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Die Berichterstattung über den Nahen Osten
oberflächlich und verzerrt
Robert Fisk, 9.11.02
Journalisten im „Westen“ sollten sich großer Schuld
bewusst sein, weil vieles, was sich im Nahen Osten
abspielt, mit ihrer Leichtgläubigkeit zu tun hat, die
als fiktive Version der Ereignisse verkauft wird.
Ihren ständigen Hinweis auf einen „Zaun“ anstelle eine
Mauer, auf Siedlungen oder Wohngegenden anstelle von
(jüdischen) Kolonien, ihre Beschreibung der Westbank als
„umstrittenes“ statt besetztes Gebiet, hat eine
oberflächliche Art des Berichtes über den
israelisch.-palästinensischen Konflikt hervorgebracht.
Genau wie im Irak als so viele Berichterstatter der
großen westlichen Zeitungen und Fernsehstationen die
lächerlichen Beschreibungen des US-Botschafters Bremer
über die grausamen Aufständischen als „Dead-enders“
oder „klägliche Reste“ beschrieb – es ist die selbe
Phrase, die weiterhin von unsern Kollegen in Kabul
benützt wird – hinsichtlich einer deutlich wieder
erwachenden Talibankraft, die trotz der Leugnungen
Generals Musharrafs vom pakistanischen Geheimdienst
(ISI) unterstützt wird.
Schlimmer jedoch ist das Versäumnis, die wirkliche
Politik der Regierungen zu untersuchen. Warum gab es
z.B. keine Behandlung der diesjährigen Herzlia-Konferenz
auf der Titelseite der Zeitungen? Sie ist die wichtigste
israelische politische Zusammenkunft….
Die Konferenz war der Ort, an dem Ehud Olmert zuerst
vorgeschlagen hat, Streifen der Westbank abzugeben: „
Die Wahl, ob Juden in allen Teilen des Landes Israels
(Israel mit der Westbank) leben dürfen und damit in
einem Staat mit jüdischer Mehrheit und also auch die
Aufgabe von Teilen des Landes Israels. Wir können nicht
weiter Teile der Gebiete kontrollieren, in denen die
meisten Palästinenser leben.“
Die Redner stimmten darin überein, dass den
Palästinensern ein Staat auf dem Teil des Landes
gegeben werden sollte, der übrig bleibt, wenn die
Siedlungen durch die Mauer an Israel angeschlossen
worden sind. Benjamin Nethanyahu schlug sogar vor, die
Mauer noch tiefer in die Westbank hineinzubauen. Aber
die Auswirkungen wurden deutlich.
Ein palästinensischer Staat soll genehmigt werden, aber
ohne eine Hauptstadt in Ost-Jerusalem und ohne
Verbindung zwischen dem Gazastreifen und den
übertragenen Restteilen der Westbank. Also wird es
keinen Frieden geben, und die Wörter „Palästinenser“ und
„Terrorist“ wird unlösbar mit Israel und den USA
verbunden sein.
Es gibt Artikel in der israelischen Presse über
Herzliya, einschließlich einen von Sergio Della Pergola,
in dem er vor der „Bedrohung“ Israels durch die
palästinensische Geburtsrate warnt und den Rat gibt,
wenn der demographische Gleichstand nicht 2010 kommt,
dann kommt er 2020“. Bei früheren Konferenzen wurde
schon die mögliche Notwendigkeit diskutiert, die
Bürgerschaftsrechte einiger israelischer Araber
zurückzunehmen.
Erst in diesem Jahr berichtete Haaretz von eine
Meinungsumfrage, in der 68% der israelischen Juden
sagten, sie würden sich weigern, mit einem Araber im
selben Haus zu leben - … und 46 % der israelischen Juden
sagten, sie würden einem Araber nicht erlauben, sie in
ihrer Wohnung zu besuchen.
