Das letzte Tabu
(Gespräch mit Rami Elhanan „ Bereaved Families for Peace“ und
anderen israelischen Dissidenten)
Von John Pilger (7.6.06
„Information Clearing House)
Der palästinensische Dichter Mahmoud Darwish, ein
Gegner jedweder Gewalt gegen Zivilisten und eine beharrliche Stimme
für israelisch-palästinensische Koexistenz, schrieb:
„Wir müssen
verstehen – nicht rechtfertigen - was zu dieser Tragödie führte ...
das palästinensische Volk liebt das Leben. Wenn wir ihm Hoffnung
geben – eine politische Lösung, dann werden sie aufhören, sich
selbst zu töten“. Hier ein paar Zeilen aus seinem Gedicht
„Märtyrer“:
„ Ich liebe das Leben auf Erden
unter Pinien und Feigenbäumen -
Aber ich kann sie nicht
erreichen –
Deshalb zielte ich mit dem
letzten,
was noch mir gehört.“
Für Rami Elhanan,
einem israelischen Grafik-Designer, hat das letzte, was ein
Palästinenser noch hatte und mit dem er zielte, den Tod seiner
14jährigen Tochter Smadar verursacht. Es gibt einen privaten
Videofilm von Smadar – den man nicht leichten Herzens ansehen kann:
Sie spielt Klavier, wirft ihre langen Haare zurück und lacht. Zwei
Monate, bevor sie starb, schnitt sie sie ab. „Sie wollte damit ihre
Unabhängigkeit zeigen,“ erzählte mir Rami mit einem Lächeln, „ihre
Brüder pflegten sie zu hänseln, weil sie eine so gute Schülerin war.
Aber sie wusste, was sie wollte. Sie wollte Ärztin werden, und sie
tanzte gern.“
Am Nachmittag
des 4. September 1997 hatte Smadar und ihre beste Freundin ein
Vorgespräch bei einer Tanzschule. Smadar hatte mit ihrer Mutter
Nurit morgens noch eine Auseinandersetzung, weil sie sie nicht gern
ins Zentrum von Jerusalem gehen lassen wollte, um Bücher für die
Schule zu kaufen. „Ich war beunruhigt wegen der zunehmenden
Selbstmordanschläge,“ sagte Nurit, „aber ich wollte keinen Streit,
also ließ ich sie gehen.“
Rami war in
seinem PKW, als er um 3 Uhr das Radio anmachte, um die Nachrichten
zu hören und hörte einen Bericht über einen Selbstmordanschlag im
Ben Yehuda –Einkaufszentrum. Drei Palästinenser hätten sich unter
die Menschen gemischt und sich in menschliche Bomben verwandelt. Es
wurden etwa 200 Leute verletzt und mehrere getötet. Nach nur wenigen
Minuten klingelte sein Handy. Nurit weinte. Sie hatte einen Anruf
von einem Freund ihres Sohnes erhalten, der gesehen hat, wie Smadar
kurz vor dem Attentat in die Ben Yehuda-Straße ging. Stundenlang
suchten Rami und Nurit die Krankenhäuser ab, um sie zu suchen.
„Schließlich
schlug ein Polizist vorsichtig vor, zur Stelle des Attentates zu
gehen, wo wir auf ein Leichenschauhaus verwiesen wurden.“
„Ihr Abstieg in
die Dunkelheit“, wie Rami es beschreibt, war auch der Beginn einer
Eingebung zu einer Kampagne für den Frieden. Ich bin noch nie
jemandem wie Rami begegnet und das Interview, das ich mit ihm im
sonnigen Wohnzimmer seiner Wohnung in Jerusalem führte, hat mich
tief bewegt. Zuweilen erscheinen Lösungen für hartnäckige
politische Probleme näher zu sein, wenn es jemanden wie Rami
Elhanan gibt, der mitten drin ist und das Unaussprechbare
ausspricht.
„Es ist
schmerzlich, dies zu erkennen, aber es ist wirklich ganz einfach,“
sagt er. Es gibt keinen grundsätzlichen moralischen Unterschied
zwischen einem Soldaten, der an einem Kontrollpunkt eine
hochschwangere Frau daran hindert, durchzugehen und die deshalb ihr
Baby verliert - und dem Mann, der meine Tochter getötet hat. Und so
wie meine Tochter ein Opfer der Besatzung ist, so ist auch er ein
Opfer dieser Besatzung.
