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Reisen
Sie nach Israel, ins Gelobte Land? Sie werden staunen! Ihnen werden
die Augen übergehen, wenn Sie richtig hinschauen!
Dieter
Neuhaus
Aus Anlass des 60. Jahrestags der
Staatsgründung Israels hatte das Staatliche Israelische Verkehrsbüro
besonders intensiv für Reisen nach Israel geworben und tut es immer
noch und immer wieder. Leider wird in der Werbung für diese Reisen
manches unterschlagen, was einen Besuch in Israel in diesen Monaten
wirklich einmalig macht. Und das möchten wir hier für Sie ergänzen:
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Sie können nicht nur „Ruinen
vorchristlicher Stätten“ (so heißt es in einem Werbeprospekt) kennen
lernen, sondern auch Ruinen von arabischen Dörfern, die gerade erst
60 Jahre alt sind. Von ihnen gibt es fast Hundert im ganzen Land.
Wenn Ihr Nachfragen bei Ihrem Reiseleiter auf Unverständnis stößt
(„welche Dörfer soll Israel zerstört und deren Bewohner vertrieben
haben?“), zeigen Sie ihm Ihr mitgebrachtes Buch „Die ethnische
Säuberung Palästinas“ des israelischen Autors Ilan Pappe, das die
Namen der meisten zerstörten arabischen Ortschaften enthält.
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Auch wenn der Bau von
Grenzmauern als Mittel der Politik aus der Mode gekommen ist (gerade
Sie als Deutscher haben das Schicksal der Berliner Mauer noch in
deutlicher Erinnerung): Israel hat eine 750 Kilometer lange und an
manchen Stellen bis zu zehn Meter hohe Betonmauer um sich herum
gebaut, die ihresgleichen in der Welt sucht. Versäumen Sie nicht,
sie ganz aus der Nähe zu betrachten. An etlichen Stellen können Sie
sogar noch die Bauarbeiten verfolgen, denn die Mauer ist noch nicht
ganz fertig. Das Besondere: auf 84 % ihrer Länge verläuft sie auf
dem Grund und Boden der benachbarten Palästinenser. Dort hat Israel
entgegen den Bestimmungen des Völkerrechts 120 Städte und Siedlungen
nur für Juden gebaut. Israel nennt die Riesenmauer „Sperrzaun“, aber
in Wirklichkeit ist sie eine „Land-Annexionsmauer“. Vielleicht
werden Sie Zeuge einer der vielen Auseinandersetzungen zwischen der
israelischen Armee und den palästinensischen Bürgern, denen die
Mauer die Existenz zerstört. Aber Vorsicht: Israels Soldaten
schießen auf die friedlichen Demonstranten, zum Beispiel in Nilin
und Bilin. Dabei gab es schon etliche Tote und Hunderte von
Verletzten.
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Aber am Beginn Ihrer Reise
werden Sie sicher erst einmal Jerusalem besuchen, eine faszinierende
Stadt. Die arabischen Bewohner leben im Ostteil von Jerusalem, das
Israel aber schon vor Jahrzehnten annektiert und zu seiner
Hauptstadt erklärt hat. Die Völkergemeinschaft hat diese Annexion
nie anerkannt und will, dass Ost-Jerusalem die Hauptstadt des
künftigen Staates Palästina wird. Vielleicht hören Sie auf Ihrer
Reise von der „Judaisierung Ost-Jerusalems“. Das ist der Versuch
Israels, immer mehr Araber aus Ost-Jerusalem zu vertreiben und immer
mehr Juden dort anzusiedeln. Inzwischen sind es fast 200.000!
