Gaza-Fluch für Kinder in
Ramallah
Mohammed
AlMbeid Juni 2008
Dr. M. Al Mbeid ist ein
palästinensischer Bürger,
der mit seiner Familie in
Ramallah lebt. Er ist ein
Regierungs- und
Verwaltungsexperte mit einem
PhD für Stadt- und
Regionalplanung. Ich bin ein
palästinensischer Vater von
drei Kindern, Nahla, Yousef
und Mariam. Meine Frau Rania
wurde in Gaza geboren, und
wir leben alle in den
besetzten palästinensischen
Gebieten in Ramallah.
Am 12. Juni 2008 weinten
meine beiden Kinder Nahla
und Yousef so sehr wie noch
nie. Sie wurden für ein
Verbrechen bestraft, das sie
nicht begangen hatten und
konnten nichts dagegen tun:
der Geburtsort ihrer Mutter
was Gaza.
Nahla, 9, hatte grade ihr 4.
Schuljahr, und Jousef sein
1. Schuljahr beendet. Sie
waren begeistert von der
Aussicht, nach Amman reisen
zu dürfen. Ich hatte ihnen
für ihre guten Zeugnisse
versprochen, mit ihnen in
die jordanische Hauptstadt
Amman zu reisen, um dort ein
paar Tage bei der Tante,
Mutters Schwester, und ihrer
Familie zu verbringen. Nahla
und Jousef haben ein ganzes
Jahr davon geträumt. Sie
hatten sich schon lange
vorher überlegt, was sie
anziehen werden und welche
Orte sie besuchen und in
welches Restaurant sie gehen
werden, einschließlich
McDonald.
Wir ließen meine Frau Rania
und unsere jüngste Tochter
Mariam, 2, in Ramallah
zurück. Sie zurück zu
lassen, war nicht unser
Wunsch. Die israelischen
Besatzungsbehörden, die noch
immer den Zugang und die
Ausgänge der
palästinensischen Gebiete
und fast jeden Aspekt des
palästinensischen Lebens
kontrollieren, haben Rania
nicht als Bewohnerin von
Ramallah anerkannt. Unsere
drei Kinder jedoch sind alle
in Ramallah geboren, in der
Stadt, in der wir seit
unserer Hochzeit vor 10
Jahren leben. In einer
„normalen“ Welt und in
Übereinstimmung mit lokalen
und israelischen Regeln
sollten unsere Kinder
automatisch als Bewohner
Ramallahs gelten.
Auf unserm Weg nach Jericho,
wo wir die Allenbybrücke
nach Jordanien überqueren
wollen, erhielt ich einen
Anruf von einem Freund aus
Gaza. Als ich ihm erzählte,
dass ich mit zwei meiner
Kinder auf dem Weg nach
Jordanien bin, um in Amman
ihre Tante zu besuchen,
machte er folgende
Bemerkung: „Wie schön für
dich und deine Kinder –
meine Kinder können den
Gazastreifen wegen der
Belagerung nicht verlassen –
aber wenigstens könnt ihr
es.“ Wir lachten beide und
ich sagte am Telefon: „Ihr
Leute in Gaza steht unter
einem Fluch – bin ich froh,
dass meine Kinder nicht aus
Gaza sind.“
So dachten wir wenigstens,
bis wir zur israelischen
Seite der Allenby-Brücke
kamen. Als die israelische
Soldatin meinen Pass
abstempelte und mir damit
erlaubte, die Grenze zu
überqueren, verweigerte sie
aber Nahlah und Yousef , die
Grenze zu überschreiten.
Nach ihr und „ihrem Computer
sind sie aus Gaza“. Ich war
sehr erschrocken; denn dies
war das erste Mal, dass ich
dies hörte. Wie konnte das
sein? Sie sind meine Kinder,
die in Ramallah geboren
wurden und seitdem dort
leben. Wie und warum sind
sie als Gaza-Bewohner
registriert – das kann ich
nicht begreifen. Ich
versuchte mit der
israelischen Grenzpolizei zu
sprechen, um die Situation
zu klären, aber sie war
nicht sehr daran
interessiert. Tatsächlich
war sie kaum bereit, mit mir
zu sprechen und gab mir zu
verstehen, dass dies mein
Problem sei und ich müsste
mich damit abfinden. Als sie
mit strengem und ärgerlichen
Gesicht mit mir sprach,
fingen meine Kinder laut zu
schreien an, weil sie
befürchteten, ma würde sie
nicht nach Amman lassen.
