Wo Bewohner widerstehen müssen, nur um zu
existieren ( resist to exist)
Ein Interview mit Luisa Morgantini/(
und Barbara Antonelli), im Juli/August 2010, der früheren Präsidentin des
EU-Parlamentes (und den Frauen in Schwarz, Italien(, nach ihrer Rückkehr
von einer Tour durch das Jordantal und die Westbank, durch das sie eine
italienische Delegation von Associatione per la Pace führte.
Ohne Wasser und Strom, umgeben von Siedlungen,
und seit 1967 von einer großen militärischen Zone eingeschlossen und unter
Besatzung, widerstehen die Bewohner des Jordantals. Von Haus-/ Hütten-/
Zeltzerstörungen und Landraub heimgesucht, sind sie die verletzlichsten
Gemeinden in der ganze Zone C ( ganz unter israelisch militärischer und
Verwaltungskontrolle) der Westbank. Heute sind es etwa 56 000 Bewohner; vor
1967 waren es 300 000 – dies ist die Folge von Vertreibung und Ausweisung,
was sich weit vor der Öffentlichkeit entfernt und tatsächlich ohne
Medienaufmerksamkeit abgespielt hat.
Eine Delegation von Assopace - von Luisa
Morgantini geleitet - besuchte das Jordantal und traf sich mit den lokalen
Gemeinden.
Fr. Morgantini, Sie besuchten zweimal in einer
Woche das Jordantal nur wenige Tage, nach- dem die israelische Armee noch
einmal die einfachen Hütten und Zelte der Beduinengemeinschaften im Norden
zerstört hat. Was haben Sie gesehen?
M.: Wenn die Zone C – 60% der besetzten
Westbank – ein Synonym für Vertreibung und Annexion für israelischen
Kolonisierung im Jordantal ist, dann wird dies jetzt sehr intensiviert. Eine
stille Vertreibung wird durch Zerstörung, Vertreibung, Landkonfiszierung,
Verweigerung des Zuganges zu Wasserressourcen durch Israel durchgeführt:
Diese Politik hat zur Errichtung von über 30 illegalen Siedlungen geführt.
Noch vor dem Oslo-Abkommen zielte Israel daraufhin - entsprechend dem
Allon-Plan - eine Saumzone zwischen der Westbank und dem Jordan zu schaffen
und zwar durch die Annexion dieses 2400qkm fruchtbaren Landes von der Grünen
Linie bis zum Toten Meer. Ein Gebiet, das heute von seinen Bewohnern
ethnisch gesäubert ist, kann morgen leichter annektiert werden. Der
israelische Ministerpräsident Netanyahu hat immer deutlich gesagt, dass
Israel das Jordantal nie wieder aufgeben wird. Ähnliches sagte Olmert auch
während seiner Wahlkampagne 2006. Diese genaue Absicht, die Kontrolle über
dieses Gebiet aufrecht zu erhalten, wurde von Israel auch während der 1.
Intifada praktiziert, als die palästinensischen Bewohner von Nablus unter
Ausgangssperre standen und so ihre Ländereien im Jordantal nicht erreichen
und nicht ernten konnten. Inzwischen ist dies Gebiet eine geschlossene Zone.
Seit 1967 hat die israelische Regierung die
Ausdehnung der Siedlungen ständig fortgesetzt, die inzwischen die Hälfte von
Zone C besetzen, während weiter 44% für militärische Schießzonen und
Naturreservate bestimmt sind. Nur 6 % hat man den Palästinensern gelassen.
Die (israelische) Zivilverwaltung, die als Pendant der Regierung operiert,
kümmert sich um den Rest, verteilt, Abrissorder, kontrolliert größere
Wasserressourcen, sogar Wassertanks, wie in Bardala geschehen ist, oder
zerstört Wasserleitungen und –pumpen und setzt rechtliche Prozeduren in
Gang, um Beduinen, das wenige, was sie haben, auch noch zu nehmen. Ein
Drittel der Westbank-Wasserressourcen liegen im Jordantal. Es ist
erschreckend, daran zu denken, dass die Menschen, die auf diesem Land leben,
dass Wasser – eine öffentliche Ressource und ein Menschenrecht - unter ihren
Füßen fließen spüren, es aber nicht trinken und auch nicht ihre Kühe und
Schafe damit tränken dürfen, die der einzige Lebensunterhalt dieser
Gemeinden sind. Israels nationale Wassergesellschaft Mekorot hat viele
Brunnen gegraben, die den Siedlergemeinschaften und der illegalen
Bewässerung von konfisziertem Land dient. Nicht den Palästinensern oder
ihrem restlichen Land.
