Ich sah Jaffa, das Land der
Orangen
Ramsey Baroud
In „ Jaffa im Land der
Orangen“ beschreibt Ghassan Kanafani sein Exil von der palästinensischen
Küstenstadt von Jaffa.
Als 12Jähriger kämpfte er,
um zu verstehen, aber „ in jener Nacht, auch als gewisse Fäden der Geschichte
klarer wurden, stand ein großer LKW vor unserer Tür. Leichte Dinge,
hauptsächlich Dinge zum Schlafen, wurden schnell und hysterisch in den Wagen
gebracht.
Ein paar Jahrzehnte später
schrieb Kanafani über sein Exil. Ich, ein 8Jähriger Junge aus einem
Gaza-Flüchtlingslager dachte für sich selbst nach. Als ich an der Küste von
Jaffa stand, deren Linie real war und mir vorstellte, dass sie plötzlich
unscharf wurde. Einmal war Jaffa Palästinas größte Stadt, und es stellte sich
nun heraus, dass es kein Hirngespenst meines Großvaters war, sondern ein mit
Händen greifbarer Ort von Sand, Luft und Meer. Die palästinensisch-arabische
Identität von Jaffa war überall offensichtlich.
Ich war ein Drittklässler auf
meinem ersten Schulausflug. Den Gazaern war es damals noch erlaubt, nach Israel
die Grenze zu überschreiten, meistens als ausgebeutete billig-Lohnarbeiter.
Meine Familie wurde während der Nakba, der großen Katastrophe, aus Palästina
vertrieben. Sie sah die Vertreibung von Hunderttausenden Palästinensern aus
ihren Häusern. Meine Familie bestand aus einfachen Bauern aus dem Dorf von Beit
Daras. Die Bewohner meines Dorfes waren wegen ihrer Vorliebe von Couscous
bekannt und wegen ihrer legendären Sturheit, ihres Mutes und Stolzes. Beit
Daras’Bewohner sahen in Jaffa ein Zentrum für viele Aspekte ihres Lebens. Eine
kommerziell lebhafte Hafenstadt, wegen seiner Orangen weltbekannt; Jaffa
gehörte zu den größten Märkten im südlichen Palästina.
Jaffa war auch das Zentrum
für arabische Kultur und ein Modell für die Ko-Existenz von Religionen. Aber
die britische Kolonisierung Palästinas, die 1917 begann und 1922 eine
Mandatsregierung wurde, unterbrach den natürlichen historischen Fluss, der
Jaffa zum schlagenden Herzen Palästinas machte.
Eine gebildete Eliteschicht
hob das Level des politischen Bewusstseins der Stadt in einem Maße, sodass man
sie noch nach heutigen Kriterien für den Nahen Osten als hoch ansehen kann.
Politiker, Künstler, Banker, Handwerker, junge und lebhafte
Studenten-Gemeinschaften gaben Jaffa eine Mittelklasse, die eine wesentliche
Rolle im Kampf gegen den britischen Kolonialismus und seine zionistischen
Verbündeten spielten, schon Jahre vor der Nakba und die Entstehung Israels.
Jaffawi-Union-Mitglieder
organisierten rund herum Arbeitsrechte mit festem Engagement. Die arabischen
Arbeiter mussten aufhören und jüdische Arbeiter kamen aus Europa, um ihren
Platz einzunehmen Diese Mobilisierung wird ein Teil des Streikes und der
Revolution von 1936, Palästinas erster kollektiver Aufstand, der Generationen
von Palästinensern bis heute anregen.
Zahlreiche Dörfer und kleine
Städte schauten nach Jaffa zur Führung und manchmal auch zum Überleben. Mein
Großvater, der ein kleines Stück Land in Beit Daras besaß, war ein Handwerker,
der Körbe flocht. Alle paar Tage transportierte er das Beste, das er machte,
nach Isdud und manchmal auch zum al-Majdal-Markt, in der Hoffnung, ein paar
palästinensische Dinar zu bekommen, um sein mageres Einkommen aufzubessern. Das
Beste wurde für Jaffa aufgehoben, denn die Jafawis hatten den besten Geschmack.
Er würde sich für diesen Ausflug piekfein machen. Nachdem er seinen treuen Esel
gefüttert hat, würde er seine Körbe auf der Karre festmachen und sich auf den
langen Weg machen.
„Großvater (Sido), bitte,
erzähle uns Geschichten über deine Abenteuer in Jaffa“ baten wir ihn, wenn er
auf einer alten Matratze in seiner speziellen Ecke einer kleinen halbverfallenen
Hütte in einem Flüchtlingslager in Gaza saß. Seine Geschichten, die er mit
viel Spannung erzählte, bewegten sich fein zwischen Wahrheit und Fantasie. Als
ich erwachsen war, wurde mir klar, dass die Fantasie nicht nur seine Art und
Weise war, uns Kinder zu amüsieren, sondern auch eine Art war, wie Jaffa meinem
Großvater die größten Triumpfe bescherte und die demütigsten Niederlagen.