Das war ihr schlimmster
Alptraum, und nun geschah
genau dies. Nahlah und
Yousef wurden abgewiesen,
und ich kehrte mit den
Kindern um 6 Uhr, als die
Brücke geschlossen wurde,
zurück.
Ich wusste nicht, was ich
meinen Kindern sagen sollte,
außer dass dies die
Besatzung in ihrer
brutalsten Ausdrucksform
sei. Als dieser Wahnsinn
geschah, dachte ich daran,
was meine Kinder empfinden
und wie sich solche Vorfälle
auf die Vorstellung junger
Menschen vom israelischen
Nachbarn auswirken . Ich
machte mir Gedanken darüber,
ob sich die israelischen
Besatzungsbehörden über die
verheerenden Auswirkungen
solch einer Politik auf die
Psyche der palästinensischen
Kinder im Klaren sind –
einer diskriminierenden und
rassistischen Politik, die
gegen alle internationalen
und nationalen
Menschenrechts-Konventionen
gehen; welche Vorstellung
werden die Kinder von
Israel als einem
Apartheidstaat haben, von
der Grausamkeit ihrer Armee
und den unmenschlichen
Aktionen, die von seinen
Soldaten und dem ganzen
Regierungsapparat ausgehen.
Seit ihrer Geburt haben
Rania und ich bewusst
versucht, unsern Kinder
Achtung vor anderen Leuten
beizubringen, auch wenn sie
anders sind. Wir haben
unzählige Male und
beharrlich ihnen den
Unterschied zwischen
Besatzungsbehörde und dem
jüdischen Volk erklärt. Wir
erklärten ihnen, dass wir
nur ein Problem mit der
Besatzung haben. Während
mich die Kinder bei der
Diskussion mit der
Grenzpolizei beobachteten
und uns zuhörten und sahen,
wie hilflos ihr Vater war,
umarmte mich Nahla und
flüsterte mir ins Ohr: „Ich
hasse diese Leute, warum
können sie uns nicht
erlauben, hinüber zu gehen,
wir haben doch nichts
Falsches getan.“ Als ich
dies hörte, wurde ich noch
zorniger und fühlte mich
noch hilfloser. Wie kann ich
ihnen dies erklären oder wie
kann ich dies rechtfertigen?
Ich konnte es nicht
erklären. Die Situation ist
lächerlich und unmenschlich.
Nun , da ich wieder in
Ramallah zurück bin, fühle
ich mich noch hilfloser und
ohnmächtiger, nichts für das
Wohnrecht meiner Kinder oder
der mehr als 5000
palästinensischer Familien
tun zu können, deren ein
oder beide Elternteile aus
dem Gazastreifen kommen und
die dieselben Probleme
haben. Der schlimmste Aspekt
dieser Geschichte ist der,
dass keine palästinensische
Behörde etwas dagegen tun
kann. Die ganze Sache liegt
in den Händen der
israelischen
Besatzungsbehörde. Und es
gibt keine Anzeichen, dass
sie dieses Problem lösen
wollen, es sei denn, sie
werden unter Druck gesetzt.
Ich weiß nur, dass weder ich
noch irgendein anderer
Palästinenser dieses Problem
lösen kann.
Die Geschichte von Nahla,
Yousef, Mariam und Rania und
die Geschichten von mehr als
1,5 Millionen Bewohnern von
Gaza, die im größten
Gefängnis der Erde, im
Gazastreifen, leben und
alle die Familien, die mit
Gaza verbunden sind wie
meine Familie, sollte zur
Kenntnisnahme aller Menschen
gebracht werden, die an
Gerechtigkeit, Freiheit und
an die Menschenrechte
glauben.
Ich bitte um eure
Solidarität und
Unterstützung, damit dieser
Wahnsinn aufhört und so
vielleicht der Fluch vom
Gazastreifen genommen wird.
(dt. Ellen Rohlfs)