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In der Zwischenzeit ... von Lama aus Gaza, Sonntag, 23. Juli 2006

 

"Mama, sie mögen keine Bäume," sagte Rana (10). Ihre Schwester Unoud (8) erwiderte: "Sie  mögen überhaupt nichts Grünes."

 

Dieses Gespräch fand vor ein paar Tagen statt, sehr früh morgens, als die zwei Mädchen mit 11 anderen Kindern und 10 Erwachsenen im Haus der Grossmutter festsassen und den Planierraupen der Firma Caterpillar zusahen, die das sie umgebende Land rodeten und die Bäume entwurzelten. Das Haus hat drei Stockwerke und steht in der Mitte einer sehr netten grünen Stadt im Norden des Gazastreifens - Beit Hanoun. Die Familie ist keine Flüchtlingsfamilie. Das Haus gehört der Mutter, Um Qassem, ihrer geschiedenen Tochter, Azza und dem ältesten Sohn, Qassem (der jetzt mit seiner Familie in Ägypten lebt).

 

Azza ist eine sehr hübsche, starke Frau, die in der 1. Intifada aktiv war. Nach der Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde wurde sie hauptsächlich zur Frauenrechtsaktivistin. Sie entschloss sich dazu, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen und bekam nach einigen Jahren die Erziehungsberechtigung für ihre Kinder - zwei Mädchen und zwei Buben. Mit ihren  Ersparnissen und mit Hilfe ihrer Brüder war es ihr möglich, ein Stockwerk auf das Haus ihrer Mutter zu bauen.

 

In dieser Nacht entschieden sich Azza und die Frauen getrennt von ihren Brüdern und Cousins zu übernachten: Frauen und Kinder sollten in Azzas Haus bleiben und die Männer in das Haus des Onkels in der Nähe gehen. Um 6 Uhr morgens wurden sie alle durch den Lärm der Bulldozer und der Geschütze geweckt.

Alle Frauen und Kinder hatten Angst, als sie sahen, dass die Soldaten das Haus des Onkels umzingelten, sie dachten, die Männer seien getötet worden. Sie begannen zu schreien. Azza fühlte sich plötzlich für alle diese Frauen und Kinder verantwortlich. Resolut ordnete sie an, dass sie ins hintere Zimmer gehen und sich dort einschliessen sollten. Genauso plötzlich fand sie sich selber vor dem Bulldozer, der schon zum Keller vorgedrungen war. Sie begann zu schreien: "Wir sind nur Frauen und Kinder!" und hielt ihre Hände in die Höhe.

 

Der Bulldozer stoppte, die Soldaten drangen ins Haus ein und begannen damit, sie zu durchsuchen. Dann befahlen sie ihr, den anderen Raum zu öffnen und verlangten, dass jede Person einzeln herauskommen sollte, um sie dann ebenfalls zu durchsuchen. Die Frauen hatten noch immer Angst, dass die Männer im anderen Haus getötet worden wären, deshalb sagte ihnen Azza und dabei log sie natürlich, um die anderen zu beruhigen, dass die Soldaten ihr gesagt hätten, dass die Männer in Ordnung und am Leben seien.

 

"Bitte, lieber Gott, gib mir einen Zauberstab so wie einer Fee. Ich brauche ihn, damit ich dann die Juden (Israelis) entweder töten kann oder machen, dass sie sich zurückziehen." "Lieber Gott, ich bin ein Kind, magst du keine Kinder?" redete Onoud während der Durchsuchung mit sich selbst. Susan, ihre Mutter, sagte ihr, sie solle zu Gott beten. "Ich bete zu ihm und ich bitte ihn, aber er scheint nicht zuzuhören," antwortete Onoud. Azza wußte nicht, wie sie es geschafft hatte, sich zusammenzureissen, um vor den Soldaten stehen zu können: Sie benutzten sie als menschliches Schutzschild, um Zimmer für Zimmer das ganze Haus zu durchsuchen.

 

Sie begann mit den Soldaten zu verhandeln, damit sie die anderen und sie selbst hinausliessen. Diese entschieden sich dafür, ihre zwei Söhne - Qussai (17) und Hazem (14) -  und einen Cousin, Khaled (22), als menschliche Schutzschilde zu "behalten", dafür könnten alle anderen gehen.