Vielleicht sehen Sie auf Ihrer Stadtrundfahrt, wie die neuen
jüdischen Bewohner aus einem der arabischen Häuser Möbel auf die
Straße werfen, während die palästinensische Familie mit etlichen
Kindern nun auf der Straße sitzt. Im Jahr 2009 ist das so oft
passiert wie nie zuvor. Und allein im Ost-Jerusalemer Stadtteil
Silwan hat der israelische Bürgermeister im Februar 2010 nicht
weniger als 200 Gebäude zum Abriss freigegeben. Darin leben über
1.000 Palästinenser, die meisten von ihnen Kinder. Wo die nach ihrer
Vertreibung bleiben sollen? Fragen Sie doch auf Ihrer Besichtigung
von Jerusalem nach! Eines noch: erschrecken Sie nicht, wenn Sie in
Jerusalem junge Männer sehen, die ein ganz ungewöhnliches T-Shirt
tragen: darauf abgebildet ist eine schwangere Araberin im Fadenkreuz
eines Gewehres. Darunter steht: ein Schuss, zwei Tote! Bei uns käme
so jemand vor Gericht.
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Wenn Sie bisher geglaubt haben,
dass „Apartheid“ (Sie erinnern sich: die Apartheid wurde vor
Jahrzehnten in Südafrika erfunden, aber später wegen des schlechten
Eindrucks, den sie in der Welt hinterlassen hatte, abgeschafft) in
der Welt der modernen Staaten nicht mehr existiert: Sie haben sich
geirrt! Ihr Israel-Urlaub bietet Ihnen die einmalige Gelegenheit,
diese fast ausgestorbene Form der Benachteiligung von Menschen
hautnah kennen zu lernen. Sie werden zum Beispiel auf asphaltierten,
breiten Straßen fahren, die nur von Israelis und von Ihnen, als
Besuchern des Landes, benutzt werden dürfen. Wenn Sie bei Ihren
Fahrten durch das Land gut aufpassen, können Sie abseits dieser
Schnellstraßen arabische Menschen sehen, die auf Trampelpfaden über
Hindernisse klettern oder mit ihren Eselskarren auf schlechten
Feldwegen entlang ziehen. Fragen Sie ruhig Ihre Reiseleitung, wieso
diese Menschen dort laufen und weshalb sie so müde und erschöpft
aussehen. In diesem Zusammenhang sollten Sie eine wichtige Zahl
kennen: im Februar 2010 gab es in den besetzten Gebieten 550
israelische „Hindernisse“, die die Bewegungsfreiheit der
Palästinenser so stark einschränken, wie Sie sich das gar nicht
vorstellen können.
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Wenn die Reiseleitung Ihnen ein
vollständiges Bild von Israel vermitteln will, ermöglicht sie Ihnen
den Besuch eines so genannten „Checkpoint“. Sie können diese schon
von weitem erkennen, denn dort stehen manchmal Hunderte von
Palästinensern und warten. Leider behandeln die meisten der
israelischen Soldaten die Palästinenser, die die Checkpoints
passieren müssen, ziemlich schlecht, schicken sie trotz langer
Warterei wieder zurück oder schikanieren sie auf andere Weise. Das
passiert jeden Tag, so dass die Frauen der israelischen
Menschenrechtsorganisation „MachsomWatch“ die Soldaten oft bei ihrer
Arbeit beobachten und versuchen, den Palästinensern zu helfen. Über
das, was diese Frauen alles erlebt haben, wurden sogar schon Bücher
geschrieben. Vielleicht sollten Sie eines davon mitnehmen auf Ihre
Reise nach Israel. Übrigens gibt es Israel viele weitere
Organisationen, die sich für die Palästinenser einsetzen. Vielleicht
kann Ihr Reiseleiter ein Treffen oder eine Führung organisieren, zum
Beispiel mit dem „Israelischen Komitee gegen Häuserzerstörungen“
oder mit der Organisation „Das Schweigen brechen“.
