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Manifest zu
einer differenzierteren Beurteilung der Situation in den
marokkanischen Südprovinzen und den Vorgängen um die Räumung des
Lagers Gdeim Izik
Rachid Boutayeb
und Mohammed Khallouk
Die Räumung des Lagers Gdeim Izik in
der Nähe von Laayoune in der marokkanischen Südprovinz und die
anschließenden gewalttätigen Unruhen in der Stadt Laayoune haben,
getragen von einer einseitigen, den Ereignissen unangemessenen
ausländischen Mediendarstellung zu heftigen Reaktionen in Europa
geführt. Das europäische Marokkobild ist dabei so sehr in
Mitleidenschaft geraten, dass das Europaparlament in Straßburg sich
veranlasst sah, mit Zustimmung aller zahlmäßig bedeutsamen
Fraktionen am 25.11.2010 einen Entschließungsantrag zu unterstützen,
der Marokko als Land darstellt, das vorsätzlich Gewalt gegen
unbewaffnete Zivilisten einsetze. Weiterhin wird Marokko
unterstellt, den Menschenrechten in der Auseinandersetzung mit den
separatistischen Bestrebungen in seinen Südprovinzen keinerlei
Beachtung entgegen zu bringen und ausländischen Journalisten sowie
unabhängigen politischen Beobachtern generell den Zugang zu der
Konfliktregion zu versperren.
Die von der POLISARIO vertretene und
lange Zeit auch in Europa als widerlegt geltende These, dass Marokko
mit Gewalt die ehemals spanisch beherrschte Westsaharaprovinz
besetzt habe und der dortigen Bevölkerung ihr Selbstbestimmungsrecht
vorenthalte, findet wieder verbreitete Anhängerschaft nördlich des
Mittelmeers. Nach dem Antrag des Europaparlaments soll nun eine
„unabhängige Kommission“ unter der Leitung der UNO die angeblichen
„marokkanischen Menschenrechtsverletzungen“ überprüfen, damit die
Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden.
Als deutsche Bürger marokkanischer
Abstammung wehren wir uns entschieden gegen diese einseitige
Parteinahme der höchsten europäischen Legislative in diesem Konflikt
zum Schaden Marokkos, eines der traditionell engsten Verbündeten der
Europäischen Union. Das Europaparlament hat sich in Geiselhaft von
parteilich berichtenden Medien, von antimarokkanischen Ressentiments
geleiteten Ideologen von rechts und links, sowie marokkanischen
Anliegen entgegenstehenden Interessengruppen begeben und trägt mit
dieser Resolution dazu bei, das europäisch- marokkanische Verhältnis
nachhaltig zu belasten.
Vor diesem Hintergrund erachten wir es
für angebracht, in diesem Manifest die Hintergründe dieser fatalen
Parlamentsresolution zu erläutern, unsere Version der beschriebenen
Ereignisse und darüber hinaus des gesamten Westsaharakonflikts
darzustellen, sowie Perspektiven aufzuzeigen, wie Europa
diesbezüglich zu einer objektiven Bewertung zurückgelangen kann, die
dazu beiträgt, das gegenseitige Vertrauen zwischen der Europäischen
Union und dem Königreich Marokko wiederherzustellen.
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Die
Initiative ging vor allem von Abgeordneten der spanischen
konservativen Partido Popular (PP) aus, die ihre historischen
Wurzeln im Franko-Regime besitzt, dessen Ende die Grundlage für
die Aufgabe des über Jahrzehnte bestehenden spanischen
Protektorats Westsahara im Süden Marokkos bildete, der mancher
spanische Nationalist offenbar bis heute nachtrauert. Vor allem
in den touristischen Zentren Spaniens wie den Kanarischen Inseln
mag auch die Furcht vor einer Konkurrenz durch die mutmaßlich
preisgünstigeren Angebote aus Marokko ein Motiv für das
Engagement darstellen, denn eine friedliche Einigung im
Westsaharakonflikt würde die Attraktivität gerade auch dieser
Provinz für mitteleuropäische Touristen wie Investoren
befördern.
