb, was geschehen war. Ich verstehe kein Hebräisch, aber er benützte einen englischen Ausdruck „very classy“ ( klasse!)  und dankte ihm. Alles in allem ging alles glatt.

Natürlich veränderten sich  meine Haftbedingungen sofort. Kein Koffer, weder Handy noch PDA. Nicht einmal Bücher, Bleistift oder Papier. Meine Medizin, Rasierapparat oder anderes erhielt ich nur auf besondere Bitte und unter Aufsicht. Zurück in meinem Raum, der nun noch spartanischer war als vorher. Für den Augenblick  war alles in Ordnung. Ich brauchte dringend Schlaf, da ich in der letzten Nacht  vor dem Abflug aus den USA nur drei Stunden geschlafen hatte und seitdem fast nicht. Ich fiel aufs Bett, wachte zum Mittagessen auf, dann zurück ins Bett.  Bevor ich meine Augen schloss, kam der Wärter und verkündete, dass man mich in eine andere Zelle mit einem andern Häftling tun müsse, weil man diese Zelle für eine weibliche Verhaftete brauchen würde. Ich nahm meine  7 Sachen und zog in die nächste Zelle um.

Mein neuer Mithäftling stellte sich als  67 jähriger Palästinenser heraus, der seit vielen Jahren in der San Franzisko-Bucht lebte und nun in Sacramento. Seine Familie ist aufgeteilt in eine in den USA und eine in einem Dorf in der Nähe von Bilin. Trotz meiner Müdigkeit verbachten wir die nächsten Stunden damit, uns Geschichten zu erzählen und über Politik zu sprechen, obwohl mir bewusst war, dass wir möglicherweise abgehört wurden. Schließlich – kurz vor Mitternacht - bat ich um Nachsicht und legte mich schlafen.

 

(dt. und leicht gekürzt: Ellen Rohlfs)

 

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