Im Distrikt von Tubas ist der durchschnittliche
Verbrauch von Wasser für die palästinensischen Bewohner 30Liter pro Person,
während in der benachbarten Siedlung von Beka’ot, die Leute 400 l pro Tag
konsumieren. Die israelischen Siedler verbrauchen 6 mal mehr Wasser als die
Palästinenser. In einigen Fällen, wie in den Dörfern von Humsa und
al-Hadudiya, die versucht hatten, Wasserreserven und ein Netzwerk
aufzubauen, wurden die Gemeinden von der israelischen Armee mit harten
Unterdrückungsmaßnahmen konfrontiert. Ihre Ausrüstung wurde konfisziert. Sie
wurden vom Wasser abgeschnitten. Auf diese Weise hält Israel sein Monopol
über die Wasserreserven aufrecht, und die Palästinenser sind gezwungen, ihr
Wasser mit einen Wassertank für 33 NIS pro Kubikmeter zu kaufen, während 9
400 Siedler ihr Wasser verbilligt ( bis zu 75%) für den Hausverbrauch und
für Swimmingpools bekommen. Dasselbe gilt auch für Strom: die Palästinenser
sehen die Strommasten und Leitungen über ihren Köpfen, doch können ihn nicht
nutzen. Sind sie irgendwie einmal in der Lage, den Strom anzuzapfen, kommen
Siedler und Soldaten, um sie zu verhaften, und nehmen den Strom wieder weg.
Am 19. Juli demolierte die israelische Armee
das Dorf Al-Farisya ( östlich von Tubas) und zerstörte mehr als 76
Unterkünfte/Hütten und ließ ganze Familien, die Hälfte davon Kinde,r
obdachlos. Sie besuchten das Gebiet mit einer Delegation von Journalisten
und Diplomaten. Dies war vom palästinensischen Informationsministerium und
dem Gouverneur von Tubas organisiert.
M. Wir sahen die sonnverbrannten Gesichter der
Kinder und Hirten, die ihre schmerzvolle Odyssee ohne Tränen erzählten. Wir
waren Zeugen der Zerstörung: Matratzen, Möbel, persönliches Eigentum,
zerstörte Brotbachofen, zerstörte Zelte. Dies blieb vom täglichen Leben
einer ganzen Dorfgemeinde übrig, die heute obdachlos ist und gezwungen wird,
wegzugehen. Mehr als 30% der Beduinenfamilien sind wenigstens einmal seit
2000 vertrieben worden, während mehrere Familien ihr zerstörtes Lager
mindestens viermal wieder aufschlagen mussten. Wo sollen sie denn hingehen
?
Obwohl ich nun seit über 25 Jahren nach
Palästina reise, war die Fahrt von Tubas nach Al-Farysia total schockierend
für mich: eine trostlose und kahle Landschaft, Schafe und Ziegen drängen
sich im spärlichen Schatten eines zerrissenen Zeltes, magere Kühe versuchen,
sich dicht an Zementblöcken, die die Schießzonen abgrenzen, vor der starken
Sonneneinstrahlung zu schützen. Diese Zementblöcke sind überall: vor den
Beduinenzelten, entlang den Straßen . Während Militärübungen werden
Palästinenser verletzt, wie es dem Bürgermeister von Al-Aqaba passierte, als
er 17 Jahre alt war. Er ist jetzt gelähmt und an den Rollstuhl gebunden. Der
Zugang und die Bewegung werden durch Checkpoints eingeschränkt, wie die
gefürchtete in Taysir, für die man einen Passierschein oder eine
Koordinierungsnummer braucht. Diplomaten, Minister und die lokalen Bewohner
natürlich müssen stundenlang in brütender Hitze warten (der Schweizer
Diplomat in unserer Delegation gebrauchte nicht gerade diplomatische Worte,
um das Verhalten der Soldaten hier zu beschreiben. )
Eine stille Vertreibung – aber auch starker
Widerstand.