 

Zuerst weigerte sich Azza ihre Kinder mit den Soldaten alleine zu lassen, aber wenn sie dann zu den anderen Frauen und Kindern schaute, die schrieen und riefen, dass sie nicht ohne sie gehen würden, entschied sie sich doch zu gehen. Die Entscheidung war getroffen, aber wie sollte sie umgesetzt werden? All das geschah, während draussen der Kampf zwischen dem palästinensischen Widerstand und der Besatzungsarmee ununterbrochen weiterging. Bomben, Geschosse und Kugeln flogen überall herum. Die Soldaten sagten, dass sie das mit ihren Truppen koordinieren könnten, aber für die "Araber" könnten sie nicht garantieren.

 

Während dieser Debatte waren die Kinder so verängstigt, dass sich einer der Soldaten dazu entschloss, ihnen Schokolade anzubieten. Die Kinder weigerten sich sogar, diese zu berühren, sie liessen sie auf dem Boden liegen. Später fand dieser Soldat eine ganze Menge Süssigkeiten, Schokolade und Baklawa. Am Tag vor dem Angriff waren nämlich die Ergebnisse der Prüfungen des staatlichen Gymnasiums bekanntgegeben worden und Azzas Tochter hatte mit Erfolg und sehr guten Noten abgeschnitten (92,9%), so dass alle Freunde  und Verwandten am Abend gekommen waren und ihr gratuliert hatten. Das war der Grund, warum das ganze Haus voll mit Süssigkeiten war. Der Soldat bot die Süssigkeiten an und sagte: "Ihr könnt sie essen, es sind eure."

 

In der Zwischenzeit hatte sich Azza dazu entschlossen, es zu riskieren und allen zu erlauben, das Haus zu verlassen. Das war ein Abenteuer für sich. Sie mussten dabei eine nach der anderen über den Sand rund um das Haus klettern, um das Nachbarhaus zu erreichen. Azza war die einzige, die jede einzelne von ihnen begleitete.

 

"Ich weiss wirklich nicht, wer das andere Haus sicher erreicht hat. Keine der Frauen war imstande, die Kinder zu zählen und ich mußte ins Haus zurück, um nachzusehen, ob ich niemanden zurückgelassen hatte. Sicher, die Buben und der Cousin sind als Geiseln dageblieben."

 

Alle waren nun bei den Nachbarn, ohne zu wissen, was mit den Männern im anderen Haus geschehen war oder mit den Kindern, die von den Soldaten festgehalten wurden.

Ein heftiger Kampf ging draußen weiter, bei dem die israelischen Soldaten die naheliegende  Ambulanz umzingelten; sie liessen die Rettungswagen weder hinein noch heraus. Ein Mann, der mit seinem Auto in der Nähe ihrer neuen Zuflucht war, schrie, "Hilfe, helft doch, irgendjemand, helft mir!" Das Auto blieb plötzlich vor ihnen stehen. Der Sohn des Mannes war erschossen worden und er versuchte ihn zur Ambulanz zu bringen. Der Wagen war zusammengebrochen und er konnte ihn nicht tragen. Die Frauen entschlossen sich, es trotz der Schiesserei zu riskieren und dem Mann zu helfen, seinen Sohn in die Ambulanz zu tragen. Danach krochen sie - unter Beschuss - zu ihrer Zufluchtsstätte zurück. Zuletzt zogen sich die israelischen Soldaten zurück und ermöglichten es den Rettungsautos, zu kommen und alle herauszubringen.

 

Das passierte vor etwa 5 Tagen. Ich habe versucht, darüber zu schreiben, aber ich habe es nicht geschafft. All diese Nachrichten, der Horror und das Töten um uns herum, in Beit Hanoun, in Gaza-Stadt, im Flüchtlingslager Maghazi, in Rafah, überall, und jetzt im Libanon. Überall das gleiche, Zivilpersonen werden getötet, israelische Soldaten greifen an und zerstören und die Welt schaut zu, beschuldigt uns, klagt uns an, die Terroristen zu sein.

 

Erwartet da irgendjemand von mir, dass ich mit einem solch aggressiven Nachbarstaat an eine friedliche Zukunft für meinen Sohn glauben kann? Ich weiss es wirklich nicht.

 

Lama Hourani

Gaza Stadt

  

Übers. Tina Salhi

 

 

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