Phantasie half ihm, von der
Welt Sinn zu machen, die er inzwischen verlassen hat. Als die Araber 1936
revoltierten, schlugen die Briten erbarmungslos zurück. Sie töteten nicht nur,
steckten nicht nur ins Gefängnis. schickten viele Jafawis ins Exil und
verunstalteten die Stadt. Große Teile der Altstadt wurden eingeebnet, sodass
sie nicht mehr gesehen werden konnte. Geschichte wurde gewaltsam ausgelöscht.
Großvater war einer der
Tausenden, die Palästina bis zum bitteren Ende verteidigten. Obwohl er ein Bauer
war, der sich selbst beibrachte, wie man Körbe herstellt, um zu überleben,
tauschte er alles für ein altes türkisches Gewehr ein, um Beit Daras zu
verteidigen, weil die benachbarten Dörfer – eins nach dem anderen - schon in
die Hände der Zionisten gefallen waren.
Großvater erzählte viel, wie
wunderbar Jaffa aussah. Er beschrieb die sanfte Briese vom Meer her, als ob sie
ihn bei der Ankunft in der Stadt begrüßen wolle und wir das Gefühl hatten, das
deine Seele zu dir zurück käme.
Als Beit Daras nach auf
einander folgende Schlachten zwischen zionistischen Milizen und Dorfbewohnern,
die nur ein paar alte Waffen hatten, fiel, war Großvaters Seele auf immer
gefangen.
Als der Plan Dalet, der
Meisterplan, mit dem der größte Teil Palästinas mit Gewalt erobert wurde,
erfüllt worden und auch das britische Militär abgezogen war, wurde die
Eroberung von Jaffa der Höhepunkt einer gewalttätigen Kampagne.
Die Schnellstraße zwischen
Jaffa und Jerusalem wurde ein Theater für heroische Schlachten. Der Höhepunkt
war die Schlacht von Castal, wenige Meilen von Jerusalem entfernt.
Jaffa, als „Meeresbraut“
bekannt, wurde zwischen April und Mai 1948 erobert. Ein großer Flüchtlingszug
war schon nach Jordanien und Syrien unterwegs. Zionistische Kräfte, die zur
Hagana und Irgun gehörten, legten ihre angeblichen Meinungsunterschiede
beiseite, als sie sich auf Jaffa zu bewegten.
Drei verschiedene
militärische Feldzüge begannen gleichzeitig – Chametz, Jevussi und Yiftach –
durch die Jaffa , die Gegend rund um Jerusalem und das ganze östliche Galiläa
eingenommen wurde. Aber als Jaffa fiel, war auch der Stolz Palästinas dahin.
Die Stadt war eingeschlossen
und zwang Tausende von Leuten übers Meer nach Gaza oder Ägypten zu fliehen.
Viele ertranken, da die kleinen überfüllten Fischerboote nachgaben und sanken.
Die arabische Führung hatte gehofft, die Britten würden den Zionisten nicht
erlauben, Jaffa zu erobern. Sie waren schlecht vorbereitet. Auf Verteidigung
von Zivilisten war man nicht eingestellt.
Der militärische Unterschied
zwischen zionistischer Miliz (über 5000 gut ausgebildeter Kämpfer) und arabische
Freiwillige ( etwa 1500) war unmöglich. Ohne von Außen unterstützt zu werden,
konnten sie nichts erreichen. Keiner kam. Männer und Frauen starben in Scharen.
Zehntausende flohen in Trecks übers Land, aber meistens übers Meer.
Im Alter von acht entdeckte
ich, dass Jaffa nicht nur Phantasie war. Viel später in meinem Leben entdeckte
ich, dass Jaffa, obwohl erobert, noch stand, und zwar durch das kollektive
Gedächtnis der Jafawis überall.
Während der Terminus Nakba
eine passende Beschreibung für das ist, was das palästinensische Volk 1947-48
durchgemacht hat, ist es SUMUD – Standhaftigkeit – das Millionen von
Flüchtlingen an ihrem Rückkehrrecht festhalten lässt, auch 66 Jahre, nachdem das
Land der Orangenbäume erobert wurde. Und es ist SUMUD, das Jaffa für immer am
Leben hält-
Ramzy Baroud ist
der Editor of Middle East-Eye.
Er ist ein international syndicated Kolumnist, ein
Medien-Berater, und der Gründer von PalestineChronicle.com. Sein letztes Buch
ist „Mein Vater war ein Freiheitskämpfer: Gazas unerzählte Geschichte“ (Pluto
Press, London)
(dt. Ellen Rohlfs)
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