Machsom Watch
Matria[1]
– August 2007
Machsom Watch –
eine Organisation israelischer Frauen gegen die Besatzung und
für Menschenrechte, die sich mit einem der härtesten Aspekte der
Besatzung befasst – der Einschränkung der Bewegungsfreiheit der
Palästinenser in den besetzten Gebieten.
Die Einwohner haben das
Recht auf Zugang zu ihrem Land und auf dessen Bearbeitung, und
es die Pflicht des Militärkommandanten, für die Einhaltung
dieses Rechtes zu sorgen. Dieses Recht auf freien Zugang zum
Land ist nicht an die Erteilung einer besonderen Erlaubnis
gebunden.
(Aus der Internet-Seite des Verteidigungsministeriums)
Wirklich?!
Das Dorf Chirbet Aslah bei
Qalqilya besaß vor der Errichtung des "Sicherheitszaunes" 6000
Dunam Land. Infolge der Errichtung des Zauns befinden sich
siebzig Prozent des Landes auf dessen westlicher Seite, d. h. in
dem Gebiet zwischen der israelischen Grenze und dem Zaun. Am
Zaun wurde ein "Landwirtschaftstor" eingerichtet, das den Zugang
der Bauern zu ihrem Land ermöglichen soll. Das Tor befindet sich
einen Kilometer westlich des Weges, der vom Dorf zu den Feldern
führt. Es befindet sich nicht in der Nähe der Felder und ist
nicht mit Fahrzeugen (Traktoren) erreichbar. Mangels eines
passenden Weges können die Bauern nur zu Fuß oder mit Eseln
durch das schwer zugängliche Bergland zu ihrem Land gelangen.
Dadurch ist es ihnen nicht möglich, ihre Olivenhaine zu
bearbeiten. Außerdem lässt die Armee Jugendliche das Tor zu den
Feldern nicht ohne Begleitung Erwachsener passieren. Daher haben
die Kinder keine Möglichkeit, ihren Eltern nach Beendigung des
Schulunterrichts zu helfen. Die meisten Bauern, die eine
Erlaubnis zum Passieren des Tores und zur Bearbeitung des Landes
erhalten haben, konnten beweisen, dass das Land ihnen gehört und
haben alle weiteren Bedingungen der Zivilverwaltung der
besetzten Gebiete erfüllt, aber dennoch sind ihre Passierscheine
meistens an die landwirtschaftliche Saison gebunden und nicht
das ganze Jahr über gültig. Ein Landbesitzer kann einen
zusätzlichen Passierschein für einen Verwandten ersten Grades
bekommen, und auch dieser ist an die Saison gebunden. Für
Lohnarbeiter gibt es keine Passierscheine.
"Die Einwohner haben das
Recht auf Zugang zu ihrem Land und auf dessen Bearbeitung",
aber der Militärkommandant, der "für die Einhaltung dieses
Rechtes zu sorgen" hat, hat bestimmt, dass das Tor nur
dreimal am Tag geöffnet wird – für eine Stunde am Morgen, eine
halbe Stunde am Mittag und eine halbe Stunde am Nachmittag.
Selbst wenn das Tor zur festgesetzten Zeit geöffnet wird, wird
es lange vor der angegebenen Zeit geschlossen. Die Soldaten
lassen diejenigen durch, die sich am Tor befinden und schließen
es einige Minuten später.
(Aus einem Brief des für die Checkpoints im
Grenzbereich zuständigen Machsom Watch-Teams an den Leiter der
Zivilverwaltung und den Rechtsberater für die besetzten Gebiete)
Chirbet Aslah ist kein
Einzelfall. Entlang des Zauns befinden sich 31
Landwirtschaftstore, die sich wie folgt einteilen lassen:
·
16
saisongebundene Tore, die nur in der landwirtschaftlichen Saison
geöffnet werden (d. h. eine Woche bis drei Monate für die
Olivenernte).
·
10 täglich
geöffnete Tore, die das ganze Jahr über zwei- bis dreimal am Tag
für jeweils eine Viertelstunde bis Stunde geöffnet werden.
·
3
"Lebensgefüge"-Tore, die das ganze Jahr über etwa zwölf Stunden
pro Tag geöffnet sind. Sie befinden sich in Dörfern, die durch
den Zaun in zwei Teile geteilt worden sind oder den größten Teil
ihres Landes auf der westlichen Seite des Zaunes haben.
·
2 Tore für
einzelne Häuser, die für eine oder mehrere Familien gedacht
sind, deren Haus bzw. Häuser sich auf der westlichen Seite des
Zauns befinden.
Das "Landwirtschaftstor"
steht offen, aber nur wenige gehen hindurch. Die Leute haben
Angst vor der Beschlagnahme ihrer Passierscheine, wenn sie nicht
am selben Tag zurückgekehrt sind oder nicht durch dasselbe Tor,
das sie auf dem Hinweg benutzt haben. Die landwirtschaftlichen
Passierscheine sind täglich von 5:00 bis 19:00 gültig, aber
diese Tore werden nur zweimal in der Woche geöffnet und auch
dann schon um 15:00 geschlossen.