Auf dem Regal
hinter ihm war ein Foto von Smadar als sie fünf Jahre alt war und
ein Plakat hält: „Schluss mit der Besatzung!“ Rami sagt: „sie war
ein Kind des Friedens“. Ihre Eltern waren beide in dem Sinne erzogen
worden, die Errichtung Israels als nationale Heimstätte sei ein Akt
der Selbsterhaltung. Ramis Vater hat Auschwitz überlebt. Seine
Großeltern, 6 Tanten und Onkel kamen im Holocaust um. Nurits Vater,
Matti Peled, ein General, war ein Held im 1948er-Krieg. Rami
beschreibt ihn als einen der „wahren Pioniere, um mit den
Palästinensern Frieden zu machen“. Er war unter den 1. Israelis, der
Yasser Arafat in seinem Exil in Tunis besuchte. (Er gründete mit Uri
Avnery den Newsletter „The Other Israel“ ER) Nurit wurde mit dem
Friedenspreis des Europäischen Parlamentes ausgezeichnet.
Rami datiert
sein eigenes Erkennen der Wahrheit, die „wir nicht auszusprechen
wagen“, in seine Zeit als junger Soldat. Der 1967er Krieg war gerade
vorbei und war – wie er sagt „keine göttliche Intervention“, wie er
in Israel besonders von den Siedlern dargestellt wird, die ihre
illegalen Festungen auf dem neu besetzten Land bauten. Er beschrieb
dies als den Beginn einer Krebserkrankung mitten im Herzen Israels.
1973 während des Yom Kippurkrieges wurde ihm auf einmal klar, dass „
auch er Blut an den Händen hatte.“
Rami und Nurit
sind unter denen, die den „Elternkreis“ (Parents’Circle) gründeten
oder „die trauernden Eltern für Frieden“ , die israelische und
palästinensische Familien zusammenbringen, die ein Familienmitglied
( durch die andere Seite) verloren haben. Dieser Kreis schließt
auch Familien von Selbstmordattentätern mit ein. Sie organisieren
gemeinsam Kampagnen an Schulen und versuchen, auf Politiker
Einfluss zu nehmen, um ernsthafte Verhandlungen zu beginnen.
Als ich Rami
traf, hatten sie gerade eintausend Särge außerhalb des UN-Gebäude
in New York mit israelischen und palästinensischen Flaggen bedeckt
aufgestellt. „Unsere Absicht ist es, nicht die Vergangenheit zu
vergessen und zu vergeben, sondern einen Weg zu finden, auf dem man
gemeinsam gehen und mit einander leben kann,“ sagte Rami.
Ich (P.) fragte
ihn: „Wie kannst du Gefühle des Zornes, die du als Vater wegen des
Verlustes deiner Tochter hast von den Gefühlen trennen, den andern
die Hand entgegen strecken zu wollen?“
R.:„Sehr
einfach. Ich bin ein menschliches Wesen, ich bin kein Tier. Ich habe
zwar mein Kind verloren, aber ich habe meinen Kopf nicht verloren.
Wenn man nur aus dem Bauch heraus denkt und handelt, so hält dies
nur die Gewaltspirale in Bewegung. Man muss nachdenken: unsere
beiden Völker hier müssen bleiben, keines wird sich in Luft
auflösen. Wir müssen einen Kompromiss finden. Und das macht man mit
dem Kopf und nicht mit dem Bauch.“
P.:„Hast du mal
Kontakt aufgenommen, mit dem Selbstmordattentäter, der Smadar
umbrachte?“
R.: „Das wurde
einmal versucht. Jemand wollte einen Film drehen, aber ich war nicht
daran interessiert. Ich bin nicht verrückt. Ich kann nicht
vergessen; und auch nicht vergeben. Jemand, der kleine Mädchen
umbringt, ist ein Krimineller und sollte bestraft werden. Es geht
nicht darum, mit denen persönlich in Kontakt zu treten, die mir
Schlimmes angetan haben – darum geht es nicht. Du siehst also, ich
muss manchmal gegen mich kämpfen, um das zu tun, was ich tue. Aber
ich bin mir sicher, dass das, was ich tue, richtig ist. Ich bin mir
sicher, dass der Selbstmordattentäter genau so ein Opfer ( der
Besatzung) war wie meine Tochter .
