In der ersten großen Personalentscheidung seiner
Administration, ernannte der designierte Präsident Barack Obama den
Kongressabgeordneten Rahm Emanuel zu seinem Stabschef. Rahm Emanuel
ist israelischer Staatsbürger und Veteran der israelischen Armee.
Die israelische Zeitung Haaretz berichtet, sein Vater sei während
der Nakba
[1]Mitglied in Menachim Begins
Irgun Truppe gewesen. Er gab seinem Sohn den Namen eines „getöteten
Lehi Kämpfers“ – eines Mitglieds der Terrororganisation „Stern“ von
Yitzhak Shamir, die nicht nur für Gräueltaten an Palästinensern
verantwortlich war, sondern auch für das Bombenattentat auf das King
David Hotel und die Ermordung des UNO-Vermittlers Graf Folke
Bernadotte.
Bereits am folgenden Tag reagierte Arab News (Jeddah)
und schrieb in seinem Leitartikel „Macht euch keine allzu großen
Hoffnungen – Emanuel ist sein Stabschef und das ist eine Botschaft.
(…) Weit davon entfernt Israel herauszufordern, könnte das neue Team
genauso Pro-Israel sein, wie das vorangegangene.“
Das deutete sich schon lange an. Während seines
Wahlkampfes hat Obama Israel zum wiederholten Mal bedingungslose
Treue geschworen. Unvergesslich ist seine Grußadresse an die
Nationalversammlung des AIPAC[2],
die der israelische Friedensaktivist Uri Avnery als eine Rede
beschrieb, „die alle Rekorde der Kriecherei gebrochen hat“. Es war
schon immer einfacher sich vorzustellen, dass Amerika einen
schwarzen Präsidenten wählt, als dass irgendein Amerikanischer
Präsident die Unabhängigkeit seines Landes von israelischer Dominanz
erklärt.
Dennoch ist die Wahl Barack Hussein Obamas für
die USA von großem Gewinn. Seine Eloquenz, seine Geschichte, seine
Hautfarbe und sein Mittelname könnten die über eine Billion Muslime
in der Welt in den Bann ziehen, die heute gegenüber den USA zum
großen Teil Verachtung und Hass empfinden. Sie könnten Amerika
wieder mit Aufgeschlossenheit gegenübertreten und ihm die Chance
geben, sich in ihren Augen und Herzen zu rehabilitieren. Nicht
zufällig würde sich auch die Zahl der Jihadistenverringern, die bereit sind ihr Leben zu opfern, um dem
gehassten Empire einen Schlag zu versetzen.
Die tiefe Verachtung und der Hass, die die
muslimische Welt gegenüber den USA empfindet, wurzeln in Amerikas
bedingungsloser Unterstützung für das Unrecht, das den
Palästinensern angetan wurde und wird. Dies muss wohl als das
Kernproblem der Außenpolitik der USA und ihrer nationalen Sicherheit
in den letzten Jahren gesehen werden.
Warum aber möchte dieser brillante Obama mit
seiner ersten Personalentscheidung den Muslimen eine derartige
Botschaft der Verachtung senden? Warum möchte er die muslimische
Welt ihrer Hoffnung berauben (und sei sie auch noch so bescheiden)
und ihr bei der ersten Gelegenheit eine Ohrfeige verpassen?
Es wird bereits gemunkelt, dass die nächste
Botschaft der Verachtung folgt – die Nominierung von Dennis Ross als
“Sonderbeauftragten für Frieden im Mittleren Osten”. Ross ist
bekannt als einer, für den Israel immer zuerst kommt, der während
der 12 Amtsjahre von Bush Senior und Clinton dafür Sorge trug, dass
die US Politik gegenüber den Palästinensern keinen Millimeter von
der Politik Israel abwich, dass es keinerlei Fortschritt gibt in
Richtung Frieden und der seitdem den Washingtoner Think Tank, das
Institut für Nahostpolitik, einen Ableger von AIPAC leitet.
Doch sollte man ja meist auch einen
Silberstreifen in den dunkelsten Wolken suchen. Wir können ihn
finden und benennen.
Seit Jahrzeiten „wartet“ die palästinensische
Führung „auf Godot“. Sie wartet darauf, dass die US-Regierung
endlich das Richtige tut (sei es auch nur aus Eigeninteresse) und
Israel zwingt, das Völkerrecht und die UNO-Resolutionen zu
respektieren und den Palästinensern einen bescheidenen Ministaat auf
einem kleinen Stück der Erde zugesteht, die ihnen gehörte.
Dies war nie eine realistische Hoffnung. Sie
konnte und wird nicht realisiert werden. Es könnte also heilsam
sein, nicht noch weitere acht Tage, geschweige denn acht Jahre zu
verlieren und sich zum Narren zu machen, während noch mehr
palästinensisches Land konfisziert wird, weitere jüdische Kolonien
entstehen und Straßen, die nur von Juden benutzt werden dürfen; sich
nicht weiterhin der Illusion hinzugeben, der charmante Obama – auch
wenn er in anderer Beziehung durchaus bewundernswert sein mag –
würde zur Einsicht kommen und das Richtige tun. Es ist an der Zeit,
dass die Palästinenser die Initiative ergreifen, die Tagesordnung
neu bestimmen und den einzig möglichen Weg beschreiten.