(Anin, Norden der Westbank, 27.8.2007)
Drei Jugendliche aus dem
Dorf Qatana wurden vor dem Militärrichter Menachem Lieberman
wegen "Verlassen des Gebietes ohne Erlaubnisschein" verurteilt
(d. h. Betreten des Gebietes, das Israel zwecks Errichtung des
Trennungszaunes beschlagnahmt hat). Alle wurden zu hundert Tagen
Haft + drei Monaten auf Bewährung + Strafgebühr von 1000 Shekeln
verurteilt. Der Vater eines der Verurteilten durfte vor Gericht
sprechen und erklärte, dass der Zaun, durch eine von dessen
Öffnungen die Jungen das verbotene Gebiet betreten hatten, sich
auf seinem Land befindet, das die Familie schon seit
Generationen bearbeitet. Noch im letzten Jahr, sagte er, hat er
das Land bearbeitet, das sich jetzt auf der anderen Seite des
Zauns befindet. Der Richter antwortete ihm, dass es hier nicht
um den Zaun ginge, sondern um illegales Betreten Israels.
(Militärgericht Ofer bei Ramallah, 6.9.2007)
Zur Vorbereitung auf die Slichot
Der Behinderte Ramsi Chatib
wurde in seinem Haus im Dorf Al-Fawar verhaftet unter der
Beschuldigung, ein Molotow-Cocktail geworfen zu haben. Nach
Aussage des Vaters griff in der vorigen Verhandlung der Richter
in die Ausführungen des Anklägers ein und äußerte Zweifel, wie
der behinderte Angeklagte ein Molotow-Cocktail geworfen haben
kann, wenn er seine Hand nicht einmal für die einfachsten
täglichen Dinge benutzen kann. Der heute 19-jährige wurde vor
sechs Jahren schwer durch eine Kugel verletzt, die in eine
Schule hineingeschossen wurde. Sechs Jahre lang schon zieht sich
vor dem Militärgericht das Gerichtsverfahren gegen die Soldaten
hin, die auf die Schule geschossen haben, und der Fall ist immer
noch nicht abgeschlossen. In diesen Jahren wurde der Junge
mehrfach operiert und verschiedenen Behandlungen unterzogen,
aber er blieb schwer behindert, körperlich wie seelisch, und
seine Eltern müssen sich, so sagen sie, um ihn kümmern wie um
ein kleines Kind.
(Militärgericht Ofer, 6.9.2007)
"Auch 90-jährige werden
nicht zum Gebet in der Al-Aksa-Moschee durchgelassen."
"Ihr könnt froh sein, dass
ich nicht abdrücke."
"Ich bin Armee, Polizei,
Grenzpolizei – alles."
Wie üblich wartet eine
Gruppe alter Männer geduldig – vielleicht wird man sie diese
Woche zum Freitagsgebet in der Al-Aksa-Moschee durchlassen ...
Ein Gespräch mit dem Kommandanten des Checkpoints lässt keinen
Zweifel daran, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllen wird.
Schon seit drei-vier Monaten werden nicht einmal die ganz Alten
zum Freitagsgebet durchgelassen.
"Auch mit neunzig wird
niemand ohne Erlaubnisschein zum Tempelberg durchgelassen" –
sagt der Kommandant.
(Scheich Saed, Jerusalem, 17.8.2007)
Um 17:00 trafen wir einige
Bauarbeiter, die im nördlichen Warteraum des Checkpoints von
Qalandiya saßen und auf ihren Bus nach Hause warteten. Einer
erzählte, dass sie jeden Morgen um 4:30 am Checkpoint ankommen.
Um diese Zeit ist nur ein Kontrollschalter geöffnet und die
Warteschlange reicht bis zum Parkplatz. Um 5:30 werden alle
Schalter geöffnet, und dann kommt man schneller vorwärts, bis um
ca. 6:30 alle durch sind. Die Gruppe von Arbeitern, die wir
getroffen haben, fährt von Qalandiya zu einer Baustelle in
Modi'in weiter, wo sie im allgemeinen gegen 9:00 ankommen (obwohl
der Arbeitstag um 7:00 beginnt). Wenn es Probleme gibt,
verspäten die Arbeiter sich noch mehr und fürchten, dass ihre
Arbeitgeber sie aufgrund der Unbeständigkeit ihrer Arbeit
entlassen werden. Sie arbeiten bis 15:00. Um 17:00 treffen sie
wieder in Qalandiya ein und haben dann noch zwei Stunden Fahrt
vor sich, bis sie zu Hause (in der Gegend von Nablus) ankommen.
Eine einfache Rechnung ergibt, dass sie kaum genug Zeit zum
Schlafen haben, bevor sie um 2:30 aufstehen müssen, damit sie um
4:30 in Qalandiya sind.
(Qalandiya-Checkpoint, Jerusalem, 5.8.2007)
[1]
"Matria"
ist abgeleitet von dem hebräischen Verb "lehatria", das
"(als Alarmzeichen) in die Posaune/ins Horn blasen" und
"Protestgeschrei erheben" bedeutet.