Die Tatsache, dass das Völkerrecht nur
der gefundene Vorwand, nicht aber das eigentliche Leitmotiv jener
spanischen Aktivisten darstellt, lässt sich daran belegen, dass jene
Kräfte sich bislang am wenigsten für eine völkerrechtlich tragbare
Lösung des Konflikts um die letzten verbliebenen spanisch
beherrschten Enklaven Nordafrikas, die beiden Mittelmeerküstenstädte
Ceuta und Melilla, die auch von marokkanischer Seite akzeptiert
wird, eingesetzt haben. Ernsthafte Versuche, zu einer mit dem
Völkerrecht vereinbaren und von den dortigen Bewohnern majoritär
akzeptierten endgültigen Regelung der Autonomieansprüche der Basken
und Katalanen zu gelangen, sind von der PP und ihr nahestehenden
Interessengruppen ebenfalls bislang nicht erfolgt. Hierin liegt eine
der Ursachen, warum die Attentate der baskischen Terrororganisation
ETA während der Regierungszeit der PP in Madrid besonders zahlreich
und heftig waren. Vielmehr wurde in jener Zeit das spanische
Ausländerrecht entgegen den Vorgaben aus Brüssel in inhumaner Weise
verschärft und eine Politik der Desintegration bzw. Assimilation der
muslimischen, aus Nordafrika stammenden Immigranten betrieben,
welche die nach der Franko-Ära begonnene politische Aussöhnung
Spaniens mit Marokko beinahe zum Stillstand gebracht hätte.
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Wichtige Initiativgeber des Entschließungsantrags des
Europaparlaments sind auch Vertreter der äußersten Linken (u.a.
der deutschen Linkspartei und der französischen Kommunisten),
die ihre Wurzeln z.T. im Stalinismus besitzen. Hier sollen
offenbar die alten Verbindungen europäischer kommunistischer
Parteien und ehemals sozialistischer Staaten Mittelosteuropas
zur saharaouirischen Sezessionsbewegung POLISARIO und ihrem
Verbündeten Algerien erhalten und wiederbelebt werden.
Bezeichnenderweise kam von dieser Seite bisher noch nie
öffentliche Kritik an der Menschenrechtssituation in den Lagern
im algerischen Tindouf, obwohl parteiunabhängige internationale
Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch diese
bereits seit Jahren beklagen.
Weitere Initiatoren sind
interfraktionelle Aktivgruppen von Parlamentariern wie die aus 60
Abgeordneten bestehende „interfraktionelle Arbeitsgruppe
Westsahara“, die gegenwärtig vom Bopparder SPD-Europaabgeordneten
Norbert Neuser angeführt wird. Getragen von ihrem offensichtlichen
Glauben, eine unabhängige Westsahara könnte der Region Frieden und
Fortschritt bescheren, interpretieren sie jegliche Vorfälle dort, in
der Hinsicht, dass die saharaouirische Bevölkerung insgesamt von den
Behörden Marokkos benachteiligt und unterdrückt werde. Diese
einseitige Sichtweise hat so manch einer offenbar auch noch aus den
80er Jahren herübergerettet, in der eine kritische Grundeinstellung
gegenüber dem amerikanischen Konservatismus der Reagan-Ära und damit
auch zum als amerikafreundlich geltenden marokkanischen Königshaus
eine allzu große Nachsicht gegenüber der Menschenrechtspolitik
prosowjetisch eingestellter linksgerichteter Regime und Bewegungen
häufig mit sich brachte. Den Vorwurf, unabhängigen Parlamentariern
würde der Zugang durch die marokkanischen Behörden verweigert,
können zudem nur diejenigen berechtigterweise erheben, die bereit
sind, sich wirklich unvoreingenommen mit diesem Konflikt
auseinanderzusetzen und die Argumentation der marokkanischen Seite
gleichermaßen in ihre Lageanalyse einzubeziehen.