Hinzu kommt, dass Israel im Februar die neue
Knesset wählt. Bibi Netanjahu, dessen Wahl zum Ministerpräsidenten
von den meisten Umfragen und Koalitionskalkulationen vorausgesagt
wird, hat eine (wenn nicht gar die einzige) Tugend. Er ist absolut
ehrlich, denn er äußert nicht mal den (selbst verlogenen) Wunsch
nach Schaffung eines palästinensischen „Staates“ (sei er auch noch
so bescheiden und nicht mal einem Bantustan ähnlich) oder nach
diesbezüglichen Verhandlungen (selbst wenn diese endlos und
trügerisch wären). Wenn Netanjahu wieder an die Macht gelangt, dann
wird die Tür zuschlagen, dann wird die Illusion einer
„Zweistaaten-Lösung“ hinter dem Horizont verschwinden.
Es wäre ein Segen und eine Befreiung für die
palästinensische Seele und Sehnsucht. Nach einer langen,
kostspieligen und schmerzhaften Ablenkung, könnte die
palästinensische Führung zu Grundprinzipien zurückkehren und sich
endlich dem Ziel widmen, einen demokratischen, nicht rassistischen
und nicht sektiererischen Staat in ganz Israel/Palästina zu schaffen
mit gleichen Rechten für all seine Bewohner.
Dieses gerechte Ziel kann und muss ausschließlich
mit gewaltlosen Mitteln verfolgt werden. Wenn das Ziel darin
bestünde, eine entschlossene und mächtige Siedlerbewegung – die
darauf aus ist dein Land zu stehlen und zu besetzen (und es von dir
und deinesgleichen zu säubern) – davon zu überzeugen, den Plan
fallen zu lassen und zu verschwinden, dann wäre ein gewaltloser
Kampf Selbstmord. Wenn das Ziel aber darin bestünde volle
Bürgerrechte zu erlangen in einem demokratischen, nicht
rassistischen Staat (ähnlich der Bürgerrechtsbewegung in den USA
oder der Antiapartheidbewegung in Südafrika), dann wäre
Gewaltlosigkeit der einzige Weg. Gewalt wäre völlig unangebracht und
kontraproduktiv.
Die moralisch makellose Methode wäre gleichzeitig
die effektive. Der ethisch richtige Weg wäre der einzige Weg.
Kein amerikanischer Präsident – schon gar nicht
ein Barack Obama – könnte Rassismus und Apartheid billigen und sich
gegen Demokratie und Gleichberechtigung stellen, vor allem wenn
Demokratie und Gleichberechtigung mit gewaltlosen Mitteln erstrebt
werden. Niemand könnte das so einfach, nirgends. Und es wäre doch
offensichtlich, die Zeit würde auslaufen für das ermüdende Spiel
eines fortwährenden „Friedensprozesses“, der nur dafür herhalten
soll Entscheidungen endlos hinauszuschieben (während gleichzeitig
„neue Fakten vor Ort“ geschaffen werden).
Demokratie und Gleichberechtigung sind weder
einfach noch schnell zu erlangen. Vierzig Jahre sind vergangen seit
an jenem Abend vor seiner Ermordung, Martin Luther King laut
erklärte, er habe den Gipfel des Berges erreicht und das gelobte
Land gesehen, bevor Barack Obama zum Präsidenten der Vereinigten
Staaten gewählt wurde. (…) Sechsundvierzig Jahre sind vergangen
zwischen der formalen Etablierung der Apartheid und der Wahl Nelson
Mandelas zum Präsidenten einer demokratischen und
nicht-rassistischen “Regenbogen-Nation”.
Die Hoffnung besteht, dass die Transformation in
Israel/Palästina wesentlich schneller vollzogen werden könnte, aber
es ist auch klar, dass die älteren unter uns das gelobte Land nicht
erreichen werden.
Wenn jedoch das gelobte Land – der demokratische
Staat mit Gleichberechtigung für all seine Bewohner – klar erkannt
und erstrebt wird, können wir zuversichtlich sein, dass eines Tages
Israel/Palästina den tränenreichen Jubel eines „Mandela-Faktors“
oder eines „Obama-Faktors“ erleben wird. Wir könnten wieder auf das
moralische Potential hoffen, das in dem Land und in den Menschen
steckt, darauf, dass die dort lebenden Juden, Muslime und Christen
endlich ihr gelobtes Land erreichen.
* John V. Whitbeck, US-Amerikanischer
Völkerrechtler lebt und arbeitet heute in Saudi Arabien und
Frankreich. Er war Berater der palästinensischen Führung bei
Friedensverhandlungen und schreibt für viele arabische, israelische
und internationale Medien.