Eine
Armee von Extremisten
Wie
einige Militärrabbiner israelische Soldaten zu
radikalisieren versuchen
Christopher Hitchens
Berichte aus jüngster Zeit
über Brutalitäten israelischer Soldaten im Lauf der
Intervention im Gazastreifen haben die Aufhetzung junger
Soldaten und Reservisten durch Militärrabbiner beschrieben,
die die Schlacht als heiligen Krieg für die Vertreibung der
Nicht-Juden vom jüdischen Land beschreibt. Der säkulare
israelische Akademiker Dany Zamir, der als erster die
Zeugenaussagen schockierter israelischer Soldaten ans Licht
brachte, ist zitiert worden, als ob der Einfluss von solch
extremistisch klerikalen Lehren etwas Neues wäre. Das ist
nicht der Fall.
Ich erinnere mich daran, als
ich 1986 in Israel war, als der oberste Armee-„Kaplan“ in
den besetzten Gebieten, Rabbi Shmuel Derlich seinen Soldaten
einen pastoralen Brief mit 1000 Wörtern verteilte, in dem er
sie eindringlich mahnte, das biblische Gebot auszuführen,
die Amalekiter als „die Feinde Israels“ auszulöschen. Doch
keiner ist in jüngster Zeit Amalekitern begegnet. Also
fragte der oberste Ausbildungsoffizier der IDF Rabbi Derlich,
ob er seine Aussage näher definieren könnte und sagen, wen
er damit meine. Ziemlich ausweichend, wenn auch alarmierend,
antwortete der Mann Gottes „die Deutschen“. Aber es gibt in
Judäa und Samaria oder auch im Alten Testament keine
Deutschen, so wurde die Ermahnung des Rabbiners, alle
Deutschen wie wahrscheinlich auch alle Palästinenser
umzubringen, zum Büro des Generalstabsanwalt weitergeleitet.
Es kamen dann 40 Militärrabbiner Derlich öffentlich zu
Hilfe.Und die ziemlich feige Schlussfolgerung des
Generalstabsanwalts war dann, dass er kein Rechtsvergehen
begangen habe. Er solle sich in Zukunft zurückhalten und
keine politischen Statements im Namen der Armee abgeben.
Das Problem hier aber ist, dass
der Rabbi kein „politisches“ Statement abgab. Er erfüllte
eher seine „religiöse“ Pflicht, indem er seine Leser daran
erinnerte, was die Thora tatsächlich sagt. Es ist in Israel
nicht ungewöhnlich, über Diskussionen zu lesen, an denen
Militärrabbiner teilnehmen, wo es um die Interpretation des
folgenden heiligen Befehls von Moses geht ( 4. Moses, 31,
13-18) … Die Israeliten hatten gerade einen gnadenlosen Job
an den Midianitern begangen, bei dem sie alle männlichen
Erwachsenen abschlachteten. Aber – so sagt der strenge
Chefkommandeur – sie haben (das Gebot) nicht eingehalten.:
„Moses und Eleasar, der
Priester, und alle Fürsten der Gemeinde gingen ihnen
entgegen,
hinaus vor das Lager.
Und Moses wurde zornig über die Hauptleute der Heere, die
Hauptleute über tausend
und über hundert, die aus dem Feldzug kamen .
Und er sprach zu ihnen:
Warum habt ihr alle Frauen leben lassen? Haben nicht diese
die
Kinder Israel durch
Bileams Rat abwendig gemacht, dass sie sich versündigen am
Herren
durch den Baal-Peor,
sodass der Gemeinde des Herrn eine Plage widerfuhr. So tötet
nun
alles, was männlich ist
unter den Kindern und alle Frauen, die nicht mehr Jungfrauen
sind;
aber alle Mädchen, die
unberührt sind, die lasst für euch leben.“
Moses und Eleasar, der
Priester, erteilten weiter komplexe Anweisungen über
rituelle Reinigungen, die nach diesem strapaziösen Massaker
ausgeführt werden sollen.