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Bei
der Entscheidung für diesen Entschließungsantrag wurde die
Tatsache nicht berücksichtigt, dass die Lagerproteste in Gdeim
Izik zeitgleich mit offiziellen Verhandlungen zum endgültigen
Status der marokkanischen Südprovinzen stattfanden. Die bei den
Protesten beklagten, unzweifelhaft vorhandenen Probleme der
saharaouirischen Bevölkerung wie Arbeitslosigkeit, Armut und
Wohnungsnot werden bei diesen Verhandlungen wohl kaum ausgespart
worden sein. Die Erstürmung des Lagers fand zudem erst statt,
als die Verhandlungen sich bereits in einem fortgeschrittenen
Stadium befanden. Erst dadurch, dass sozialpolitische
Forderungen in den Vordergrund gestellt worden sind, ist den
Organisatoren des Protestes gelungen, den Unterstützerkreis von
anfangs wenigen 100 auf über 1000 Personen auszuweiten. Dies
hätte auch als Indiz dafür gewertet werden können, dass das
Hauptziel der POLISARIO, ein eigener Westsaharastaat, bei der
dortigen Bevölkerung majoritär kaum noch auf Interesse trifft.
Erst als man sich angesichts der marokkanischen Militäraktion in
der Opferrolle wähnte, konnten diese Forderungen wieder
öffentlich erhoben werden.
Mag man nicht auch eine Absicht hinter
diesem gewählten Zeitpunkt für die Proteste erkennen? Es scheint
vielmehr ein sicheres Indiz dafür, dass die Initiatoren gar nicht an
einem Erfolg am Verhandlungstisch interessiert waren und sind, denn
dieser würde – so befürchtet man offenbar- ein Ergebnis zutage
fördern, dass den eigenen Interessen und politischen Machtansprüchen
zuwider läuft. Es galt folglich, einen Weg zu finden, die
Verhandlungen gesichtswahrend, jedoch ergebnislos zu beendigen und
in der Öffentlichkeit der marokkanischen Obrigkeit die Verantwortung
hierfür zuzuschieben. In dem diese nun von ihren europäischen
Verbündeten in Straßburg und Brüssel als „Verletzer der allgemeinen
Menschenrechte“ öffentlich angeprangert wird, kann dieses Ziel als
weitgehend erreicht gelten.
Schließlich hatte sich gerade in
Europa, aber auch in den USA, wo die Verhandlungen stattfanden,
vermehrt die Erkenntnis durchgesetzt, dass die von der UNO
ursprünglich favorisierte Referendumslösung, die nach ihren
Befürwortern mutmaßlich auf eine „souveräne Westsahara“ hätte
hinauslaufen sollen, nicht die Garantie für den erstrebten Frieden
und die Prosperität in der Region darstellen würde. Die gemeinsam
mit der EU vom marokkanischen Staat geförderten Investitionen für
das sogenannte Desertec-Projekt, wozu man gerade im Süden Marokkos
großflächige Areale ausgewählt hat, können vielmehr als Beleg dafür
gewertet werden, dass die moderne Energiewirtschaft schon lange die
bestehenden Grenzen als Basis für ihre Aktivität dort angesehen
hatte, mit der sie zugleich zur Überwindung der strukturellen
Unterentwicklung der Region gegenüber Nord- und Zentralmarokko und
ihrer weitgehenden Unabhängigkeit vom Weltmarktpreis für Phosphat
hätte beitragen können.
Wer nun die sozialen Probleme der
Gegenwart öffentlich beklagt, sollte die von Investorenseite als
geeignet geltenden Rahmenbedingungen für die Zukunft nicht mit
politisch motivierten Unruhen und gewaltsamen Protesten bewusst
verschlechtern. Hiermit stellt er den Beweis, dass ihm an einer
ernsthaften Bewältigung der beklagten sozioökonomischen
Unzulänglichkeiten überhaupt nicht gelegen ist. Er muss diese sogar
befürchten, denn damit würde ihm die argumentative Grundlage für die
Proteste entzogen und somit auch die Anzahl der politischen
Sympathisanten, denen eine entwickelte, mit neuester, ökologisch
weitgehend unbedenklicher Technologie ausgestattete marokkanische
Südprovinz mutmaßlich attraktiver wäre als ein souveräner Kleinstaat
in der Sahara in ökonomischer Perspektivlosigkeit.