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In der von Israel besetzten
Westbank leben inzwischen 300.000 jüdische Israelis. Obwohl das
Land, auf dem sie wohnen, Palästinensern gehörte, gehen manche von
den Siedlern mit ihren arabischen Nachbarn ziemlich schlecht um. Sie
sind gewalttätig und aggressiv gegenüber den Palästinensern und
schießen manchmal auf sie, verbrennen ihre Getreidefelder und
Olivenhaine. Inzwischen ist das alles der israelischen Regierung ein
bisschen peinlich, denn oft hat sich die Wut der Siedler auch gegen
internationale Gäste und die eigenen Soldaten gerichtet. Im
September 2008 hat deshalb der Ministerpräsident Olmert gesagt, dass
er Pogrome an den Palästinensern nicht dulden werde. Wenn Sie auf
Ihrer Reise nach Hebron kommen, werden Sie bestimmt einige der
wütenden Siedler erleben. Dabei müssen Sie aber aufpassen, denn die
können sehr böse werden, selbst wenn israelische Soldaten zu Ihrem
Schutz dabei sein sollten. Eigentlich müssten die palästinensischen
Bewohner von Hebron auf die Siedler böse sein, die ihnen ihr Land
und ihre Häuser wegnehmen und sie ständig beschimpfen, sie mit
Steinen bewerfen und das Wenige, was sie besitzen, zerstören wollen.
Wir erzählen Ihnen dies übrigens nur, damit Sie sehen, dass Ihr
Reiseziel Israel wirklich ein ganz besonderes Land ist.
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Ein ganz besonderer, weil in
anderen Ländern verbotener Teil der Realität Israels besteht darin,
dass dieser Staat den Palästinensern schon in der Vergangenheit sehr
viel Land weggenommen und mit Israelis besiedelt hatte. Die
Vereinten Nationen, die Europäische Union und viele andere
Organisationen und Staaten haben Israel immer wieder aufgefordert,
hiermit endlich aufzuhören. Aber Israel, das Ziel Ihrer Reise, wähnt
sich so stark, dass er sich hierum nicht kümmert. Deswegen wird die
Fläche, die für einen Staat Palästina übrig bleibt, immer kleiner.
Und außerdem ist diese Fläche wegen der vielen israelischen
Siedlungen innerhalb dieser kleinen Fläche ganz durchlöchert („wie
ein Schweizer Käse“, wie der ehemalige US-Präsident George W. Bush
einmal feststellte). Bald ist die Fläche so klein, dass sich die
Gründung eines eigenen Staats Palästina gar nicht mehr lohnt. Wenn
es am Ende aber keinen eigenen Staat für die Palästinenser gibt und
diese in Israel bleiben, wird Israel kein jüdischer Staat mehr sein
oder, was man sich gar nicht vorstellen mag, Israel wird die
Palästinenser in die Nachbarstaaten vertreiben.
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Fast hätten wir es vergessen:
Sie haben sicher schon davon gehört, dass im Gazastreifen, der
direkt an Israel angrenzt, 1,5 Millionen Palästinenser auf nur 140
Quadratkilometern wohnen. Damit ist der schmale Streifen so dicht
besiedelt wie Bremen oder München! Sie fragen, was das mit Israel zu
tun hat? Da stellen Sie eine gute Frage, denn eigentlich geht Gaza
Israel nichts an. Trotzdem hat die israelische Regierung Mitte 2007
beschlossen, die Bevölkerung des Gazastreifens vollständig von der
Welt zu isolieren, weil sich die Mehrheit der palästinensischen
Wähler bei freien Wahlen für die Hamas entschieden hatte. Daraufhin
hat Israel einfach 46-Mitglieder des palästinensischen Parlaments
ins Gefängnis gesteckt. Nach der Abriegelung ist die Wirtschaft
zusammengebrochen, die Wasserversorgung funktionierte nicht mehr,
die Unterernährung der Kinder und die Armut waren nun viel höher als
jemals zuvor. Eigentlich verbietet das Völkerrecht eine solche
„kollektive Bestrafung“, das kümmert Israel aber nicht. Übrigens
hatte Israel die Abriegelung von Gaza eigentlich nur gut gemeint:
der Chefberater des Premierministers, Dov Weissglass, hatte 2006
gesagt, dass die Palästinenser mit der Abschnürung „auf Diät gesetzt
werden, aber nicht vor Hunger sterben sollten“. Leider hat das nicht
geklappt, denn seitdem sind schon viele palästinensische Kinder an
Unterernährung und Krankheiten gestorben. Aber wir können nur noch
einmal wiederholen: Israel ist ein ganz besonderes Land.
