Wie der
israelische Inlandsgeheimdienst (Shin Bet) palästinensische
Patienten aus Gaza vernimmt und erpresst
Foto: Palästinenser warten am
Checkpoint Erez. Photo: Miki Kratsman
Vor einigen
Monaten habe ich schon einmal an dieser Stelle über die Praxen
des israelischen Inlandsgeheimdiensts am Erez-Checkpoint
geschrieben, der von Israel kontrolliert wird und den alle
Patienten passieren müssen. Der langjährige medico-Partner Ärzte
für Menschenrechte – Israel (PHR) hat tagtäglich mit solchen
Patienten zu tun. Jetzt haben sie einen gründlichen, von medico
mitfinanzierten Bericht hierzu veröffentlicht. Die Befunde sind
niederschmetternd: Schwerkranke Patienten müssen eine geradezu
Kafkaeske Prozedur durchlaufen, um behandelt zu werden. Und: Der
israelische Inlandsgeheimdienst nutzt ihre Verwundbarkeit
regelmäßig, um sie zu erpressen und zur Kollaboration zu
zwingen.
Die israelische
Blockadepolitik hat dazu geführt, dass das Gazaer
Gesundheitssystem immer weniger in der Lage ist, der Bevölkerung
angemessene Gesundheitsdienste anzubieten. Als Folge steigt die
Zahl der Patienten, die zu auswärtigen Behandlungen – vor allem
für lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs - in die Westbank,
nach Israel oder Jordanien überwiesen werden. Gleichzeitig
erhöhte sich die Ablehnungsquote enorm: Verweigerte die
israelische Administration etwa 10% der Ausreisegenehmigungen,
so waren es in der ersten Jahreshälfte 2008 35%.
Der Bericht
beschreibt die lange Prozedur, die ein Patient bis zum Erhalt
der Ausreisegenehmigung durchlaufen muss. In einem ersten
Schritt geht der Patient ins Krankenhaus. Die behandelnden Ärzte
geben ihre Empfehlung an ein Komitee weiter. Dieses gibt dem
Patienten einen Bescheid, den er ans Gesundheitsministerium in
Gaza weiterreichen muss, und dieses muss dann die Finanzierung
beim Gesundheitsministerium in Ramallah klären. In einem zweiten
Schritt kontaktiert das palästinensische Gesundheitsministerium
die israelische Seite, in einem dritten gibt die israelische
Gesundheitsbehörde die Bitte an den israelischen Geheimdienst
weiter, der die endgültige Entscheidung trifft. Bis diese
endlich getroffen worden ist, sind häufig nicht wieder
gutzumachende Schäden aufgetreten.
Die
Ausreisegenehmigung bedeutet jedoch nicht, dass der Patient
tatsächlich den Gazastreifen verlassen darf. In den letzten
Monaten hat der Shin Bet immer mehr Patienten, die eine solche
Genehmigung hatten, die Ausreise aus „Sicherheitsgründen“ direkt
am Checkpoint verweigert. Darüber hinaus gibt der Bericht 30
Zeugenaussagen wieder, 11 davon ausführlich, aus denen klar
hervorgeht, dass in Erez Patienten regelmäßig vernommen und
erpresst werden. Die Blockadepolitik Israel hat nämlich dazu
geführt, dass nur Patienten Erez passieren können. Dadurch sind
sie zu einem begehrten Ziel des Geheimdiensts geworden: Mangels
anderer Informationsquellen. Der Patient am Checkpoint Erez ist
zudem von vornherein verwundbar: Er kann nicht Gaza nicht
behandelt werden, sein Leben oder sein Augenlicht hängen von der
Ausreise ab.
Unklare
Prozeduren, lange Wartezeiten, Vernehmungen des Patienten über
sich, über Familie und Bekanntenkreis, die Forderung nach den
Kontaktdaten von Freunden und Familie erzeugen eine harsche
Atmosphäre, die das Gefühl der Verwundbarkeit der schwer
erkrankten Patienten weiter erhöht. Hat der Schin Bet eine
gewisse Kontrolle über den Patienten etabliert, so wird ihm
implizit oder explizit nahegelegt, mit dem Geheimdienst zu
kollaborieren. Der Patient kann zwischen den eigenen
medizinischen Bedürfnissen und der Loyalität gegenüber Familie,
Freunden und Gemeinde wählen. Wählt er ersteres, so verrät er
seine Familie und könnte bei der Rückkehr als Kollaborateur
bestraft oder getötet werden. Weigert er sich, so muss er mit
einer Ausreiseverweigerung und den damit verbundenen Schmerzen
und anderen physischen Folgen bis hin zum Tod rechnen.
Die PHR haben
die israelische Medizinervereinigung schon vor einem Jahr auf
diese Zustände hingewiesen und sie aufgefordert, einzuschreiten.
Leider haben sie bis heute nicht dazu Stellung genommen. Sie
wandten sich auch an Israels viel gelobten Obersten Gerichtshof.
Das Gericht entschied sich jedoch dafür, die vorgebrachten
Fakten nicht grundsätzlich zu prüfen, sondern begnügte sich mit
einem nicht einmal schriftlich abgegebenen Statement des
Geheimdiensts: „Wir haben zur Kenntnis genommen, dass die
Sicherheitsbehörden klargestellt haben, die Erkrankung von
Menschen nicht auszunützen, um sicherheitsrelevante
Informationen zu erhalten.“ Die PHR sind es gewohnt, im eigenen
Land einsam zu sein. Es wäre jedoch zu wünschen, dass wenigstens
all diejenigen, die vom sicheren Ausland den israelischen
Obersten Gerichtshof mit Lorbeeren überschütten, diesen Bericht
zur Kenntnis nähmen.