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Europa
sollte sich zudem verstärkt dem Interesse des totalitären
Obristensystems Algeriens bewusst sein, demokratische
Entwicklungen im Nachbarland nicht an die Öffentlichkeit dringen
zu lassen oder gar bewusst zu unterminieren. Die
Aufrechterhaltung des bewaffneten Konflikts und damit auch des
Ausnahmezustands in den marokkanischen Südprovinzen dient dem
algerischen Geheimdienst hierbei seit Jahren als probates
Mittel. Die marokkanische Darstellung, algerische Agenten hätten
hinter den Organisatoren des Lagerprotest in Gdeim Izik und der
Unruhen in Laayoune gestanden, müsste von der geforderten
Untersuchungskommission, sofern sie sich berechtigterweise als
„unabhängig“ bezeichnen kann, zumindest ebenso geprüft werden
wie mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen der marokkanischen
Armee.
Die zahlreichen saharaouirischen
Dissidenten, die sich von der POLISARIO und ihren Zielen absetzen
und z.T. aus den algerischen Lagern in die marokkanischen
Südprovinzen zurückkehren, sollten nicht unbeachtet bleiben und zum
Hinterfragen der vielfach geäußerten These einer kollektiven
Benachteiligung der Saharaouiris gegenüber Siedlern aus Nord- und
Zentralmarokko verleiten. Die große Anzahl dieser Rückkehrer lässt
die marokkanische Version nicht unwahrscheinlich erscheinen, dass
sich algerische Agenten gezielt hierunter gemischt haben.
Schließlich liegen die Lager in Tindouf, unkontrolliert von der
internationalen Gemeinschaft, vollständig unter der Obhut
algerischer Behörden.
Die algerische Obstruktionspolitik
gegenüber den politischen Reformen in Marokko und der friedlichen
Suche nach einer Konfliktlösung in seinen Südprovinzen erklärt sich
nicht zuletzt aus der Erkenntnis Algiers, dass Marokko sich seit dem
Mittelalter immer wieder als Beispiel für eine weltoffene
maghrebinische Gesellschaft gezeigt hat, die neuzeitlich auch ihre
ethische Verbundenheit zu den westlichen Demokratien öffentlich
demonstriert hat. Schließlich war Marokko seiner Zeit das erste
Land, das die USA anerkannte.
Während in Marokko heutzutage ein
Mehrparteiensystem besteht, in dem Säkularisten ebenso ihre
parlamentarische Vertretung zugestanden ist wie gemäßigten
Islamisten, hält das Nachbarland Algerien wie die meisten anderen
Maghrebstaaten an der militärisch gestützten Einparteienherrschaft
fest und zielt darauf ab, unter dem Vorwand der „Bekämpfung
islamistischer Terroristen“ jegliche politische Opposition zu
inkriminieren und zu unterdrücken.
Ist den Berbern in Marokko mittlerweile
der öffentliche Gebrauch ihrer verschiedenen Berbersprachen
zugestanden, denen sogar in einigen Regionen der Status als zweite
Unterrichtssprache zugewiesen ist, hat das algerische Obristensystem
jegliche Anliegen seiner berberischen Völker bislang ignoriert.
Diesbezügliche Forderungen zogen sogar immer wieder Repressionen des
Regimes mit Inhaftierungen und Folterungen nach sich.
Auch die von den Protestierern zu Recht
beklagten sozialstaatlichen Defizite werden in Marokko öffentlich
thematisiert und es bestehen politische Bemühungen, diese zu
minimieren. König Mohammed VI. hat die Bekämpfung der Armut nicht
nur zu einem seiner Hauptanliegen erklärt, sondern seit seiner
Inthronisierung 1999 sind zahlreiche staatlich unterstützte Projekte
zum Abbau von Analphabetismus und Bildungsdefiziten ins Leben
gerufen worden, um den Betroffenen für einen Ausweg aus der
Dauerarmut die Basis zu legen.