P.:„Hast du
Verbindung zu Eltern von andern Selbstmordattentätern aufgenommen?“
R.: „Ja, die
waren sehr herzlich und ermutigend.“
P.: „Was ist
daran das Wichtigste?“
„Das Wichtigste
ist, Frieden zu machen – nicht Fragen zu stellen. Ich habe auch
Blut an meinen Händen, wie ich schon sagte. Ich war ein Soldat in
der israelischen Armee. ...
Wenn man in der
persönlichen Geschichte eines jeden von uns gräbt, dann wird man
keinen Frieden machen. Da kommen nur noch mehr Argumente und
Schuldzuweisungen zustande.
Morgen werde ich
nach Hebron gehen, um dort trauernde palästinensische Familien zu
treffen. Sie sind ein lebender Beweis der andern Seite, dass sie mit
uns Frieden machen wollen.“
P.: „Ist die
öffentliche Meinung in Israel nicht völlig anders?“
„Ich habe einen
Freund, der sagt, was ich tue, sei, als wolle ich mit einem Löffel
Wasser aus dem Meere schöpfen. Wir im Elternzirkel sind sehr wenige
– das stimmt. Und die Welt wird von sehr dummen Leuten geleitet, das
stimmt auch. Ich rede über den amerikanischen Präsidenten und meinen
eigenen Ministerpräsidenten. Wenn wir nur das Wort „Terrorismus“
nehmen und alles darum herum bauen, wie sie es tun, dann wird das
Elend nur noch größer, dann gibt es noch mehr Kriege, mehr
Todesfälle, mehr Selbstmordattentäter, mehr Rache, mehr Strafen. Wo
soll das hinführen? Nirgendwohin. Unsere Aufgabe ist es, auf das
Naheliegende hinzuweisen. George Washington war ein Terrorist, Jomo
Kenyatta war ein Terrorist, Nelson Mandela war ein Terrorist.
Terrorismus hat nur für die Bedeutung, die schwach sind und die
keine andere Wahl haben und keine anderen Mittel.
P.: „Was muss
getan werden, um das Leiden zu beenden?“
R.: „Wir müssen
gegen die Ignoranz ankämpfen. Ich gehe in Schulen und halte
Vorträge. Ich erzähle den Kindern, wie der Konflikt begann. Ich
bitte sie, sich ein haus mit zehn Räumen vorzustellen, in denen
Mohammed und seine Familie in Frieden lebt. In einer stürmischen
Nacht klopft jemand an die Tür. Draußen steht Moshe und seine
Familie. Sie sind krank, geschlagen, kaputt. „Entschuldige mich“
sagt er, „ Aber vor langer Zeit lebte ich in diesem Haus.“ Das ist
der ganze arabisch-israelische Konflikt in einer Nussschale. Dann
erzähle ich den Kindern, dass die Palästinenser 78 % ihres Landes
hergegeben haben, von dem sie sicher sind, dass es ihres ist. Also
sollten die Israelis ihnen die restlichen 22% geben, die 1948 übrig
blieben.“
Er zeigt den
Schulkindern Karten des Angebotes von Ministerpräsident Barak von
Camp David an Yassir Arafat, bevor der Friedensprozess
zusammenbrach. Die Karten zeigen, wie viel von der Westbank den
Palästinensern genommen und den Siedlern gegeben werden sollte.
„Dies war das größte Geheimnis“, sagte er, „ weil Barak nie
erlaubte, dass eine offizielle Karte gemacht wurde. Er schlug etwas
vor, von dem er wusste, dass die Palästinenser das nie akzeptieren
würden und nie akzeptieren könnten.“
P.: „Welche
Reaktion gibt es in Schulen oder bei öffentlichen Auftritten?“
R.: „Ich
beobachte die Gesichter der Kinder, wenn ich ihnen die Karte zeige
und ihnen sage, dass wir 78 % und die Palästinenser 22% hatten und
dass dies alles ist, was die Palästinenser wollen. Da sehe ich, wie
die Ignoranz verschwindet. Weißt du, in Israel hat man vor den
Trauernden hohe Achtung.. Die Menschen achten sie, weil sie einen
Preis bezahlt haben. Mir wird auch dieser Respekt entgegen gebracht.
