Eine bessere Blockade
Nadia
Hijab 5.7.10
Nachdem sich Israels Sicherheitskabinett stundenlang eingeschlossen
hatte, tauchte es schließlich auf, um eine Lockerung der Blockade des
Gazastreifens zu verkündigen; es war ein Schritt, den die USA sofort
gut hieß. Israel und die USA hoffen so, die Wut der Welt über die
Kollektivstrafe über 1,5 Millionen dort lebende Palästinenser zu
entschärfen und zukünftige Flotillen zu verhindern, die versuchen, die
Belagerung zu durchbrechen.
Wird
es ihnen gelingen? Man ist versucht, zu denken, die flagrante
Illegalität, unbewaffnete Menschenrechtsaktivisten auf offener See
anzugreifen, muss zu einem Ende der Blockade führen. Doch der
palästinensische Analytiker Mouin Rabbani hat vor Optimismus gewarnt.
Er stellte fest, dass nach dem Horror von Israels Angriff auf den
Gazastreifen 2008/09 die Blockade nicht nur gehalten wurde, sondern
noch enger gezogen wurde.
Doch
Amerika und Israel kämpfen hier einen aussichtslosen Kampf mit ihren
Bemühungen, eine freundlichere, angenehmere Blockade sich auszudenken –
aus dem einfachen Grund, weil es so etwas nicht gibt. Aktivisten, die UN
und die Menschenrechtsgemeinschaft sagen es lauter als sonst, dass die
Blockade gegen das Gesetz sei – gegen das internationale Recht.
Aktivisten scheinen, im Augenblick die Oberhand zu haben, da noch mehr
Schiffe nach Gaza unterwegs sind, um Israels Schiffsblockade zu
durchbrechen. Und sie sind nicht nur organisiert von Gruppen aus dem
Iran, dem Libanon und der Türkei; europäische Juden für gerechten
Frieden organisieren gerade auch eine Flotille.
EJJP,
eine Dachorganisation jüdischer Gruppen aus 10 europäischen Ländern,
plant, humanitäre Hilfe zu bringen, aber der Zweck ist vor allem
politisch. Die Aktivisten wollen die Aufmerksamkeit vor allem auf die
unmoralische Blockade lenken . Und die deutsche Organisatorin Edith Lutz
sagte zur Huntington Post, „wir fürchten, dass Israels Politik dem
Antisemitismus hilft. Wir wollen auch zeigen, dass diese Aktionen nicht
jüdisch sind“.
Unterdessen haben UN-Organisationen in den vergangenen paar Wochen dafür
gesorgt, Israels Behauptungen, es gebe keine „humanitäre Krise“,
entgegen zu treten. Die Weltgesundheitsorganisation hat gewarnt, dass
das Gesundheitssystem am Rande des Kollaps stünde. Der UN-Koordinator
für Humanitäres in den besetzten palästinensischen Gebieten sagte, dass
Gazas landwirtschaftlicher Sektor im Begriff ist, zusammen zu brechen:
er bemerkt die „Absurdität“ einer Situation, in der Gazas
Küstenbevölkerung gezwungen ist, durch Schmuggeltunnels Fisch zu
importieren. Und der UN-Generalsekretär sagt wiederholt, die Blockade
muss vollkommen aufgehoben werden.
Der
vernichtendste Bericht der letzten Wochen ist vielleicht der vom
Internationalen Komitee des Roten Kreuzes. Das ICRC äußerst sich selten
kritisch, aber es hat hier deutlich fest- gestellt, dass die Absperrung
eine kollektive Strafe darstellt und eine Verletzung von Israels
Verpflichtungen nach dem internationalen humanitären Recht. … Das ICRC
sagt, dass die Not, der sich die Palästinenser des Gazastreifens
gegenüber sehen, nicht durch mehr humanitäre Hilfe gelindert werden
kann: „die einzige vertretbare Lösung ist, die Blockade aufzulösen.“
Die
Art und Weise, wie Israel plant, die Blockade zu mildern, kommt
nirgendwo in die Nähe der Blockadeauflösung. Zum Beispiel; wenn alle
Lebensmittel hinein gelassen werden – aber kein Material, das die
Palästinenser befähigt, ihre eigenen Nahrungsmittel herzustellen/
anzubauen. Israels „Sicherheitsumschlag“ wird bleiben, einschließlich
der Seeblockade.
Warum
ist Israel so sehr darum bemüht, die Belagerung aufrecht zu erhalten,
wenn sogar israelische Strategen sagen, dass sein Zweck - die Hamas und
ihren Widerstand zu verdrängen oder zu schwächen – nicht erreicht wurde
und nicht erreicht werden kann?
Es
gibt hartnäckige Berichte, dass ein wichtigerer israelischer Grund sein
könnte: der Zugang und die Kontrolle der Gasfelder vor Gazas Küste, die
einen Wert von $ 4 Milliarden haben sollen. Solche Berichte sind kaum zu
glauben – es sei denn, man denkt daran, dass Israel seit Jahrzehnten
das Wasser der Westbank anzapft, und dass die illegale Mauer in der
Westbank praktisch die palästinensischen strategischen Aquifere
einschließt. Arthur Neslen schreibt im Guardian 2007 über die
Gas-Geschäfte des Gazastreifens und bemerkt, dass die Hamas beharrlich
zu einer Neuverhandlung eines Kontraktes mit der BG-Gruppe aufruft.
Mittlerweile wenden sich Menschenrechtsaktivisten an die Gerichte – ein
Schritt, der vielleicht endlich Israels Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Die Free-Gaza-Bewegung, die Organisatoren der Flotille, die Israel am
31. Mai angegriffen hat, arbeitet zur Zeit mit Anwälten in einer Reihe
von Ländern, um im Namen der Getöteten und schwer Verletzten juristisch
vorgehen zu können.
Hier
noch eine Frage: Da die Blockade nach dem Völkerrecht illegal ist,
könnten die Palästinenser des Gazastreifens eine Art Gruppenklage gegen
Israel organisieren und Wiedergutmachung für die Qualen fordern, die
sie seit 2007 erlitten haben. Für all jene Gestorbenen, die starben,
weil sie keinen Zugang zur medizinischen Behandlung hatten; für die
Kinder, die wegen Unterernährung sich nicht richtig entwickeln konnten;
für die verlorenen Schuljahre; für die zerstörten Ernten, das zerstörte
Land und die zerstörte Infrastruktur. Die Liste ist lang; und es dauert
zu lang, um alle Unkosten der Besatzung aufzuzählen …
(dt.
Ellen Rohlfs)
PS:
ein Brief von Freunden aus Gaza:
Liebe
….
Die
Stimmung hier ist verzweifelt. Es stimmt, viel mehr Dinge kommen rein,
aber in einer Weise, die die Realität der Belagerung verdunkeln. Wir
(NGO) versuchen, so viel als uns möglich ist, zu erklären, dass die
Belagerung aufgehoben, dass Export/Import erlaubt werden muss. Im
Augenblick kommen nur Sachen rein. Es geht nichts nach draußen, auch
keine Menschen. Kann eine Belagerung aufgehoben sein, wenn es keine
Bewegungsfreiheit gibt, wenn es kaum jemandem erlaubt ist, raus zu
gehen, frage ich.
Ich
grüße dich
….
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