Das reichhaltig mit Öl und Gas
ausgestattete Nachbarland nutzt die aus dem Rohstoffexport erzielten
Devisen jedoch in keiner Weise, um soziale Notlagen der eigenen
Bevölkerung zu verringern. Stattdessen sind Armut, Arbeitslosigkeit
und Analphabetismus in diesem nominell reicheren Land in noch
erheblich größerem Ausmaß verbreitet als im benachbarten Königreich,
da der Reichtum wesentlich für den Import von Waffen und
militärischem Gerät aufgezehrt wird. Vielmehr hat das massenweise
Vorhandensein fossiler Energieträger in Algerien offenbar dazu
verleitet, für die Entwicklungen neuer Technologien der
Energiegewinnung kaum Engagement aufzubringen. Während in Marokko
mit Solarenergie und Importstrom mittlerweile gelingt, seine
Metropolen wie Casablanca und Rabat fast vollständig mit
Elektrizität zu versorgen, sind in Algier nach wie vor große
Stadteile Wochen, manchmal sogar Monate ohne Strom. Von einer
Versorgung des ländlichen Raumes, insbesondere in der Wüste im
Zentrum des Landes ist man noch meilenweit entfernt.
Die Unterschiede zwischen der
marokkanischen und der algerischen Politik zeigen sich auch
gegenüber der jüdischen Minorität. In Marokko besteht seit
Jahrhunderten eine fest in der Gesellschaft verankerte jüdische
Gemeinschaft, die seit der Meriniden- spätestens aber seit Beginn
der Alaouitendynastie sogar einen besonderen Schutz und
Unterstützung Seitens der Obrigkeit genießt. Nicht umsonst hat ein
wesentlicher Teil der angesichts der Inquisition aus Spanien
vertriebenen Juden in Marokko sein neues Lebensumfeld gefunden. Die
marokkanischen Juden hatten während der Herrschaft des mit Hitler
verbündeten französischen Vichy-Regimes – im Gegensatz zu ihren
Glaubensgenossen im nationalsozialistisch beherrschten Europa, aber
auch in den anderen französischen Kolonien – das Glück, einen
marokkanischen Sultan auf ihrer Seite zu haben, der sie vor der
Deportation in die Konzentrationslager bewahrte. Die marokkanischen
Bemühungen um eine friedliche Koexistenz von Juden und Muslimen
setzten sich im postkolonialen Staat fort, wo Marokko nicht nur
inoffizielle Beziehungen zum Staat Israel pflegt, sondern darüber
hinaus als erstes und bisher einziges Mitglied der Arabischen Liga,
die Aufnahme Israels in diese Gemeinschaft gefordert hat. Der
Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten 1978 in Camp David ist
nicht zuletzt durch die Unterstützung marokkanischer Vermittlung
zustande gekommen wie sich Marokko auch immer wieder für einen
friedlichen Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern
eingesetzt hat.
Gerade dieses marokkanische Engagement
für Frieden im Nahen Osten trifft in Algier auf Missgunst und
Zurückweisung. Nicht umsonst hat man dort den iranischen Präsidenten
und Holocaust-Leugner Ahmedineschad zu einem offiziellen
Staatsbesuch empfangen und zielt darauf ab, eine algerisch-iranische
Allianz gegen das als „Verbündeten Israels“ abgestempelte Königreich
Marokko zu schmieden.