Aber natürlich gibt es Leute, die nicht hören wollen, was ich sage.“
An jedem
Jerusalem-Tag – dem Tag, an dem das moderne Israel die Eroberung der
Stadt feiert – steht Rami mit einem Foto seiner Tochter auf der
Straße und versucht, die Leute von seiner Mission für den Frieden zu
überzeugen. Beim letzten Jerusalemtag stand er vor den gekreuzten
Flaggen beider Völker, der israelischen und der palästinensischen
Flagge. Da redeten Leute davon, es sei schade, dass er nicht auch
in die Luft gesprengt wird. „Das ist die Dimension des Problems,“
sagte er.
P.: „Willst du
das beim nächsten Jerusalemtag wieder tun?“
R.: „Ja, und ich
werde von einigen angespuckt und verflucht werden. Aber ich weiß,
dass dies nur ein Teil der menschlichen Gleichung ist. Es ist der
andere Teil, den wir lösen müssen, und die andern Eltern und ich
werden damit beginnen.“
P.: „Welchen
Preis muss eine Gesellschaft zahlen, die eine militärische
Besatzung unterhält?“
R.: „Es ist ein
unerträglicher Preis. Es beginnt mit moralischer Korruption. Wenn
wir schwangere Frauen nicht durch einen Checkpoint gehen und ihre
Babys sterben lassen, sind wir zu Tieren geworden, und wir sind
dann nicht besserr als die Selbstmordattentäter.“
P.: „Was sagst
du zu Juden in andern Ländern, wie z.B. England, zu Leuten, die
Israel unterstützen, weil sie das Gefühl haben, sie müssten dies
tun?“
R.: „Ich sage
ihnen, sie sollen sich an die wirklichen jüdischen Werte halten und
die Friedensbewegung in Israel unterstützen, aber nicht um jeden
Preis den Staat. Nur Druck von außen – von Juden, von Regierungen,
von der öffentlichen Meinung – wird diesen Alptraum beenden.
Während es dort das Schweigen und Wegsehen gibt, und dieser
Missbrauch unserer Kritik als anti-jüdisch bezeichnet wird,
unterscheiden wir uns in gar nichts von denen, die während des
Holocaust daneben standen. Wir sind nicht nur Mittäter an den
Verbrechen, wir entscheiden so auch für uns, dass wir und auch
unsere Kinder nie Frieden erleben werden. Macht das denn Sinn?“
P.: „Aber sie
werden wahrscheinlich sagen, die Juden seien in Gefahr, von den
Arabern ins Meer geworfen zu werden, also müsse Israel festbleiben?“
R.: „Ins Meer
geworfen werden – von wem? Wir sind der mächtigste Staat im Nahen
Osten. Wir haben eine der größten Armeen in der Welt. Bei einer der
letzten Operationen (Sharons Angriff auf Jenin im April 2002)
wurden vier bewaffnete Divisionen gegen etwa 500 bewaffnete Leute
geschickt . Es ist einfach lachhaft. Wer will uns ins Meer jagen?
Wer kann uns ins Meer jagen? ... Das wirkliche Problem wird täglich
an den Checkpoints deutlich. Der palästinensische Junge, dessen
Mutter am Morgen dort gedemütigt wird, wird am Abend ein
Selbstmordattentäter sein. Es sollte einfach nicht möglich sein,
dass Israelis in Ruhe in ihren Cafes sitzen, essen und trinken,
während zwei hundert Meter weiter verzweifelte Leute gedemütigt
werden und palästinensische Kinder vor Hunger zu sterben beginnen.