Das Komitee für gewaltlosen Widerstand, das von
Fathi Khdirat geleitet wird, stellt eine außergewöhnliche Erfahrung der
palästinensischen Standhaftigkeit (Sumud) dar: eine Bewegung, die sich auf
gewaltfreie Aktionen konzentriert, um die Präsenz der Gemeinde zu
verteidigen und ihre Fähigkeiten zu stärken. Indem das lokale Komitee
freiwillig Zeit und Kraft zur Verfügung stellt, stellt es eine gute Antwort
auf die israelische Besatzung dar. Es ist aber auch ein konkreter Schritt in
Richtung Wiederaufbau durch traditionelle Baumethoden wie das Schulgebäude
in Jiftlik, das den Kindern des Beduinendorfes dienen wird. Die
israelische Armee und die Zivilverwaltung haben schon seine Demolierung
angeordnet: und wenn sie demolieren, dann wird die Gemeinde es wieder
aufbauen. Es ist ein gewaltfreier Akt des Widerstandes gegen die Besatzung,
der von Bewegungen der internationalen Solidarität anerkannt und
unterstützt werden sollte.
Die Vertreibungen aus dem Jordantal werden von
den Medien nicht wahrgenommen, aber auch nicht von Hilfsorganisationen und
seit Jahren stehen sie nicht auf dem Programm von palästinensisch
politischen Gipfeltreffen.
Was kann getan werden?
Das stimmt; abgesehen von wenigen Ausnahmen ist
das Jordantal politisch und geographisch isoliert und weit davon entfernt,
große Gruppen von internationalen und israelischen Gruppen anzuziehen, wie
jene, die ihre Kräfte gegen die Gazablockade, die Vertreibung aus
Ost-Jerusalem oder mit gewaltfreien lokalen Komitees gegen die Mauer und die
Besatzung überall in der Westbank mobilisieren.
Zusätzlich zur geographischen Entfernung, die
die lokalen Gemeinden von einander trennen, ist das Jordantal weniger
bevölkert ( da es zur Zone C gehört) als andere Gebiete in der Westbank.
Außerdem besteht eine Kluft zwischen nomadischen Beduinenhirten- und
ansässigen Gemeinden. Als Vertreter von Solidaritätsbewegungen und –Gruppen
ist es wichtig, selbstkritisch zu sein, da wir während all der Jahre die
Zone C und das Jordantal vernachlässigt haben. Es ist wichtig, ein Ende der
israelischen Besatzung zu erreichen und Kampagnen gegen die
Siedlungserweiterung zu unterstützen als auch Beduinen-gemeinschaften mit
Wasser und Strom zu versorgen. Schließlich realisierte die Palästinensische
Behörde mit Salam Fayyads Regierung, dass die Zone C Teil des besetzten
Palästina ist und dass es notwendig ist, Projekte und Initiativen in der
Region zu befürworten. Der Schritt der PA, bei der internationalen
Gemeinschaft zu intervenieren und internationale Vertretungen zu gewinnen,
im Jordantal aktiv zu werden, erhielt positive Antworten. Aber Israel hat
seine Unterdrückungs- und Zerstörungspolitik verstärkt. Ich denke, die PA
sollte die israelischen Besatzung und Kolonisierung täglich an jedem
möglichen und unmöglichen Ort herausfordern. Das Jordantal ist besetztes
Palästina, es gibt keine Zonen A, B und C. Es ist schon so viel Zeit
verschwendet worden!
Die Jordantal-Kampagne wird weiter mit anderen
Volkskomitees in den Westbankdörfern mehreren Herausforderungen gegenüber
stehen: sie werden weiter entschlossen gewaltfreien Widerstand leisten. So
wie Fathi mit leuchtenden Augen und sonnverbranntem Gesicht sagte : To
exist ist to resist ( existieren heißt widerstehen) und mischte weiter
seine selbstgemachten Ziegeln aus Lehm und Stroh.