Die Europäische Union, die sich immer
wieder als Garant des Existenzrechts Israels präsentiert und den
Iran der illegalen Produktion von Nuklearwaffen bezichtigt, sollte
sich überlegen, von welcher Seite sie am ehesten das Interesse an
Frieden und Ausgleich in der maghrebinischen Region und speziell in
den marokkanischen Südprovinzen erwarten kann, von einer autonomen
Provinz, deren Angelegenheiten nach außen hin weiterhin von der
marokkanischen Zentralregierung vertreten werden oder von einem
formal unabhängigen Westsaharastaat, der aber in Abhängigkeit von
erklärten Gegnern der westlichen Demokratie und des friedlichen
Ausgleichs im Nahen Osten wie weltweit steht.
Eine EU, die an der Demokratisierung
ihrer Nachbarn interessiert ist, darf Menschenrechtsverletzungen in
Marokko – einschließlich seiner Südprovinzen – in keinem Fall
unbeachtet lassen. Ebenso sehen sich die Europäer jedoch
aufgefordert, den durchgeführten Reformen im humanen Bereich größere
Beachtung zu schenken und ihre Realisierung in der Praxis zu
honorieren und zu unterstützen. Die berechtigterweise angesprochenen
Probleme der Protestierenden hängen schließlich nicht zuletzt mit
demokratischen und sozialstaatlichen Defiziten zusammen, unter denen
nicht nur die Saharaouiris, sondern die Majorität der Marokkaner
leiden. Im Vergleich zu den maghrebinischen Nachbarstaaten – allen
voran Algerien, aber auch Tunesien, Libyen und Mauretanien –
erscheinen diese jedoch marginal. Deshalb besitzen deren
Herrschaftseliten kein Interesse am Erfolg der politischen Reformen
in Marokko, mit denen das Königreich den Beleg erbringen könnte,
dass Islam und maghrebinische Kultur zu Demokratie und
Menschenrechten keinen prinzipiellen Gegensatz darstellen. Die
Legitimationsgrundlage ihrer autoritären maghrebinischen
Herrschaftssysteme wäre damit in Frage gestellt.
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Ebenso
notwendig wie eine unabhängige Untersuchungskommission zur
angeblichen Beschneidung der Berichterstattung für ausländische
Journalisten erscheint schließlich eine kritische Überprüfung
der gelieferten journalistischen Beiträge und ihrer Urheber.
Hierbei lässt sich der Tatsache nicht entgehen, dass spanische
Journalisten unter den ausländischen Berichterstattern
überproportional vertreten sind, von denen zudem ein
wesentlicher Teil Marokko gegenüber reserviert eingestellten
Parteien wie der rechtskonservativen PP oder der Vereinigten
Linke nahesteht. Eine internationale unabhängige
Berichterstattung ist erst gewährleistet, wenn Journalisten vom
gesamten Globus in der Region gleichermaßen vertreten sind und
vor allem aus jenen Staaten, die dort keine spezifischen
Interessen besitzen. Für die ehemalige Protektoratsmacht, das
Nachbarland Spanien, bedeutendster Konkurrent Marokkos auf dem
Tourismus-, Fischerei- wie auch Agrarsektor innerhalb der
Europäischen Union trifft dieses Kriterium eindeutig nicht zu.
Als Beleg für die Einseitigkeit und
Voreingenommenheit der wichtigsten spanischen Presseorgane können
die Zeitungsveröffentlichungen der etablierten überregionalen
Tageszeitungen El Mundo und El Pais herangezogen werden, wo ein 2006
aufgenommenes Foto mit zwei verletzten Kindern aus dem
palästinensischen Gazastreifen bei einem Bericht über den
Westsaharakonflikt gezeigt wurde. Ebenso ist ein Bericht des
Fernsehsenders Antenne 3 anzuführen, in dem ein Foto von einer
Januar diesen Jahres ermordeten Familie in Casablanca bei einem
Beitrag über den Westsaharakonflikt als Argument für das angebliche
„grausame Vorgehen der marokkanischen Sicherheitskräfte“ präsentiert
wurde. In einem Bericht von Europa Press wurden sogar zwei
angebliche „Todesopfer“ der marokkanischen Sicherheitsorgane
gezeigt, wobei sich später herausstellte, dass beide erwähnten
Personen bis heute am Leben sind. Entsprechend sieht sich die
Agentur nun einer Klage wegen der Verbreitung von Fehlinformation
und des Missbrauchs von Bildmaterial für verleumderische Zwecke
gegenüber.
