TRANSLATE
Israels Anwendung von Folter muss auch enthüllt werden
Mustafa Barghouti, 7.6.2004
Die Bilder von
amerikanischen Soldaten, die die Gefangenen im Abu Ghraib-Gefängnis
im Irak gefoltert haben, haben die Welt erschüttert. Dem
palästinensischen Volk jedoch sind diese Bilder von Personen mit
über den Kopf gestülptem Sack oder nackt keine Überraschung. Denn
Zehntausenden von Palästinensern, die in israelischen Gefängnissen
waren, kommen mit diesen Bildern die Erinnerungen an die eigene
Folter wieder zurück.
In vielen Fällen
weist die Behandlung der Irakis in Abu Ghraib eine auffallende
Ähnlichkeit zu den israelischen Foltermethoden auf. Beschuldigungen
gehen nun durch die Weltpresse, dass israelische Geheimdienstleute
tatsächlich beim Training privater (unter Vertrag stehender)
US-Sicherheitsleute, die in den Irak gesandt wurden, beteiligt
waren.
Egal, ob dies
stimmt oder nicht, die Welt muss zur Kenntnis nehmen, dass Folter in
Israel an der Tagesordnung ist. Es genügt nicht, dass die
Handlungen dieser amerikanischen Soldaten verurteilt und die
systematischen Menschenrechtsverletzungen gegenüber den
Palästinensern ignoriert werden. Wie die USA erhebt Israel Anspruch
auf die höchsten moralischen Standards, doch anscheinend gibt es
innerhalb der israelischen Streitkräfte und der Regierung Elemente,
für die Folter eine notwendige und akzeptable Waffe ist. Die
Verweigerung der beiden Staaten, die Bedingungen des internationalen
Gerichtshofs anzunehmen, kann nur den weltweiten Verdacht
bestätigen, dass diese beiden Länder die Folter an Gefangenen
legitimieren wollen, ohne dass sie wegen dieser Misshandlungen
irgend wann zur Rechenschaft gezogen werden.
Der israelische
Oberste Gerichtshof hat am 9.September 1999 eine Anzahl von
Foltertechniken verboten. Doch wurden diese Methoden nie völlig
ungesetzlich. Stattdessen erlaubt das Gericht der Knesset weiterhin,
Gesetze zu erlassen, die dem Geheimdienst die Vollmacht gibt, solche
Methoden anzuwenden. Der Gerichtshof hält die Sicherheitsprobleme,
mit denen Israel sich konfrontiert sieht, als so gravierend an, dass
er dem Geheimdienst die Vollmacht für Folter gewährt.
Die Entschuldigung
mit der sog. „tickenden Bombe“ lässt Israel freie Hand, die in
seiner Gewalt befindlichen Gefangenen, einschließlich Kinder, zu
missbrauchen. Menschenrechtsgruppen behaupten, dass Folter in
israelischen Gefängnissen vermehrt und seit März 2002
systematischer angewandt worden ist. Die Verletzungen der Genfer
Konventionen gegen Folter ist jetzt alltäglich geworden, nachdem
das Militär über die besetzten Gebiete seine Macht wieder voll
ausübt.
Die israelische
Armee und Polizei erhalten auch bedingungslosen Rückhalt vom
Rechtssystem des Landes, indem die „Kultur der Straflosigkeit“ ( für
Folterer) in israelischen Gefängnissen andauert. Das Öffentliche
Komitee gegen Folter in Israel (PCATI) hat herausgefunden, dass der
israelische Oberstaatsanwalt jeden Fall von Folter als notwendige
Sicherheitsmaßnahme anerkannt hat. Der Oberste Gerichtshof hat jede
einzelne der 124 Petitionen, die von PCATI vorgelegt wurden,
zurückgewiesen: jedem Gefangenen wurde die Möglichkeit rechtlicher
Unterstützung verweigert.
Die Tausenden von
Statements, die von früheren palästinensischen Gefangenen abgegeben
wurden, geben Zeugnisse von Beispielen, auf welche Weise ihre
früheren Folterer an ihre Aufgabe herangingen. Genau wie im Irak
lief jede Demütigung und jeder Missbrauch unter „erlaubt“, wenn es
unter dem scheinbaren Banner der Sicherheit ablief. Die unbekümmerte
Nichtbeachtung der menschlichen Würde und des internationalen
Gesetzes innerhalb der israelischen Armee und Polizei ist genau so
atemberaubend wie verabscheuungswürdig.
Trotz aller Beweise
des Gegenteils, einschließlich des Todes oder der Verstümmelung von
zahlreichen palästinensischen Gefangenen, verleugnet Israel
weiterhin, dass Folter in seinen Gefängnissen praktiziert wird.
Mehr als 7000
palästinensische Gefangene sind zur Zeit in israelischen
Gefängnissen, viele von ihnen ohne Anklage und Gerichtsverhandlung.
Die meisten werden einen gewissen Grad an Folter vor ihrer
Entlassung durchleiden müssen. Es ist erschreckend, feststellen zu
müssen, dass rund 650 000 Palästinenser seit 1967 eine Zeit in
israelischen Gefängnissen verbracht haben, also die meisten
männlichen Erwachsenen. Das heißt, dass fast jeder 2.
palästinensische Erwachsene schon hinter Gefängnismauern saß.
Die Folter im Abu
Ghraib-Gefängnis hat die Bushregierung aufs Tiefste erschüttert.
Damit endlich die
israelische barbarische Behandlung seiner palästinensischen
Gefangenen enthüllt und verurteilt werden, fehlen allein die
fotographischen Beweise. Das ist der einzige Unterschied zwischen
den beiden Fällen. Doch das Gewicht der Beweise gegen Israel durch
die Zeugnisse früherer Gefangenen und die Nachforschungen durch
Menschenrechts-Organisationen ist erdrückend.
Es genügt nicht,
die Aktionen der amerikanischen Soldaten in den irakischen
Gefängnissen zu verurteilen, während Tausende von Palästinensern
weiter unter Israels Folterpraktiken leiden.
Auch das muss
enthüllt werden.
Dr. Mustafa Barghouti,
Generalsekretär der Nationalinitiative.
„Palestine Monitor“
palmon(at)hdip.org
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs)
|