Der Wunsch der Trennung wird mit fallendem Einkommen der
Befragten größer – so wie man erwartet hatte. Es gab
aber keine Umfrage nach der palästinensischen Meinung,
obwohl Palästinenser darauf verweisen können, dass 10
000 e von Israelis in großen Siedlungen überall in der
Westbank auf ihrem Lande leben, dass illegal in
israelischen Händen bleibt.
All diese Details können in der arabischen Presse
gelesen werden – und natürlich auch in der israelischen
Presse – aber sie sind in weiten Teilen in unserer
Presse nicht vorhanden. Warum? Sogar als Norman
Finkelstein einen vernichtenden akademischen Bericht
über die Art und Weise schrieb, wie der Oberste
Gerichtshof „bestätigte“, dass die Mauer vom
Internationalen Gerichtshof in Den Haag als illegal
erachtet wurde – so wurde dies praktisch vom Westen
ignoriert. Dasselbe gilt auch für die USA. Der Bericht
der beiden Akademiker über die Macht der Israel-Lobby
zwang die Amerikaner – nachdem der übliche Vorwurf des
Antisemitismus kam, über die berichte zu schreiben,
wenn auch in falscher und eerschrockenen Weise. Es gibt
noch so viele Beispiele unserer Angst vor der
nahöstlichen Wahrheit.
Ist dies wirklich das Beste, was wir Journalisten tun
können. Abgesehen vom unermüdlichen Seymour Hersh, gibt
es keine wirklich recherchierenden Korrespondenten bei
der US-Presse.
Aber die Behörden herauszufordern sollte nicht so
schwierig sein. Keiner ist darum gebeten worden, den
offenen Bericht arabischer Tyranneien zu beenden. Noch
werden wir dazu eingeladen zu fragen – und wir sollten
fragen, warum die muslimische Welt so viele Diktatoren
produziert hat, von denen die meisten von „uns“
unterstützt werden. Doch gibt e zu viele dunkle Ecken,
in die wir nicht schauen wollen. Wo sind z.B. die
geheimen CIA-Folter-Gefängnisse? Ich kenne zwei
Reporter, die von solchen Örtlichkeiten wissen. Aber sie
schweigen – natürlich aus Gründen der „nationalen
Sicherheit“.
Und so machen wir weiteer mit der Nahöstlichen Tragödie
und erzählen der Welt, dass die Dinge besser werden,
obwohl sie schlimmer werden, dass die Demokratie blüht,
wenn sie im Blut versinkt, dass Freiheit nicht ohne
„Geburtswehen“ zu haben ist, während die Hebamme das
Baby umbringt.
Es war schon immer meine Überzeugung, dass die Menschen
in diesem Teil der Welt gerne etwas von unserer
Demokratie hätten. Sie hätten auch gerne einige Päckchen
der Menschenrechte von unserm Supermarkt. Sie wollen
Freiheit. Aber sie wollen eine andere Art von Freiheit –
sie wollen von uns befreit sein. Und genau diese Absicht
haben wir nicht.
Genau dies aber führt unsere Nahost-Präsenz in noch
größere Dunkelheit. Deshalb sitz ich auf meinem Balkon
und frage mich, wo die nächste Explosion stattfinden
wird – denn sie wird sicher stattfinden.
Um Bin Laden kümmert sich keiner mehr, ob er nun tot
oder lebendig ist. Weil er wie Atomwissenschaftler die
Bombe erfunden hat. Man könnte nun alle
Atomwissenschaftler verhaften, doch die Bombe ist
vorhanden. Bin-Laden schuf El-Qaida mitten im Brandherd
des Nahen Ostens. Sie existiert. Seine Präsenz ist nicht
mehr nötig.
Und rund um all diese Länder gibt es eine Legion junge
Männer, die einen Schlag gegen uns, unsere Symbole und
gegen unsere Geschichte vorbereiten. Und vielleicht
sollte ich nun all meine Berichte mit den Worten
beschließen: Passt auf!
Quelle:
www.informationclearinghouse.info/article15557.htm
(Robert Fisks neues Buch
: „ The Conquest of the Middle East“ (Die Eroberung des
Nahen) Ostens“
(dt. Ellen Rohlfs) |