Eine oberflächliche Quellenrecherche
dieser Qualität ist in weltweit anerkannten Medien nur denkbar, wenn
Redaktionen und berichterstattende Journalisten bereits eine so
einseitige, vorgefasste und unreflektierte Sichtweise des Konflikts
besitzen, dass sie jegliches als „Bestätigung dieser Sichtweise“
präsentiertes Material ungeprüft als „Realität“ auffassen. Das
Fatale dabei zeigt sich darin, dass auf diese Weise die
sachunkundige Bevölkerungsmajorität in Spanien kein differenziertes
Bild von der Situation im marokkanischen Süden bekommen kann, zumal
sich auch die Marokko tendenziell freundlich gesinnten Parteien
nahestehenden Medienorgane von dem Königreich ohnehin reserviert
eingestellten Organen die Berichte zuspielen lassen.
Eine Ursache für die leichte
Beeinflussbarkeit der europäischen Politik in der Westsaharafrage
liegt auch darin, dass dieser Konflikt - außer in Spanien - in den
renommierten europäischen Medien kaum thematisiert wird. Dadurch
sehen sich Abgeordnete wie gewöhnliche Bevölkerung kaum in die Lage
versetzt, sich ein umfassendes Bild von der Situation zu zeichnen,
mit dem sie sich gegen offensichtliche Vereinnahmungsversuche
derjenigen schützen können, die in der Region spezifische, der
europäischen Außenpolitik insgesamt entgegenstehende Eigeninteressen
besitzen und demzufolge jegliche Ereignisse dort in diesem Sinne zu
interpretieren suchen.
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Im
Zusammenhang mit dem Entschließungsantrag des europäischen
Parlaments wurde auch die Forderung erhoben, politischen Druck
auf Marokko auszuüben und dem Land bereits zugestandene
Sonderrechte gegenüber den EU-Mitgliedern im Handel, in der
Fischerei und auf dem Agrarsektor auf den Prüfstand zu stellen.
Wer einen langjährigen Verbündeten der EU angesichts
unbewiesener Medienberichte dermaßen als „Gewalttäter“
stigmatisiert und mit politökonomischen Sanktionen zu belegen
beabsichtigt, sollte seine Augen vor dem Verhalten des
Konfliktgegners, der sezessionistischen POLISARIO, nicht weiter
verschließen.
Die Liste der tatsächlichen und
vermeintlichen Verstöße gegen die Menschenrechte durch
POLISARIO-Kämpfer wie ihre Sympathisanten ist lang. Es lässt sich
kaum ein Gewaltverbrechen finden, dass POLISARIO-Anhängern von
Gegnern und Menschenrechtsorganisationen nicht zur Last gelegt wird.
Von Mord über Schutzgelderpressung bis zur Geiselnahme und
Freiheitsberaubung reichen die Vorwürfe. Sogar öffentliche
Enthauptungen und Schlachtrituale bei den Opfern - zumeist
marokkanische Soldaten und Polizisten, aber auch Dissidenten
innerhalb der eigenen Organisation - sollen verübt worden sein. Da
scheint es nicht verwunderlich, wenn für eine enge Verbindung zur
maghrebinischen Unterabteilung des Netzwerks Al Qaida immer mehr
Indizien gefunden werden.
Selbst wenn der letzte Beweis hierfür
noch aussteht, die offizielle Einstufung als „Terrororganisation“
müsste angesichts der Maßstäbe, die Europa mit diesem
Entschließungsantrag gegenüber einem souveränen Staat anlegt, bei
dem nicht nur die Menschenrechte in der Verfassung verankert sind,
sondern der sich darüber hinaus eine Wahrheitskommission leistet, um
eigene Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit aufzuklären,
längst auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Rachid Boutayeb und
Mohammed Khallouk
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