Der Selbstmordattentäter ist nur ein Moskito. Die Besatzung ist der
Sumpf.“
Der Vorsitzende
des Elternkreises ist Yitzhak Frankenthal, dessen Sohn, ein junger
Soldat von der Hamas entführt und getötet wurde. Seine Großmütigkeit
drückte sich bei einer Friedensrally in Jerusalem aus : „Lasst die
Selbstgerechten , die von skrupellosen palästinensischen Mördern
reden, einen strengen Blick in den Spiegel tun !“ sagte er.
Sollen sie sich
fragen, was sie getan hätten, wenn sie diejenigen wären, die unter
Besatzung leben.
„Ich kann von
mir selbst sagen, ich Yitzhak Frankenthal , würde zweifellos ein
Freiheitskämpfer geworden sein, und ich hätte so viele von der
andern Seite getötet, wie es mir nur möglich gewesen wäre. Es ist
diese verkommene Heuchelei, die die Palästinenser dahin bringt, uns
so unbarmherzig zu bekämpfen. Unsere doppelte Moral erlaubt uns,
dass wir uns unserer höchsten militärischen Ethik rühmen, während
die gleiche Armee unschuldige Kinder tötet ... Auch wenn ich es
wollte, ich kann den Palästinensern nicht die Schuld am Tod meines
Sohnes geben . Das wäre der einfache Weg – wir sind es, die keinen
Frieden mit ihnen machen wollen. Wir bestehen darauf, die Kontrolle
über sie zu haben, wir sind es, die die Gewaltspirale in Bewegung
halten – es tut mir leid, dies sagen zu müssen“
Israels
Dissidenten gehören zu den tapfersten, denen ich begegnet bin.
Abgesehen vom ungewöhnlichen Mordechai Vanunu, der 18 Jahre im
Gefängnis verbrachte, meistens in Isolationshaft, und der heute im
Grunde unter Hausarrest lebt. Die meisten von ihnen, die es mit dem
Staat Israel aufnehmen, bleiben im Lande, wo ihre Strafe oft
unerbittlich ist. Für viele haben sie nicht nur ihr Land verraten,
sondern auch ihre Familie und ihr Judentum und sogar das Gedenken an
die Opfer des Holocaust.
Kaufleute
weigern sich, sie zu bedienen; lebenslange Freunde gehen lieber auf
die andere Straßenseite, als mit ihnen zu sprechen. Ohne Warnung
werden sie angeschrieen und angespuckt – wie Rami als er mit den
beiden Flaggen dastand.
Während ich dies
schreibe, gibt es 635 israelische Soldaten, die sich weigerten, im
besetzten Palästina ihren Militärdienst zu machen. Hunderte wurden
ins Gefängnis geschickt. Andere machten öffentliche Erklärungen, die
das Regime beunruhigten. Dazu gehören Fallschirmspringer,
Panzeroffiziere und Mitglieder von Spezialeinheiten. Im September
2003 haben 27 Luftwaffenpiloten, einschließlich des Brigadegenerals
Yiftah Spector, ein Held de 1967-Krieges, verkündet, dass sie sich
weigern, illegale und unmoralische Angriffe auf zivile Zentren
auszuführen. Die Mehrheit sind junge Militärpflichtige, die drei
Jahre dienen müssen. Ihre Organisation heißt „Mut zur Verweigerung“.
Ich verbrachte
einen Nachmittag mit einem von ihnen, mit dem früheren Feldwebel
Ishai Rosen-Zwi, einem orthodoxen Juden. Wir trafen uns in einem Tel
Aviver Park, weit weg von unfreundlichen Augen. Ich fragte ihn, was
ihn zu einem Verweigerer gemacht habe.
Ishai: „Ich
brauchte länger, als ich zugeben möchte: Als ich mit meiner Einheit
in Gaza ankam, konnte ich sehen, dass das, was wir dort machten
entsetzlich war – doch ich tat meinen Job. Ich fühlte mich nicht
wohl dabei; es brachte mich in Verlegenheit – aber ich tat meinen
Job. Wenn ich Urlaub hatte und nach Hause kam, sprach ich nicht
darüber. ... Dann wurde mir klar, dass ich auf der verkehrten Seite
des Kontrollpunktes stand...Die wirkliche Geschichte der Besatzung
ist an den Checkpoints. Die Arbeit ist im Grunde nichts, man steht
herum und langweilt sich. Dann kommt einem ins Bewusstein, was
dieses Nichts, diese Leere wirklich bedeutet: Tausende von
frustrierten, gedemütigten, hungrigen und zornige Menschen
festhalten.
