Brief an meine tote
Schwester
Juliet Altork
geschrieben von der 18-jährigen Juliet Altork, die seit Mitte November in
Würzburg einen vorbereitenden Deutsch-Kurs für das Studium in Deutschland
absolviert.
„Jene Nacht war schwarz wie Kohle, so kalt wie im ewigen Eis, und so laut,
lauter, als man sich nur vorstellen kann. Der Himmel war voller schwarzer
Wolken, die wie Verbrennungen rochen, und alle zwei Minuten waren
Explosionen zu hören. Jene Nacht war der siebte Tag des israelischen Krieges
im Gaza-Streifen. Der Krieg, den sie „gegossenes Blei“ nennen!
Meine Schwester Christen, 15 Jahre alt, schlief auf einer Matratze auf dem
Boden, neben meiner anderen, 16jährigen Schwester und meinem sechsjährigen
Bruder. Neben der Matratze schliefen meine Eltern in einem Bett. Meine
gesamte Familie schlief im selben Zimmer, in jener Nacht.
Während des Beschusses wachte Christen plötzlich auf, durch den Lärm einer
sehr großen Explosion in der Nähe unseres Haus, mit Atemnot. Die enorme Zahl
von Granaten und Raketen war zuviel für sie. Sie hatte Angst und konnte den
andauernden Beschuss sieben Tage lang hintereinander nicht mehr ertragen.
Obwohl es sehr gefährlich war, nach draußen auf die Straße zu gehen, ging
mein Vater das Risiko ein und nahm seine jüngste Tochter zum Auto, um sie
ins Krankenhaus zu bringen, um sie zu retten. Er raste gegen die Zeit an,
ignorierte die Geschosse, tat so, als ob er die Raketen nicht bemerken
würde, die über ihren Köpfen flogen, vergaß die Gefahr, durch die sie
mussten. Mein Vater fuhr unter einem Himmel, aus dem es Feuer regnete, und
durch eine Atmosphäre voller Angst. Trotz der Angst, des Feuers, und der
Gefahren, nahm ihre junge Seele alles um sich herum auf und verließ ihren
Körper in den Armen ihres Vaters und sagte Ade zu dieser Hölle auf Erden, in
der sie lebte.
In jener Nacht, dem 2. Januar 2009, war ein weiteres unschuldiges Opfer für
tot erklärt worden, um den Gefallen an der israelischen Sucht nach
palästinensischen Toten zu erhöhen. Meine kleine Schwester teilte mit mir
ihre Träume und Hoffnungen. Meine kleine Schwester, die immer lachte und
jeden in ihrer Umgebung erfreute. Sie war jedem, der sie kannte, ein enger
Freund. Christen wusste, dass sie in einem besetzten Land lebte und ihr
Leben so vollkommen anders war als das, das andere Menschen in ihrem Alter
auf der ganze Welt haben. Entsprechend dieser Wahrheit, versuchte sie, sich
eine eigene Welt aufzubauen. Eine Welt der Freude, des Lachens und der
Träume; in der Hoffnung, dass sich die reale Welt eines Tages einmal ändern
wird. Ich weiß nicht, ob das ein Fehler ist (trotz alledem, das Leben so zu
leben und das Beste zu versuchen, zu lachen und zu träumen), aber es
scheint, dass die Antwort ein „Ja“ gewesen ist; das ist ein Fehler, und uns,
den Palästinensern, sind unsere geringsten Rechte auf Lachen, Träumen und
Hoffen auf eine bessere Zukunft verboten.
In jener Nacht tötete der Krieg nicht allein meine Schwester, sie hinterließ
eine ganze Familie, die jede Sekunde an gebrochenem Herzen stirbt. Die
Tränen und Schreie reichen nicht aus, um zu beschreiben, was ich tief in
meinem Herzen fühle, während mich die Trauer in Stücke reißt. Es gibt weder
Worte, die das Leiden meiner Eltern beschreiben können, noch
Beileidsbekundungen, die ihre brennenden Herzen kühlen können. Es gibt kein
Mittel gegen den Schmerz meiner anderen Schwester und gegen meinen Schmerz,
dass wir unsere geliebte kleine Schwester verloren haben – und es gibt keine
Spielsachen oder Märchengeschichten, die meinen kleinen Bruder vergessen
lassen, was in jener Nacht geschah.
Christen war nicht die erste und die letzte, die durch die Hände der
Israelis gestorben ist, aber sie war ein Beispiel dafür, wie leicht diese
Monster töten können.
Als ein Mädchen von 18 Jahren kann ich nichts tun, weder was meine Schwester
zurückbringt, noch was die Israelis davon abhält, meine Nation umzubringen.
Alles, was ich tun kann, ist Gott darum zu bitten, die Seele meiner kleinen
Schwester zu sich zu nehmen und meine Familie und mein Land, Palästina, zu
segnen.
Zum Schluss bitte ich alle, die Gefühle haben, sich zu erheben, Hand in Hand
und zu sagen: GENUG mit dem Verbrechen gegen Pälastina.“
11.01.2009, ARD
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