Nun hört man die Leute sagen,
wenn man auf solche und ähnlich berüchtigte Passagen zu
sprechen kommt, dass diese nicht „buchstäblich zu verstehen
seien“. Man hört auch die Entschuldigung, dass einige
verrückte Dinge ‚im Namen’ der Religion getan wurden, als ob
diese verrückten Dinge irgendwie die Folge von falscher
Interpretation seien. Aber die nationalistischen Rabbiner,
die die israelischen Soldaten für ihren Auftrag vorbereiten,
denken scheinbar, dass dieses Buch Gottes Wort sei. In
diesem Fall sei die einzige Fehlinterpretation die
Unterlassung, dies buchstäblich zu nehmen. (…)
Vielleicht erinnert man sich
noch an Dr. Baruch Goldstein, an den Mann, der im Februar
1994 seine Waffe nahm und 29 Gottesdienstbesucher in der
Moschee in Hebron tötete. Er war ein Arzt in der
israelischen Armee gewesen und hat das erste Mal die
Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als er sagte, er würde sich
weigern, am Shabbat Nicht-Juden zu behandeln. Man lese nun
Ethan Bronners Bericht vom 22. März in der New
York Times über die Predigten des israelischen
Armee-Chefrabbiners, einem Westbank-Siedler mit Namen
Avichai Rontzski, der auch den Rang eines Brigadegenerals
inne hat. Er hat gesagt, dass für einen jüdischen Arzt der
Hauptgrund, einen Nicht-Juden am Shabbat zu behandeln der
sei, dass Diasporajuden nicht dem Hass (der anderen)
ausgesetzt sein sollen. Diejenigen, die diesen Dingen
folgten, erkannten dieses Statement als Anzeichen für
einen wahrlich entschlossenen Rassisten und
Fundamentalisten. Aber diesmal kommt er nicht im Gewand
eines gemeingefährlichen Einzelgängers, sondern in voller
Uniform und Ausrüstung eine Generals und hohen Priesters:
Moses und Eleazar in einer Person. Die letzte Nachricht –
nach Bronner - ist, dass das israelische
Verteidigungsministerium sich gezwungen fühlte, Rontzski
wegen eines „rabbinischen Gebotes, dem Feind gegenüber
keine Gnade zu zeigen“, zu tadeln. Dieses Gebot war in Form
einer kleinen Broschüre an die Männer und Frauen in Uniform
verteilt worden.
Wenn man sich diese
schreckliche Menge von Todesfällen von palästinensischen
Zivilisten ( im Gazakrieg) ansieht, die die unmittelbare
Folge war, kann man sich ziemlich leicht vorstellen, wohin
das auf Dauer führt. Die Zelotensiedler und ihre klerikalen
Komplizen errichten eine Armee innerhalb der Armee, sodass
es eines Tages, wenn entschieden worden ist, Siedlungen
aufzulösen oder zu evakuieren, dann genügend Offiziere und
Soldaten geben wird, die von genügend Rabbinern und
Predigten bestärkt werden, den Befehlen nicht zu gehorchen.
Es werden dann auch Thoraverse gefunden, die es möglich
machen, säkulare Juden genau wie Araber zu morden; die
Generalprobe dafür hat mit den religiösen Entschuldigungen
für Baruch Goldsteins Mordrandale und dem talmudischen
Ausweichen bezüglich des Mordes an Yitzhak Rabin schon
stattgefunden. Dies wurde einst als sehr extrem angesehen –
nun nähert sich solch biblische Exegese immer mehr dem
Mainstream. Es wird höchste Zeit, dass die USA jede
finanzielle Unterstützung für Israel streichen, die selbst
indirekt für Siedleraktivitäten benützt werden könnte,
nicht nur weil solche Kolonisierung Diebstahl von Land eines
anderen Volkes darstellt, sondern weil es unsere
Verfassung absolut verbietet, öffentliche Gelder für die
Einrichtung irgend einer Religion zu spenden.
(dt. Ellen Rohlfs)
23. März 2009,
Washingtonpost