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In Ihrer Reisegruppe werden Sie
sich bestimmt auch über den „Gaza-Krieg“ unterhalten, weshalb wir
Ihnen hier nur rasch das Wichtigste dazu sagen wollen. Leider ist
das ein sehr trauriges Thema, weil unvorstellbar viele
palästinensische Menschen dabei ihr Leben verloren haben oder schwer
verletzt wurden Außerdem wurden Tausende Häuser, Betriebe und die
Wasser- und Elektrizitätsversorgung zerstört und konnten bis heute
nicht wieder aufgebaut werden, wegen der Abriegelung durch Israel.
Der Krieg Israels gegen Gaza dauerte 22 Tage. Können Sie sich
vorstellen, dass in diesen drei Wochen, bis zum 18. Januar 2009, von
den nur 1,5 Millionen Einwohnern nicht weniger als 1.450
Palästinenser getötet und Zehntausende, viele von ihnen schwer,
verwundet wurden? Sie können sich das nicht richtig vorstellen?
Also: Bezogen auf die Bevölkerungszahl Deutschlands sind das 80.000
Tote und 340.000 Verwundete! Allein 330 palästinensische Kinder
verloren ihr Leben! Da die Bevölkerung nirgendwo hin fliehen konnte,
haben viele Menschen das israelische Dauerbombardement als
„Massaker“ bezeichnet, bei dem ganze Stadtviertel in Schutt und
Asche gelegt wurden. Sie wollen wissen, wie viele israelische
Soldaten Opfer der palästinensischen Kämpfer wurden? Es waren 6,
außerdem kamen in Israel 3 Zivilisten ums Leben. Die israelische
Regierung nannte den Krieg übrigens „Gegossenes Blei“, in Anlehnung
an ein jüdisches Kinderlied. Viele Menschen meinen aber, dass
„Vergossenes Blut“ besser passen würde. Wenn Sie mehr darüber
erfahren wollen, was sich im „Gaza-Krieg“ genau abgespielt hat,
nehmen Sie doch einfach das neue Buch „Gaza-Mensch bleiben“ von
Vittorio Arragoni mit. Dort steht alles drin. Und ein allerletztes:
beim Thema „ wird die Rede schnell auf Professor Richard Goldstone
kommen. Der hat im Auftrag der Vereinten Nationen einen offiziellen
Bericht über den „Gazakrieg“ geschrieben, den Sie seit Kurzem auch
in einer deutschen Übersetzung lesen können.
Vielleicht stellen Sie am Ende Ihrer
Reise fest, dass die Werbung Ihnen einiges vorenthalten hatte, was
Sie schon gerne vor der Reise gewusst hätten. Zum Beispiel, dass es
in Israel viele Menschenrechtsorganisationen gibt, die die
Missstände im Land aufdecken und anprangern: die
Menschenrechtsverletzungen, die Demütigung der Palästinenser, die
Korruption im eigenen Staat, den Diebstahl von Land eines anderen
Volkes, die Angriffe der fanatischen Siedler auf palästinensische
Bauern, und vieles andere mehr. Auf diese Menschenrechtsgruppen kann
Israel wirklich stolz sein, und vielleicht können Sie Ihren
Reiseveranstalter überzeugen, dass er Ihrer Gruppe ein Gespräch mit
einer solchen Organisation ermöglicht. Und dann gibt es auch das
Büro der vereinten Nationen für die Palästinenser. Es heißt „Office
for the Coordination of Human Affairs in the occupied Palestinian
territory“ und liegt in Ost-Jerusalem. Die können alle Ihre Fragen,
die Sie am Ende Ihrer Reise zur Lage der Palästinenser haben,
beantworten.
Wenn Sie wirklich nach Israel fahren:
Sie werden vieles erleben, was es so in demokratischen Staaten
einfach nicht mehr gibt. Einiges davon haben wir für Sie
aufgeschrieben, aber es gäbe noch viel mehr zu berichten. Also Augen
auf und gute Reise!