„ Man stelle
sich malvor, dass man von 5 Uhr früh dort steht und in ihre Augen
sieht – einige könnten mein Großvater sein – man sieht kurz die
Demütigung und den Hass. Man möchte sie auf die Seite nehmen und
sagen: sieh, ich bin ein anständiger Kerl – ich hab nichts gegen
dich“ . Aber das geht natürlich nicht. Für sie ist man die
Besatzung...
P.: „Die
Regierung besteht auf den Straßensperren, um Selbstmordattentäter
zu stoppen.“
I.: „ Aber die
Straßensperren gab es, schon 35 Jahre bevor es Selbstmordattentäter
gab. Sie sind da, um zu kontrollieren, immer nur kontrollieren.“
P.„Haben
wartende Palästinenser jemals bei deiner Kontrolle versucht, mit
dir darüber zu debattieren?“
I.: „Wir haben
alle Macht – sie sind absolut ohnmächtig. Man kann jederzeit ihre
Identitätskarte nehmen und dann haben sie gar nichts, denn ohne
ID-Karte können sie jederzeit verhaftet werden Sie gehen also kein
Risiko ein. Sie debattieren also auch nicht, sie sind sogar
ehrerbietig nach außen hin – aber nicht in ihrem Herzen.“
P. : Wie sehen
andere Israelis dich, Leute, die dich täglich treffen und die
wissen, dass du ein Verweigerer bist?“
I.: „Einige
schauen mich an, als wäre ich ein extrem Linker; das ist lustig;
denn ich bin religiös. Für sie erhebt sich die moralische Frage gar
nicht. Sie denken ich bin ein bisschen verdreht im Kopf . Einer
meiner besten Freunde sagte zu mir: „OK das ist ein dummer Krieg,
aber es ist Krieg und wir müssen ihn ausfechten.“
P.: „Und deine
Familie?“ I.: „Wir reden nicht darüber, oder versuchen, nicht
darüber zu reden. Meine Frau redet die ganze Zeit über anderes, weil
es zu schwierig ist.
P.: Du hast das
also nur für dich allein entschieden?“ „Ja ich bin allein damit.“
P. : Wie hoch
ist der Preis, den du zahlen musst?“ I.: „Ich bin kein Held – aber
ich bin ein gekränkter Mensch. Es tut mir weh, wenn ich auf den
Markt gehe und irgend jemand zu mir sagt: Ich hab in der Zeitung
gelesen, was du getan hast - das ist schrecklich. Leute wie du
ruinieren unser Land. Das ist wie ein Angriff mit dem Messer und ich
kämpfe mit mir persönlich in meinem Herzen und in meinem Kopf - wie
soll ich es sagen?“
P.: „Du meinst,
dass du es dir selbst erklären musst“. I.: „Ja , ja und nicht nur
erklären, ich muss mich selbst verteidigen. Ich sage zu mir: Ishai,
du bist kein Verräter! Das zu sich selbst zu sagen, ist nicht
einfach.“
P.: „Was sagst
du zu Juden im Ausland, die Kritik an Israel mit Antisemitismus
gleichsetzen?“
„Nun das ist ein
großer Bluff. Es ist die schlimmste Art von Propaganda. Juden in
England oder in aller Welt spielen diesen Bluff mit, verewigen die
Besatzung und alle ihre Schrecken. Sie sollten sich nicht an so
etwas beteiligen, das das Gedächtnis des jüdischen Leidens
beschädigt und es anwendet, um die Unterdrückung eines andern
Volkes zu rechtfertigen. Es ist gottlos.“
P.: „Was würdest
du deinen Landsleuten ( in England)sagen wollen ?“
Ishai: „Sie
sollen sehr über Patriotismus nachdenken – denn Kritik an unserer
Regierung über diesen Punkt (Besatzung) , wäre die einzige
patriotische Sache, die uns noch geblieben ist.“
(dt. Ellen
Rohlfs)
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